Stand  24. Februar 2007
mit Nachtrag vom 4.12.2007,
zuletzt ergänzt am 12.10.2009


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Was sagen amerikanische Ökonomen zu Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher? Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?





Exkurs zu Hartz IV

(Siehe hier auch die Exkurse: Mindestlohn und EU-Lohndumping.)

 

 

Die Arbeitslosigkeit der Hartz-IV-Bedürftigen ist vor allem eine Folge der Konsumabwürgung durch die Umverteilung nach oben, denn die Konsumquote der Einkommensschwachen ist wesentlich höher als von jenen neoliberalen Politikern, Meinungsmachern und Einkommensmillionären, die ihre jährlichen fünf- und sechsstelligen Steuergeschenke  weitgehend dem Konsumkreislauf entziehen und womöglich in Steuer-"Oasen" verschieben. Dazu heißt es in der DGB-Studie "Arbeitsmarkt aktuell" vom Mai 2009:

 

Die Arbeitslosigkeit der Hartz IV-Bedürftigen resultiert hauptsächlich aus dem Mangel an Arbeitsangeboten. Persönliche Probleme scheinen dagegen ein deutlich geringeres Beschäftigungsproblem zu sein. 68 Prozent der 1-Euro-Jobber haben eine abgeschlossene Ausbildung. Die Befragung unterstreicht damit und insbesondere mit der Aussage zur Art der Tätigkeiten ("entspricht regulärer Arbeit") die Aussage des IAB-Kurzberichts, dass die Hälfte der 1-Euro-Jobber fit ist für den ersten Arbeitsmarkt und 1-Euro-Jobs reguläre Beschäftigung "in nicht zu vernachlässigendem Umfang" ersetzen.

 

(Sh. "Praxis und neue Entwicklungen bei 1-Euro-Jobs", S. 10, dgb.de, Mai 2009.) Eine vereinfachte Darstellung der Studie ohne diesen entscheidenden Aspekt, aber dafür mit weiteren wichtigen Aspekten findet man z.B. in der Berliner Zeitung:  "Ein-Euro-Jobs bringen Arbeitslosen wenig", berlinonline.de, 29.6.2009, oder in der WELT: "Ein-Euro-Jobs führen selten zur Festanstellung", welt.de, 29.6.2009.)  Bezeichnend ist die Stellungnahme des DIW (sh. berlinonline.de, a.a.O.) mit dem Argument pro Hartz-IV: "Es ist das einzige Instrument, die Arbeitsbereitschaft von Langzeitarbeitslosen zu testen", das nur für Extremfälle gilt (sh. die DGB-Studie). Gleichzeitig fordert aber der DIW-Direktor Klaus F. Zimmermann eine Mehrwertsteuer-Erhöhung auf 25 Prozent (zur Finanzierung der Umverteilung nach oben, sh. hier "Zimmermann"). Das bedeutet aber eine weitere Konsumabwürgung, durch die noch mehr ehrliche Arbeitnehmer zu Hartz-IV-Opfern werden.



Hartz IV ist ein Herzstück der flott verkündeten Agenda 2010. Autor des Konzepts ist VW-Personalchef Peter Hartz (sh. Hans-Joachim Selenz: "Schwarzbuch VW - Wie Manager, Politiker und Gewerkschafter den Konzern ausplündern" und derselbe: "Volkswagen - ein 'mafiöses System'"). Peter Hartz handelte im Auftrag seines Genossen Gerhard Schröder von der ehemals sozialdemokratischen SPD, der durch seine Steuersenkung für Bestverdiener auf Kosten der Ärmsten zum Liebling der Bosse und Meinungsmacher geworden war.

Man hält Oskar Lafontaine jetzt im Laufe der Irreführungskampagnen vor, dass er sich als Finanzminister im Oktober 1998 zur Arbeitslosenversicherung wie folgt geäußert habe:

 

Und ich lade die Partei und die Gewerkschaften ein, darüber nachzudenken, ob wir nicht auch bei der Arbeitslosenversicherung Korrekturbedarf haben, ob nicht hier auch eher der Fall gegeben ist, nach dem Sozialstaatsprinzip vorzugehen, statt nach dem Prinzip der Versicherungsleistung. Wir wollen, dass der Sozialstaat seine Leistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert.

