Stand  29. Mai 2007,
zuletzt ergänzt am 10.11.2009.




Zurück zum Abschnitt 1:
Was sagen amerikanische Ökonomen zu Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher? Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?

 

 


"Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben."
 

US-Präsident Franklin D. Roosevelt, 1933
(sh. mindestlohn.de)
 



 

Exkurs:
Mindestlöhne, "Bolkestein-Hammer" und Leiharbeit


 

(Siehe hierzu auch die Exkurse: Leiharbeit, EU-Lohndumping.htm und Hartz-IV.htm.)

 

Von den 15 alten EU-Ländern haben 6 Länder gesetzliche Mindestlöhne zwischen 8 und 9 Euro (sh. mindestlohn.de, Stand 4.3.07). Die gesetzlichen Mindestlöhne in Griechenland, Spanien und Portugal liegen deutlich darunter. In fünf weiteren Alt-EU-Ländern (Dänemark, Schweden, Finnland, Österreich, Italien) sind Mindestlöhne durch Tarifverträge mit deutlich mehr als 80%iger Geltung geregelt (sh. Claus Schäfer: "Gesetzliche Mindestlöhne…",  boeckler.de, April 2005, Blatt 7) und liegen teilweise auch noch über den obigen 9 Euro: "Im wirtschaftlich boomenden Dänemark bekommt derzeit fast niemand weniger als 90 Kronen (12 Euro)", lt. tagesschau.de, 20.3.06. Dagegen erscheint den Neoliberalen in Deutschland schon ein Mindestlohn von 7,50 Euro zu hoch (sh. unten).

Zum Thema "Mindestlohn" ist folgendes zu beachten (sh. rossaepfel-theorie.de und hier weiter unten):
 

  • Die unproblematischen Aussagen zur fiskalischen Umverteilung nach oben hier im Haupttext sind unabhängig von der Entscheidung für oder gegen Mindestlöhne. Es soll daher hier îm Exkurs auch keine Relativierung durch problematischen Modellansätze zu den Mindestlöhnen erfolgen. - Klar ist nur, dass die üblichen Modellansätze der Neoliberalen die Nachfrageeffekte von Mindestlöhnen ausblenden und insofern nur propagandistisch aufzufassen sind.

  • Die Finanzierung von Sozialversicherungsbeiträgen über höhere Ertrag- und Substanzsteuern würde auch entscheidend zur Lösung des Arbeitsmarkt-Dilemmas beitragen, das mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn verbunden ist.

  • Diese weitgehende Steuerfinanzierung ermöglicht eine drastische Senkung der Arbeitslosenquote und damit der verbleibenden Finanzierungslücke in den Sozialsystemen.

  • Die weitgehende Steuerfinanzierung von Sozialabgaben über Ertrag- und Besitzsteuern nach dem Standard konjunkturstarker Nachbarstaaten kann mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch den Fortfall von Dumping-Arbeitsplätzen infolge eines gesetzlichen Mindestlohns verloren gehen.

  • Preiserhöhungen durch Einführungen von Mindestlöhnen im Dienstleistungsbereich müssen nicht zu entsprechender Nachfragereduzierung im Dienstleistungsbereich führen.
    Die Budgeteinschränkungen werden auch andere Bereiche betreffen wie Fernreisen, Umfang der PKW-Nutzung oder Bereiche mit kapitalintensiverer Produktion wie Neuanschaffungen, Wohnungsgröße usw., während die zusätzliche Nachfrage der Ex-Dumpinglöhner weitere Arbeitsplätze schafft.

  • Ein steuerfinanziertes bedingungsloses Grundeinkommen als Anreiz für weiteres Lohndumping ist ebenso abzulehnen wie Mehrwertsteuererhöhungen.

  • Die Halbierung der Arbeitslosenquote, z.B. auf das dänische Niveau, ermöglicht das dänische Prinzip "Fordern und Fördern" und führt von sich aus zu höheren Löhnen.

  • Diese Steuerfinanzierung nach skandinavischem Vorbild hat Vorrang vor dem Festhalten an den Steuergeschenken für die bestbezahlten Meinungsmacher.

  • Die Anhebung der deutschen Steuerquote vom untersten Platz der Alt-EU auf mittleres oder skandinavisches Niveau würde durch Ausbau des öffentlichen Sektors nach solchen Vorbildern (z.B. investive Kinderbetreuung, Bildung und Forschung) die Arbeitslosenquote senken und damit der Lohndrückerei entgegenwirken.

  • Gewerkschaftlich ausgehandelte Mindestlöhne liegen wegen zu geringer Mitgliedschaften teilweise unter 4 Euro pro Stunde, auch und gerade für unverzichtbare Dienstleistungen ohne ausländische Dumping-Konkurrenz (sh. unten).

  • Gesetzliche Mindestlöhne von etwa 8 Euro pro Stunde reichen bei Familien mit Kindern oft nicht zur Existenzsicherung und sind dann weiterhin staatlich aufzustocken, nicht nur durch Kinder- und Wohngeld.

  • Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit muss sich für Arbeitslose auch finanziell lohnen.

  • Das Ausweichen von Arbeitslosen in Schwarzarbeit ist marktkonform durch drastische Senkung der Mehrwertsteuer bei konsumnahen Dienstleistungen einzudämmen.

  • Durch Verzicht auf die ausufernden Steuerprivilegien für "Bestverdiener" würden auch solche Absenkungen der Mehrwertsteuer möglich zugunsten der zurückgestauten Konsumnachfrage von Einkommensschwachen.

  • Nicht jedes Unternehmen muss erhalten werden, das nur durch Dumping-Löhne existieren kann, aber kein Haushalt sollte durch Dumpinglöhne in die Insolvenz getrieben werden.

  • Stundenlöhne deutlich unter den westeuropäischen Mindestlöhnen dürften bei den hiesigen Lebenshaltungskosten und dem kontrastierenden Reichtum sittenwidrig sein und gegen die Europäische Sozialcharta verstoßen (sh. unten).

  • Vor allem ist beim Thema "Mindestlohn" die vollständige Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes spätestens zum 1.5.2011 für Arbeitnehmer aus den östlichen EU-Staaten zu berücksichtigen, so dass durch gesetzliche Mindestlöhne der verschärften Lohndrückerei entgegengewirkt werden kann.

  • Neben den Steuersenkungen für "Bestverdiener", der Mehrwertsteuererhöhung, den Kürzungen bei Einkommensschwache, staatlichen Leistungen usw. dient auch die Lohndrückerei der Umverteilung nach oben.

  • Die ökonomischen Gründe gegen Mindestlöhne sind daher vor allem selbst indoktrinierte Vorwände jener Parteien und Ideologen, die am nachdrücklichsten für die Umverteilung nach oben eintreten mit Senkung ihrer Spitzensteuersätze auf propagierte 35 oder gar 25 Prozent, finanziert durch Mehrwertsteuererhöhungen und alle möglichen Mehrbelastungen der Klein- und Normalverdiener.

     


Das Thema Mindestlohn ist hier nur ein Exkurs zu den Hauptthemen "Steuersenkung für Bestverdiener" und "Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben" (sh. rossaepfel-theorie.de). Es kann daher nicht ebenso ausführlich bearbeitet werden und wird auch nur im Hinblick auf die Hauptthemen betrachtet. Dennoch spielt es für beide Themen eine wichtige Rolle,  weil durch die diversen Steuersenkungen für "Bestverdiener" die nötigen Mittel gegen die Arbeitsplatzvernichtung verschenkt wurden und werden. Außerdem erfolgt die Umverteilung des Volkseinkommens nach oben schon vor dieser finanzpolitischen Sekundärverteilung auch und gerade bei der Primärverteilung, vor allem über die Renditen des Großkapitals, aber nicht zuletzt auch über das Lohndumping. Die Arbeitslosenquote in Deutschland wurde so auf hohem Niveau stabilisiert. Es fehlt damit das Geld für eine teilweise Steuerfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträge, die auch nach Ansicht der neoliberalen Umverteilungsprofiteure zu einer entscheidenden Belastung des Arbeitsmarktes geworden sind.

Der Anstieg der Arbeitslosenquote in Deutschland von ca. 4% Ende der siebziger Jahre auf mehr als 10%  (sh. destatis.de, Stand 3.2.07, und
"Arbeitslosenquoten", wko.at, Stand 18.4.2008) führte auch dazu, dass immer mehr Arbeitnehmer zu Hungerlöhnen arbeiten müssen und dass daher die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland immer stärker wird.

Das derzeitige und frühere Eigenlob der Neoschwarzen, Rotkarierten und Gilbgrünen für ihre neoliberalen angeblichen Beiträge zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit ist dreister Wählerbetrug. Die Entwicklung der deutschen Arbeitslosenquote von etwa 8 Prozent in 1995 über einen Anstieg bis auf 10,7 Prozent in 2007 und dann wieder auf etwa 8 Prozent in 2008 (sh. "Arbeitslosenquoten", wko.at, Stand 18.4.2008) geht einher mit einem zunehmenden Anteil der Geringverdiener  von 15 auf 22,2 Prozent in den zehn Jahren bis 2006. Dazu heißt es in der Tagesschau:
 

Innerhalb eines Jahrzehnts stieg der Anteil der Geringverdiener von 15 auf 22,2 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, die seit Januar vorliegt und nun in Amsterdam vorgestellt wurde. Demnach arbeiten heute 6,5 Millionen Beschäftigte in Deutschland für wenig Geld. "Die Befunde für die Bundesrepublik sind besorgniserregend", sagte der Direktor des IAQ, Gerhard Bosch, der "Frankfurter Rundschau"…
2006 arbeiteten insgesamt 1,9 Millionen Menschen für eine Stundenlohn unter fünf Euro.


(Sh. "Fast jeder Vierte arbeitet für Billiglöhne – Immer weniger Lohn für immer mehr Beschäftigte", tagesschau.de, 18.4.2008, mit weiteren Nachweisen.) Zumindest die Alleinstehenden unter diesen  1,9 Millionen "Working Poor" im Jahre 2006 stehen sich nicht besser als Arbeitslose, denn bei 160 monatlichen Arbeitsstunden zu höchstens fünf Euro, womöglich noch abzüglich 20 Prozent Sozialabgaben, arbeitet ein Alleinstehender unter dem Sozialhilfe-Niveau (zur Definition der "Geringverdiener" sh. den IAQ-Report 2008/01: "Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung…" ). Aber die Statistik ist unter dem Einfluss der großen neoliberalen Koalition insgesamt drastisch gefälscht  (sh. z.B.  "3,2 Millionen Arbeitslose gelten als nicht arbeitslos", faz.net, 12.3.2008.)

In den gleichen zehn Jahren sank die Arbeitslosenquote im Hochsteuerland Dänemark von etwa fünf Prozent auf 2,7 Prozent (sh. "Arbeitslosenquoten", wko.at, Stand 18.4.2008) bei einem Spitzensteuersatz von 59 Prozent, während die Neoliberalen in Deutschland, vorgeblich zur Belebung des Arbeitsmarktes, diesen Steuersatz von 53 auf 42 Prozent abgesenkt haben. Die Meinungsmacher von CDU und FDP wollten ihn für sich und ihre Kundschaft sogar auf 36 bzw. 35 Prozent absenken (sh. rossaepfel-theorie.de). Auch andere EU-Länder mit wesentlich höherer Steuerquote konnten die Weltkonjunktur viel besser nutzen als die deutschen Volksverdummer mit ihrer Drosselung der Konsumnachfrage, also trotz des hohen deutschen Exportanteils.


Die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne ist insbesondere wichtig zur Vermeidung von weiterem Lohndumping zugunsten der Umverteiler durch die bevorstehende vollständige Öffnung des deutschen Arbeitsmartes für osteuropäische Arbeitnehmer, so dass auch noch so intelligente Studienmodelle zur "aktivierenden Sozialhilfe" allein schon von daher nicht ausreichen (sh. z.B. die Untersuchung von Hans-Werner Sinn et al.: Aktivierende Sozialhilfe 2006: Das Kombilohn-Modell des ifo Instituts, München, Januar 2006, auf der Grundlage von deren Untersuchung: Aktivierende Sozialhilfe - Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum, ifo Schnelldienst 9/2002, mit der allzu partiellen graphischen Darstellung "Verteilungseffekte der Lohnsenkung für bereits im Niedriglohnsektor Beschäftigte" - Abb. 8, S. 46).
 

Die Beschränktheit solcher verzerrten  neoliberalen Darstellungen wird schon deutlich bei einem Interview von Oskar Lafontaine mit drei ebenso beschränkten tuenden Interviewern von der Süddeutschen Zeitung (sh. "Oskar Lafontaine im Interview -  'Der Raffgier Tür und Tor geöffnet'", sueddeutsche.de, 17.2.2008):
 

SZ: Die Linke fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 Euro. Ihr Parteifreund André Brie sagt, ein Friseur in Mecklenburg-Vorpommern könne das nicht bezahlen. Hat er da nicht recht?

Lafontaine: Nein. Wenn auch in Mecklenburg-Vorpommern ein Mindestlohn gilt, kann der Mecklenburger seinem Friseur einen höheren Preis bezahlen. Im Gegenzug muss der Friseur seine Leute nicht mehr für vier Euro beschäftigen.

SZ: Das ist doch ein Nullsummenspiel.

Lafontaine: Nein. In der Ökonomie dreht sich die Spirale entweder insgesamt nach unten oder nach oben. Und in Deutschland dreht sie sich bei Löhnen und Renten nach unten. Das muss sich ändern. Es gibt keine seriöse Untersuchung, die beweist, dass der Mindestlohn in der Summe wirtschaftliche Nachteile bringt.

 

Nach oben dreht sich die Spirale erst wieder, wenn die Arbeitnehmer für sich zumindest erst einmal ihren früheren Anteil am Volkseinkommen gegen die Profiteure der Umverteilung nach oben erstreiten und wenn der Rentenklau voll ausgeglichen wird. Dagegen führt nach den propagandistischen Darstellungen der Neoliberalen eine Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen eindeutig zu einer tendenziellen Erhöhung der Arbeitslosenquote. Unter anderem wird die Erhöhung der Kaufkraft und der Nachfrage bei den konsumwilligen Einkommensschwachen zu Lasten der tendenziell hortenden "Bestverdiener" völlig ausgeblendet. Darauf beziehen sich auch die ansonsten gut ausgearbeiteten Folien von Frank Heinemann: Vorlesung AVWL II - Makroökonomik, Wintersemester 2005/06, uni-muenchen.de. Eine detaillierte Darstellung des "Neoklassischen Arbeitsmarktmodells" bietet Bernd Reef: Vorlesung: Einführung in die Volkswirtschaftstheorie, Wintersemester 2006/07,  insbesondere mit den Erläuterungen zu seiner Abbildung I.1.16. Die Kritik an den überholten Vorstellungen findet man aber am ehesten einmal wieder einmal in angelsächsischen Quellen, die zitiert werden von Rudolf Hickel: "Streitfall Mindestlohn" - Diskussionsveranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am 29.11.2006 in Berlin", iaw.uni-bremen.de. Ironischerweise ist es ausgerechnet wieder die neoliberale INSM, gegen deren neoliberale Verkündigungen die Klärung der Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben vorankommt.


Diese Auszehrung der Konsumkraft von Einkommensschwachen ist der eigentliche Grund für die hohe Arbeitslosenquote in Deutschland trotz guter Weltkonjunktur. Das gilt insbesondere für die einseitige hohe Belastung der Löhne von Gering- und Normalverdienern mit den Kosten des Sozialstaates. Deren Entlastung durch Steuerfinanzierung von Sozialabgaben darf jedoch nicht noch zu weiterem Lohndumping führen. Die Propagandisten der Lohndrücker scheinen aber gerade diesen Dumping-Wettlauf im Sinn zu haben, ebenso wie sie das EU-finanzierte Steuerdumping in Osteuropa als Hebel zum Steuerdumping für sich selbst und die übrigen  "Bestverdiener" begrüßen (sh. rossaepfel-theorie.de).

Zur Vermeidung solcher unbezahlbaren Mitnahmeeffekte sind  gesetzliche Mindestlöhne nach dem Vorbild anderer europäischer Länder einzuführen. Selbst in Großbritannien gilt z.B. ein gesetzlicher Mindestlohn von 5,35 Pfund Sterling (ca. 7,71 Euro - sh. "Briten erhöhen ihren Mindestlohn", netzeitung.de, 20.3.06, mit weiteren Nachweisen, und  Mindestlohn.de, besucht 3.7.06) bei einer Arbeitslosenquote in 2005 und 2006 von ca. 5 Prozent (Deutschland offiziell knapp 10% - sh.  Arbeitslosenquoten, wko.at, 3.7.06).  Dazu schreibt die Netzeitung (a.a.O:):
 

Der gesetzliche Mindestlohn wurde in Großbritannien 1999 von der Labour-Regierung eingeführt und seither um 40 Prozent erhöht. Die Arbeitslosigkeit sank im gleichen Zeitraum um 25 Prozent. Im Unterschied zu den Warnungen der britischen Arbeitgeber ist die Zahl der Billig-Arbeitsplätze seither nicht zurückgegangen, sondern deutlich gestiegen. Die Einhaltung des Mindestlohns wird streng überwacht.
 

Das Wirtschaftswachstum in Großbritannien lag in den fünf Jahren nach Einführung des Mindestlohnes (2000 bis 2005) trotz der abgeschwächten Weltkonjunktur bei 2,5%, in Deutschland währenddessen bei 0,6%. Für 2007 erwartet man dort ein Wachstum von 2,7% und in Deutschland von vielleicht 1,2% (lt. wko.at: "Wirtschaftswachstum", Stand 11.3.07, und "Mindestlohn anderswo", unter mindestlohn.de).
 

Dagegen liegen die Tariflöhne in Deutschland teilweise viel niedriger als in Großbritannien (z.B. in Sachsen die untersten tariflichen Brutto-Stundenlöhne für Fleischereiverkäufer: 4,61 €,  Floristen: 4,30 €, Friseure: 3,06 €  usw.; sh. "unterste Tarife" bei boeckler.de und lohnspiegel.de). Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen ist so schwach und die Arbeitslosenquote so hoch, dass existenzsichernde Tariflöhne sofort von den nicht Organisierten unterlaufen würden. In etlichen ostdeutschen Tarifbereichen sind weniger als ein Drittel der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Schon von daher und zur  regionalen Nachfragebelebung scheint ein gesetzlicher Mindestlohn unumgänglich. Das gilt auch für das beliebte Totschlagsbeispiel des  Spargelstechens. Ein Einsatz der neoliberalen Volksbetrüger zu diesen Arbeitsbedingungen wäre für sie recht heilsam:

 

Sieben Tage in der Woche 8 bis 10 Stunden am Tag bei Wind und Wetter hart körperlich arbeiten, und das bei einem Tariflohn, der in Brandenburg bei 3 Euro 78 in der Stunde liegt

 

(sh. "Wer sticht den Spargel?", dradio.de, 26.5.06) Sie haben damit immerhin mehr als die Hartz-IV-Sätze, die ihnen zustehen, wenn sie den Job nicht verweigern. Da sie an diese Knochenarbeit jedoch nicht gewöhnt sind, dürften die späteren Kosten für ihre orthopädische Behandlung, Kuren und Frühverrentung allerdings weit über den Mindestlohn hinausgehen. Die polnischen Erntehelfer stechen den Spargel inzwischen jedenfalls lieber in Schweden zu zwölf Euro pro Stunde.

 

Gerade im Dienstleistungsbereichen erfolgt also die Lohndrückerei,  obwohl ein Schnellimbiss, Blumenkauf oder wöchentlicher Einkauf im Ausland kaum als Alternative im Frage kommen. Auch bei den obigen 7,71 Euro und entsprechenden Preisen würde kaum jemand zum Friseur ins angrenzende Ausland fahren oder ganz auf den Friseur und die anderen Dienstleistungen wie die Briefzustellung verzichten (sh. REPORT MAINZ: "Schuften für Hungerlöhne - Das Elend der Briefzusteller", swr.de, 26.2.07, mit Video). Allenfalls werden die Hotels im grenznahen Bereich ihre Wäsche zum Waschen nach Polen schicken oder ähnliche Sonderfälle in Betracht kommen. Von zunehmender Bedeutung für das Lohndumping im Dienstleistungsbereich ist auch die rapide zunehmende Leiharbeit, durch die immer mehr reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängt werden (sh. unten).

 

Dagegen meinte Klaus von Dohnanyi in einer Diskussion mit Heiner Geissler am 2.4.2007 bei n-tv, dass auch qualifiziertere Arbeiten wie Ingenieurleistungen ins Ausland abwandern können. Dies ist allerdings schon längst der Fall, z.B. bei der Softwareherstellung in Indien, die sich durch preisgünstige Telekommunikation international koordinieren lässt. Es geht hier aber nicht um die Verlagerung von Billigjobs, sondern um Löhne und Gehälter im mittleren und oberen Bereich. Auch bei deren Anstieg drohen die deutschen Nutznießer des Arbeitsplatzexportes regelmäßig mit weiterem Jobabbau und dem Zwang zu weiterer Automatisierung. Um so dringlicher wird es, dass der Globalisierungs-Nutzen für das Volkseinkommen endlich angemessen auf seine Produzenten verteilt wird und die Profiteure nicht obendrein noch überhäuft werden mit Steuergeschenken aus dem Volkseinkommen durch Senkung ihrer Spitzensteuersätze und der Unternehmenssteuern. Dieses Geld muss den Produzenten des Volkseinkommens zur Stärkung der Inlandsnachfrage zufließen, damit das Wirtschaftswachstum nicht nur vom Export der deutschen Produkte getragen wird, sondern auch eine Grundlage hat in der viel gewichtigeren Konsumnachfrage.

 

In der obigen Diskussion mit Klaus von Dohnanyi sagte Heiner Geissler dazu (sh. n-tv.de):

 

Es ist in auch in der Zeit, als noch die CDU regiert hat, eine falsche Wirtschaftspolitik gemacht worden. Vor allem beeinflusst durch die eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie, die Löhne nur als Kosten gesehen hat.

Das Münchner Ifo-Institut hat die perverse Theorie, dass durch niedrigere Löhne mehr Arbeitsplätze entstehen, entwickelt.

Das hätte so nicht sein müssen, wenn da nicht eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie ein Meinungskartell aufgebaut hätte, dem auch die Politik zum Opfer gefallen ist.

 

Der sympathisch erscheinende Leiter des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, ist zwar nicht der Erfinder der Rossäpfel-Theorie, aber mit Ihrer ständigen Propagierung ist er zum medialen Liebling der neoliberalen Meinungsmacher geworden. Sie haben ihn durch seine ständige Präsenz in ihren Talkshows oder als Kronzeugen der BILD-Zeitung, FAZ, DIE WELT usw.  entsprechend hochgejubelt. Dabei liefert er durchaus intelligente Diagnosen, aber die Verführung besteht gerade in deren Kombination mit einseitig neoliberalen Therapie-Vorschlägen. Dies liegt daran, dass die Wirkung der Umverteilung nach oben weitgehend ausgeblendet wird. Darüber hinaus werden seine Aussagen von BILD allein schon durch die tendenziösen Überschriften teilweise gerade in ihr neoliberales Gegenteil verkehrt  (Sh. BILD: "Steuern runter!",  wo es vielmehr um die Sozialabgaben der Arbeitnehmer geht, die gerade wegen der niedrigen Steuern für diese Meinungsmacher so hoch sind, sh. hier rossaepfel-theorie.de.)