 

sh. z.B. das sozialdemokratische forum.vorwärts.de.

Diese Position läge jedoch durchaus auf der Linie des skandinavischen Erfolgsmodells mit "Fordern und Fördern" (sh. hier index.htm), für das Lafontaine auch heute noch entschieden eintritt und das sich in dem steuerfinanzierten Modell auch bestens realisieren lässt. Man bastelt also auch hier wieder aufs heftigste an der Verdrehung der Tatsachen, um von der asozialen Umverteilung nach oben abzulenken.

Zur flotten "Agenda ZwanzigZehn" gehört auch das Hartz-II-Konzept, mit dem zum 1. Januar 2003 unter anderem die "Ich-AG" und die Ein-Euro-Jobs (= "Arbeitsgelegenheiten" i.S.v. § 16 Abs. 3 i.V.m. §§ 2 und 3 SGB II) eingeführt wurden. Die Arbeitsmarktstatistik lässt sich auf diese Weise bestens frisieren, denn "wer, wie meist bei 1-Euro-Jobs, 15 oder mehr Stunden wöchentlich arbeitet, gilt nicht mehr als arbeitslos" (sh. Günther Stahlmann: "1-Euro-Jobs aus rechtlicher Sicht", S. 3, Fußnote 6.). Das gleiche gilt allgemein für Aufstocker, die ihr Existenzminimum nur mit staatlichen Zulagen erreichen. Ein weiterer Trick ist der beabsichtigte  Zwangsruhestand für die etwa 400.000 Arbeitslose über 58 Jahre, womit diese zugleich automatisch aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen würden und die erheblichen Rentenabschläge für Frühruheständler in Kauf nehmen müssten (sh. "Die Große Koalition will Arbeitslosenstatistik schönen", welt.de, 22.1.2008).

Zur Kosmetik dient auch der Ersatz der früheren Arbeitslosenhilfe durch Hartz IV, denn die wesentlich verschärften Bedürftigkeitsregelungen führen dazu, dass z.B. viele arbeitslose Ehefrauen nach einem Jahr keine Arbeitslosenunterstützung mehr bekommen, wenn mit dem Einkommen des Mannes  gerade noch die Sozialhilfegrenze plus eventuellen Mini-Zuschlägen überschritten wird. Besonders in ländlichen Regionen bei größeren Entfernungen und Niedrigstlöhnen sind kaum geeignete Jobs zu finden. Auch die Arbeitslosmeldung nach Ablauf des Arbeitslosengeldes I ist dann kaum noch erfolgversprechend. Somit waren schon im Jahre 2005 mehr als 2,4 Millionen Arbeitssuchende nicht als Arbeitslose registriert (sh. Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung: Kurzmitteilung vom 1.12.2005, verdi.de).  Diese Zahl ist lt. FAZ vom 19.10.2007 nahezu konstant geblieben.  Zur Definition der "Beschäftigungslosigkeit" sh. auch: "Unterschiede von ILO-Erwerbsstatistik und SGB-Arbeitsmarktstatistik im Überblick" (sh. Bundesagentur für Arbeit: "Der Arbeitsmarkt in Deutschland - Monatsbericht, September 2005", S. 18).

Dem ZDH-Präsidenten Otto Kentzler wurde mit den 1-Euro-Jobs zugleich Anlass gegeben zur berechtigten Kritik an unnötiger Marktverzerrung und ausufernder Bürokratie. Diese Kritik diente jedoch auch zur untergeschobenen Wahlpropaganda für das FDP-Programm der Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben; sh. "Ein-Euro-Jobs setzen dem Handwerk weiter zu - ZDH-Präsident Otto Kentzler im Gespräch mit dpa wörtlich am 11. August 2005".  Diese Wahlpropaganda richtet sich direkt gegen die Interessen der meisten ZDH-Mitglieder, denen bei ihren moderaten Einkommen mit teilweiser Steuerfinanzierung ihrer Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung besser gedient wäre als mit einer Senkung des Spitzensteuersatzes für ihre bestverdienenden Verbandslobbyisten (sh. rossaepfel-theorie.de).