 

Zu den explodieren Manager-Bezügen vom früher Zwanzig- oder Dreißigfachen der Lohnempfänger zum Vielhundertfachen sagte Heiner Geissler in dem Interview:

 

Man muss die Frage radikaler stellen: Ist das Wirtschaftsystem in Ordnung, das so etwas erlaubt?

 

Diese Manager-Bezüge sind auch ihr Lohn für die Massenentlassungen und ihre Umverteilung nach oben, vor allem zugunsten der großen Kapitaleigner. Heiner Geissler steht nicht gerade für eine Sozialdemokratie nach  skandinavischem Vorbild, war aber zumindest gegen die Steuersenkung für "Bestverdiener" und hätte sich wohl den Raubtierkapitalismus seiner jetzigen "Christen"-Partei nicht vorstellen können. Eine solches "Wirtschaftssystem" beruht in der Tat auf einer Mentalität, die nur mit Hilfe der neoliberalen und kapitalistischen Meinungsfabrikation produziert werden konnte.

 

Zu diesen Fabrikanten gehört auch Klaus von Dohnanyi, prominenter Vertreter der gewendeten SPD und ehemaliger Kurator der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Er war ab 1990 Beauftragter der Treuhandanstalt, die von Gesine Lötzsch (DIE LINKE) wegen ihrer Abzocker-"Betreuung" als "Mutter aller Heuschrecken" bezeichnet wurde (sh. dazu DIE WELT vom 9.11.2009 mit dem flapsigen Titel "LATE NIGHT  'ANNE WILL': Die Ost-Seele braucht mehr Streicheleinheiten"). Wie alle überbezahlten neoliberalen Meinungsmacher möchte Dohnanyi offenbar nicht einen Spitzensteuersatz von 56 bis 59 Prozent bei weitgehender Steuerfinanzierung von Sozialabgaben nach dem erfolgreichen Vorbild der skandinavischen Staaten zahlen. Immerhin könnte er sich doch für Einkommens-Multimillionäre etwas mehr als 47 Prozent vorstellen:

 

Man sollte die Spitzensteuern erhöhen, wenn man in richtig hohe Spitzen kommt. Wenn man mit der Anhebung der Steuersätze später einsetzt, dann kann man auch höher gehen. Als Alleinstehender berührt man bei 60.000 Euro schon mit dem letzten Euro den Höchstsatz. Das ist vielleicht zu früh. Andererseits sollte dieser Steuersatz am Ende nicht festgefroren sein. Wenn jemand 14 Millionen verdient, dann könnte der Steuersatz auch ein bisschen höher sein als 47 Prozent.

 

Er orientiert sich mit den Millioneneinkünften anscheinend ein wenig an dem Vorbild der unsäglichen Reichensteuer, die die Gesetzesmacher und die meisten Meinungsmacher nicht betrifft (sh. hier reichensteuer.htm).


Insgesamt haben die Dumping-Löhne in Ostdeutschland - wie in anderen Wirtschaftsräumen mit Konsumdrosselung - die Arbeitslosenquote dort nicht gesenkt, sondern erhöht, weil die Konsumnachfrage fehlt. Deshalb
ist Iris Gleicke, Sprecherin der Ost-SPD-Abgeordneten im Bundestag, zuzustimmen, wenn sie die Einführung von Mindestlöhnen vor allem in den neuen Ländern für unumgänglich hält:
 

Die Erfahrungen in Ostdeutschland zeigten, dass Dumpinglöhne kein Standortvorteil seien, sagte sie in der "Freien Presse".


(Sh. "Pofalla gegen gesetzlichen Mindestlohn", deutsche-handwerks-zeitung.de, 28.3.07.)

Die Verbraucher dürften vor kleineren oder größeren Preiserhöhungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen
zunächst etwas zurückschrecken. Aber dann wird man, wie bei Preissteigerungen für Benzin und Zigaretten, den Mengenkonsum kaum einschränken und den wertmäßigen Konsum vielleicht noch erhöhen, wobei hier noch die Kampagnen gegen das Rauchen und zu vieles Autofahren hinzukommen. Dafür wird man aber mehr Kaufkraft schaffen für die Dumping-Opfer. Auch in Dänemark gibt es bei einem Stundenlohn von mehr als 14 Euro plus Trinkgeld genug Friseure (sh. Peter Bofinger et. al.: "Vorrang für das reguläre Arbeitsverhältnis...", August 2006, S. 115 und 117).  Bei dem dänischen Preisniveau vom 1,28fachen des deutschen Niveaus liegt sie so mit ihrer Kaufkraft deutlich über dem höchsten Tariflohn einer vergleichbaren westdeutschen Friseurin. (Sh. "Internationaler Vergleich der Verbraucherpreise – Fachserie 17 Reihe 10 – Juli 2009", destatis.de.)

Die schamlose Ausbeutung des deutschen Brief- und Paket-Kuriers und des Gebäudereinigers macht besonders deutlich, dass eine menschenwürdige Bezahlung kaum Stellen kosten würde. D
ie Mindestlöhne würden lediglich zu einer etwas anderen Verteilung des Volkseinkommens führen und brächten den Einkommensschwachen nicht nur ein halbwegs akzeptables Einkommen für ihre ehrliche Arbeit, sondern auch mehr Kaufkraft, um die schwache Konsumnachfrage zu beleben und vielleicht noch etwas zu ihren geplünderten Mini-Renten zu sparen gegen die Abhängigkeit von Staatszulagen im Alter.
 

Laurenz Meyer (CDU) sagte dazu der Netzeitung:
 

Wir als Union müssen aber auch feststellen, dass es in 19 von 25 EU-Ländern einen Mindestlohn gibt. Wenn wir sagen, wir schauen uns in Europa nach Lösungsmöglichkeiten um, dann sage ich: Wir müssen uns auch die Mindestlohn-Regelungen in anderen EU-Ländern anschauen.

Und dann stellen wir als erstes fest, dass in den erwähnten 19 Ländern der Mindestlohn zwischen 120 und 1300 Euro brutto schwankt. Daneben müssen wir dann aber auch die nationalspezifischen Unterschiede im Arbeitsmarktbereich beachten.

Das zeigt, dass es sich um eine sehr komplexe und schwierige Fragestellung handelt. Ich nähere mich einem Mindestlohn nur mit größter Vorsicht. Eine flächendeckende Einführung hätte zur Folge, dass alle Arbeitsplätze, die unterhalb dieses Lohnniveaus liegen, wegfallen. Mit dem Arbeitslosengeld II haben wir zudem de facto schon einen Mindestlohn. Darunter lohnt sich eine Arbeitsaufnahme kaum.
 

(Siehe: "Wir haben schon einen Mindestlohn", netzeitung.de, 21.2.2006.) Vergleiche ergänzend auch sein Interview vom 28.3.07 mit dem Deutschlandfunk. Darin sagt er gegen die Mindestlöhne: "Wir haben inzwischen in Deutschland - so sagt die Bundesagentur für Arbeit - sechs Millionen Vollzeitarbeitsplätze in der Schwarzarbeit." Er unterschlägt aber, dass die Schwarzarbeit noch zunimmt durch die CDU-betriebenen Mehrwertsteuererhöhung und Erhöhung der Sozialbeiträge, dass durch Mindestlöhne mehr Konsumnachfrage entsteht und dass sich die geforderten Mindestlöhne zumindest teilweise kompensieren ließen durch Steuerfinanzierung der mehr als 40% Sozialbeiträge, wenn er und seine CDU-"Mittelstands"-Lobbyisten vom MIT und PKM auf ihre asozialen Steuergeschenke verzichteten. - Siehe als Kostprobe die Frage der Interviewerin: "Dem Wirtschaftsflügel Ihrer Partei, beispielsweise dem Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung Schlarmann, gehen offenbar schon die Überlegungen, eine Grenze der Sittenwidrigkeit einzuziehen, zu weit." Vergleiche auch folgende Passage zum "Mittelstands"-Verständnis der CDU (aus dem journalmed.de vom 22.10.2004): "CDU-Politiker Rauen legt Seehofer Rückzug aus Fraktionsspitze nahe", wegen "dieser Außenseiterposition, mit dieser Nestbeschmutzung, die er ein ganzes Jahr betrieben hat" , sagte MIT-Vorsitzender Peter Rauen MdB, CDU. "Er bezog sich auf Seehofers ablehnende Haltung zu der von der CDU favorisierten Gesundheitsprämie". Man sieht also, welche Interessen hinter den "wohlmeinenden" und wohltönenden Äußerungen von Laurenz Meyer stecken und hat ein weiteres Beispiel, wie die neoliberalen Parteien davon durchdrungen sind.

Bei Tarifverhandlungen sagen Laurenz Meyer und die übrigen Neoliberalen regelmäßig, dass höhere Löhne zu Preiserhöhungen (in den betroffenen Bereichen) führen. Bei den Mindestlöhnen sagen sie dagegen, dass "alle Arbeitsplätze, die unterhalb dieses Lohnniveaus liegen, wegfallen" (sh. oben). Damit schließen sie die Preiserhöhungen zwar nicht aus, aber sie suggerieren - wie üblich - Scheinargumente zur weiteren Umverteilung nach oben.

Gegen diese Irreführung hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung die Effekte der Mindestlöhne in einer großen Studie ihres Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) genauer untersucht (unter dessen Referatsleiter Claus Schäfer). Dazu heißt es in der Netzeitung (sh. "EU-Studie: Kein Jobverlust durch Mindestlöhne", netzeitung.de, 14.3.2006):

 

Die Mindestlöhne hätten sich in höheren Preisen und sinkenden Unternehmensgewinnen niedergeschlagen, sagte Schäfer. Die reduzierten Profite hätten die Betriebe aber nicht ihrer Existenz bedroht. Derzeit gibt es in 18 von 25 EU-Staaten nationale Mindestlöhne. Dabei variiert laut WSI das Niveau der Mindestlöhne, gemessen am jeweiligen Durchschnittslohn, zwischen 32,4 Prozent in Estland und 50 Prozent in Irland.

In sieben EU-Staaten – darunter Deutschland – werden Mindestlöhne per Tarifvertrag festgelegt. Allerdings gibt es solche hier zu Lande derzeit nur am Bau, im Dachdecker- sowie im Maler- und Lackierhandwerk. Die Spanne reicht dabei für Ungelernte von 7,15 Euro bis 10,20 Euro pro Stunde. Fachpolitiker von Union und SPD plädierten für eine gesetzliche Untergrenze von sechs bis 7,50 Euro je Stunde.


Gegen gesetzliche Mindestlöhne ist auch Antonio Schnieder, seit 1. Januar neuer Präsident des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater BDU e.V.:
 

Schnieder spricht sich gegen Bestrebungen zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns aus. Schnieder betont dabei, dass neue Beschäftigung - vor allem im unteren Lohnbereich - nur dann geschaffen werden könne, wenn die Arbeitskosten nicht höher als die erwirtschaftete Produktivität sei.
 

(Sh. "Unternehmensberater warnen vor gesetzlichem Mindestlohn / Negative Beschäftigungseffekte erwartet / Besser Kombilohnmodelle intensivieren und reformieren", Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V. (BDU), -Verbandspresse, 16.01.2007 13:50).

Als prominenter Unternehmensberater wird Schnieder natürlich wissen, was "Produktivität" ist. Dazu weist die Wikipedia richtigerweise darauf hin, dass Produktivität = Ausbringungsmenge/Einsatzmenge nach Marktpreisen zu bewerten ist, "sofern solche existieren", denn die unterschiedlichen Mengendimensionen in Zähler und Nenner müssen auf ein einheitliches Maß gebracht werden. Wenn also der Stundenlohn für die Friseuse in Sachsen z.B. von 3 Euro auf 6 Euro erhöht wird und dadurch die Frisur um die Hälfte teurer wird (bei gleichzeitiger Absenkung des Unternehmensgewinns), dann erhöht sich auch die "Produktivität" entsprechend dem Preisanstieg auf ein Niveau jenseits der marktverzerrenden Bewertung für die Arbeit jener, die keine Lobby haben und die ihre tarifvertragliche Unterstützung durch die Arbeitsplatzvernichtung verloren haben. Hier liegt der eigentliche Grund für die angeblich geringe "Produktivität" einer Friseuse in Ostdeutschland mit knapp vier Euro Stundenlohn, die in Dänemark bei gleicher Arbeitleistung das Dreifache verdienen würde (sh. unten).

Von der Grundidee bezeichnet "Produktivität" nur das reine Mengenverhältnis der Ausbringungsmenge zum Einsatzes von Arbeit und Kapital (ggf. noch Materialeinsatz als Teil des Kapitaleinsatzes). Der Produktivitätsfortschritt bedeutet produktionstheoretisch insofern eine rein mengenmäßige Effizienzsteigerung. Da aber aus reinen Mengen kein Quotient gebildet werden kann, lässt sich im Dienstleistungsbereich bei Dumpingpreisen durch Dumpinglöhne leicht von unzureichender Produktivität der Arbeit bei Lohnerhöhungen fabulieren, um der Lohndrückerei Vorschub zu leisten.


Ausschlaggebend für die Schaffung und den Abbau von Arbeitsplätzen ist jedoch gar nicht "dass die Arbeitskosten nicht höher als die erwirtschaftete Produktivität" sind, sondern dass die Grenzkosten nicht höher als der Grenzerlös sind, dass also je Haarschnitt für den Unternehmer kein Verlust entsteht. Gleichzeitig hat der Unternehmer natürlich auf Dauer seine Gesamtkosten zu decken einschließlich seines Unternehmerlohns für den alternativ realisierbaren Einsatz der eigenen Arbeit samt alternativer Eigenkapitalerlöse
( = Opportunitätskosten).
Man kann auch beobachten , dass etliche Unternehmer - teilweise aus ideellen Gründen - auf die Kalkulation der Opportunitätskosten verzichten und ohne die volle Deckung solcher Kosten ihr Unternehmen weiter betreiben (z.B. in der Landwirtschaft oder bei anderen Unternehmern mit bezahltem Grundbesitz). Aber natürlich zählt in der Volkswirtschaft nicht das Verhalten von "etlichen", sondern es zählen nur signifikante statistische Veränderungen, durch die man in den Naturwissenschaften mit begrenzten und kalkulierbaren Variablen bestimmte Thesen zumindest widerlegen kann.

Im übrigen behauptet Schnieder sinngemäß, dass mit Mindestlöhnen über 5 Euro eine negative Bilanz bei der Arbeitslosenquote nur zu vermeiden sei, wenn der Arbeitsmarkt nach angelsächsischem Muster dereguliert würde (nach dem Motto "Hire and Fire").  Diese Argumentation wurde bereits oben in Verbindung mit den wieder aufgefrischten Deregulierungsforderungen von Laurenz Meyer und den übrigen Neoliberalen zurückgewiesen, denn es ist nicht einzusehen, warum man im Bereich der Mindestlöhne, also bei überwiegend ortsgebundenen und nicht importierbaren Dienstleistungen, keine ordentlich bezahlten Dauerarbeitsplätze schaffen könnte. Geringverdiener können ihre Konsumnachfrage nur wirklich nachhaltig erhöhen, wenn sie solche Arbeitsplätze haben.
 

Bei einer Diskussion zum "50. Forum Pariser Platz", phoenix.de, 27.5.07, kam dieses offenbar unvermeidliche Märchen von der niedrigen Produktivität der Billigjobs auch von Beatrice Weder di Mauro, "Wirtschaftsweise" im Sachverständigenrat, Expertin für internationale Wirtschaftsbeziehungen und Ökonomie-Professorin in Mainz. Anscheinend hat sie, trotz all ihres Charmes, auch einiges an Empathie und Realitätsbezug verloren durch ihren ständigen schlechten neoliberalen Umgang. Dass sie ausgerechnet vom ehemaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement für den Posten im Sachverständigenrat vorgeschlagen wurde, kann man ihr allerdings nicht zum Vorwurf machen. Mit ihrer internationalen Perspektive bezieht sie sich bei ihrem Produktivitätsbegriff  in Wirklichkeit auf die Weltmarktpreise für das verarbeitende Gewerbe. In dieser Hinsicht wäre die schulmäßige Argumentation mit der Produktivität natürlich richtig.

 

Bei der Diskussion über die Mindestlöhne geht es aber gar nicht um das international konkurrierende verarbeitende Gewerbe, sondern um die Dienstleistungsbereiche, da die Löhne im produzierenden Gewerbe ohnehin fast überall über den Mindestlöhnen liegen. Mittlerweile sind mehr als 70 Prozent der etwa 35 Millionen  Arbeitnehmer im Dienstleistungsbereich und nur etwa 20 Prozent im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt (sh. "Erwerbstätige und Arbeitnehmer nach Wirtschaftsbereichen", destatis.de, Stand 22.5.07). Aber selbst Dienstleister, die mit Telediensten in Indien usw. konkurrieren, können mehr als Mindestlöhnen zahlen.

 

Weitere Diskussionsteilnehmer waren der unvermeidliche Götz Werner mit seinem Köder des bedingungslosen Grundeinkommens durch drastische Mehrwertsteuererhöhung zur Umverteilung nach oben und  Peer Steinbrück, Diplom-Volkswirt und rotkarierter Finanzminister. Steinbrück hatte diesmal recht, als er Frau Weder di Mauro ganz entschieden widersprach bei der Verwendung des Produktivitätsbegriffs. Er wunderte sich auch über die Position aus dem Sachverständigenrat, wonach der Steuerzahler durch Kombilöhne die Gewinne der Dumping-Unternehmer erhöhen sollte.
 


Im Hinblick auf die Verhältnisse in Ostdeutschland  halten allerdings auch Peter Bofinger und seine Mitverfasser - nicht ohne Bedenken - einen Mindestlohn von 4,50 Euro für praktikabel, wenn dieser durch ein weiteres Bündel von Zuschüssen und sonstigen Maßnahmen zu einem akzeptablen Einkommen führt (sh. Peter Bofinger et al.: Vorrang für das reguläre Arbeitsverhältnis: Ein Konzept für die Existenz sichernde Beschäftigung im Niedriglohnbereich, August 2006, Seite 105 f., Kapital IV.6 "Niedrigen Mindestlohn einführen (Element 6)", mit dem Zusatz auf Seite 1: "Der Inhalt des Gutachtens spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wider, die das Gutachten im Auftrag des Sächsischen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit verfasst haben.")
 

Im gleichen Text registriert Bofinger, dass z.B. Friseure in Deutschland im Jahr 2006 einen Tariflohn zwischen 2,75 und 7,99 Euro erhielten,  während man ihnen in Dänemark einen Mindestlohn von mehr als 14 Euro + Trinkgeld zahlt (sh. ebd., S. 115 und 117). Schon hier in Abschnitt 1 heißt es dazu:  Der Spitzensteuersatz für "Bestverdiener" liegt dort (in Dänemark) bei 59 Prozent, die Steuer- und Staatsquote ist viel höher als in Deutschland, aber die Arbeitslosenquote ist nur halb so hoch wie hier (sh. Abschnitt 1 und "Jobs! Deutsche stürmen nach Dänemark", abendblatt.de, 30.1.07, oder "Dänen sind scharf auf Deutsche", ftd.de, 30.1.07).


Der stern titelt  zu den 4,50 Euro und zu noch niedrigeren Löhnen in Deutschland: "
Mindestlohn - So billig sind Menschen zu haben", stern.de,  Heft 4/2007. Weiter schreibt Roman Heflik dort in dankenswerter Klarheit:
 

In vielen Ländern Westeuropas gelten gesetzliche Mindestlöhne. Sie liegen zwischen acht und neun Euro. In Deutschland aber können Arbeitnehmer schamlos ausgebeutet werden. Völlig legal. Der stern zeigt acht Fälle.
 

In der Tat könnte man meinen, dass Peter Bofinger hier - trotz seiner seriösen Abwägungen - entweder schon dem Gruppenzwang im Sachverständigenrat erlegen ist oder sich als Gutachter zu sehr an den Interessen seiner Auftraggeber und neoliberalen Lobbyisten in der sächsischen Regierung orientiert hat. Es gibt dort eine "große" pink-schwarze Koalition aus CDU (55 Sitze) und SPD (13 Sitze) (sh. Wikipedia: Sachsen, Stand 30.1.2007). DGB-Chef Sommer sagte zu den 4,50 Euro:
 

Was ginge, wäre das Modell, was die SPD momentan diskutiert, dieses Modell von Herrn Bofinger: Dass man sagt, ok, wir erstatten die Einkommenssteuer für Niedrigverdiener. Was am Bofinger-Modell nicht geht, sind die Einkommensgrenzen. Er setzt an bei einem Mindestlohn von 4,50 Euro, der reicht hinten und vorne nicht. Ohne 7,50 Euro Mindestlohn passiert gar nichts.

 

(Sh. "DGB-Chef Sommer: Gesetzlicher Mindestlohn muss bei 7,50 Euro liegen", dradio.de, 15.1.07.)

Das Vorbild erfolgreicher Alt-EU-Länder beim Mindestlohn ist unabweisbar. Man muss anerkennen, dass Peter Bofinger und seine Mitautoren ihre Argumente in dem Gutachten gegen einen akzeptablen deutschen Mindestlohn auf diesem Hintergrund problematisiert haben. Im Abschnitt "III.2.6.2 Mindestlöhne im Ausland" (sh. Peter Bofinger et al., a.a.O.) schreiben sie auf Seite 82:
 

Weder aus theoretischer noch aus empirischer Sicht sind die Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen eindeutig (Eichhorst 2006). Nach der herrschenden Lehre sorgen Mindestlöhne oberhalb des Marktlohnes für Mindestlohnarbeitslosigkeit, denn das Angebot erhöht sich und die Nachfrage geht zurück.
 

Die "herrschende Lehre" ist hier die Lehre der Herrschenden und ihrer Meinungsmacher, die durch das Medienkapital und die Großprofiteure hochgejubelten werden. Die Herrschenden sind jedenfalls nicht die Wähler in ihrer Mehrheit, weil diese kaum Einfluss haben auf ihre Desinformation durch die Meinungsmacher (sh. hier z.B. rossaepfel-theorie.de und  Demokratie-Kauf.htm). Die Autoren fahren fort:
 

Durch die geringere Lohnspreizung wird ein Teil des Angebots aus dem Markt und damit in die Arbeitslosigkeit gedrängt. Hiervon sind vor allem wettbewerbsschwächere Arbeitnehmer wie Geringqualifizierte mit einem niedrigen Einkommen betroffen…

Empirische Studien zu Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen geben kein einheitliches Bild ab: Nationale Untersuchungen auf Basis von Makrodaten zeigen, dass sich die Beschäftigungswirkungen einer Einführung oder Variation von Mindestlöhnen in Grenzen halten (Möller 2006)…

In Großbritannien wurde die Anhebung der Mindestlöhne um 38 Prozent in den Jahren 1999 und 2005 durch die günstige wirtschaftliche Lage aufgefangen. Selbst in einem ähnlichen institutionellen Umfeld können die Effekte von Mindestlöhnen also je nach Wirtschaftslage unterschiedlich ausfallen.
 

Genau hier findet man das eingangs aufgelistete Argument, dass die Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben zur Lohndrückerei und zum Druck auf mögliche Mindestlöhne führt. In dem Zusammenhang behandelt das Gutachten auch Bofingers zentrale Forderung nach Steuerfinanzierung von Sozialabgaben (ebd., S. 83, und hier: rossaepfel-theorie.de), die hier ebenfalls  in der Liste der Eingangsforderungen enthalten ist:
 

Aus einer Verteilungsperspektive könnte man den hohen Abgabenkeil in Deutschland als Argument für einen relativ hohen Brutto-Mindestlohn anführen. Allerdings ergäben sich hieraus die bereits beschriebenen Probleme der Diskrepanz zwischen Produktivität der Arbeitslosen und der Höhe der Arbeitskosten. Hier gilt es daher, das Problem an der Wurzel zu packen: Es ist ratsam, angemessene Nettolöhne und betriebwirtschaftlich vertretbare Arbeitskosten durch eine Senkung des Abgabenkeils (und damit über eine Bruttolohnsenkung) zu erreichen und nicht über die Einführung von Mindestlöhnen.
 

In der Tat ist der "Abgabenkeil" von mehr als 40% im Niedriglohnbereich ein Hauptgrund für die Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben. Aber ohne die Einführung von akzeptablen Mindestlöhnen für ordentliche Arbeit würde die Umverteilung nach oben durch Mitnahmeeffekte und Lohndrückerei noch verstärkt.
 

Ein typischer Recherche-Hinweis für diesen Text war die kurze Bemerkung von ver.di-Chef Frank Bsirske bei Maybrit Illner zur Qualifikation der Billiglöhner. Widersacher von Bsirske in dieser Sendung "Arbeitsmarkt – Billig, befristet, bedroht – Sind das die Jobs von morgen?", zdf.de, mit Video, 17.5.2007 waren in aufsteigender Reihenfolge (nach Erträglichkeit/Dreistigkeit)  der zurückhaltende Wolfgang Gerke, Wirtschaftsprofessor und Wertpapierexperte; der privat eher großzügige Günther Oettinger, CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg (sh. "Postenschacher bei der Bundesbank", sueddeutsche.de, 4.5.07, mit 220.000 Euro jährlich für Parteifreund, Konkurrent und Bankenneuling Rudolf Böhmler als "Behelfskandidat von … Oettinger"); und vor allem Wolfgang Clement, ehemaliger rotkarierter SPD-"Superminister" im Schröder-Kabinett, jetzt Berater eines Zeitarbeits-Unternehmens. Als fünfte Diskussionsteilnehmerin war die grandiose Zeitarbeiterin, Billiglöhnerin (7,87 Euro pro Stunde), Gebäudereinigerin und Betriebrätin Susanne Neumann eingeladen. Auch Maybrit Illner tat mit viel Charme und Geschick, was sie nur konnte, um gegen die durchdringende Propaganda der Neoliberalen zu bestehen - bis hin zum Beinahe-Eklat mit Clement. Insofern war es wirklich wohltuend im Vergleich zu anderen Talksendungen.

  

Clement, der für seine diversen Beiträge zur Umverteilung nach oben hier schon auf etlichen Seiten mehrfach "gewürdigt" wurde, pries einmal wieder seine Hartz-IV-Gesetze. Er  stellte es als Erfolg dar, dass schon die Hälfte der neuen Jobs auf dem Arbeitsmarkt in seiner Leiharbeits-Branche entstehen (sh. auch hier den Exkurs zur Leiharbeit),  sagte jedoch nicht, wie viele Jobs woanders dadurch verloren gehen. Illners Hinweis auf das Lohndumping in seiner Branche um bis zu fünfzig Prozent zu Lasten der Zeitarbeiter  tat er ab mit dem Hinweis auf den gesetzlichen Mindestlohn  zumindest für die Gebäudereiniger (ab 1.7.2007, gemäß Koalitionsvertrag: 7,87 Euro Westdeutschland und 6,36 Euro Ostdeutschland) sowie auf einige besserbezahlte Zeitarbeiter. Außerdem betreibe seine Branche einen angeblich hohen "Qualifizierungs"-Aufwand. Dabei erweckte er – wie üblich - den Anschein, als ob die Schuld für die rasante Zunahme solcher prekärer Arbeitsverhältnisse nicht bei in der hausgemachten hohen deutschen Arbeitslosenquote, sondern bei der mangelnden Qualifikation der Arbeitnehmer liege. Trotz aller guten Ansätze von Illner thematisierte sie nicht die Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben (sh. rossaepfel-theorie.de) seit den Kohl-Regierungen und ihrer Nachfolgern als Hauptursache dieser Misere. Dies verbieten allein schon die ZDF- und ARD- Proporz-Fesseln, ganz zu schweigen von der neoliberalen Gleichschaltung bei den privaten Sendern.

 

Susanne Neumann verwies auf die hohe berufliche Qualifikation vieler Billiglöhner, bevor Clements Branche überhaupt mit ihrem angeblich beachtlichen Qualifizierungsaufwand beginnt. Frank Bsirske bestätigte ihre Beobachtung mit Hinweis auf eine Studie, wonach bereits sieben Millionen Menschen als Niedriglöhner arbeiten. Zwei Drittel der Billiglöhner hätten "eine abgeschlossene Berufsausbildung, zehn Prozent sind Akademiker" (Formulierung wie nach seiner Bemerkung, wiedergefunden in ver.di: "Wirtschaftspolitik aktuell, Nr. 2, Januar 2007", Stand 28.5.07).  Mit solchen Passagen findet man über Google den weiterführenden Gastkommentar von Michael Schlecht, Chefvolkswirt bei ver.di: "Mindestlohn statt Armutslohn", ftd.de, 14.1.07. In seinem Artikel nennt er auch die IAT als Quelle dieser Zahlen, so dass man deren Bericht mit Google finden kann beim "Institut Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Jahrbuch 2006". Man kommt darin mit der Sucheingabe "akadem" sofort zu folgender Passage aus der Untersuchung von Thorsten Kaline und Claudia Weinkopf: "Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland – Eine Modellrechnung für 2004" (mit weiteren Quellennachweisen, Stand 28.5.2007) zur Beseitigung von Lohndumping bei Einführung von Mindestlöhnen. Die Studie macht zunächst eine Abgrenzung der Niedriglöhner nach deren Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro und erläutert dann deren Qualifikation:

 

Hinter dem bundesweiten Wert von 13,5 % Beschäftigten in Hauptjobs (rund 4,1 Millionen), die von einem Mindestlohn von 7,50 € profitieren würden, verbergen sich erhebliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland hätten "nur" 11 % der Beschäftigten (rund 2,8 Millionen) einen Anspruch auf eine Lohnerhöhung, während der entsprechende Anteil in Ostdeutschland mit 26,3 % (rund 1,3 Millionen Mindestlohnbeziehende) weitaus höher liegt…

 

Mit steigender Qualifikation sinken die Anteile der Mindestlohn-Berechtigten. Gleichwohl verfügen aber knapp drei Viertel derjenigen, die Anspruch auf den Mindestlohn hätten, über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen akademischen Abschluss. Es würden also keineswegs überwiegend gering Qualifizierte profitieren.

 

In den "drei Viertel" oder 75 Prozent, sind 11 Prozentpunkte Akademiker enthalten.  Nur ein Viertel der Mindestlöhner sind "ohne Berufsausbildung" (ebd., Tabelle Seite 101). Dass hier für das Jahr 2004 von vier und nicht von sieben Millionen Arbeitnehmern die Rede ist, liegt offenbar hauptsächlich an der Abgrenzung nach der Einkommenshöhe und erleichtert finanzpolitisch den ersten Schritt bei der Problemlösung. Diese Untersuchung mit Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP, 2004, beim DIW) lässt sich – im Gegensatz zu etlichen neoliberalen "Studien" - auch für eine ernsthafte Auseinandersetzung verwenden mit den problematischen und selbst problematisierten Schlussfolgerungen der Bofinger-Untersuchung, die von ver.di bedauert werden. In ver.di’s "Wirtschaftspolitik aktuell, Nr. 2, Januar 2007" (sh. oben) heißt es:

 

Geringqualifizierte können einen Job finden. Wenn sie mehr Lohnverzicht üben. Sagen viele. Nun auch Professor Bofinger. Sieben Millionen Menschen arbeiten bereits für Niedriglöhne. Zwei Drittel haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, zehn Prozent sind Akademiker. Arbeitslosigkeit und Hartz IV zwingt gut Qualifizierte, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Damit haben gering Qualifizierte immer weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz, der für sie geeignet wäre. Lohnverzicht hilft ihnen kaum.

 

Mit dem Arbeitslosengeld II besteht bereits ein Kombilohnsystem. Drei Millionen Menschen, die arbeiten, haben Anspruch auf zusätzliche Leistungen des Arbeitslosengeldes II. Die Hälfte macht davon Gebrauch.

 

Die SPD favorisiert den Bofinger-Kombilohn. Für viele Working Poor droht weniger Einkommen oder eine erheblich längere Arbeitszeit für das gleiche Geld! Beschäftigte sollen durch staatliche Zuschüsse zu Lohnverzicht bereit sein. Bis zu einem Mindestlohn von 4,50 Euro. Die Lohnsubventionierung soll als Lohnsenkung beim Unternehmer ankommen. Steuergelder würden verschleudert.

 

Frank Bsirske wandte sich bei Maybrit Illner auch gegen die Steuerfinanzierung von Sozialabgaben im Niedriglohn-Bereich, weil dies aus den Steuern der Normalverdiener zugunsten der Unternehmer finanziert würde.

 

Tatsächlich sollten aber nicht die Normalverdiener zusätzlich belastet werden. Vielmehr sollte auch bei ihnen eine nettolohnunabhängige Umfinanzierung von Sozialabgaben über Steuern erfolgen. Dies erfordert die Rückkehr zu den Spitzensteuersätzen vor den Steuergeschenken für Bestverdiener ab dem Jahr 2000. Man darf wohl annehmen, dass dafür auch Frank Bsirske gern zu seinem früheren Spitzensteuersatz zurückkehrt.

 

Diese Sekundärverteilung des Volkseinkommens wird um so wichtiger, je mehr die Primärverteilung dem Raubtierkapitalismus zum Opfer fällt. Susanne Neumann beschrieb, wie sich ihr Billigjob mit diversen Unterbrechungen und Ortswechseln über den ganzen Tag von morgens bis abends verteilt und dass man von den 7,87 Euro Stundenlohn für diese ehrliche Stress-Arbeit jedenfalls keine Familie ernähren könne. Sie fragte zu Recht, wer denn ihre Arbeit bei der Gebäudereinigung machen solle, wenn man sie nun nach langen Jahren der Kindererziehung in ihrem erlernten Beruf oder auch sonst weiter qualifizieren wolle, um ihr einen höheren Lohn zu versprechen (bei einer Arbeitslosenquote von 10 Prozent). Daraufhin meinte Clement, dass man dann die Arbeitsmarktgrenzen nach Osten öffnen solle. In der Tat ließen sich damit für seine Zeitarbeitsbranche die Gewinne drastisch erhöhen, aber nicht zugunsten von Frau Neumann, sondern zu Lasten des Steuerzahlers.


Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns schließt ergänzende Kombilohnmodelle zur Existenzsicherung für Familien nicht aus. Zuzustimmen ist dem BDU und Antonio Schnieder bei ihrer Forderung (sh. weiter oben a.a.O.):
 

Zur Vermeidung von "nicht existenzsichernden Entgelten" sollten hingegen ... gegenwärtige Kombilohnmodelle intensiviert und reformiert werden. Minijobs sollten möglichst zugunsten regulärer
Sozialversicherungsverhältnisse zurückgedrängt werden.

 

Das gilt jedenfalls dann, wenn Schnieder mit "Kombilohnmodellen" ganz allgemein die staatliche Förderungen meint, denn andernfalls könnten ausländische Dumping-Löhner nach EU-Recht wegen des Diskriminierungs-Verbots wohl auch noch bestimmte Kombi-Zuschüsse fordern (sh. unten).


Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), sorgt sich gar um das "Lebensglück" der Hartz-IV-Empfänger und verordnet ihnen deshalb kräftige Kürzungen:
 

Hüther sprach sich gegen die Einführung von Mindest- und Kombilöhne aus. Ein Mindestlohn in Höhe von beispielsweise 7,50 Euro pro Stunde würde in Branchen, in denen heute Löhne von unter vier Euro gezahlt würden, Arbeitsplätze vernichten, argumentierte der IW-Direktor. Damit werde auch "Lebensglück vernichtet"…

Dazu müssten zwei Zuschläge, die derzeit im Hartz-IV-Gesetz noch existieren, gestrichen werden, verlangte IW-Direktor Michael Hüther am Montag in Berlin. Es handelt sich dabei um den Zuschuss, den Personen, die vom Arbeitslosengeld (ALG) I ins ALG II wechseln, ein Jahr lang erhalten, sowie um den Kindergeldzuschlag.
 

(Sh. "Mindestlohn 'vernichtet Lebensglück'", netzeitung.de, 6.3.2006.)

Allerdings wird der Mindestlohn von 8 Euro * 160 Stunden = ca. 1300 Euro brutto monatlich  nicht reichen für eine Familie mit den "bestandserhaltenden" zwei Kindern, wenn zunächst mehr als 20 % Sozialabgaben abgezogen und zweimal 145 Euro Kindergeld addiert werden. Man bleibt dann bei 1300 Euro netto monatlich. Wenn die Ehefrau z.B. 600 Euro netto hinzuverdient hat und statt dessen ab 1.1.07 für ein Jahr das Elterngeld von 600 * 0,66 = 400 Euro erhält, dann liegt der vierköpfige Haushalt mit den insgesamt 1300 + 400 = 1700 Euro immer noch unter der Armutsgrenze und kaum über den Hartz-IV-Leistungen (sh. unten). Allein schon wegen der Anreizfunktion bedarf also der Mindestlohn einer Ergänzung durch staatliche Zuschüsse (z.B. direkte Steuerfinanzierung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung) oder durch eine negative Einkommensteuer (sh. "Bonus für Arme", zeit.de, 6.1.07), auch wenn Michael Hüther und die übrigen bestbezahlten neoliberalen Meinungsmacher dann für die geschröpften Produzenten des Volkseinkommens auf ihre großzügigen rotgrünlichen Steuergeschenke verzichten müssen. Lieber würden sie aus diesem Eigeninteresse bei den den Hartz-IV-Opfern kürzen, motivierende Zulagen streichen, aber dennoch die Kürzungen unterhalb der Armutsgrenze als "Anreize" bezeichnen.
 

Zur Definition der Armutsgrenze heißt es im Armuts- und Reichtumsbericht 2005 auf Seite XV:


In Gesellschaften wie der unseren liegt das durchschnittliche Wohlstandsniveau wesentlich über dem physischen Existenzminimum. Hier ist ein relativer Armutsbegriff sinnvoll. Armut wird als auf einen mittleren Lebensstandard bezogene Benachteiligung aufgefasst. Deshalb wird im Bericht die zwischen den EU-Mitgliedstaaten vereinbarte Definition einer "Armutsrisikoquote" verwendet. Sie bezeichnet den Anteil der Personen in Haushalten, deren "bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen" weniger als 60% des Mittelwerts (Median) aller Personen beträgt. In Deutschland beträgt die so errechnete Armutsrisikogrenze 938 Euro (Datenbasis EVS 2003).

 

(Sh. "Lebenslagen in Deutschland - Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005", Stand April 2005, herunterzuladen bei bmas.bund.de.) Eine genauere Erklärung zum Unterschied zwischen dem Nettoäquivalenzeinkommen und dem tatsächlich verfügbaren Einkommen der Haushalte findet man in dem Presseexemplar "ARMUT UND LEBENSBEDINGUNGEN IN EUROPA - Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA für Deutschland 2005", destatis.de, Wiesbaden 2006, Abschnitt "3. Einkommensverteilung in Deutschland", S. 9-16. Zur Definition der Armut heißt es dort auf Seite 17:

 

In der Sozialberichterstattung der Europäischen Union wird in der Regel die relative Armut betrachtet. Relative Armut bestimmt sich in Abhängigkeit von den Lebensverhältnissen in einem bestimmten Land. Als arm gelten diejenigen Personen, die über so geringe Ressourcen verfügen, dass sie den in ihrer Gesellschaft als annehmbar geltenden Lebensstandard nicht erreichen. Diese Ressourcen können materieller Natur sein, wie zum Beispiel das Einkommen, aber auch mangelnde soziale Einbindung oder mangelnde Bildungschancen gehören dazu. Um relative Armut messen zu können, muss ein bestimmtes Niveau definiert werden, unterhalb dessen man von Armut spricht...

 

Die 938 Euro sind also 60% des "Nettoäquivalenzeinkommens der Bevölkerung ... Median in Euro/Monat", also des häufigsten statistischen Wertes (Median) in 2003 von 1.564 Euro (sh. ebd., Seite 18, die "Tabelle I.1: Entwicklung und Verteilung der Einkommen nach verschiedenen Ebenen und Gebieten 1998 und 2003"). Sie entsprechen zugleich in diesem Fall etwa 54% des arithmetischen Mittels von 1.740 Euro (ebd.). Man sieht dort auch, dass der Median in den neuen Bundesländern mit 1.109 Euro wesentlich niedriger lag als in den alten Bundesländern mit 1.718 Euro, so dass die Armutsgrenze in den alten Bundesländern - gemessen am Einkommen der unmittelbaren Nachbarn im Jahre 2003 - eigentlich mit 0,6 * 1.718 Euro = 1.031 Euro netto anzusetzen wäre.


Die 938 Euro gelten für einen Ein-Personen-Haushalt. Den bestbezahlten neoliberalen Meinungsmachern in den Polit-Talkshows mag dies zu hoch erscheinen, obwohl gerade sie mit den ständigen Forderungen nach Senkung ihres Spitzensteuersatzes am gierigsten sind. Als Hartz-IV-Empfänger bekommt der Alleinstehende jedoch nur  347 Euro zum Leben plus etwa 360 Euro Warmmiete (z.B. in Berlin) = ca. 700 Euro (sh. berliner-mieterverein.de). 

Für den obigen Vier-Personen-Haushalt ist die Armutsgrenze nach der neuen OECD-Skala bei zwei Kindern unter 14 Jahren mit dem 2,1fachen Betrag des Ein-Personen-Haushalts anzusetzen (sh. ebd., S. 6), also mit 2,1 * 938 = 1.970 Euro. Dabei wird ein Partner mit dem Gewicht 1 und der zweite Partner mit 0,5 angesetzt. Für jedes Kind unter 14 Jahren wird das Gewicht 0,3 verwendet. Ein Zwei-Personen-Haushalt ohne Kinder mit einem verfügbaren Einkommen von 2.000 Euro kann sich  in der Tat einen deutlich höheren Lebensstandard erlauben als ein Ein-Personen-Haushalt mit 1000 Euro. Zur Festlegung der Gewicht heißt es im obigen Text "ARMUT UND LEBENSBEDINGUNGEN IN EUROPA auf S. 12:
 

Die Größe dieser Gewichte kann letztlich nicht eindeutig empirisch abgeleitet werden und ist daher immer auch eine normative Entscheidung. Die Verwendung der Gewichte bringt zudem eine Reihe von Vereinfachungen mit sich, die sich nicht in jedem Einzelfall in der Realität bestätigen. Daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass für bestimmte Teilpopulationen ein verzerrtes Bild entsteht.

 

Der obige Haushalt liegt also mit seinen 1.700 Euro klar unter der EU/OECD-Armutsgrenze. Sein Hartz-IV-Anspruch bei Arbeitslosigkeit beider Partner wäre mit etwas über 1.600 Euro kaum niedriger als die 1.700 Euro (sh. die Berechnung unter http://www.n-heydorn.de/arbeitslosengeld.html, wo die angesetzte Warmmiete von 600 Euro für die Vier-Personen-Wohnung etwa den o.a. Berliner Richtwerten entspricht). Die bestbezahlten neoliberalen Meinungsmacher drängen also auf Kürzung, um die Steuergeschenke für ihre Mithilfe bei der Umverteilung nach oben zu behalten und noch weiter zu vergrößern (sh. Senkung des Spitzensteuersatzes von ehemals 56% auf 42% und die angestrebte weitere Senkung auf  35% (FDP) bzw. 36% oder gar 25% (CDU), hier unter rossaepfel-theorie.de). Sinnvoll wäre statt dessen im Idealfall die Einkommenskürzung bei den Volksbetrügern auf Hartz-IV-Niveau entsprechend ihrem negativen Beitrag zum Allgemeinwohl und die Schaffung von Zulagen für die geringbezahlten Produzenten des Volkseinkommens mit einem Vollzeit-Einkommen unter den Hartz-IV-Leistungen, denn wenn sie mit ihrer Arbeit nicht einmal das Existenzminimum verdienen und sich ökonomisch ebenso rational verhalten wie die Großprofiteure, dann werden sich viele - nach Art der Couponabschneider - aufs Kassieren beschränken.

 

Mit dem "Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 19. Mai 2008" zum "3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung – Lebenslagen in Deutschland" wird die Armutsrisikoschwelle nicht mehr mit 938 Euro, sondern mit 781 Euro angegeben.  Dabei ist vor allem folgende Fußnote 32 auf Seite 21 des Berichtes zu berücksichtigen:

 

32 Im zweiten Armuts- und Reichtumsbericht betrug die auf Basis EVS ermittelte Armutsrisikoschwelle 938 Euro. Die hiernach mit 781 Euro um fasst 160 Euro niedrigere Armutsrisikoschwelle ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass bei der EVS der Mietwert des selbstgenutzten Wohneigentums als Einkommenskomponente berücksichtigt wird und bei EU-SILC nicht. Dies ist bei EU-SILC erst für die Zukunft vorgesehen.

 

Abgesehen von den Diskussionen zur tendenziellen Schönfärberei dieses Berichtes sollte man also geraden diesen Unterschied in der Berechnungsbasis beachten.



Im US-Kapitalismus ist die Umverteilung nach oben noch stärker verankert. Nach der Niederlage der Bush-Partei bei den Zwischenwahlen vom 7. November 2006 soll in den USA der Mindestlohn (= "Minimum wage") der "Working Poor" zwar angehoben werden um 2,15 $ auf 7,25 $ (= ca. 5,65 €!) - gegen die bisherige zehnjährige Blockade von Bush's sogenannter "Grand Old Party" (GOP = Republikaner) (sh. "Vereinigte Staaten - Heilige Versprechen", faz.net, 4.1.07 und "USA - Wahlen brachten Mindestlohn-Erhöhung", mindestlohn.de, Stand 10.4.07). Aber auch dieser Mindestlohn wäre ein Hohn auf die Produzenten des Volkseinkommens bei dessen Abzockerei durch die großen Profiteure und Volksbetrüger. Möglich wurde dieser Brosamen-Plan erst durch das Irak-Debakel der Raubtier-Kapitalisten und durch Mindestlohn-Wahlversprechen der Demokraten, aber nicht durch etwaige Gewissensregungen der neoliberalen Meinungsmacher und bestbezahlten Söldner der kapital-gesteuerten Massenmedien. Dazu heißt es in einem Kommentar von Mel Seesholtz im onlinejournal.com:
 

Die GOP war immer gegen eine Anhebung des Mindestlohns. Sie dient lieber dem Big Business und den den großen Profiten der Bosse zu Lasten der Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit die Produkte schaffen und die Dienstleistungen erbringen. Und selbstverständlich gibt es all diese Wahlkampfgelder der Unternehmen…
 

(Sh. "A pathetic ploy, another 'signing statement' an that ‘goddamned piece of paper'", onlinejournal.de, 12. Jan. 2007, Übersetzung vom Verfasser). Das "goddamned piece of paper" bezieht sich auf Bush's Beurteilung der US-Verfassung im Hinblick auf das Postgeheimnis usw. beim Kampf gegen den (weitgehend selbst verschuldeten) Terrorismus (ebd.). Aber es geht auch um seine Beurteilung des verfassungsmäßigen Menschenrechts auf das persönliche "Streben nach Glück" ("pursuit of happiness"), das für die "working poor" und Produzenten des Volkseinkommens auch mit den 7,25 $ weiterhin illusorisch bleibt.