Aber Kentzler hat zweifellos recht mit seiner Kritik am Drehtüreffekt zu Lasten der regulär Beschäftigten durch angeblich 200.000 Ein-Euro-Jobbern, deren Zahl die rotgrüne Regierung lt. Kentzler noch auf 600.000 steigern wollte (sh. ebd.). Die Bundesagentur für Arbeit spricht in ihrem Bericht für September 2005 zwar nur von aktuellen 148.000 "geförderten Stellenangeboten", fügt aber hinzu:  "Im September gingen insgesamt 226.000 Stellenmeldungen ein, darunter 42.000 Arbeitsgelegenheiten." (Bundesagentur für Arbeit: "Monatsbericht September 2005", S. 8; Hervorhebung vom Verfasser als Hinweis auf obige Definition).

Neben den ca. 200.000 Ein-Euro-Jobbern gab es im September 2005 noch 310.400 Existenzgründer, die mit staatlicher Förderung meist nur für maximal 3 Jahre über Wasser gehalten werden und so als Selbständige aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Dazu gehören 236.400 "Ich-AGs" und 74.100 Bezieher des sechsmonatigen "Überbrückungsgeldes" (sh. "Monatsbericht September 2005", a.a.O., S. 11). Besonders diese Gruppen können durch Marktverzerrung den nicht geförderten Handwerkern und ähnlichen Selbständigen mindestens ebenso zusetzen wie die von Kentzler kritisierten Ein-Euro-Jobber.

Den etwa 500.000 geförderten Existenzgründern und Ein-Euro-Jobbern steht eine Abnahme der "sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen" gegenüber, so dass die Sozialkassen noch stärker belastet werden. Auf diesen "Abbau regulärer Arbeitsplätze" hat der Chef der der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise einmal wieder am 30.6.05 hingewiesen (sh. "Ein-Euro-Jobs drücken Arbeitslosenzahl", stern.de, 30.6.05):

 

"Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entwickelt sich weiter ungünstig", warnte Weise. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs habe im April um 333.000 unter Vorjahreswert gelegen.

 

Tatsächlich dürfte diese Zahl im September 2005 sogar um etwa 400.000 unter dem Vorjahreswert gelegen haben (sh. "Monatsbericht September 2005", a.a.O., "Tabellenanhang, Eckwerte des Arbeitsmarktes", zweite Zeile rechts). Im Juli 2005 belief sie sich auf  26.007.600 bei ca. 38.966.000 "Erwerbstätigen" und ca. 4,77 Millionen Arbeitslosen (ebd., Zahlenzeile eins und drei). Das entspricht einer Arbeitslosenquote 11,5% bezogen auf die "zivilen Erwerbspersonen insgesamt" und von 12,8% bezogen auf die "abhängigen zivilen Erwerbspersonen".

Die staatliche Förderung von 500.000  Existenzgründer und Ein-Euro-Jobber bringt zwar einerseits eine Verminderung der Arbeitslosenquote um etwa ein Zehntel. Der Fortfall der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen um bis zu 400.000 hebt  dies jedoch weitgehend wieder auf und bringt zu den Kosten für die Arbeitsförderung auch noch erhebliche Ausfälle für die Sozialkassen. Die verantwortlichen Politiker haben jedoch für diesen Doppelten Aufwand aus der Staatskasse den statistischen Vorteil, dass sie sich bei der nächsten Wahl nicht eine drastische Erhöhung der Arbeitslosenquote vorwerfen lassen müssen.
Dass sie dieses Problem am ehesten durch Rückkehr zu  ihren Spitzensteuersätzen der Wirtschaftswunderjahre und durch (teilweise) Steuerfinanzierung der Sozialabgaben lösen könnten, wird von ihnen und den übrigen neoliberalen Meinungsmachern peinlichst verschwiegen (sh. rossaepfel-theorie.de).