Auch in Deutschland dürften allein schon die ökonomischen Vorteile eines Mindestlohns seine Nachteile weit überwiegen:
Etwa zwei Drittel der deutschen Erwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungsgewerbe, also vor allem für den Binnenmarkt. Weniger als ein Drittel arbeiten im produzierenden Gewerbe (sh. die Arbeitsmarktstatistik "Erwerbstätigkeit" bei destatis.de, aktualisiert 6.6.06), also ebenfalls zum großen Teil für den Binnenmarkt, aber hier werden die britischen 7,71 Euro ohnehin kaum unterboten. Auch in den anderen westlichen Industrieländern resultiert die Massenkaufkraft vor allem aus den Löhnen und Gehältern im Dienstleistungsgewerbe. Bei solchen Zahlen wundert es nicht, dass durch den Mindestlohn von 7,71 Euro in Großbritannien sehr viel mehr Arbeitsplätze entstehen als dadurch verloren gehen. Außerdem sind gesetzliche Mindestlöhne ohnehin erforderlich, um sie nach EU-Recht verbindlich vorschreiben zu können bei der Öffnung des Dienstleistungsmarktes für  deutsche und ausländische Dumping-Dienstleister  in Polen, Tschechien usw. (sh. hier EU-Lohndumping.htm). Kombi-Lohn-Zuschüsse müssten nach EU-Wettbewerbsrecht wahrscheinlich auch für die entsandten Arbeitnehmern der ausgelagerten Entsendefirmen im Ausland gezahlt werden. Im Hinblick auf die völlig unzureichenden tarifvertraglichen Mindestlöhne in Deutschland (sh. oben) ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns also unvermeidbar. Sie dient auch zur Schaffung zusätzlicher Nachfrage und Arbeitsplätze.

Schließlich gibt es im Gegensatz zu allen Sonntagsreden der Neoliberalen von Schwarz über Gelb und Gilbgrün bis Rotkariert auch noch eine Europäische Sozialcharta. Auch daran hat Claus Schäfer vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung dankenswerterweise erinnert:
 

WSI-Experte Schäfer verwies darauf, dass die europäische Sozialcharta verlange, es dürfe keinen Lohn unterhalb von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens geben. Die Niedriglohnschwelle nach einer OECD-Definition liegt bei zwei Drittel des durchschnittlichen Lohns und beträgt in Westdeutschland 9,58 Euro, in Ostdeutschland 6,97 Euro.
 

(Sh. "EU-Studie: Kein Jobverlust durch Mindestlöhne", netzeitung.de, 14.3.2006.)


Darüber hinaus ließen sich weitere Arbeitsplätze schaffen auf einem staatlich kontrollierten zweiten Arbeitsmarkt, z.B. durch Steuerfinanzierung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Geringverdienern, wenn man
die Wettbewerbsverzerrung durch bloße Mitnahme staatlicher Subventionen - Lohnspirale nach unten, "Drehtüreffekt" - weitgehend vermeiden kann (sh. "Angst vor dem Drehtüreffekt", zeit.de, Nr. 37/2004, 2.9.04). Jedenfalls wäre eine niedrigere Entlohnung mit ausgleichendem staatlichen Zuschuss für den Staat günstiger und für die meisten Betroffenen befriedigender als die kontrollierte Leistung und Entgegennahme von Arbeitslosenunterstützung.

Im Grunde handelt es sich um die gleichen Probleme, die bei der Bezuschussung der sogenannten "Ein-Euro-Jobs" auftreten. Ein Versuch mit der negativen Einkommensteuer (= Bonus-Modell) nach den Vorschlägen von Peter Bofinger oder ähnlichen Kombilohn-Modellen lohnt sich, erfordert aber ein Lohndumping-Stopp durch einen ordentlichen Mindestlohn von weit mehr als 4,50 Eur, auch zur Absicherung gegen Mitnahmeeffekte, sowie eine strenge Wettbewerbskontrolle und ständige Verbesserung der Instrumente. Dies dient auch dazu, dass eine Anreizwirkung für die begünstigten Arbeitnehmer und Arbeitgeber entsteht (sh. aber hier Hartz-IV.htm). Es ist durchaus ein Vorteil, wenn  Unternehmen und Arbeitnehmer wegen ihrer Abneigung gegen  aufwendige Kontrollen auf Mitnahmeeffekte verzichten.

"Die Christdemokraten lehnen einen gesetzlichen Mindestlohn ab" (sh. "SPD will diesen Kombilohn, Union jenen", taz.de, 9.1.2007) und möchte sich auf Kombilöhne für bestimmte Gruppen beschränken. Die SPD will offenbar nicht auf ordentlichen Mindestlöhnen bestehen und sich jedenfalls mit dem Bofinger-Modell der negativen Einkommensteuer begnügen (ebd.). Zur Unterscheidung von "Kombilohn" und "negativer Einkommensteuer" schreibt die Wirtschaftswoche:
 

Die Idee der negativen Einkommensteuer wurde ausgerechnet von einem erzliberalen Vordenker populär gemacht, dem Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman. Er schlug in den Sechzigerjahren vor, jedem Bürger, der ohne Einkommen ist, ein Mindesteinkommen zu garantieren, das bei Arbeitsaufnahme nur langsam abgeschmolzen wird. Übersteigt das Arbeitseinkommen einen bestimmten Betrag, verwandelt sich diese negative Einkommensteuer, die der Bürger vom Staat erhält, in ganz normale Steuerzahlungen des Bürgers an den Staat.

Die negative Einkommensteuer ist also letztlich nichts anderes als ein spezieller Kombilohn, dem deutschen Arbeitslosengeld II gar nicht so unähnlich. Friedman schwebte allerdings vor, dass von zusätzlich verdientem Geld deutlich weniger auf den Transfer angerechnet würde als beim Arbeitslosengeld II, um einen starken Arbeitsanreiz zu schaffen. Außerdem sollte die negative Einkommensteuer à la Friedman im Unterschied zum deutschen System sämtliche anderen Sozialleistungen ersetzen – und ganz nebenbei Bürokratie einsparen, weil sie komplett über die Finanzämter abgewickelt würde.
 

 (Sh. "Starker Anreiz durch Mindesteinkommen", Wirtschaftswoche 3/2007).

Auch bei den Ein-Euro-Jobs ist von den privaten und öffentlichen Arbeitgebern zunächst die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns zu fordern zur Sicherung der Zuschuss-Kontrollen und zum Schutz gegen den Drehtüreffekt sowie gegen das Lohndumping im Inland durch ausländische Dienstleister (sh. auch das Interview von DGB-Chef Michael Sommer mit der Frankfurter Rundschau am 21.12.05 zum Thema "Große Demonstration zur Dienstleistungsrichtlinie am 14. Februar 2006 in Straßburg", über berlin-brandenburg.dgb.de). Zur Erstattung der Differenz können sie sich dann mit den Kontrollinstanzen auseinandersetzen. - In dem Interview deutet Michael Sommer an, warum die Gewerkschaften skeptisch sind gegenübergesetzlichen Mindestlöhnen, die nach den Wünschen der Arbeitgeber festgesetzt würden. Deren gewinnstarke und dominierende Verbandsmitglieder können hier auf ihre ansonsten einflussschwachen Mitglieder verweisen, die sich eine Mitgliedschaft in den Tarifverbänden bei tarifvertraglich vereinbarten Mindestlöhnen gar nicht leisten können. Andererseits will man durch niedrige gesetzliche Mindestlöhne nicht die erreichten höheren Tariflöhne der gewinnstarken Branchen gefährden. Michael Sommer damals (ebd.):

 

Frage: Die Gewerkschaften haben sich lange Zeit schwer getan mit der Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen. Sind die Bedenken ausgeräumt?

Sommer: Uns geht es darum, die Tarifautonomie nicht zu beschneiden. Aber auch die Tarifautonomie hilft gegen Lohndumping nur bedingt. Sie setzt nämlich eine gewisse Stärke voraus. Dort wo keine flächendeckenden Branchentarifverträge möglich sind, muss ein gesetzlicher, branchenbezogener Mindestlohn aushelfen.

Frage: Also wird sich der DGB jetzt auch geschlossen für gesetzliche Mindestlöhne einsetzen?

Sommer: Meine Position ist eindeutig: Ich bin für gesetzliche Mindestlöhne in den Branchen, in denen die Tarifverträge nicht voll greifen. Wo sie die Arbeitnehmer schützen, steht die Tarifautonomie immer im Vordergrund


Die Schwarzarbeit als Alternative bei typischen Handwerksleistungen hat mit dem Thema Mindestlohn wenig zu tun, weil  die meisten Handwerkslöhne ohnehin über den 8 Euro liegen. Solche
Schwarzarbeit ließe sich am besten durch Steuerfinanzierung von Sozialversicherungsabgaben und durch Absenkung der Mehrwertsteuer für konsumnahe Dienstleistungen eindämmen. Ein erster Schritt wäre die Einführung eines Mindestlohns und eines Freibetrages bei den Sozialversicherungen, wie man ihn bei der Einkommensteuer auch hat (sh. "Ein Freibetrag bei den Sozialabgaben könnte mehr Beschäftigung schaffen - Modellrechnungen zeigen, dass vor allem im Niedriglohnbereich zusätzliche Arbeitsplätze entstehen würden - Fiskal- und Tarifpolitik müssten allerdings mitspielen", doku.iab.de,  1.9.2003). Eine solche Lösung ließe sich EU-rechtlich wahrscheinlich auch ohne Diskriminierung und Finanzierung von Sklavenarbeitern aus Nachbarstaaten in Deutschland ausgestalten.  Das wird aber von den bestbezahlten Söldnern des Medienkapitals und den Proporz-Cliquen nicht zur Sprache gebracht, weil sie bei dieser Lösung - wegen der höheren Kosten - auf ihre laufenden Steuergeschenke verzichten müssten. Daher fällt ihnen auch als ihre favorisierte Lösung zunächst die weitere Kürzung der niedrigen Hartz-IV-Sätze ein, bevor sie an Zuschussmodelle denken.

Für den Staat wäre die Steuerfinanzierung der Sozialabgaben im Niedriglohnbereich jedenfalls billiger als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit, und für die Arbeitssuchenden im Niedriglohnbereich wäre die vollständige oder teilweise Entlastung ihrer Arbeitskosten von den mehr als 40% Kosten des Sozialstaates eine echte Integrationschance. Es könnte auch für ordentliche Arbeitnehmer in vielen Fällen das provozierende Sozial-Striptease vermeiden.

Die Steuerfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträgen im Niedriglohnbereich sollte gleichzeitig mit dem Mindestlohn eingeführt werden. Aber die Lücke zwischen den geforderten 8 Euro und den derzeitigen Bruttolöhnen um die 4 Euro lässt sich damit nicht schließen. Die Lösung der Übergangsprobleme könnte in einem Vorschlag des Linksbündnisses liegen. Danach würden in solchen Fällen zunächst nur ausreichende steuerfinanzierte Lohnzuschüsse an die Arbeitgeber bezahlt (sh. "Linkspartei für Mindestlohn von acht Euro brutto je Stunde", welt.de, 13.1.06). Der Nachteil einer solchen Lösung könnte sein, dass auch Niederlassungen von Unternehmen aus Niedriglohnländern gegründet würden, um diese Zuschüsse abzuschöpfen unter Hinweis auf das EU-Verbot von Wettbewerbsverzerrungen. Dieses Argument dürfte bei bestimmten Lösungen über die deutsche Sozialversicherung vorläufig kaum greifen. -

Auch ein "
bedingungsloses Grundeinkommen" oder "Bürgergeld" dient nach den Konzepten seiner neoliberalen Propagandisten Götz Werner und Dieter Althaus eher dem Lohndumping und der Umverteilung nach oben in ihre eigenen Taschen (sh. zur Kritik daran das Interview mit Katja Kipping: "Wir müssen mit alten Ideologien brechen", JUNGE WELT 18.12.2006, und zur Kritik an Kipping das
DISPUT-Streitgespräch zwischen ihr und Harald Werner: "Grundeinkommen, Grundsicherung ...?", sozialisten.de, April 2006).

Das Linksbündnis sollte seine Wahlchancen nicht durch den Vorwurf der "Sozialromantik" verspielen: Angela Nahles, SPD-Präsidiumsmitglied, sagte in einem SPIEGEL-Interview (DER SPIEGEL 19/2007, S. 24-25) auf die Frage nach Oskar Lafontaine:

 

Die Linkspartei verspricht ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1500 Euro für jeden. Damit haben wir nichts gemein.

 

Dieser Vorwurf ist bewusst falsch, denn die diversen Quellen zeigen allein schon bei den Überlegungen zur Höhe ein anderes Bild. Zwar sagte Katja Kipping (MdB, Linksfraktion) in einem Streitgespräch bei der taz mit Andrea Nahles am 10.3.2007 ("Und wer leert die Mülltonnen"?):
 

Am Anfang sollte jeder 800 bis 1.000 Euro pro Monat bekommen, plus Krankenversicherung und regionalisiertes Wohngeld. Und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Arbeitszwang.
 

Aber Katja Kipping sprach dabei nicht  für das Linksbündnis, sondern für ihre "Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Linkspartei.PDS" (sh. BAG GRUNDEINKOMMEN: "Grundeinkommen ist nicht gleich Grundeinkommen", 29.11.2006). Das Wohngeld gibt es nur, soweit die 800 bis 1000 Euro nach den Wohngeldvorschriften nicht für die Miete reichen. Die Krankenversicherung ist für Hartz-IV-Empfänger ohnehin frei. Aber die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens bei arbeitsfähigen Personen vor dem Rentenalter  fordert  nicht Lafontaine und auch nicht das Linksbündnis insgesamt. Voraussetzung für nur bedingte Unterstützungszahlungen sind allerdings nachweisbare und zumutbaren Arbeitsplätze. Das Leeren von Mülltonnen ist nach der Arbeitsplatzvernichtung durch die neoliberalen Parteien vielfach ein begehrter Job, besonders wenn er nicht der Zerrüttung durch Lohndumping und Zeitverträge anheim gefallen ist. Vor allem die Arbeitsplatzvernichter sollten sich dafür nicht zu schade sein. Von engagierten Realisten wie Oskar Lafontaine hört man ganz andere Töne als von Katja Kipping und Andrea Nahles.

So schreibt unter abgeordnetenwatch.de der Forums-Teilnehmer Bernd Klumpp am 27.3.2007 an Oskar Lafontaine:

 

Sehr geehrter Herr Lafontaine,
einer der erfolgreichsten Unternehmer Baden-Württembergs, Herr Prof. Werner (DM Märkte), möchte das bedingungslose Grundeinkommen für alle einführen. Er sieht darin die Chance, echte Bürger-Freiheit, Gerechtigkeit, Selbstständigkeit und Partizipation zu schaffen. Heute wird in der BILD das Konzept von Herrn Althaus, MP Thüringen (CDU), vorgestellt. Wie stehen Sie zu der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens?
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Klumpp
 

Oskar Lafontaine lässt am 2.4.2007 antworten:

 

Sehr geehrter Herr Klumpp,
im Namen von Oskar Lafontaine danke ich Ihnen für Ihr Schreiben vom 5. März 2007.
Das vorliegende Modell des Grundeinkommens klingt sehr interessant und verlockend.
Verlässt man jedoch die isolierte Betrachtung und stellt das Grundeinkommen in den volkswirtschaftlichen Zusammenhang, ist es fraglich, wie die Idee von Götz Werner in dem kapitalistischen System Deutschlands funktionieren kann. Ganz abgesehen von dem Problem der Finanzierung, untergräbt das Grundeinkommen den Zusammenhang zwischen Arbeit und Verbrauch. Der Fokus läge weniger auf der Arbeit als auf dem Konsum. Das derzeitige marktwirtschaftliche Anreizsystem wäre beseitigt. Unternehmer, befreit von jeglicher Steuerlast, gingen als große Gewinner aus dem System hervor.
Sinnvoller erscheint es, beispielsweise im Hinblick auf den öffentlichen Beschäftigungssektor, Forderungen zu erheben, die politisch und gesellschaftlich umsetzbar sind…
Oskar Lafontaine wünscht Ihnen alles Gute und lässt Sie vielmals grüßen…
 

Die Dreistigkeit der Neoliberalen, selbst vom Schlage der angeblichen SPD-"Linken" Nahles, zeigt sich darin, dass sie ihre obige Falschaussage zum Grundeinkommen in dem Interview ausgerechnet auf die Frage nach Lafontaine in Umlauf brachte und ihm dabei auch noch eine "Verdummung der Leute" vorwarf.  In bezug auf Lafontaine ist auch den alten SPD-Kadern keine Diffamierung zu schäbig, weil er sie als Pseudo-Sozialdemokraten an ihr verlorenes soziales Gewissen erinnert (sh. hier zu den Diffamierungs-Kampagnen unter anderem Linksbuendnis.htm). Man muss Andrea Nahles aber recht geben bei ihrer Beurteilung der neoliberalen Propagandisten eines bedingungslosen Grundeinkommens in ihrem obigen Streitgespräch mit Katja Kipping (sh. taz, 10.3.2007, und zur Finanzierung hier: Götz Werner):
 

Wenn Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus oder dieser Drogerieunternehmer Götz Werner für das Grundeinkommen plädieren, fordern sie in Wirklichkeit eine Exklusionsprämie. Die wollen einen neuen Niedriglohnarbeitsmarkt schaffen. Das Grundeinkommen wäre dann so eine Art Kombilohn, auf den die Unternehmen aus der eigenen Tasche nicht mehr viel draufpacken müssten.


Die Linkspartei schreibt als Vordenkerin bei den Mindestlöhnen in ihrem Beschlussantrag vom 18.1.06 an den Bundestag (BT-Drs. 16/398):

 

Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf:
● schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, einen rechtlichen Anspruch auf einen Lohn von mindestens 8 Euro/ Stunde (brutto) haben,
● in den Gesetzentwurf eine zeitlich befristete Übergangsregelung für kleine und mittlere Unternehmen bei der Einführung des Mindestlohnes zu integrieren. Diese Regelung soll denjenigen Unternehmen eine Hilfestellung bieten, die nachweislich nicht kurzfristig in der Lage sind, ihren Beschäftigten den Mindestlohn zu zahlen.


Es ist sicher richtig, diese Übergangsregelung zunächst einmal zeitlich zu befristen. Aber man sollte nicht vergessen, dass schon jetzt viele Arbeitplätze nur angeboten werden, weil die Tariflöhne dafür unter 8 Euro je Stunde (brutto) liegen.

Den Betrag von 8 Euro brutto begründete Gregor Gysi  in der Bundestagsdebatte vom 17.2.06 durch dessen Ableitung aus dem Nettowert des Pfändungsfreibetrages für eine alleinstehende Person:
 

Wir können uns nach dem richten, was der Gesetzgeber als pfändungsfreies Einkommen festgelegt hat. Wenn Sie jemandem ein Darlehen gewähren, dieser es nicht zurückzahlt und Sie nach drei Jahren endlich Ihren Vollstreckungstitel haben, dann bekommen Sie, wenn diese Einzelperson nur 985 Euro netto hat, gar nichts davon. Erst wenn die Person mehr als 985 Euro hat, können Sie pfänden. Das ist doch ein Maßstab! Damit hat der Gesetzgeber - die Mehrheit im Bundestag - gesagt: An diesen Betrag lassen wir auch einen Gläubiger nicht heran. Genau dieser Betrag muss der Mindestlohn in Deutschland werden: Wer arbeitet, muss mindestens den pfändungsfreien Betrag verdienen.
 

(Sh. auch die Pfändungstabelle 2005 unter akademie.de und das EDV-Programm zur Umrechnung von Brutto- in Nettolohn unter parmentier.de, wonach bei der Rechnung von Gysi für den Alleinstehenden ein monatlicher Bruttolohn von knapp 1400 Euro zugrunde gelegt ist.)
 

Auch andere Mitglieder der Linkspartei hatten einen Mindestlohn von 1400 Euro im Monat gefordert. Das veranlasste FOCUS zu der typischen Irreführung (sh. focus.msn.de, 10.8.05):

 

MINDESTLOHN ZU HOCH
Lafontaine wird Realist

...Lafontaine sagte der "Stuttgarter Zeitung", er halte einen Mindestlohn von 1200 bis 1250 Euro im Monat für ausreichend. Zuvor hatte Verdi-Chef Frank Bsirske bereits die Höhe von 1400 Euro gerügt. Ein Betrag in dieser Größenordnung sei politisch kaum durchsetzbar.
 

Tatsächlich war Lafontaine von Anfang an "Realist" - im Gegensatz zu den neoliberalen Meinungsmachern, die nur Realisten für ihr eigenes Portemonnaie sind. Er mochte offenbar von Anfang nicht ausschließen, dass die Bilanz von Arbeitsplatzverlusten in Deutschland durch die 1400 Euro und nachhaltigem Arbeitsplatzzuwachs durch die damit gestiegene Konsumnachfrage noch negativ sein könnte (sh. dazu auch "Linkspartei uneins über Mindestlohn", taz.de, 11.8.05):
 

BERLIN afp   In der Linkspartei ist ein Streit über das Programm für die Bundestagswahl entbrannt. Wahlkampfchef Bodo Ramelow zeigte sich offen für die Forderung von Spitzenkandidat Oskar Lafontaine, die im Entwurf vorgesehene Summe für einen Mindestlohn von 1.400 Euro zu senken. Lafontaine forderte, es müsse auf "die Finanzierbarkeit aller Maßnahmen" geachtet werden. Er sprach sich zudem gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus. Demgegenüber erklärte die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau, die Forderung nach einem Mindestlohn von 1.400 Euro sei "sachlich richtig". Ramelow sagte gestern, er akzeptiere das Argument, ein auf 1.250 Euro abgesenkter Betrag sei "tragfähiger". Er verwies darauf, dass das Wahlprogramm bislang als Entwurf bestehe und erst auf dem Parteitag beschlossen werden solle.


D
ie Erfahrungen in den Nachbarländern sprechen jedoch klar gegen die damaligen Befürchtungen von Oskar Lafontaine, die hier mit Argumenten wie im Bofinger-Gutachten (sh. oben) ursprünglich auch geteilt wurden. Gegen das Argument der Arbeitsplatzvernichtung schreibt die Linkspartei in ihrem Beschlussantrag:
 

Die Argumentation, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze vernichten, ist hingegen nicht sachgerecht. Das beste Beispiel ist die Baubranche. So erklärte Michael Knipper vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: "Die Mindestlöhne sind ohne Alternativen, ohne sie hätten mindestens noch mal 250 000 Bauarbeiter ihren Job verloren." (Frankfurter Rundschau vom 12. April 2005). Diese positiven Erfahrungen aus Deutschland werden von Untersuchungen aus den USA und mehreren europäischen Ländern gestützt. So weist etwa die OECD darauf hin, dass zwischen der Existenz von Mindestlöhnen und der Beschäftigungshöhe in traditionellen Niedriglohnbranchen kein eindeutiger Zusammenhang besteht. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut hebt die positive Entwicklung in Großbritannien hervor, wo der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zwischen 1999 und 2004 auf 4,85 britische Pfund (etwa 7,10 Euro) ein Rückgang der Arbeitslosenquote von 6,2 auf 4,7 Prozent gegenüber stand.
 