Im Gegensatz zu Ein-Euro-Jobs und Ich-AGs dürfte sich die Marktverzerrung durch Kombilöhne in Grenzen halten, wenn man diese Zuschüsse nicht an die Arbeitgeber, sondern an die Arbeitnehmer auszahlt und geeignete Rahmenbedingungen schafft (sh. insbesondere die Studie von Bruno Kaltenborn und Lars Pilz: "Kombilöhne im internationalen Vergleich", IAB-Werkstattbericht, Ausgabe 10 / 1.8.2002, über iab.de; ferner: "Kombilohn" bei Wikipedia m.w.Nachw.).  Diese Art der Förderung wird in etlichen westlichen Marktwirtschaften erfolgreich praktiziert. Die Sozialleistungen für Erwerbsunfähige und Ruheständler nach deutschem Standard bleiben davon unberührt.

Aber das Fordern und aufwendige Fördern  geht ins Leere, solange die Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben fortgeführt wird und durch diese Politik ständig neue Konkursopfer zu Sozialfällen werden.

Ein eigenes nicht nur anekdotisches Beispiel zu Hartz IV mit einem unerwarteten Protagonisten soll hier noch eingefügt werden:


Wenn man keine Vorstellung von der Politikerversorgung hätte, wäre zu erwarten, dass ein abgestrafter EX-Minister dank christdemokratischer Härte bei der Weihnachtsentscheidung von 2003 und dank der rosagrünlichen Kahlschlags-Kumpanei[66] nach Ablauf seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I, Einführung von Hartz IV und einem finanziellen Striptease in aller Öffentlichkeit die Straße fegen muss (sh. Foto[68]) - zu 30% unter Tarif[67] damit ihm seine Mini-Sozialhilfe nicht um 30% gekürzt oder auf Sachleistungen umgestellt wird! Denn er wird ja für sich und seine Ehefrau mindestens die jeweils 90% und für seine minderjährigen Kinder die jeweils 60% bis 80% von den knapp 350 Euro monatlich plus Sozialwohnungs-Pauschale brauchen,[69] nachdem er vorher mehr als 10.000 Euro + Kostenpauschale usw. monatlich auf dem Konto hatte. Zumindest für die abgestürzten Normal- und Besserverdiener oder Konkursopfer bezeichnet man das - gerade beim gegenwärtigen Arbeitsmarkt - zu Recht als "Armut und Ausgrenzung per Gesetz".

Mit einer derartigen Abspeisung wären  die gesetzlichen Versicherungsleistungen aus den fünfzig- oder sechzigtausend Euro schon erschöpft, die er als Normalverdiener während der Jahrzehnte seines Arbeitslebens in diese Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätte (sh. Lafontaine-Rede v. 28.4.05 in Krefeld und sogar BILD v. 23.4.05), wenn er nicht als Minister das zehn- oder zwanzigfache an Pension ohnehin unbegrenzt umsonst bekäme. Der Rest sind Brosamen. Aber durch solche "motivierenden" Maßnahmen geben ihm die profitierenden Meinungs- und Gesetzesmacher immerhin die Lottochance, irgendwann wieder an ihrer sogenannten "Spaßgesellschaft" und Kahlschlagspolitik aktiv teilzunehmen.