Das Argument von Michael Knipper ist wahrscheinlich richtig, denn am Bau war die Tendenz zur Einstellung von Billiglöhnern aus dem Ausland besonders bedrohlich, und erst mit dem Entsendegesetz vom 26.2.1996 konnte die Vernichtung der Arbeitsplätze von deutschen Bauarbeitern eingedämmt werden durch die Allgemeinverbindlicherklärung von Tariflöhnen und tariflichen Mindestlöhnen, also nicht nur durch (meist wesentlich geringere) gesetzliche Mindestlöhne (sh. z.B. den "Tarifvertrag Mindestlohn", soka-bau.de, und "Tarifverträge Baugewerbe",  www.rechtsrat.ws). Die Richtigkeit des Arguments hat viel damit zu tun, dass Großbauten in Deutschland nicht zu Billiglöhnen im Ausland hergestellt und dann nach Deutschland exportiert werden können! Ähnliches gilt für die Gebäudereinigung in Deutschland, für das Friseurhandwerk, für die Verkäufer usw.

Auch kann "zwischen der Existenz von Mindestlöhnen und der Beschäftigungshöhe in traditionellen Niedriglohnbranchen kein eindeutiger Zusammenhang" bestehen, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Land zu Land unterschiedlich sind, z.B. durch Steuerfinanzierung des Sozialsystems, deutlich höhere Steuerquoten wie in Großbritannien und in anderen Ländern mit viel niedrigerer Arbeitslosenquote sowie durch EU-finanzierte Dumpingsteuern in Irland und den neuen Steuerfluchtkandidaten.

Es ist auch richtig, dass der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Großbritannien dort ein Rückgang der Arbeitslosenquote "gegenüber stand". Aber die Einführung des Mindestlohns war gewiss nicht die Ursache für diesen Rückgang. Der Rückgang hat sicher auch damit zu tun, dass mit der viel höheren Steuerquote in Großbritannien auch ein Teil des Sozialsystems über Steuern finanziert werden kann. Dagegen gehen in Deutschland durch den Verzicht auf diese Möglichkeit immer mehr Arbeitsplätze verloren, weil die regulären Dienstleistungen durch die einseitige Belastungen der unteren und mittleren Einkommen mit den Kosten des Sozialstaates für die Normalverdiener viel zu teuer werden.

Die anschließende Bundestagsdebatte vom 17.2.06 über Mindestlöhne zeigt, dass die Linkspartei mit ihrer Mindestlohnforderung zwar einerseits im Recht ist. Andererseits kann sie aber gegen die Tatsachen-Verdrehungen der Neoliberalen nur bestehen, wenn sie das Konzept ihrer "Hilfestellung" zugunsten von  bedürftigen kleinen und mittlere Unternehmen weiterentwickelt.

Diese "Hilfestellung" kommt auch zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze und  zur Eindämmung der Schwarzarbeit im Niedriglohnbereich für Dienstleistungen in Betracht. Außerdem würde dabei auch eine Absenkung der Mehrwertsteuer für konsumnahe Dienstleistungen helfen. Andererseits dürften in diesem Bereich durch Mindestlöhne kaum Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, wenn man die Mindestlöhne auch für ausländische Arbeitskräfte durchsetzt  und wenn man das Steuer- und Sozialdumping nach dem Herkunftslandprinzip der  EU-"Dienstleistungs-Richtlinie" verhindert (= "Bolkestein-Hammer",  "Frankenstein-Richtlinie", benannt nach dem neoliberalen Autor und EU-Kommissar Frits Bolkestein; sh. Joachim Bischoff und Björn Radke: "Gegen Sozialdumping und ruinösen Wettbewerb - Zu den Protesten gegen die Dienstleistungsrichtlinie", w-asg.de, 27.12.05. Zur halbherzigen Abschwächung der Richtlinie sh. hier auch  EU-Lohndumping.htm).

Zur teilweisen Verhinderungsmöglichkeit des Lohndumpings durch Entsendung ausländischer Arbeitnehmer nach Deutschland  muss man Günter Verheugen allerdings recht geben. In dieser Richtung sind lediglich die deutschen Neoliberalen und Lohndrücker davon zu überzeugen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom 26.2.1996 über das Baugewerbe hinaus zu erweitern ist.

Die Mindestlohn-Regelungen für das Gebäudereiniger-Handwerk sind interessant, weil sie schon am 1.4.2004 für allgemeinverbindlich erklärt wurden mit Mindestlöhnen für Westdeutschland von  7,87 Euro ab 1.1.2005 (bzw. 7,68 Euro davor), ohne dass dieses Dumping-anfällige Gewerbe dadurch inzwischen ernsthaft gelitten hätte. Die geplante Einführung dieser Mindestlöhne hat die SPD im Koalitionsvertrag von 2005 gegen den Widerstand der CDU/CSU-Lobbyisten durchgesetzt.

Schon am 23.8.06 titelte die Süddeutsche Zeitung:
 

Regierung führt Mindestlohn für Gebäudereiniger ein
Ausländische Reinigungsfirmen müssen künftig die in Deutschland üblichen Löhne zahlen. Die FDP hält den Kabinettsbeschluss für "maximalen Unsinn" und fürchtet kubanische Verhältnisse.
 

Sie schrieb dann weiter:
 

Zur Verhütung von Lohndumping und unfairem Wettbewerb hat die Bundesregierung das am Bau geltende Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf das Gebäudereiniger-Handwerk ausgedehnt.
Damit kann die Branche ihren aktuellen Tarif-Mindestlohn von 6,36 Euro in Ostdeutschland und 7,87 Euro im Westen auch Arbeitern von ausländischen Firmen vorschreiben.

 

Der IG-Bau-Vorsitzender Klaus Wiesehügel sagte dazu:
 

In einer Branche, wo die schwarzen Schafe statt des Tariflohns einfach mal 4 oder 5 Euro pro Stunde zahlen, müssen Unternehmer bei Verstoß gegen den Mindestlohn nun mit Geldstrafen nicht unter 25000 Euro rechnen.
 

(Sh. Pressemitteilung vom 23.8.06 der IG Bauen-Agrar-Umwelt.)

Es geht hier nur um die Einbeziehung der bereits allgemeinverbindlichen Mindestlöhne in das Entsendegesetz. Tatsächlich galten die Mindestlöhne von 6,36 und 7,87 Euro für die untersten Entgeltgruppen der Gebäudereiniger schon seit dem 1.1.2005 (sh. "Lohntarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung" vom 4.10.03, gültig ab 1.4.04. Davor galten zuletzt Stundensätze von 6,18 bzw. 7,68 Euro, sh. ebd.). Der entsprechende Rahmentarifvertrag für die Gebäudereiniger vom 4.10.2003 war schon am 1.4.2004 für allgemeinverbindlich ("av") erklärt worden (sh. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: "Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge- Stand 1. Januar 2007", Seite 25 ).

Die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge für Gebäudereiniger geht jedoch noch wesentlich weiter zurück. Dazu schrieb der BUNDESINNUNGSVERBAND DES GEBÄUDEREINIGER-HANDWERKS unter der Überschrift "Gebäudereiniger-Handwerk unterstützt gesetzlichen Mindestlohn" am 29.8.06:

 

Das Gebäudereiniger-Handwerk ist dankbar, dass es in das Entsendegesetz aufgenommen werden soll. Damit besteht die Möglichkeit, dass in unserem Tarifbereich Dumpinglöhne sowohl für inländische als auch ausländische Wettbewerbssituationen verhindert werden können und eine gewisse Fairness auch in Zukunft möglich sein wird.

Das Gebäudereiniger-Handwerk verfügt seit über 30 Jahren über allgemeinverbindliche Tarifverträge. Seit über 30 Jahren hat das Gebäudereiniger-Handwerk eine äußerst positive Beschäftigungsentwicklung genommen. Bereits damit dürfte widerlegt sein, dass allgemeinverbindliche Tarifverträge/Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten.


Tatsächlich gab es aber auch im Gebäudereinigerhandwerk in den letzten Jahren einen Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (sh. pub.arbeitsamt.de >
"Beschäftigte - nach Wirtschaftsgruppen - Jahresheft - 30.06. (Excel - ZIP - Archiv )" > Excel-Reiter "WZ2003" > Excel-Reiter "Datenblatt" mit WZ 747) - jeweils für die einzelnen Jahre). Bei der vorstehenden positiven Beurteilung durch den Bundesinnungsverband ist zu vermuten, dass die abgebauten Stellen - wie in anderen Wirtschaftszweigen auch - durch mehr sozialversicherungsfreie 400-Euro-Jobs mit geringerer Abgabenbelastung für den Arbeitgeber ersetzt wurden. Eine entsprechend detaillierte Statistik für die Gebäudereiniger unter Einbeziehung der nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wäre von der Bundesagentur nur kostenpflichtig zu erstellen. Für die branchenübergreifende Zunahme solcher Minijobs zu Lasten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gibt es aber genug Statistiken. Gegen dieses vorprogrammierte Renten-Prekariat zu Mindestlöhnen wäre die Steuerfinanzierung von Sozialabgaben ebenfalls ein mögliches Gegenmittel. 

In dem
zitierten Artikel aus der Süddeutschen Zeitung war nicht die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit gemeint, sondern die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetz(es) vom 26.2.1996 "auf das Gebäudereiniger-Handwerk" zur Vermeidung von Lohndumping durch ausländische Entsendefirmen. Diese überfällige Erweiterung des Entsendegesetzes erfolgte allerdings erst am 9.3.2007 (sh. "Müntefering kündigt Initiativen für weitere Branchen an - Bundestag beschließt Mindestlohn für Gebäudereiniger" tagesschau.de, 9.3.07). Künftig müssen also auch ausländische Gebäudereinigerfirmen den in der Branche vereinbarten Mindestlohn von 7,87 Euro je Stunde in Westdeutschland und 6,36 Euro in Ostdeutschland zahlen.

Die Heftigkeit der Ablehnung von Mindestlöhnen durch eine Partei hängt anscheinend zusammen mit der Quelle der Finanzmittel für sie und ihre Mitglieder. So trommelte z.B. der FDP- "Wirtschaftsexperte Rainer Brüderle" (sueddeutsche.de, 23.8.06, unter der Zwischenüberschrift "Deutschland wird Kuba", ergänzt durch  TELEPOLIS, 22.9.06)  zu den Mindestlöhnen:
 

Jeder Mindestlohn ist maximaler Unsinn. Liegen festgelegte Löhne über dem Marktpreis, vernichten sie Arbeitsplätze, liegen sie darunter, sind sie wirkungslos. Dieser Grundeinsicht in das wirtschaftspolitische Einmaleins verweigern sich die schwarz-roten Sozialdemokraten weiter stur. Auf Kuba verabschiedet sich der Sozialismus langsam, in Deutschland hält er Schritt für Schritt. Deutschland brauche mehr Markt, nicht Marx.
 

Zur Finanzierung der FDP siehe z.B. "Eine Hand wäscht die andere – Die FDP macht vor, wie öffentliche Armut und privater Reichtum sich ergänzen können" in: Udo Leuschners großer "Geschichte der FDP", Heidelberg, August 2005. Typischerweise findet man in solcher FDP-Propaganda neben der knappen substanzlosen Argumentation auch die üppigen neoliberalen Worthülsen und Totschlagargumente. Wenn solche Leute sich gegen Marx wenden, dann gebührt dem großen und wichtigen deutschen Denker in Zeiten kapitalistischer Wählertäuschung offenbar wieder mehr Aufmerksamkeit. Aber das ökonomische "Denken" in Deutschland findet jetzt eher in den Propaganda-Denkfabriken der Neoliberalen statt mit Unterstützung der hochgejubelten Voodoo-Ökonomen (sh. hier rossaepfel-theorie.de).

Mit kaum weniger lobbyistischer "Sorge" um die Arbeitnehmer äußerte sich der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ganz im Sinne seiner weitaus meisten Parteifreunde, obwohl sie sich wegen ihrer eigenen widerwilligen Zustimmung beim Gebäudereiniger-Handwerk (sh. oben) doch etwas zurückhalten:
 

Die Forderung der Gewerkschaften nach einem gesetzlichen Mindestlohn ist der erneute Versuch, für ein gewaltiges Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramm in Deutschland zu werben. Ich fordere Herrn Bsirske und seine Mitstreiter, auch die in den Reihen der SPD, auf: Beenden Sie diesen Spuk um den Mindestlohn. Was wir in Deutschland brauchen, sind mehr Freiräume in den Betrieben, niedrigere Lohnzusatzkosten und ein wirksames Kombilohnmodell.


(Sh. CDU-Archiv, Stand 30.8.06.) Die "Freiräume in den Betrieben" zum Lohndumping würden sich allerdings erheblich vergrößern, wenn die gezahlten Löhne mit Hilfe von staatlichen Kombi-Zulagen noch weit unter die Mindestlöhne der Alt-EU-Länder gedrückt  werden könnten. Dagegen wäre den scheinheiligen Forderung der CDU nach Senkung der "Lohnzusatzkosten" zuzustimmen, wenn ihre Meinungsmacher dafür auf die Steuergeschenke für sich und ihre großzügigen Lobbyisten verzichten würden.

 

Nachdem die neoliberalen Trojaner in dieser Richtlinie nicht zu verbergen waren, räumte der wesentlich mitverantwortliche ehemalige Erweiterungskommissar und jetzige Industriekommissar Günter Verheugen  ein, "dass an einigen Stellen der Text des Entwurfs mindestens missverständlich, wenn nicht zweideutig formuliert ist und deshalb war die Demonstration berechtigt". Aber nun könne sich jeder auf ihn und die übrigen bestbestallten Eurokraten verlassen. Weitere Fragen seien nicht erforderlich. Die HörerInnen würden ohnehin nicht die "juristischen Feinheiten des so genannten Herkunftslandsprinzips" verstehen (sh. sein Interview mit dem Deutschlandradio Kultur vom 2.4.05). Er überlässt die Beantwortung solcher Fragen also den Demonstranten, die sich nicht schon wieder von den Neoliberalen verschaukeln lassen wollen. Im wesentlichen verweist er immer wieder auf die Zulässigkeit von Mindestlöhnen, sagt aber fast nichts zu den übrigen Dumpinginstrumenten nach dem Herkunftslandsprinzip und bringt von sich aus nur die harmlosesten Beispiele, die jede Kritik überflüssig erscheinen lassen sollen.

Ganz abgesehen von den mehr als 40 Prozent Sozialabgaben für Inländer, dürften allein schon die Mindestlöhne allmählich dazu führen, dass durch den Zustrom ausländischer "Dienstleister" oder Pro-forma-Dienstleister mit ihren Mindestlohn-Arbeitern noch viel mehr Deutsche arbeitslos würden und dass auch die Löhne vergleichbarer deutscher Facharbeiter auf dieses Niveau gedrückt werden. Die Scheinselbständigen werden ein übriges tun (sh. hier "EU-Lohndumping.htm").

Schon jetzt liegen die unteren tariflichen Bruttolöhne in vielen ostdeutschen Bereichen mit etwa 5 Euro brutto pro Stunde oder weniger (sh. oben die Beispiele für Friseure, Floristinnen usw.) auf einem Niveau, das selbst als Entgelt für die kontraproduktiven Leistungen der neoliberalen Meinungsmacher und Lohndumping-Befürworter nicht ausreichen würde und von dem ihre deutschen Gehalts-Finanzierer und Produzenten unseres Volkseinkommens nicht einmal ihre Miete und Grundversorgung bezahlen können.
Diese Niedrigstlöhne gelten - wie gesagt - auch und gerade in Branchen, die keineswegs mit Billigleistungen aus Osteuropa oder Asien konkurrieren müssen. Oft werden nicht einmal diese Niedriglöhne gezahlt, weil viele Unternehmen sich die Mitgliedschaft in den Tarifverbänden gar nicht leisten können oder wollen. Oskar Lafontaine bezeichnete die Dienstleistungsrichtlinie als "Kopfgeburt des Neoliberalismus" (Rede am 14.1.06 in Berlin: "Was ist die Linke?", jungewelt.de, 19.01.06 und  20.01.06).

Die Meinungsmacher in den neoliberalen Parteien werden die Notwendigkeit der Steuerfinanzierung von Sozialversicherungsbeiträgen wohl nie begreifen wollen, weil sie dann auf ihre selbst durchgepaukten Steuergeschenke für "Bestverdiener" verzichten müssten, aber Lafontaine ist schon immer für das skandinavische Modell der weitgehenden Steuerfinanzierung eingetreten, wie es besonders in Dänemark mit Konsequenz und großem Erfolg praktiziert wird. Auch das Linksbündnis wird diesen Gedanken mit Sicherheit fortführen, zumal es schon jetzt in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage und eine allmähliche Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze anstrebt (sh.oben).

Im Hinblick darauf kann auch Ralf Krämer hier nicht voll zugestimmt werden bei seiner Argumentation für die 1400 Euro, die auf den ersten Blick plausibel erscheint (sh. "Weiter Streit um Mindestlohn", 12.8.05, sozialismus.info):
 

WASG-Mitinitiator und Linkspartei-Kandidat Ralf Krämer sagte, die kurzfristige Durchsetzbarkeit könne beim Aufstellen der Forderung nicht ausschlaggebend sein. »Das Entscheidende ist die soziale und ökonomische Berechtigung, und die ist bei 1400 Euro voll und ganz gegeben«, argumentierte Krämer...
 

Aber wenn es die Mehrheit der Delegierten so will, könnte man die 1400 Euro bei entsprechender Bezuschussung trotzdem im Wahlprogramm lassen.

Man kann sich natürlich auch auf den Standpunkt stellen, dass überhaupt nur Betriebe marktfähig sind, die solche Mindestlöhne bezahlen können. Aber selbst dann ließe sich der Strukturwandel nur durch allmählich abnehmende Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen in den kritischen Bereichen abmildern. Parallel dazu müsste der Übergang zu einer echten Bürgerversicherung mit weitgehender Steuerfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem erfolgreichen skandinavischem Vorbild erfolgen.

Die Mindestlohn-Debatte ist in Deutschland erst spät entbrannt, nachdem Franz Müntefering das Thema aufgegriffen hatte. Dazu schreibt die Wikipedia (Stand 30.1.07):


In Deutschland wird seit Mitte 2004 verstärkt über den Mindestlohn diskutiert, angeregt u.a. durch den damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Der Koalitionsvertrag der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD sieht die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, die im Rahmen der Prüfung eines Kombilohnmodells auch den Mindestlohn debattieren soll.
 

Als Beleg für diesen Anstoß zitiert man einen Bericht vom 29.8.04 aus dem SPD-Archiv ("Müntefering: Debatte über Mindestlohn in Ruhe führen"), wonach Müntefering sagte "auch er selbst habe noch keine feste Meinung, ob ein Mindestlohn nach dem Vorbild anderer Länder in Deutschland sinnvoll sei, da es Vor- und Nachteile gebe."

Die Wikipedia erwähnt jedoch nicht, dass Franz Müntefering erst den Anstoß zu dieser Debatte erhalten musste durch die damals neu entstehende Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG),  "
die sich im Verlauf des Jahres 2004 vorrangig aus regierungskritischen SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern ... gebildet hatte und sich am 22. Januar 2005 als Partei konstituierte" (sh. Wikipedia zur WASG - Stand 30.1.07). Die PDS und spätere Linkspartei hat bereits in Ihrem Parteiprogramm vom 25./26.10.2003 (sh. pds.vm) den Mindestlohn gefordert in ihren Strategie-Thesen auf die europäische Sozialcharta verwiesen (sh. "Thesen zur Strategie der PDS", 22.6.04). In den Thesen heißt es:

 

Gesetzlichen Mindestlohn einführen, Arbeitszeit verkürzen und Überstunden abbauen
Nach der europäischen Sozialcharta dürfen in den Mitgliedsstaaten keine Löhne geduldet werden, die weniger als 68 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens betragen: allerdings verdienen in der Bundesrepublik etwas 2,5 Mio. Vollbeschäftigte weniger.
 

Durch das Auftreten des Linksbündnisses musste die SPD sich zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005 und danach in der großen neoliberalen Koalition immer öfter wieder einen sozialdemokratischen Anschein geben, trotz ihrer alten Schröder-Restmannschaft, um nicht zu viele Stimmen an das Linksbündnis zu verlieren (sh. rossaepfel-theorie.de).
 

Das zunehmende Ausmaß der staatlich verteidigten Lohndrückerei wird durch folgende Meldung der Tagesschau vom 29.3.07 deutlich:
 

Staatliche Hilfe zum Lohn
Immer mehr Vollzeitbeschäftigte bekommen Zuschüsse

Immer mehr Vollzeitbeschäftigte verdienen so wenig, dass sie auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hat sich ihre Zahl von Januar 2005 bis August 2006 auf 573.000 verdoppelt.

Die Betroffenen erhielten zusätzlich zum Lohn das Arbeitslosengeld II, sagte BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. 13.000 von ihnen seien im Öffentlichen Dienst beschäftigt. "Wir würden uns freuen, wenn zumindest der Öffentliche Dienst seine Mitarbeiter besser bezahlen würde", so Alt.
 

Bei dieser fortschreitenden Lohndrückerei durch "Aufstockung" aus Steuermitteln beginnen sogar die neoliberalen Medien mit einer kritischen Beurteilung. Siehe dazu die Artikel  "TREND BEI BESCHÄFTIGTEN - Arbeitslosengeld trotz Vollzeitjob" , welt.de, 29.3.07, und "Arbeitsmarkt - Hartz IV im Öffentlichen Dienst", mit Grafik,  faz.net, 29.3.2007.  Solche "Aufstocker" gibt es keineswegs nur in den verständlichen Fällen der Alleinverdienern von größeren Familien. Das kann man sich bei einem Dumpinglohn von vier Euro mal 160 Monatsstunden mit mehr als 20% Sozialabzügen leicht ausrechnen.

Die Neoliberalen wollen gegen diese weiteren Folgen ihrer Umverteilung nach oben und zur Umgehung von Mindestlöhnen bestenfalls eine Definition von "sittenwidrigen" Löhnen auf unterstem Niveau akzeptieren.

 
CSU-Sozialexperte Max Straubinger mahne an, dass es bereits Gesetze gegen sittenwidrige Löhne gebe. Diese müssten verstärkt zur Anwendung kommen. Tarifstundenlöhne um die drei Euro seien zwar "zu niedrig", fielen aber nicht unter die Definition der "Sittenwidrigkeit". Demnach seien Löhne erst sittenwidrig, wenn sie mehr als dreißig Prozent unterhalb der Tariflöhne liegen würden.


(Sh.
"Mindestlöhne: CSU bremst Müntefering", Handelsblatt, 21.2.2007. Vgl. auch "Pokern mit dem Mindestlohn", zeit.de, 24.4.2007). Ein Mindestlohn von drei Euro nach dieser Definition der "christlichen" "Sozialexperten" wäre für sie selbst noch zu hoch, würde aber ansonsten das Problem noch verschärft. Die einzige sinnvolle Lösung könnte darin liegen, dass sie ihre sittenwidrige Politik auch auf diesem Gebiet aufgeben.

Unterstützung erhalten sie dabei natürlich auch von ausgesuchten Ökonomen wie dem "Wirtschaftsweisen" Wolfgang Franz, "der auf Empfehlung der Arbeitgeber im Rat sitzt" (sh. hier rossaepfel-theorie.de mit der Passage "auf dem Arbeitgeber-Ticket bei den Wirtschaftsweisen" zeit.de, 6.6.2005, und "
Wirtschaftsweiser will Niedriglöhne weiter senken: Drei Euro sind noch zuviel", tagesschau.de, 15.4.2007).
 

Die sogenannten Sozialdemokraten in der Bundesregierung mit ihrer Agenda-2010- und Hartz-IV-Politik sind sich wohl bewusst, dass sie die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von der WASG übernommen haben, um ihren dramatischen Mitgliederschwund einzudämmen und ihren sozialdemokratischen Anspruch nicht ganz zu verwirken, insbesondere auch bei den Gewerkschaften. Sie haben am 26. März 2007 sogar eine Unterschriftenaktion zugunsten des Mindestlohns gestartet. Dazu hieß es bei de.yahoo.news.com vom 10.4.2007:

 

SPD weitet Unterschriftenaktion für Mindestlohn aus

Essen (ddp). Die SPD will ihre am 26. März gestartete Unterschriftenkampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn ausweiten. «Um den 1. Mai herum geht die Kampagne richtig los», sagte ein Parteisprecher der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» (Mittwochausgabe). «Die Union muss sich beim Thema Mindestlohn deutlich bewegen», sagte der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner der Zeitung. Die Union lehnt gesetzliche Mindestlöhne strikt ab.

 

Zu den Zielgruppen der Unterschriftenaktion erläutert der Wiesbadener Kurier vom 30.3.2007:

 

SPD kämpft um Gewerkschaftsmitglieder

Angst vor Abwanderung ins Lager der Linkspartei / Katz-und-Maus-Spiel um den Mindestlohn

 

…An der SPD-Unterschriftenaktion für Mindestlöhne wird das Konkurrenzverhältnis besonders deutlich: Die Sozialdemokraten präsentierten stolz unter den 42 Erstunterzeichnern 14 Gewerkschaftsbosse und Vorsitzende großer Konzernbetriebsräte oder der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung. Die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten sichtbar nebeneinander im Kampf um ein Ziel. Zwischen Arbeiterpartei und Gewerkschaften passt kein Blatt Papier - so die aus Sicht des Willy-Brandt-Hauses erwünschte Aussage der Aktion.

 

Zu den Erstunterzeichnern dieses SPD-Forderungspapiers gehörten auch Oskar Lafontaine, Gregor Gysi. und andere Mitglieder des Linksbündnisses. Die Bundestagsfraktion des Linksbündnisses hat am 28. April 2007 sogar die Forderungen der SPD wortwörtlich als Antrag ins Parlament eingebracht. Aber die SPD hat in der Sitzung ihren eigenen Forderungen nicht zugestimmt. Dazu berichtet der Tagesspiegel vom 27.4.2007:

 

Sozialdemokraten schmettern eigenen Mindestlohn-Antrag ab

Die SPD, die mit der Forderung nach Mindestlöhnen beim Wähler punkten will, hat einen entsprechenden Antrag im Bundestag ins Leere laufen lassen - weil er von der Linkspartei stammt. Dabei hatte die die Formulierungen wortwörtlich aus SPD-Papieren übernommen.

 

Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD haben einen Antrag der Linksfraktion zur Einführung von Mindestlöhnen abgeschmettert. Sie verwiesen das Papier ohne Abstimmung in der Sache in die Ausschüsse des Parlaments. Der Antrag lief damit praktisch ins Leere - und die SPD zog sich aus der Verlegenheit, aus Koalitionsräson gegen ihre eigenen Antrag stimmen zu müssen. Den Antragstext hatte die Linksfraktion fast wortgleich aus einem Kampagnen-Aufruf der SPD für Mindestlöhne übernommen.

 

 


Exkurs Leiharbeit: "Mehr Beschäftigung bei weniger Lohn"
(zugunsten der Gewinneinkommen)


 

Unter der Überschrift "Arbeitskraft auf Abruf" schreibt DIE ZEIT vom 26.4.2007:
 

Keine andere Branche boomt in Deutschland so wie die Zeitarbeit. Rund die Hälfte aller neuen Stellen, die im vergangenen Jahr geschaffen wurden, entstanden dort. Gut zwei Drittel davon gingen an Menschen, die vorher keine Arbeitsstelle hatten...

Es ist unstrittig, dass mancher Arbeitgeber durch Leiharbeiter bestehende Jobs in seiner Firma ersetzt. Das gelte für ein Viertel aller Unternehmen, die Kunden der Zeitarbeitsfirmen sind, hat eine erste Studie ergeben. Sie sei noch ungenau, warnt Elke Jahn, die beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Arbeitsgruppe Leiharbeit leitet, aber ein Anhaltspunkt...
 

Zwar unterliegen Zeitarbeitsfirmen den Regeln des gesetzlichen Kündigungsschutzes und können ihre Leute nicht einfach entlassen, wenn es gerade keinen Auftrag gibt. Doch drei Viertel ihrer Mitarbeiter sind nicht länger als sechs Monate angestellt – und während dieser Probezeit jederzeit kündbar. Und seit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen dürfen sie ihre Mitarbeiter auch mehrfach hintereinander neu einstellen.
 

Die Kündigung ist häufig abhängig vom Verzicht auf Betriebsräte, gewerkschaftliches Engagement und auf Wahrnehmung von sonstigen Arbeitnehmerrechten. Zu einer typischen Zeitarbeiterin, die von dem hochsubventionierten Infineon-Werk Dresden in die Leiharbeit "ausgelagert" wurde, heißt es dort:


Seit dem Wechsel in die Zeitarbeit bekommt sie für dieselbe Arbeit 1400 statt 2200 Euro brutto, ein Viertel der Urlaubstage wurde gestrichen, und verschiedene Zusatzleistungen fielen weg.
 

Die neoliberalen Koalitionäre klopfen sich gern selbst auf die Schulter, weil trotz ihrer Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben doch zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sind, auch wenn Deutschland bei diesen Auswirkungen der Weltkonjunktur noch Wachstums-Schlusslicht unter den großen Industrieländern bleibt. Ebenso wie Italien hat es  in 2006 und voraussichtlich auch in 2007 eine Wachstumsrate von etwa zwei Prozent, während das weltweite Wachstum bei etwa fünf  Prozent liegt (sh. hier die IWF-Studie vom April 2007). Die Arbeitslosenquote in Deutschland beträgt mehr als das Doppelte der Quote in Dänemark (sh. wko.at) mit dessen Spitzensteuersatz von 59 Prozent, seiner viel höheren Staatsquote und seiner weitgehenden Steuerfinanzierung der Sozialabgaben (sh. rossaepfel-theorie.de). Auch die neoliberalen SPD-Oberen von der Schröder-Fraktion wollen nichts davon begreifen (sh. z.B. "Struck fordert mehr Stolz auf Agenda 2010": "Erfolge am Arbeitsmarkt widerlegen Kritiker", Handelsblatt Nr. 085 vom 3.5.2007, Seite 3.) Die meisten sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Arbeitsplätze entstehen hierzulande im Bereich der prekären Leiharbeit:

 

O-Töne: Zeitarbeiter bei BMW

"Also ich kriege so raus zwischen 700 und 800 Euro, das schwankt immer mal ein bisschen und die Festangestellten die kriegen dann schon raus 1.100, 1.200. Das ist schon ein ganz dickes Ding. Was da fehlt und für die gleiche Arbeit und ja."
"Ich bin als Helfer eingestellt gewesen und hab gefragt, warum bin ich hier als Helfer eingestellt. Ich hab meinen Facharbeiter in der Fachrichtung."
"Wenn ich den Sprit abziehe, die 200 Euro im Monat, dann komme ich auf das Hartz IV, was ich dann kriegen würde. Damit könnt ich mich zu Hause noch mal in Ruhe rum legen."

"Es ist sinnlos. Aber ich bin nicht der Typ der heeme sitzt. Die drei Monate, in denen ich arbeitslos war, bin ich durchgedreht."
"Und man geht auf Arbeit, um zu hoffen, dass sie einen einstellen."
"Man will och auch mal weiter kommen im Leben."

 

(Sh. den Bericht "Arm trotz Arbeit – Leiharbeiter", mdr.de, exakt vom 10.4.2007.)  Zu BMW in Leipzig siehe auch die Video-Einblendung bei "Hart aber fair - Die Boom-Verlierer: Hallo Aufschwung - ich spür dich nicht" vom 2.5.2007 mit der begleitenden Schönrederei durch drei Neoliberale einschließlich Norbert Röttgen (CDU plus verhinderter BDI-Präsident) gegen den weiter links stehenden Klaus Wowereit und ver.di-Chef Frank Bsirske.

Auch bei einer Einstellung als ausgeliehener Facharbeiter müsste der obige BMW-Arbeiter auf den größten Teil dessen verzichten, was BMW für seinen Arbeitseinsatz zahlt. Dazu heißt es im Handelsblatt über eine Studie des Leiharbeitsspezialisten Edgar Schröder für die Wirtschaftswoche:
 

In seinem Modell rechnet Schröder mit einer Verleihfirma, die einem Maschinenschlosser den Tariflohn von 8,62 Euro pro Stunde bezahlt und dafür 20,25 Euro vom Einsatzbetrieb erhält. Von den 11,63 Euro Differenz bleibt der Verleihfirma überraschend wenig: Rund 53 Prozent davon gehen für Arbeitgeberabgaben und -beiträge zur Sozialversicherung sowie freiwillige und tarifliche Leistungen drauf. Diese müsste der Einsatzbetrieb mindestens in gleicher Höhe bezahlen, wenn er den Maschinenschlosser selber anstellen würde. Weitere rund 42 Prozent des Differenzbetrages fressen die Ausgaben der Verleihfirma für das eigene Verwaltungspersonal sowie für Miete und sonstige Sachkosten. Auch hiervon müsste der Einsatzbetrieb schätzungsweise die Hälfte aufbringen, wenn er die Leute auf die eigene Kappe nähme - sei es für höhere Löhne und ein paar Tage mehr Urlaub oder für die Personalsuche. Nach Abzug dieser Kosten bleibt der Leiharbeitsfirma von den 11,63 Euro Differenz ein Gewinn von etwa einem Euro (vor Abzug von Finanzierungskosten und Steuern). Gemessen an den Gesamteinnahmen für den Maschinenschlosser von 20,25 Euro sind das gerade fünf Prozent.
 

(Sh. Reinhold Boehmer: "Moderne Nomaden", Handelsblatt, 5.4.2007.) Die größte Belastung für den Arbeitsmarkt sind erwartungsgemäß die Sozialversicherungsbeiträge, die in Ländern mit geringer Arbeitslosenquote und hoher oder mittlerer Steuerquote wie Dänemark und Großbritannien weitgehend über Steuern finanziert werden.  Dieser Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt lag im Jahre 2005 in Dänemark bei 48,6 Prozent, in Großbritannien immerhin noch bei 30,2 Prozent, in Deutschland aber nur bei 20,8 Prozent (sh. Bundesfinanzministerium: Monatbericht März 2007, S. 127, Tabelle "15 Steuerquoten im internationalen Vergleich"). Um die einseitige Belastung der Lohnarbeit mit diesen Kosten des Sozialstaates abzumildern, müssten aber die neoliberalen Meinungsmacher auf ihre Steuergeschenke verzichten.

 
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer kritisiert die Verlagerung des Arbeitsmarktes in den prekären Bereich:

 

Die meisten neuen Arbeitsplätze, die entstehen, entstehen im Bereich von Leiharbeit. Und das besorgt uns schon, weil das eine Tendenz ist, dass die so genannten Stammbelegschaften abgebaut werden und Randbelegschaften entstehen zu niedrigen Löhnen, teilweise schlechteren Bedingungen.

 

(Sh. sein DLF-Interview vom 29.4.07.)

 

Tatsächlich ist der "Bestand an überlassenen Leiharbeitnehmern" von  Juni 2004 bis Juni 2006 um 200.000 auf 600.000 gestiegen. Im Juni 1996 lag die Gesamtzahl noch bei 200.000 (sh. "Arbeitsmarkt in Zahlen - Beschäftigungsstatistik", "Arbeitnehmerüberlassung 1. Halbjahr 2006", Seite 1 und Tabelle 5, zu erreichen über http://statistik.arbeitsagentur.de/ > Detaillierte Übersichten > "Detaillierte Übersichten" unter SGB II und SGB III (ab Januar 2005) > Linke Seite: "Beschäftigung" > "Arbeitnehmerüberlassung – Zeitreihen" > "Anzeigen"). Aber der Rückgang der registrierten Arbeitslosenzahl in Deutschland von 5 Millionen im Januar 2006 auf 4 Millionen im Dezember 2006 ist das Produkt aus Mehrwertsteuer-Endspurt, boomender Weltkonjunktur und Zunahme der Leiharbeit (sh. Bundesagentur für Arbeit: "Arbeitsmarkt in Zahlen - Aktuelle Daten", Reiter: "Inhalt", Tabelle 3.2.13: "Arbeitslose - Zeitreihe" - Stand Mai 2007). Der Anteil der Weltkonjunktur dürfte wesentlich stärker sein als der kurze Impuls mit anschließender Dauer-Dämpfung durch die Mehrwertsteuererhöhung, denn auch im April 2007, also einige Monate nach dem Endspurt,  lag die Arbeitslosenzahl wieder bei 4 Millionen (sh. ebd.). Dazu kann es nicht nur durch Kosmetik gekommen sein, denn frisiert war sie vorher auch.

Die Abnahme der Arbeitslosenzahl um 1 Million innerhalb eines Jahres bis Anfang 2007 relativiert sich jedoch, wenn man die Zunahme der "Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten" um 650.000 von Anfang 2006 bis Anfang 2007 dagegen hält (sh. ebd. die Tabelle 2.2.1 und Bundesagentur für Arbeit: "Arbeitsmarkt in Zahlen - Beschäftigungsstatistik ... Beschäftigung nach Ländern in wirtschaftlicher Gliederung- Februar 2007", Stand 3.5.2007, Seite 1, zu erreichen über
http://statistik.arbeitsagentur.de/ > "Beschäftigung" als erstes "Thema"). Aber auch diese 650.000 entfallen nur zum Teil auf zusätzliche Vollzeitstellen, denn in einem Pressetext der Bundesagentur heißt es dazu: "Dabei entfallen deutlich mehr als die Hälfte des Anstiegs auf Vollzeitstellen" (sh. "Original-Pressemitteilung vom 2.5.2007 10:25 von Agentur für Arbeit: Die Entwicklung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes im April 2007", und "Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland - April 2007", S. 2, erreicht über arbeitsagentur.de > Presse > "Aktueller Arbeitsmarktbericht", Stand 3.5.2007). Betrachtet man im Juli 2008 den letzten verfügbaren Drei-Jahres-Zeitraum  von September 2004 bis September 2007, so ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen mit 22,6 Millionen sogar gleich geblieben (sh. Bundesagentur für Arbeit: "Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach ausgewählten Merkmalen – Tabelle 7", erreicht am 26.7.2008 mit dem Auswahl-Punkt "Beschäftigte - Zeitreihen ab 1999 [Zeitreihen nach Ländern, Staatsangehörigkeit, Vollzeit, Teilzeit, Geschlecht, Altersgruppen, Auszubildenden]" über www.pub.arbeitsamt.de).
 

Gelegentlich hörte man Anfang Mai 2007 – aus welchen Quellen auch immer -, dass von den 650.000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen etwa 60 Prozent auf Vollzeitstellen entfallen. Auch die taz schrieb am 3.5.2007 unter der Überschrift "Mehr Beschäftigung bei weniger Lohn":

 

So stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im Februar waren es 26,47 Millionen - und damit 650.000 mehr als noch vor einem Jahr. Etwa 60 Prozent dieser neuen Normal-Arbeitsplätze sind Vollzeitstellen.

 

Das Ergebnis von etwa 400.000 zusätzlichen Vollzeitstellen mag richtig sein, die Überschrift ist jedenfalls zutreffend. Genauere Werte zum Anteil der Vollzeitstellen an den sozialversicherungspflichtigen Stellen sind aber lt. Auskunft der Bundesagentur für Arbeit erst mit etwa sechs Monaten Verzögerung verfügbar. Wählt man jedoch auf deren Seite "Detaillierte Informationen – Beschäftigung" das Feld "Beschäftigte –Quartalszahlen" > "September 2006" aus, dann erhält man mit dem Kartei-Reiter "svb-merkm" die Information, dass im September 2006 gegenüber September 2005 insgesamt 691.337 zusätzliche "Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland" tätig waren. In dieser Mehrwertsteuer-Endspurt-Phase waren davon sogar 83 Prozent Vollzeitbeschäftigte und nur 17 Prozent Teilzeitbeschäftigte. Die zusätzlichen 138.275 Arbeitnehmer aus der dortigen Tabelle "Geringfügig entlohnte Beschäftigte in Deutschland" ("geb-merkm") sind in diesen Zahlen nicht enthalten, weil für die Minijobber nur Arbeitgeber-Pauschalen, aber keine vollen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Sie sind also nicht "voll sozialversicherungspflichtig".


Was von den vorstehenden 650.000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen noch an Vollzeitstellen übrig bleibt, entfällt wiederum zu größten Teil auf die prekäre Leiharbeit, denn in dem obigen Bericht "Arbeitsmarkt in Zahlen..." heißt es auf Seite 1:

 

Am auffälligsten ist der Aufbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei unternehmensnahen Dienstleistungen (+275.000 oder +8,5 Prozent), der vor allem auf der Entwicklung in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche beruht.
 

Zu dieser Art der Umverteilung nach oben durch Prekarisierung erklärte die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) am 30.4.2007 mit einem Aufruf durch ihren Vorsitzenden:

 

Ottmar Schreiner: Zeitarbeit muss begrenzt werden

Die Ausbreitung der Zeitarbeit hat seit den Rechtsänderungen im Zuge der Hartz-Gesetzgebung rasant zugenommen. Zunehmend werden reguläre Beschäftigungsverhältnisse durch Zeitarbeit ersetzt. Das Ergebnis ist ausgeprägtes Lohndumping und die Umgehung von Tarifverträgen, die ein Eingreifen der Politik erfordern.

Seit 2004 hat sich die Zahl der Zeitarbeiter mehr als verdoppelt. Heute gibt es in diesem Bereich mehr als 600 000 Beschäftigte. Dabei wurde über das eigentliche Ziel, Zeitarbeit als zusätzliches Instrument für die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu nutzen, deutlich hinaus geschossen. Wenn etwa Großbetriebe wie BMW in Leipzig ein Drittel der Belegschaft aus Leiharbeit rekrutiert, dann geht es sicher nicht mehr um die Abdeckung von Auftragsspitzen. Im Verlagsbereich werden Leiharbeitsgesellschaften ausgegründet, um etwa Zeitungsredakteure dauerhaft zu deutlich schlechteren Konditionen zu beschäftigen...

 

Die BMW-Chefs mögen mit Recht darauf verweisen, dass ohne diesen hohen Anteil an Dumping-Löhnen ihr Werk nicht in Leipzig gebaut worden wäre. Schließlich sitzen ihnen die Kapitalgeber im Nacken und sie selbst profitieren auch vom "Shareholder-Value". Aber die neoliberale schwarz-rötliche Koalition hat jedenfalls keinen Grund, sich für solche "Erfolge" zu loben und zugleich ihre  Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben unter dem Deckmantel der boomenden Weltkonjunktur immer weiter voranzutreiben.

Aber auch die verbleibenden sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen außerhalb der Leiharbeit sind zum großen Teil nur Zeitverträge. Dazu Ottmar Schreiner:
 

"Der Aufschwung am Arbeitsmarkt besteht fast ausschließlich aus befristeten Jobs und zusätzlicher Leiharbeit. Wir brauchen aber mehr Arbeit, die sozial abgesichert, auf Dauer angelegt und ordentlich bezahlt ist", sagte Schreiner. Auch müsse die Partei dringend neu definieren, wie sie Menschen vor der Armutsspirale schützen wolle. Das alte Sicherheitsversprechen, daß im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter niemand ins Bodenlose falle, sei in den vergangenen Jahren brüchig geworden.
 

(Sh. "Neue SPD-Spitze", faz.net, 21.5.07.) Diese "neue SPD-Spitze" - mit ihren tonangebenden Schröder-Fans und Lafontaine-Gegnern im Rücken - wird ohne weiteren Einbruch ihrer Umfragewerte kaum "neu definieren, wie sie Menschen vor der Armutsspirale schützen" will. Ihre Politik ist seit der pinkgrünlichen Schröder-Regierung auf Umverteilung nach oben gerichtet und hat der Druck der Neoschwarzen in diese Richtung seitdem bereitwillig nachgegeben.


 

Nachtrag vom 11.3.2008:

 


Die vorgetäuschten "Erfolge" am Arbeitsmarkt bestehen vor allem im Austausch von ordentlichen Arbeitsplätzen gegen unsichere Sklavenarbeit, in steuerfinanzierter Sozialhilfe-Aufstockung mit Striptease-Zwang ("Kombilohn") zugunsten von Lohndrückern bei Vollzeit-Jobs ("working poor") und in sonstigen prekären Beschäftigungen. Die Analyse der Beschäftigungszunahme  ließe sich damit bis zur Unkenntlichkeit der eigentlichen Problematik fortsetzen, denn das eigentliche Problem liegt in der trickreichen Ablenkung von der Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben.
 
Vor allem ist die Abnahme der Arbeitslosenquote von den maximalen 10,7% in 2005 auf die etwa 8% zum Ende 2007 kein Argument für das weitere "Kurshalten" mit der "Agenda 2010" bei dieser Umverteilung oder gar für noch weiter gehende Senkungen des Spitzensteuersatzes auf die anvisierten 36% oder 35% von CDU und FDP, denn auch in anderen Staaten der Alt-EU ist die Arbeitslosenquote durch die Weltkonjunktur gesunken. So ist z.B. die Quote in Dänemark von 2005 bis Ende 2007 bei einem Spitzensteuersatz von 59% von 4,8% auf etwa 3% zurückgegangen (sh. "Arbeitslosenquoten", wko.at, Stand 25.1.2008). Das ist nicht einmal die Hälfte der deutschen Quote, die angeblich der Umverteilung zu verdanken ist, also der "Agenda 2010", den Steuergeschenken für "Bestverdiener" usw. Und tatsächlich hat die hohe Quote in Deutschland sehr viel zu tun mit der Konsumdrosselung durch diesen Volksbetrug (sh. hier rossaepfel-theorie.de).



Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung unter der großen Koalition zur Umverteilung nach oben lässt sich mit wenig Phantasie tendenziell vorhersagen. Die SPD will sich gegen die übrigen neoliberalen Parteien und gegen DIE LINKE verzweifelt profilieren als Vertreterin der Arbeitnehmerinteressen mit ihrer Forderung nach Mindestlöhnen, z.B. bei den Post-Dienstleistungen und für möglichst viele Branchen nach dem Vorbild der meisten erfolgreicheren EU-Staaten.

 

Trotzdem hat sich die SPD von der CDU in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 2007 eine neue Blockade der Mindestlöhne abhandeln lassen, unter anderem dadurch, dass die Aufnahme in das Entsendegesetz nicht aufgrund gesetzlicher Mindestlöhne erfolgt, sondern eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) gemäß § 5 Tarifvertragsgesetz erfordert. Voraussetzung für die  AVE von Tariflöhnen war und ist aber, dass


"...die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen..."

 

(Sh. § 5 Tarifvertragsgesetz und Ver.di Bundesverwaltung, Berlin, den 21. Juni 2007: "Erste Bewertung der Übereinkunft des Koalitionsausschusses zu Entsendegesetz und Mindestlohn".) Dies mochte die CDU/CSU gerade noch zugestehen, wohl wissend, dass es den schwach organisierten Dumpinglöhnern im Dienstleistungsgewerbe kaum helfen würde. Insbesondere in den neuen Bundesländern haben sich viele Unternehmer aus der Not ihrer CDU-verheißenen "blühenden Landschaften" von der Tarifbindung verabschiedet, so dass die verbleibenden tarifgebundenen Unternehmen kaum mehr als 50 Prozent der "Arbeitnehmer" in diesem Tarifbereich beschäftigen, unabhängig von deren Organisationsgrad. Außerdem bekam die CDU so von der SPD ein Feigenblatt geliefert, mit dem sie die Verantwortung teilweise abwälzen kann durch den Hinweis, dass die SPD diesem Verfahren ja auch zugestimmt habe.