Zwar kann sich unser zu Recht weggejagter Minister auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes berufen, aber dieses Prinzip verbietet nach Meinung der Neoliberalen nicht die Umverteilung nach oben, solange man nicht  bei US-amerikanischen oder gar Drittwelt-Verhältnissen angekommen ist.[71] Auch kann er sich nicht - wie der gern zitierte Klavierspieler - darauf berufen, dass er beim Straßefegen seine Fingerfertigkeit verliert[72] oder krank wird, denn er ist doch an der frischen Luft. Außerdem sagt seine SPD-Ministerkollegin Renate Schmidt (ebenfalls 10.000 Euro netto + Kostenpauschale bei monatlich  mehr als 1.000 € rosagrünlichem Steuerrabatt) zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich: "Armut hängt nicht vom Geld ab". "Sie fordert von den ’klugen Müttern’ Eintopf mit Saisongemüse statt Fast Food und plädiert für ’Haushaltskurse’ damit Eltern und auch Kinder ’mit ihrem Geld wirtschaften lernen’" (sh. Wolfgang Lieb in: NachDenkSeiten, 28.2.2005). Diese guten Ratschläge seiner Ex-Kollegin werden ihm vielleicht weiterhelfen, zumindest gegen den Wohlstandsbauch.

Vielleicht findet er ja auch in fortgeschrittenem Alter trotz der von ihm mitverursachten Arbeitslosigkeit doch noch einen Mini-Job in der Fremde, verlässt Haus und Hof, Frau und Kind, Freunde und Bekannte oder seine kranken Eltern, um in einem alten Bundesland mit etwas geringerer Arbeitslosigkeit neu anzufangen. Für einen neoliberalen Minister wäre das gewiss sehr erkenntnisfördernd. Aber die Arbeit zum Dumpinglohn 30% unter Branchenniveau oder gar zu 1,50 Euro pro Stunde als Zuschlag zur Sozialhilfe (für maximal zulässige sechs bis zwölf Monate)  wird  irgendwann – durch die ständige Rotation und Neubesetzung solcher Stellen - einen anderen Niedrig-Lohn-Jobber zum Arbeitslosen machen ("Drehtüreffekt") und die gewerblichen Dienstleister in Bedrängnis bringen, auch wenn offiziell ständig das Gegenteil beteuert wird. Vielleicht wird der geschasste Minister auch zu denjenigen gehören, die engagiertes Personal in der Wohlfahrtspflege verdrängen. Auf jeden Fall wird er die Löhne noch weiter nach unten treiben, so dass er am Ende mit der niedrigen Sozialhilfe nach Hartz IV doch noch besser fährt als ein "working poor" (sh. Fußnote 25
).

Irgendwann entdeckt ihn DIE WELT schlafend auf der Parkbank: Siehe ihr Foto[74] mit dem Text: "Die Armutsschwelle liegt in Deutschland bei 938 Euro im Monat".[75] Aber damit müsste er als Alleinstehender doch eigentlich noch sehr bescheiden nach den Rezepten von Renate Schmidt leben können, wenn er davon z.B. nur 350 bis 450 Euro Wohnungskosten zu bezahlen hätte? Tatsächlich beträgt das Sozialgeld für einen Alleinstehenden in Westdeutschland aber nur 347 Euro plus Kosten für eine Wohnung auf Sozialniveau.[76] Diesen einfachen "Eckregelsatz" kann man sich einprägen. Davon werden die geringeren Regelsätze für die übrigen Familienmitglieder mit Faktoren abgeleitet.

Statt dessen ließen die Volksverdummer vom ZDF während der TV-Sendung "Berlin Mitte" in einer Bildtafel 1.885 Euro Nettoeinkommen vorgaukeln für eine vierköpfige Familie von Hartz-IV-Empfängern  (sh. "12 Euro fürs Nichtstun", linkezeitung.de, 9.6.06). Darin sind jedoch 200 Euro für einen 1-Euro-Job hineingemogelt, der normalerweise nach sechs Monaten nicht verlängert werden darf, damit bei dem knappen Angebot solcher Jobs auch andere Hartz-IV-Empfänger einmal eine "Chance" bekommen  (sh. "Vom Ein-Euro-Job in die Rente", wdr.de, 7.9.05).  Außerdem ist die zulässige Hartz-IV-Maximalmiete für einen 4-Personen-Haushalt in Berlin von 619 Euro eingerechnet (sh. berliner-arbeitslosenzentrum.de, Seite besucht 10.6.06). Ohne den 1-Euro-Job bleiben also zum Leben 1.885 - 200 - 619 = 1.066 Euro oder 266,50 Euro pro Kopf im Monat, die unserem Minister insgesamt zustünden, also nicht etwa plus Kindergeld. Das wäre für seine Leistungen und für die neoliberalen Meinungsmacher vielleicht durchaus angemessen, nicht jedoch für einen qualifizierten Arbeitnehmer, dessen Unternehmen durch deren Umverteilung nach oben in die Pleite getrieben wurde.

Aus dem korrigierten Nettoeinkommen von 1.685 Euro lässt sich dann für einen Alleinverdiener ein vergleichbares monatliches Bruttoeinkommen von etwa 1.750 Euro berechnen, denn bei Steuerklasse III fallen in 2006 ohne Kirchensteuer 6 Euro Lohnsteuer an (sh. Abgabenrechner des Bundesfinanzministeriums). Abgezogen werden ferner etwa 21% hälftige Sozialabgaben entsprechend ca. 368 Euro. Hinzu kommen jedoch 308 Euro Kindergeld, die der Hartz-IV-Empfänger nicht zusätzlich hat. Das ergibt also ein vergleichbares verfügbares Einkommen von 1.750 - 6 - 368 + 308 = 1884 Euro so dass unser Minister angeblich durch "Nichtstun" einen Stundenlohn von z.B. 1.750/160 = ca. 11 Euro erreicht. Eine Mitarbeit der Ehefrau wird also ausgeschlossen. Keine Rede ist auch von der hohen Arbeitslosigkeit durch Umverteilung nach oben und davon, dass man nicht einmal genug 1-Euro-Jobs anbieten kann.
 

An dem Beispiel sieht man auch, dass die Steuersenkung für Kleinverdiener von ihnen  unfreiwillig erkauft wird durch unverhältnismäßig hohe Belastung ihrer Löhne und durch sonstige Belastungen mit den Kosten des Sozialstaates. Dagegen bleiben die bestverdienenden Meinungsmacher mit ihren Einkommensteilen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen davon völlig unbelastet. Auch die übrigen Einkommensarten wie Politikerbezüge, Kapitaleinkünfte der Einkommensmillionäre, Bestverdiener usw. bleiben von diesen Sozialabgaben sorgsam verschont. Da die Arbeitgeber im obigen Beispiel für den Kleinverdiener noch weitere 368 Euro Sozialabgaben monatlich bezahlen müssen, ist es kein Wunder, dass Arbeitsmarkt und Konsum immer weiter heruntergewirtschaftet werden zu Gunsten jener, die laut verkünden "Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft" und die ihre überschüssige Geldschwemme womöglich im Ausland oder in Steuervermeidungsmodellen bunkern (sh. hier das Hauptthema unter rossaepfel-theorie.de).

Unser Minister hat jedoch ausgetönt. Vielleicht findet mal für einen oder zwei Monate einen Job als Spargelstecher und gehört zu den wenigen deutschen Arbeitslosen, die auf die Moralappelle der Umverteilungs-Profiteure und Arbeitsplatzvernichter eingehen. Immerhin kann er damit z.B. in Brandenburg 3,78 Euro pro Stunde verdienen und hat als Alleinstehender mit jeweils 8 bis 10 Stunden Arbeit am Tag bei einer Sieben-Tage Woche an der frischen Luft dann sogar etwa mehr Geld in der Tasche als mit Hartz-IV (sh. "Wer sticht den Spargel?", dradio.de, 26.5.06) Die neoliberalen Moralapostel würden ihm das selbstverständlich vormachen, wenn sie einmal an seiner Stelle wären, selbst dann, wenn sie  - wie der obige Familienvater - dadurch ihre Hartz-IV-Bezüge vorübergehend von 1685 auf 1885 Euro netto steigern könnten. Sie täten das allein schon aus Solidarität mit den bestverdienenden Arbeitsplatzvernichtern, damit die ihre fünf- oder sechsstelligen Steuergeschenke behalten können. Anschließenden Arzthonorare für die Behandlung von Rücken- und Gelenkproblemen durch die ungewohnte Arbeit gehen sowieso auf Staatskosten.