 

Dazu schreibt die taz/dpa vom 15.8.07 unter der Überschrift: "MINDESTLOHN: Geeinigt auf Nichteinigung":

 

Immer weniger Arbeitnehmer können sich auf Tarifverträge berufen, weil viele Firmen aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten sind und deshalb nicht an die Tarifpolitik gebunden sind. Zudem sind weniger Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Also: Auch das Entsendegesetz ist keine Lösung.

 

Das ist zwar richtig, aber die EU-Entsenderichtlinie bietet durchaus eine "Lösung" durch die Zulassung von gesetzlichen Mindestlöhnen (sh. hier EU-Lohndumping.htm), wie sie auch in den meisten anderen EU-Staaten bereits eingeführt wurden.  EU-Staaten wie Großbritannien und die Niederlande erreichen mit Mindestlöhnen bei der relativ hohen Konsumquote von Mindestlohnempfängern wesentlich bessere Ergebnisse für Arbeitsmarkt und Wachstum als Deutschland (sh. oben und rossaepfel-theorie.de). Das gleiche gilt für Länder wie Dänemark und Österreich, in denen anstelle der Mindestlöhne entsprechend hohe oder höhere unterste Tariflöhne durchgesetzt werden konnten durch den hohen Organisationsgrad ihrer Arbeitnehmer.

Ein weiterer Triumph der CDU und FDP ergibt sich aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 3.4.2008, wonach nun nicht einmal bei der Vergabe staatlicher Aufträge eine Tariftreue für Wanderarbeiter aus osteuropäischen EU-Ländern verlangt werden darf. Nach dem Niedersächsischen Vergabegesetz war für den Bruch der Tariftreue eine Vertragsstrafe vereinbart. Ein Unternehmen hatte für eine Landes-Baumaßnahme – wie üblich – Subunternehmen eingeschaltet und zwar mit polnischen Wanderarbeitern, die nicht einmal die Hälfte der örtlichen Tariflöhne erhielten. Der EuGH entschied, dass solche Vertragsstrafen jedenfalls dann unzulässig seien, wenn der Staat die Tariflöhne nicht für allgemeinverbindlich erklärt habe (sh. das EuGH-Urteil C-346/06 vom 3.4.2008 unter http://curia.europa.eu). In dem Urteil heißt es:


In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofs hat das Land Niedersachsen allerdings bestätigt, dass der Baugewerbe-Tarifvertrag kein für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ist.


Damit sind aber die Dumping-Forderungen von CDU und FDP auch auf diesem Gebiet durchgesetzt durch die trickreiche Gesetzgebung ihrer Lobbyisten in Berlin und Brüssel sowie die Ausnutzung dieser Blockade-Gesetze durch die Arbeitgebervertreter in den paritätisch besetzten Tarifausschüssen (sh. auch "Experten fordern erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung", boeckler.de, 6.10.2003,  "Gesetzliche Stützen für das Tarifsystem", boeckler.de, 2006, und "Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes - TVGDV"). Dementsprechend freuten sich unter anderem das "FDP-geführte niedersächsische Wirtschaftsministerium" und der "brandenburgische CDU-Fraktionsvorsitzende"  über die "Sicherung von Arbeitsplätzen" durch Lohndumping (sh. "EU-Richter stoppen Tarifzwang", welt.de, 4.4.2008), als ob man die öffentlichen Gebäude oder örtlich gebundene Dienstleistungen andernfalls aus Niedriglohn-Ländern importieren könnte.


Als Kompromiss gegen die Mindestlohn-Blockade durch die CDU hofft die SPD auf deren Unterstützung  bei der Reaktivierung eines "Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen" von 1952, das noch nie angewendet wurde und möglicherweise gegen die aktuellen EU-Verträge verstößt (sh. ebd. und das Interview vom 13.9.07, 7:19 h, als "Audio on Demand", mit Arbeitsminister Müntefering, worin er die faulen Kompromisse natürlich überspielt und seine Politik als Erfolg verkauft.)

Der kleinste gemeinsame Nenner der rötlich-schwarzen Koalition war eine Einigung auf Mindestlöhne für Briefzusteller. Bei ihnen ging man davon aus, dass sie Bedingung für die AVE erfüllen, wonach 50 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer tarifvertraglich organisiert sein müssen. Die ausgebeuteten Zusteller der Lohndrücker-Paketdienste wurden auf Druck der CDU von dieser Reglung ohnehin ausgenommen.

Aber selbst bei den Briefzustellern wird der Mindestlohn blockiert durch die CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff und Roland Koch, die diese Mindestlöhne im Bundesrat zu Fall bringen wollen (sh. "Union 'torpediert' Post-Mindestlohn", netzeitung.de, 26.9.2007). Die beiden vertreten - im Gegensatz zur erzwungenen Moderation in der großen Koalition – den christlich verbrämten Neokonservatismus der "neuen" CDU nach US-Vorbild, wie er auch in einer Koalition mit der FDP zum vollen Durchbruch kommen könnte. Zur Zusteller-Entlohnung sagen die Neoliberalen frei heraus, dass die Wettbewerber der Post durch Mindestlöhne aus dem Markt gedrängt würden. Dabei unterschlagen sie aber den eigentlichen Grund hierfür, dass nämlich diese Wettbewerber durch ihre Dumping-Löhne nur die Lohnspirale nach unten auf das Niveau der "Working Poor" antreiben.
 

Die neoliberalen Meinungsmacher wollen – wie ihre Vorgänger in früheren Jahrhunderten - im Grunde nur ihren weit überhöhten Anteil am Volkseinkommen weiter erhöhen. Man erreicht dies schon, indem man den Anteil der Einkommensschwachen verringert. Die Neoliberalen wollen es aber vor allem erreichen durch Senkung ihres Spitzensteuersatzes und damit durch einen immer größeren Abstand zwischen ihrem Verdummungs-Profit und dem Einkommen für ehrliche Arbeit. Bei der Senkung des Spitzensteuersatzes für die Einkommensmillionäre und sich selbst unterschlagen sie penetrant, dass diese Umverteilung nach oben stets zu Mehrbelastungen der Einkommensschwachen führt und damit zur Drosselung des Konsums, zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, aber auch zur Schwächung der Arbeitsmarktinitiativen durch den finanzschwachen  Staat (sh. rossaepfel-theorie.de).


Der ehrenamtliche Postgewerkschafter Wolfgang Host gibt für das Lohndumping ein Beispiel im Interview mit Carl H. Ewald (sh. "Wenn der Postmann zweimal klingelt…", Neue Rheinische Zeitung, 14.11.2007):

 

Es sieht zum Beispiel bei der PIN-AG so aus, dass die Vollzeitbeschäftigten dort einen Arbeitsvertrag mit einem garantierten Bruttogehalt von 1.020 Euro bei einer 40-Stunden-Woche bekommen. Wohlgemerkt: wir sprechen hier vom Bruttogehalt.

Und dann haben sie noch die Möglichkeit, durch ein "Prämiensystem" 410 Euro Brutto zusätzlich zu verdienen, davon werden 250 Euro als "Anwesenheitsprämie" bezahlt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn diese Kolleginnen und Kollegen der PIN-AG nur einen Tag ohne Krankmeldung fehlen, werden ihnen 125 Euro von der "Anwesenheitsprämie" abgezogen. Und sollten sie denn offiziell krankgeschrieben sein, wird ihnen für jeden Tag, an dem sie krank sind, trotzdem ein Betrag von 11,50 Euro abgezogen.

 

Bei einem maximalen Bruttogehalt von 1.020 + 410 = 1.430 Euro beträgt das Nettogehalt etwa 1000 Euro, wenn nicht noch weitere Abzüge anfallen. Das entspricht einem Netto-Stundenlohn von etwa 6 Euro, aber nur, wenn die "Prämien" voll gezahlt werden.

 

Die Konsumquote von solchen prekär Beschäftigten ist wesentlich höher als bei den neoliberalen Meinungsmachern, aber die Einkommensschwachen können mit solchen Löhnen weder ihre arbeitsplatzschaffende Konsumnachfrage entfalten noch die viel beschworene Familienplanung ernsthaft in Betracht ziehen, geschweige denn ihre Rente sichern. Vor allem gilt nicht das neoliberale Standardargument des Arbeitsplatzverlustes ins Ausland, weder bei den Briefzustellern noch bei den übrigen Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor, denn sie werden fast alle im ortsgebundenen Dienstleistungsgewerbe ausgebeutet. Wenn wirklich die Niedrig- und Dumping-Löhne ausschlaggebend wären, dann müssten die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland nicht viel höher, sondern deutlich niedriger sein als in Westdeutschland.

 

Der Kampf gegen den Post-Mindestlohn ist also ein Paradebeispiel für die Heuchelei bei der Arbeitsplatzvernichtung durch die angeblichen Arbeitsplatzbeschaffer. Im Grunde handelt es sich hier wie auch sonst im Dienstleistungsgewerbe nicht um internationalen Lohndruck, sondern nur um eine weitere Variante der Umverteilung nach oben über den Ersatz von existenzsichernden Arbeitsplätze durch staatlich bezuschusste Lohnsklaverei.


Zu dieser neuen neoliberalen und  "christliche" Lohnsklaverei fühlen sich inzwischen immer mehr Unternehmer gedrängt durch die Methoden skrupelloser Konkurrenten. Diese nutzen das Lohndumping sogar als "Geschäftsidee" zur massenhaften Verdrängung von ordentlich zahlenden Betrieben und regulär Beschäftigten durch ihre Ausbeutungsopfer. Dazu heißt es bei Panorama vom 3.1.2008 unter dem Titel: "Lohnsklaverei in Deutschland":
 

Kampfpreise, supergünstig. Immer mehr, immer billiger. Der Textil-Discounter KiK. Diese beiden Mitarbeiterinnen zahlen den Preis für die Schnäppchen-Schlacht. Sie arbeiten seit Jahren zu Dumpinglöhnen – jetzt klagen sie gegen ihren Arbeitgeber.

Martina K., KiK-Aushilfe:
"Wer 5,20 Euro bekommt, ist eigentlich schon einer der besseren Verdiener da bei KiK. Es gibt also auch Kolleginnen, die verdienen nur 4,50 Euro oder 4,20 Euro." Würden sie nach Tarif bezahlt, bekämen sie über 12 Euro. Doch kik ignoriert das – und macht zweistellige Umsatzsteigerungen. Der Konzern wirbt ganz offensiv mit Billigpreisen.
 

Die Neoliberalen bringen dazu ihr irreführendes Standardargument, dass durch die Einführung von Mindestlöhnen nur Arbeitsplätze vernichtet würden. Sie verschweigen penetrant, dass durch Mindestlöhne erfahrungsgemäß mehr Arbeitsplätze entstehen als verloren gehen (sh. oben). In Wirklichkeit werden solche Mindestlöhne nur für den binnenwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich gebraucht, und zwar nach dem Entsendegesetz für inländische und ausländische Arbeitnehmer. Mit Billiglöhnern aus Asien oder Osteuropa kann dann kaum reguläre Arbeit durch Lohnsklaverei ersetzt werden. Für Arbeitnehmer in anderen Wirtschaftsbereichen ist der vorgesehene Mindestlohn von acht bis neun Euro kaum relevant, weil sie im allgemeinen sowieso mehr erhalten.

Die neoliberalen Sklaventreiber vernichten durch ihre Umverteilung nach oben vielmehr die regulären Arbeitsplätze (sh. rossaepfel-theorie.de). Das Abgesahnte leiten sie als Steuergeschenke in ihre eigenen Taschen. Um dies zu kaschieren und die Arbeitslosenquote zu frisieren, setzen sie auf Billiglohn. So können sie auch noch die Normalverdiener im lokalen Dienstleistungsbereich ausplündern. Dieses Spielchen sichern sie durch ihre Begünstigung des "Geschäftsmodells", das der Ökonom Rudolf Hickel wie folgt entlarvt:
 

"Deutschland erlebt etwas, was wir vor 10 Jahren nicht für möglich gehalten haben, dass im Grunde genommen sich der Wettbewerb immer mehr konzentriert auf Lohndumping. Man versucht im Grunde genommen, durch schlecht bezahlte Arbeit aber harte Arbeit, versucht man, sozusagen die anderen wegzukonkurrieren."

 

Die Neokonservativen und Neoliberalen haben ihre Sympathie für solche Sklavenarbeit und weitere Schröpfung der Ärmsten nach altem feudalistischen Muster  schon in vielen Fällen bewiesen, unter anderem bei ihren Querschüssen zur Gesundheitsreform der großen neoliberalen Koalition (sh. hier z.B. Gesundheitsreform.htm, wo auch Wulff, Koch und die übrigen CDU-Ministerpräsidenten eine teilweise Steuerfinanzierung von Sozialabgaben blockiert haben; sh. hier auch EU-Lohndumping.htm und ganz allgemein ihre Manipulationen zur Umverteilung nach oben). Es handelt sich also nicht nur um die Finanzierung ihrer jährlichen fünfstelligen Steuergeschenke (sh. hier rossaepfel-theorie.de) durch ihre Mehrwertsteuererhöhung, Studiengebühren, Mehrbelastungen von Einkommensschwachen auf allen Gebieten, Schröpfungen und unbezahlte Versprechungen im Gesundheitswesen. Vielmehr dient die Blockade der Mindestlöhne ebenfalls ihrer Umverteilung nach oben.

Hierdurch kommt man auch immer mehr zurück zu den goldenen Zeiten, in denen sich die Profiteure solcher Umverteilung großzügig mit billigem Hauspersonal eindecken konnten. Um außerdem diese Privatausgaben noch vom Staat mitfinanzieren zu lassen, haben die stellvertretenden CDU/CSU-Faktionschefs Michael Meister (Steuern) und Ilse Falk (Arbeit) im Sinne ihrer Partei vorgeschlagen, dass sie zwei Drittel und bis zu 12.000 Euro der jährlichen Aufwendungen für Dienstleistungen in Privathaushalten von der Steuer absetzen können (sh. "Absetzbarkeit von Dienstleistungen – Union macht Putzfrauen billiger", n-tv.de, 4.10.2007).


Begründet wird jede solche Umverteilung in die eigenen Taschen mit der "ehrbaren" "Sorge" um die Arbeitsplätze - ganz im Sinne einer perfide zurechtgeschusterten "Angebotstheorie", wonach eine erhöhte Binnennachfrage durch existenzsichernde Löhne im Dienstleistungsbereich weniger Arbeitsplätze schafft als die Steuersenkung für Bestverdiener und die Explosion der Unternehmensgewinne (sh. hier rossaepfel-theorie.de).
 

Die Neokonservativen und "Liberalen" können sich jedenfalls die Hände reiben, dass sie von den Verrätern der Sozialdemokratie bei Einführung ihrer Lohnsklaverei mit unwürdiger Lohnaufstockung durch staatliche Sozialhilfe so tatkräftig unterstützt wurden, dass die Schröder-Regierung ihnen mit der Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben und durch Hartz-IV ein hochwirksames Erpressungs-Potenzial zum Lohndumping geliefert hat.


Auch BILD sorgt sich publikumswirksam um die Arbeitsplätze, bestellte aber eigens ein Gutachten zur Rechtfertigung der Lohndrückerei vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung
(mit eingeschränkter Forschungsqualität, sh. nachdenkseiten.de, 9.5.2006, Hinweise des Tages, Nr. 12 ), das man von dessen Direktor und häufigem BILD-Kronzeugen Hans Werner Sinn vorstellen ließ. Es ging Springers BILD insbesondere um die Lohndrückerei bei den Briefzustellern. Dabei unterschlug BILD seinen manipulierten Lesern die Information, dass die Axel Springer AG Mitte 2007 mehr als 500 Millionen Euro in ihre Aktien-Mehrheit bei der pin Group investiert hatte (sh. "Axel Springer übernimmt Mehrheit bei PIN", handelsblatt.com, 28.6.2007), um mit solchen Drücker-Löhnen eines der größte Konkurrenz-Unternehmen zur Post aufzubauen - mit Riesen-Profiten auf Kosten der Dumping-Opfer (sh. z.B. "Unbezahlte Arbeitszeit" in "Mindestlohn - Tarife für Briefträger und die Folgen", Plusminus, DasErste.de, 28.8.2007, mit effektiven Stundenlöhnen von etwa 4 Euro; ferner zur Ausbeutung durch die pin: "Bericht aus Brüssel, 13.11.2007, Der Mindestlohn - in Deutschland und Europa", WDR-Web-TV; sowie "PIN diszipliniert Beschäftigte: Betriebsratsmitglied soll entlassen werden", verdi.de, 6.9.2007; und die hervorragende Dokumentation zur Meinungsmanipulation: "Hungerlöhne in der Postbranche - Welche Rolle spielt die Presse?", Report Mainz, swr.de, 8.10.2007, 21.45 Uhr). Die Einführung von allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen würde allerdings diesen pin-(Alb)-Traum platzen lassen.
In dem Bericht wird ein völlig hilfloser pin-Zusteller und BILD-Leser zitiert mit den Worten: »Meine Position oder unsere Position wird nicht vertreten, sondern es wird immer nur das Gegenteil geschrieben.« Weiter heißt es dort über klägliche Hilfeversuche mit knappen Mitteln gegen die geballte Manipulationsmacht:

 

Ähnlich geht es Verdi.  Bereichsleiter Wolfgang Abel schaltet jetzt für 20.000 Euro Anzeigen in Springer-Blättern, um mit seinen Argumenten überhaupt noch durchzudringen.


Man muss also das Medienkapital noch mit dem Geld für teure Anzeigen stärken, um überhaupt dort eine Stimme zu erhalten. Wie im Falle der Kampagnen zur Steuersenkung für die neoliberalen Meinungsmacher und Großprofiteure mit dem BILD-Aufruf zum "Wut-Brief" oder gegen Oskar Lafontaine als Gegner dieser Umverteilung nach oben (sh. hier Linksbuendnis, Pro7Sat1.htm, Wir-Papst-Du-Deutschland) wurde nicht nur BILD für diese Ziele in Stellung gebracht, sondern die kapitalisierte Meinungsmacht  von weiteren Springer-Blättern. Es fragt sich allerdings ob die Manipulationsmacht in diesem besonderen Fall längerfristig zur  Verhinderung der Mindestlöhne reicht, solange es nicht auch noch das heiß begehrte Springer-Fernsehen gibt.

Um diesen Mangel auszugleichen, ließ man eine eigene "Gewerkschaft" (namens GNBZ) für die Ausbeutungsopfer der pin gründen und diese gegen existenzsichernde Mindestlöhne demonstrieren. Dazu schreibt die taz:


Bei der Mitgliederwerbung arbeitete die GNBZ nach Aussagen von Betriebsräten der PIN-Gruppe Hand in Hand mit den Firmenchefs. "In Leipzig ist der Zustellungsleiter durch die Depots gegangen, hat den Leuten Beitrittsformulare hingelegt und gesagt: Unterschreib, bis morgen hast du Zeit", sagte ein Betriebsrat der taz. Von 300 Mitarbeitern der Niederlassung wäre der größte Teil eingetreten. "Bei dem Wortlaut ist ja klar, was bei einer Weigerung passiert wäre."
 

(Sh. "Post-Konkurrenz trickst bei Mindestlohn - Verträge mit Scheingewerkschaft", taz.de, 12.3.2008. Sh. auch "Die Masche beim Mindestlohn", fr-online.de, 17.2.2008).

Das Berliner Verwaltungsgericht konnte diese Trick-"Gewerkschaft" von Springer und weiteren neoliberalen Meinungsmachern allerdings noch nicht richtig einstufen. Es entschied in erster Instanz zu deren Gunsten im Sinne ihrer Arbeitgeberverbände Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste BdKEP und des privaten Postdienstleisters TNT. Deshalb musste die Gewerkschaft Verdi zunächst einmal Strafanzeige gegen die GNBZ stellen. Die taz schreibt dazu (ebd.):


Das Berliner Verwaltungsgericht hatte vergangene Woche den Post-Mindestlohn für unzulässig erklärt und sich dabei auf einen von der GNBZ ausgehandelten Tarifvertrag gestützt. Er dürfe nicht durch den jetzt gültigen Mindestlohn-Tarifvertrag verdrängt werden, der Briefträgern Löhne zwischen 8 Euro und 9,80 Euro garantiert. Wenn nun die GNBZ keine Gewerkschaft ist, fiele die Begründung des Verwaltungsgerichts in sich zusammen.


Diese Einstufung musste dem Gericht um so schwerer fallen, als die "Gewerkschaft" schon "richtige" Demonstrationen (gegen die Interessen der Arbeitnehmer) inszeniert hatte:
 

Für die Pressearbeit engagiert PIN eigens eine PR-Agentur. Die versorgt die Presse kostenlos mit Filmmaterial von der Demo. Gedreht und versandt von Axel Springer. Dem Verlag gehört die PIN AG mehrheitlich. So fügt sich eins zum anderen. Natürlich berichtet Springers Kampfblatt "Bild" am nächsten Tag ausführlich über die Demo. Eine perfekte Inszenierung, und doch nur das erste Kapitel im Drehbuch.


(Sh. Report Mainz: "Bei Briefzustellern Mindestlohn? Eine neue Gewerkschaft stellt die Verhältnisse auf den Kopf", swr.de, 29.10.2007, Das Erste.)  Einer der Demonstrant Dumping-Löhner erklärte das so:
 

»Die großen Chefs kamen halt zu uns in die Firma, haben uns aufgeklärt über die Situation. Und dass wir halt demonstrieren müssen, und sie sollen halt alle mitkommen; Es wird alles bezahlt, der Arbeitstag wird voll bezahlt, die Busse werden gestellt, Plakate, Trillerpfeifen. Und da wurden am selben Tag noch Namenslisten ausgeteilt, wo man unterschreiben musste. Eigentlich bin ich da gegen meinen Willen hingefahren, also ich wurde dazu gezwungen, kann man sagen.«
 

Ein anderer pin-Mitarbeiter sagte (ebd.):
 

»Mich kotzt das auch richtig an, was die mit uns machen. Das ist wie eine Diktatur. Und mit der hohen Arbeitslosigkeit versuchen die uns halt Druck zu machen.«
 

Und ein Betriebsratsmitglied ergänzte zu der Kundgebungsrede (ebd.):
 

»Also die Rede, die dort oben gesprochen wurde, ist vom Arbeitgeber geschrieben worden. Erst kurz vor der Demonstration, wurde sie demjenigen, der oben gesprochen hat, übergeben. Auch ohne Zustimmung des Betriebsrates, also keiner vom Betriebsrat hat die je gesehen, diese Rede. Und mehrere haben halt gesehen, wie er sie vom Arbeitgeber überreicht bekommen hat. Und gesagt hat, hier lies mal vor, mach das mal.«
 

Die CDU leistete  ihren pin-Meinungsmachern von Springer & Co. allerdings kräftige Schützenhilfe gegen die Mindestlohn-Pläne und damit gegen ihren rötlichen Koalitions-Partner wie auch gegen die leidtragenden Dumping-Löhner. Sie bedankte sich auf diese Weise für ihre bisherige Unterstützung durch das Medienkapital und zeigte, dass sich auch in Zukunft dessen gute Zusammenarbeit mit der CDU (und FDP) gegen die SPD und vor allem gegen DIE LINKE lohnt.
 