Die jährlichen pinkgrünlichen Steuergeschenke für Michael Fuchs (CDU) liegen zwar nur im fünfstelligen Bereich, aber nach den CDU-Plänen oder gar nach den Vorstellungen von Merkels "Visionär" Kirchhof sollte ja noch viel hinzukommen. Auch er entrüstete sich in der SWR-Sendung "Quergefragt" vom 7.6.06:

 

"Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel, das mich wirklich ärgert. Wir haben im Bundestag darüber diskutiert, dass wir bei den Saisonarbeitern Deutsche haben wollen, und dass es nicht nur Ausländer sein sollen. Sie wissen, dass wir 340.000 Saisonarbeiter aus dem Ausland haben."
 

Es ist aber keineswegs so, dass Fuchs nicht wüsste, was er da redet, denn es geht den Neoliberalen keineswegs um Information des Talkshow-Publikums, sondern nur um Propaganda und Irreführung.

Mit den 1.066 Euro  erhält dieser utopische Ex-Minister für sich mit seiner vierköpfigen Familie zum Leben weit weniger als das, was die neoliberalen Noch-Minister durch ihre eigennützige Umverteilung monatlich allein an Steuern sparen. Ob er nach komplizierten Definitionen als "arm" gilt[77] oder ob er trotz Ministerbezügen auf der Parkbank schläft ist dabei völlig gleichgültig und eignet sich vor allem für Ablenkungs-Debatten. Interessant ist vielmehr, dass durch die Umverteilung die Schere zwischen Arm und Reich laut Armuts- und Reichtumsbericht immer weiter auseinander geht, wie viele Kinder in die Sozialhilfe fallen und dass sich immer mehr Arbeitnehmer zugunsten der Bestverdiener und "idle rich" als "working poor"[78] über Wasser halten müssen. Jedenfalls sollte er sich an der Verfassungsklage der Contra e.V. mit ihrem engagierten Vorsitzenden Dieter Nolte beteiligen, um gegen die Aushöhlung des Sozialstaatsgebotes durch die neoliberalen Best-"Verdiener" anzugehen.

Diese werfen sich dagegen in die Brust - zusammen mit
Wolfgang Clement, indem sie ihr Umverteilungsopfer diffamieren und von ihm erwarten, dass er sich zunächst ihrer raubtierkapitalistische "Winner-Loser-Ideologie" nach US-Vorbild unterwirft. Zunächst soll der gescheiterte Ex-Minister also ihr "Bewerbungstraining" durchlaufen und  ihren "Erfolg" anbeten (sh. "Die Bekämpfung der Arbeitslosen - Barbara Ehrenreich beschreibt ihre amerikanische 'Irrfahrt durch die Bewerbungswüste'", zeit.de, 16.3.06).

Besonders engagiert für die Umverteilung nach oben durch Hartz IV zeigen sich Einkommensmillionäre und sonstige "Bestverdiener", so auch z.B. Porsche-Chef und Schröder-Freund Wendelin Wiedeking (sh. Fred Schmid: "Hundt, Rogowski und anderes Volk", isw-muenchen.de, 10/2004), der sich ansonsten sehr sozial gibt. Mit dem Snob-Effekt seiner überteuerten Luxus-Autos lässt sich viel Geld verdienen. Bei einem geschätzten Jahreseinkommen von mindestens 15 Millionen Euro (sh. "Gegen die Wand gefahren", taz.de, 25.5.05) hat er durch Schröders Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent eine jährliche Steuerersparnis von mehr als 160.000 Euro, die ja irgendwie aufgebracht werden müssen zu Lasten der einkommensschwachen Konsumenten.

Bei den 400-Euro-Jobs wurden schon die "schlimmsten Befürchtungen bestätigt" durch Wegfall von 227.000 regulären Einzelhandels-Arbeitsplätzen in einem Jahr und Entstehung von 176.000 Minijobs im gleichen Zeitraum.[79] Auch dieses Problem ließe sich nach den skandinavischen Erfolgsmodellen lösen (sh. das Beispiel Dänemark).
 