Dass auch SPD-Politiker aktiv an dieser Heuchelei beteiligt sind, erläutert Carl H. Ewald in einem weiteren Artikel der NRHZ vom selben Tage: "Wie sich Pressemonopolisten gegen das 'Postmonopol' wehren - Tara Tara, die Pest ist da!", nrhz.de, 14.11.2007:

 

Weil sich die privaten Postdienste von den Gewerkschaftsverhandlungen um den tariflichen Mindestlohn ausgeschlossen fühlten, hatten sie den "Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste" gegründet: An seiner Spitze steht Florian Gerster, der schon bei der Bundesagentur für Arbeit der Unternehmerseite kräftig Schützenhilfe geleistet hatte und Gründungsmitglied der Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) ist. Der SPD-Politiker wurde durch rigide Einsparungen bei der Bundesagentur und seine Selbstbedienungsmentalität bekannt – bei Übernahme seines Amts verdoppelte er sich das Gehalt, baute die Chefetage luxuriös aus und leistete sich drei Dienstwagen gleichzeitig – so viel zu den Privilegien eines Mannes, der einst Millionen Arbeitslose "verwaltete".

 

Eine ganz ähnliche und ebenfalls "sozialdemokratische" Karriere kann Bodo Hombach vorweisen, der als Kanzleramtsminister nicht mehr tragbar gewesen war, nachdem er in den Verdacht geraten war, sich vom Veba-Konzern eine Luxusvilla bauen gelassen zu haben, und der daraufhin flugs an die Spitze des zweitgrößten deutschen Medienkonsortiums, der WAZ-Mediengruppe, gewechselt war. Auch Hombach hat Interesse daran, dass die Zeitungsboten der WAZ, die ebenfalls an der PIN-Group beteiligt ist, die Briefe "möglichst kostengünstig" transportieren.

 

Es ist kein Wunder, dass auch solche SPD-Politiker als Söldner des Medienkapitals und Steigbügelhalter von CDU und FDP bestens mit diesen Parteien zusammenarbeiten.

Am 29.11.07 kam schließlich die kurz zuvor erwartete Meldung, dass SPD und CDU/CSU sich auf gesetzlich abgesicherte Mindestlöhne für Briefträger geeinigt hätten. Anscheinend war der öffentliche Druck gegen die Unterstützung der Lohnsklaverei durch die "Christen" übermächtig geworden, insbesondere auch im Hinblick auf die Landtagswahlen Anfang 2008 in Niedersachsen und Hessen. Zuvor hatte noch die Gewerkschaft Ver.di notgedrungen einer Beschränkung dieses jetzt beschlossenen Mindestlohns von 9,80 € (West) und 9,00 € (Ost) auf die Brief-Zusteller zugestimmt. Damit konnte die CDU/CSU ihr "Einknicken" durch Anerkennung der Allgemeingültigkeit wegen 50prozentiger Tarifbindung (sh. oben) bemänteln. Für die Briefsortierer sind € 8,40 und 8,00 € vereinbart (sh. "Staffelung Post-Mindestlohn", pr-inside.com, 30.11.2007).

Viele andere, wie z.B. die Paketzusteller, bleiben also ungeschützt. Für die Vereinbarung der Mindestlöhne zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften soll laut Regierungskompromiss die 50-Prozent-Hürde als erfüllt gelten, die die CDU gegen die SPD aufgebaut und durchgedrückt hat (sh. oben). Allerdings zahlt die Post ihren Briefzustellern vielfach deutlich höhere Löhne, die nicht nur für einen Ein-Personen-Haushalt reichen. Mit den 9,80 € und 8,00 € bleibt der PIN und den übrigen CDU-Günstlinge also noch genug Spielraum für ihre Lohndrückerei. Dennoch warnen die Post-Konkurrenten vor erheblichem Stellenabbau in ihren Reihen, weil sie nicht so viele reguläre Arbeitsplätze bei der Post durch ihr Lohndumping vernichten können (sh. "Ärger über Mindestlohn bei Briefträgern: Postkonkurrenten sind enttäuscht von Union", netzeitung.de, 30.11.2007). Um andererseits den Druck zugunsten ihrer Lohndrücker-Kundschaft zu erhöhen, greifen die "Christen" jetzt verstärkt das Mehrwertsteuerprivileg der Post an, das sie jedoch (gegen die gehätschelten Rosinenpicker) zur Sicherung  ihres  aufwendigen flächendeckenden und universellen Zustelldienstes innehat:
 

Merkel sagte, nun müsse analog zu anderen Bereichen auch über die Mehrwertsteuerbefreiung bei der Deutschen Post diskutiert werden.
 

(Sh. "Postboten bekommen Mindestlohn", dw-world.de, 29.11.2007, und Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15.12.1999). Außerdem baut die Merkel-Fraktion mit ihren Lobbyisten jetzt eine massive Front auf gegen Mindestlöhne für weitere Dumping-Opfer (ebd.).  Der Staat soll weiterhin Komplize bleiben für die Lohndrücker: Falls seine Hartz-IV-Opfer deren Drücker-Löhne nicht akzeptieren, sollen sie durch Hartz-IV-Entzug dazu gezwungen werden.




Am 13.12.2007 preschte Springers BILD vor mit einer Meldung, die das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung ihres Kronzeugen Hans-Werner Sinn in Umlauf gebracht hatte: "
Mindestlohn kostet bis zu 1,9 Mio. Jobs!", bild.de, 13.12.2007 (einschließlich Foto von Hans-Werner Sinn mit gekräuselter Stirn und erhobenem Zeigefinger).  Andere Springer-Medien bliesen in das gleiche Horn. Auch die übrigen neoliberalen Meinungsmacher folgten unkritisch. Das ifo-Institut München wollte sich offenbar den Rücken freihalten mit der folgenden Erläuterung und dem Hinweis, dass die zugrunde liegende Presse-Mitteilung von der ifo-Geschäftsstelle in Dresden stammt:


Unter Verwendung eines moderaten Reaktionskoeffizienten, der eher im unteren Bereich der in der Literatur veröffentlichten Schätzwerte liegt (1 Prozent Lohnerhöhung bedeuten 0,75 Prozent Jobverlust), hat das ifo Institut errechnet, dass von den Beschäftigten in diesen Niedriglohngruppen im Osten voraussichtlich 23,3 Prozent und im Westen 25,1 Prozent arbeitslos werden. Bezogen auf die Beschäftigtenzahl der genannten Betriebe entspricht dies einem Jobverlust von 9,9 Prozent im Osten und 5,5 Prozent im Westen.

Wendet man diese Prozentsätze auf die Gesamtheit aller privat beschäftigten Arbeitnehmer im Osten (4,7 Mill.) und im Westen (26,1 Mill.) an, so ergibt sich, dass flächendeckende Mindestlöhne in der genannten Höhe im Osten rund 470 Tsd. und im Westen rund 1,42 Millionen Jobs vernichten werden. Insgesamt ist also mittelfristig mit einem Abbau von etwa 1,9 Millionen Stellen in Deutschland zu rechnen, wenn die für die Briefträger der Post festgelegten Mindestlöhne in allen Branchen der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.


(Sh. "Pressemitteilung: Zu den Beschäftigungseffekten einer Einführung von Mindestlöhnen", cesifo.de, 12.12.2007.)

Interessant daran ist die zustimmend erläuterte Begründung, nämlich die "Verwendung eines moderaten Reaktionskoeffizienten, der im unteren Bereich der in der Literatur veröffentlichten Schätzwerte liegt (1 Prozent Lohnerhöhung bedeuten 0,75 Prozent Jobverlust)". Wie bei den Neoliberalen üblich, wird also vollkommen ausgeblendet, dass höhere Löhne auch eine höhere (Konsum-)Nachfrage bedeuten und dass daraus zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Mit wissenschaftlicher Redlichkeit hat solche Einseitigkeit  nichts zu tun. Gerade in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders und noch darüber hinaus blieb die Arbeitslosenquote bei kräftig steigenden Löhnen auf äußerst niedrigem Niveau. Dagegen stagnierte die deutsche Arbeitslosenquote auf westeuropäischen Spitzenniveau in den letzten 15 Jahren bei fallenden Reallöhnen. Auch ist die Arbeitslosenquote zum Beispiel in Dänemark und in anderen  Nachbarnländern  mit deutlich höheren Löhnen (und Spitzensteuersätzen und/oder Steuerquoten) seit vielen Jahren nur etwa halb so hoch wie in Deutschland (sh. rossaepfel-theorie.de).

Es mag durchaus sein, dass mit Mindestlöhnen zunächst einmal Arbeitsplätze verloren gehen. So geschieht es ja offenbar auch bei Springers PIN-Gruppe, weil sie nun - nach der Bundestagsmehrheit für den Post-Mindestlohn - nicht mehr mit ihrer Lohndrückerei kaum noch die regulären Post-Arbeitsplätze vernichten und durch eigene Lohnsklaverei mit Hungerlöhnen (sh. oben) ersetzen kann (sh. auch "Bundestag beschließt Post-Mindestlohn", netzeitung.de, 14.12.2007). Aber die anschließende Schaffung von neuen, anständigen Jobs durch die erhöhte Nachfrage wird von den bestbezahlten Hohenpriestern des Neoliberalismus penetrant ignoriert und nicht einmal erwähnt, obwohl das ganze verkappte Propaganda-Werk doch umfassend betitelt ist: "Zu den Beschäftigungseffekten einer Einführung von Mindestlöhnen".


Nachdem die SPD auf Druck von links den Post-Mindestlohn gegen die "Christliche" Union durchgefochten hat, sieht sie die Rettung vor ihrem fortschreitenden Niedergang jetzt in Debatten über weitere existenzsichernde Mindestlöhne, denn deren Blockade verschärft sich in der CDU/CSU immer mehr. Als nächste Branche wurde von der SPD die Zeitarbeit genannt. Aber gerade hier kann das Lohn-Dumping nicht durch Mindestlöhne verhindert werden, sondern nur durch gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es ist schon bemerkenswert, dass auch hier wieder DIE LINKE an die sozialdemokratische Grundwerte erinnern muss (sh. die folgende Presseerklärung unter presseportal.de, 18.12.2007):
 

Berlin (ots) - "Ein Mindestlohn für Zeit- und Leiharbeit ist der falsche Weg, um Lohndumping zu bekämpfen", erklärt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Oskar Lafontaine, zu entsprechenden Vorstößen des SPD-Vorsitzenden:

Wer gleichen Lohn für gleiche Arbeit will, muss seine politische Kraft darauf konzentrieren, Lohndumping in den Unternehmen durch ausufernde Zeitarbeit zu verhindern. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass immer mehr Unternehmen nach den regulären Tarifen Beschäftigte entlassen, um sie dann als Leiharbeiter zum halben Lohn dieselbe Arbeit verrichten zu lassen. Das ist eine direkte Profitmaximierung auf den Knochen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ein Mindestlohn für Zeitarbeit ändert nichts an diesem Skandal. Der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch und gerade für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter uneingeschränkt gelten. Wer wie der SPD-Vorsitzenden Beck einen Mindestlohn für Leiharbeit  fordert, zementiert den Zustand moderner Sklaverei, den die Leiharbeit darstellt."
 

Die Neoliberalen versuchen aber in ihren Talkshows, solche Forderungen als typisch weltfremde linke Spinnereien abzutun. Dies begründen sie, teilweise etwas herablassend, mit der rhetorischen Frage, wer denn, bitteschön, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bezahlen soll, da doch die Leiharbeitsfirmen auch bezahlt werden müssten. Andererseits fordern sie die zusätzliche Flexibilität durch Leiharbeit. - Wenn es ihnen allerdings nicht um das Lohndumping, sondern nur um die Flexibilität ginge, dann müssten sie doch bereit sein, für diesen zusätzlichen Vorteil auch den angemessenen Preis zu zahlen. Der Preis kann aber nur darin bestehen, dass die Mehrkosten für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit bezahlt werden, sei es durch höhere Stundensätze für die Leiharbeitsunternehmen oder durch ausreichende Vermittlungsgebühren.

 

Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze über die Leiharbeit ist ein – meist arglistig - vorgeschobenes oder ein nachgeplappertes  Argument, denn eine Flexibilisierung des betrieblichen Arbeitskräftepotentials durch Leiharbeit ist auch bei "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" möglich. Nur so wird verhindert, dass die Leiharbeit lediglich zum Vorantreiben der Dumping-Spirale führt.
 

Man könnte meinen, dass es der SPD mehr um das Reizthema "Mindestlohn" geht, als um eine wirkliche Hilfe für die Dumping-Opfer, denn der Ersatz von regulär Beschäftigten durch ausgebeutete Leiharbeiter liegt auf der Hand und wird selbst von Konzernen mit Rekordgewinnen vorangetrieben:
 

Selbst Konzerne mit Rekordgewinnen wie BMW und deren Zulieferer setzen auf Leiharbeit und das sogar im ganz normalen Regelbetrieb. Laut Gewerkschaft arbeitet bei BMW in Leipzig in der Produktion jeder zweite als Leiharbeiter und verdient aufs Jahr gerechnet durchschnittlich nur halb soviel wie ein Stamm-Mitarbeiter

 

(Aus "Arm trotz Arbeit – Leiharbeiter", exact vom 10.4.2007, mdr.de.)


Auch Peter Bofinger (sh. oben) hat inzwischen seine Skepsis gegenüber einem Mindestlohn von mehr als 4,50 Euro relativiert. Dazu heißt es beim zdf am 27.12.2007 unter der Überschrift: "Wirtschaftsweiser: Lohnzurückhaltung bremst Wachstum"
 

Allerdings plädiere er für eine geringere Höhe als die von den Gewerkschaften geforderten 7,50 Euro pro Stunde. Auch diese Zahl werde zwar im Saldo wohl keine Stellen kosten. Vor allem wegen der schwer einzuschätzenden Lage in Ostdeutschland sei dies jedoch nicht sicher. Als Vorbild für die Gestaltung eines Mindestlohns nannte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Großbritannien. Dort werde dessen Höhe jährlich von einer unabhängigen Kommission festgelegt.
 

Bemerkenswert ist, dass auch einmal ein "Wirtschaftsweiser" den "Saldo" öffentlich nicht ausblendet, also den selbstverständlichen Zuwachs an (Konsum-)Nachfrage und Arbeitsplätzen, der durch Mindestlöhne entsteht und der von den neoliberalen "Experten" penetrant unterschlagen wird.  Bofinger überwindet auch bei seinen Bemerkungen zur Exportwirtschaft mit starker Argumentation die übliche Irreführung durch die neoliberalen Volksbetrüger (ebd):
 

Deutschland wäre "eindeutig besser gefahren, wenn die Löhne in den vergangenen Jahren um rund einen Prozentpunkt pro Jahr stärker gestiegen wären", sagte der Würzburger Volkswirt Bofinger der "Frankfurter Rundschau". Das Argument, dass höhere Personalkosten im internationalen Wettbewerb eine Behinderung darstellten, treffe nicht zu. "Lägen die Löhne heute fünf Prozent höher, wäre das deutsche Exportprodukt gerade ein Prozent teurer." Die deutsche Industrie werde derzeit schließlich auch mit einer zehnprozentigen Aufwertung des Euro gut fertig.
 

Die normalen Arbeitnehmer der Exportindustrie sind zwar auch Opfer der Umverteilung nach oben. Man sollte aber noch hinzufügen, dass sie dennoch weit mehr als die Mindestlöhne verdienen, so dass die Einführung von existenzsichernden Mindestlöhnen sich so gut wir gar nicht auf die Exportpreise auswirkt.

Inzwischen fordern selbst viele Arbeitgebervertreter anderer Branchen Mindestlöhne (ebd):
 

Kurz vor Inkrafttreten des Post-Mindestlohns am 1. Januar haben Arbeitgeber-Vertreter eine Ausweitung auf weitere Branchen gefordert. "Die Zeitarbeit braucht jetzt rasch einen Branchenmindestlohn", sagte der Präsident des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA), Volker Enkerts, der "Frankfurter Rundschau". Auch der Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Wach- und Sicherheitsunternehmen, Harald Olschok, sprach sich gegenüber der Zeitung für Mindestlöhne aus: "Wir wollen mit Mindestlöhnen für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen."
 

Es geht ihnen wohl weniger darum, dass ordentliche Arbeit auch anständig bezahlt wird, aber sie haben Grund zu der Befürchtung, dass auch sie selbst zu Dumpingopfern werden, weil mit der bevorstehenden Öffnung des Dienstleistungsmarktes ihre Märkte durch östliche Zeitarbeitsfirmen überschwemmt werden.

Auch zwei von drei Arbeitgeberverbänden der Leiharbeitsbranche (BZA und IGZ) haben dies erkannt. Lediglich der Niedriglohn-Arbeitgeberverband AMP ist dagegen. Er hat in den "christlichen Gewerkschaften" einen Lohndumping-Partner gefunden und will daher – wie die "Christliche Union" - an der fortschreitenden Lohnsklaverei festhalten (sh. "Politiker warnen vor Mindestlohn in der Zeitarbeit", netzeitung.de, 12.2.2008). Für diese unheilige Allianz sind selbst die vorgeschlagenen Hungerlöhne von 7,31 Euro West und 6,36 Euro Ost noch zu hoch und die Mindestlohn-Pläne des neoliberalen SPD-Ministers Olaf Scholz viel zu links. Dagegen haben die hochbezahlten Lobbyisten alle Geschütze in Stellung gebracht.  Die Financial Times Deutschland schreibt "die Zahl der Widersacher wächst schnell" und titelt gar "Scholz’ gefährliches Spiel" (ftd.de, 13.2.2008), weil er sich "politische Feinde" mache, wie z.B. den Industrie-Lobbyisten und Vorsitzenden des "Mittelstandskreises" Michael Fuchs, den verhinderten BDI-Präsidenten Norbert Röttgen und den RWE-Nutznießer Laurenz Meyer, alle CDU. Von solchen Leuten war in der Tat nichts anderes zu erwarten.


Der Mindestlohn im Baugewerbe erscheint auf den ersten Blick als Bollwerk gegen Lohndrückerei. Es gibt jedoch zahlreiche Umgehungen und niedrigere Tariflöhne für baunahe Leistungen, insbesondere in Ostdeutschland, wo ansonsten die Tarifbindung sehr gering ist. Damit  erscheint gerade dort der Mindestlohn besonders wichtig. Es entsteht aber ein Druck durch Lohndumping auf die Arbeitgeber, die die Mindestlöhne bezahlen müssen, auch wenn die Mindestlöhne dort unter zehn Euro liegen. Der große Abstand dieser Niedriglöhne zu den übrigen Dumping-Löhnen führt dazu, dass die kleinen Bauunternehmer im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) eine Verlängerung der Mindestlohn-Regelung am liebsten ganz ablehnen würden, obwohl gerade sie nach der bevorstehenden Freigabe der Dumping-Konkurrenz aus Polen und Tschechien zusammenbrechen könnten. (Sh. "Neuer Konflikt um Mindestlohn am Bau", lr-online.de, Seite besucht am 22.6.2008). In einer Pressemitteilung der IG Bauen-Agrar-Umwelt vom 13.6.2008 heißt es:


Nach einer Untersuchung des HDB hat der Mindestlohn während der Baukrise der letzten Jahre den Abbau von rund  250 000 Arbeitsplätzen im Bauhauptgewerbe verhindert.


(Sh. pressrelations.de, 13.6.2008. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie HDB vertritt insbesondere auch größere Bauunternehmen und setzt sich für den Mindestlohn ein.)

Und unter http:/www.gebaeudereiniger-nordbayern.de/downloads/  (besucht 22.6.2008) findet sich folgende Erläuterung zum Entsendegesetz:

 

Dieses Gesetz hat sich in der Baubranche seit 1996 bereits bestens bewährt. Man geht davon aus, dass über 250.000 Arbeitsplätze damit gesichert worden sind. Denn danach müssen auch ausländische Arbeitnehmer nach geltendem Tarif bezahlt werden.

 

Nur mit einem allgemeingültigen und existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen lässt sich daher der Dumping-Druck auf die bisherigen Mindestlohn-Branchen mindern.

 

 

Der Mindestlohn allein kann das Problem der Dumping-Löhne allerdings nicht lösen, da er - wie bei der PIN von Axel Springer & Co. - leicht ausgetrickst werden kann. Auf starke Gewerkschaften kann nicht verzichtet werden. Dies dürfen natürlich keine Schein- und Betrugs-Gewerkschaften von Gnaden der Arbeitgeber sein. Vertrauenswürdiger wirkt eine erneute Initiative aus Nordrhein-Westfalen: Als Gegenwehr gegen die Lohndrückerei sollten demnach auch "moderate tarifvertragliche Differenzierungsklauseln" eingeführt werden, damit die Gewerkschaftsmitglieder durch ihren Mitgliedsbeitrag einen persönlichen Vorteil haben und nicht die kompletten Beiträge für Trittbrettfahrer mitbezahlen. Unabhängig von parteipolitischer Orientierung ist anzuerkennen, dass Karl-Josef Laumann, der Vorsitzenden des Arbeitnehmerflügels in der CDU Nordrhein-Westfalen, diesen Missstand offen zur Sprache bringt. Dazu heißt es bei rp-online.de vom 11.9.2008 unter der Überschrift "CDU: Vergünstigungen für Gewerkschafter":

 

"Die NRW-CDU hat an die Arbeitnehmer und -geber appelliert, sich den Gewerkschaften bzw. ihren Verbänden anzuschließen. Dadurch soll die Tarifautonomie gestärkt werden. Zudem spricht sich die Landespartei für "moderate tarifvertragliche Differenzierungsklauseln" aus. 

 

Gemeint sind Vergünstigungen, von denen nur die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer profitieren. CDU-Fraktionschef Helmut Stahl spricht von einer "kleinen Revolution". Der Arbeitsrechtler Ulrich Preis betonte, dabei dürfe es aber nicht um Lohnanhebungen gehen, denn dann würden die Arbeitnehmer unzulässigerweise gezwungen, einer Gewerkschaft beizutreten. Als Größenordnung nannte er Vergünstigungen im Wert von bis zu 600 Euro im Jahr. Nach Angaben des CDU-Sozialexperten Peter Preuß gibt es Vergünstigungen für Gewerkschaftsmitglieder bereits in Firmentarifverträgen – "es wird nur nicht gern darüber gesprochen". Stahl dagegen betonte: "Wir durchbrechen das Tabu." Die FDP zeigte sich verwundert. Das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" dürfe nicht in Frage gestellt werden, warnte Gerhard Papke. Dies habe bisher auch die CDU so gesehen – "ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt". Erst 2007 habe NRW-Arbeitsminister Laumann (CDU) Differenzierungsklauseln als unzulässig bezeichnet. Stahl dagegen will das Thesenpapier zur Tarifautonomie in die Bundespartei tragen: "Wir bleiben am Ball."

 

Wer seinen Augen oder Ohren nicht traut, kann dies auch noch einmal in eingängiger Form nachlesen in dem Artikel: "Tarifautonomie: Müssen Gewerkschafter mehr verdienen?

Ver.di und Co. laufen die Mitglieder weg. Die Politik will deshalb den Eintritt in eine Gewerkschaft bezuschussen – mit dem Geld der Arbeitgeber", focus.de, 11.9.2008, oder gleich das DLF-Interview mit Karl-Josef Laumann vom 11.9.2008 um 6:51h, dort zum Herunterladen.

 

 

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