In Dänemark erhält der Arbeitslose nach vier Jahren Arbeitslosigkeit eine durchaus existenzsichernde Sozialhilfe. Das waren nach einer Übersicht aus 2004 immerhin 8.409 Dänenkronen monatlich  (sh. ECOTEC: Basisinformationsbericht (BIB) Dänemark 2004, Blatt 21) oder nach heutigem Kurs umgerechnet 1130 Euro für einen Alleinstehenden über 25 Jahre. Zum 1.1.2007 waren es 8.952 Kronen (sh. EU: Missoc, Gegenseitiges Informationssystem zur sozialen Sicherheit, …, Vergleichende Tabellen, Stand 1.1.2007, Blatt 126). Bei einem Preisniveau vom 1,28fachen des deutschen Niveaus liegt er auch damit deutlich über dem deutschen Hartz-IV-Niveau einschließlich Wohngeld. (Sh. "Internationaler Vergleich der Verbraucherpreise – Fachserie 17 Reihe 10 – Juli 2009", destatis.de.) Allerdings wird in Dänemark kaum jemand so lange arbeitslos sein, da die Arbeitslosenquote nur halb so hoch ist wie hier und nicht so viele ordentliche Arbeitsplätze durch Umverteilung nach oben vernichtet wurden.

 

Es ist in Dänemark auch nicht so wie in Deutschland, dass Langzeitarbeitslose oder lebenslange Dumpinglöhner unweigerlich unter das deutsche Sozialhilfeniveau fallen mit Grundsicherung und Wohngeld, das hier bei insgesamt etwa 800 Euro monatlich liegt. Vielmehr wird die Grundrente (Folkepension) dort nach Wohnsitzjahren berechnet. Damit verhindert man auch, dass deutsche Hartz-IV-Opfer im Rentenalter nach Dänemark umziehen. Diese Wohnsitzjahre werden berechnet ab dem 15. Lebensjahr. Wer danach mindestens 40 Jahre in Dänemark gelebt hat, erhält als Alleinstehender eine jährliche Volksrente (Folkepension) von 59.424 + 59.820 = 119.244 Dänenkronen (Stand 1.1.2007). Das sind ca. 16.000 Euro. Hinzu kommt noch eine jährliche Zusatzrente (arbejdsmarkedets tillaegspension, ATP) von 20.700 Dänenkronen (ca. 2800 €) für sozialversicherte Langzeitbeschäftigte. (Sh. EU: Missoc, Gegenseitiges Informationssystem zur sozialen Sicherheit, …, Vergleichende Tabellen, Stand 1.1.2007, Blatt 68.)


Die Demonstrationen gegen die schamlose Umverteilung nach oben mit dem letzten Anstoß durch Hartz IV konnten nicht unbegrenzt andauern, aber die Wahlen in Sachsen und Brandenburg haben schon gezeigt, was die nächsten Bundestagswahlen bringen können. Dies könnte sogar noch positiv ausgehen, wenn sich mit einem nationalen (und international koalierenden) Linksbündnis gegen den Neoliberalismus eine echte Alternative bietet und sich die Teile der Ex-Sozialen mit den neuen Sozialen zunächst einmal zusammentun, um gegen die Asozialen anzugehen.

Was man durch Zusammenstreichen der Bezüge von arbeitslosen Ex-Ministern (sh.o.) und - auf Druck der CDU - von schuldlos abgestürzten Bestverdienern oder Durchschnittsverdienern auf Sozialhilfeniveau einspart, wird stattdessen verwendet zur Schaffung gut bezahlter zusätzlicher Arbeitsplätze in den Behörden, um die Arbeitslosigkeit intensiver zu verwalten. Die ersten Prüfungsergebnisse des Bundesrechnungshofes werden zwar noch auf Reibungsverluste bei der Umstellung zurückgeführt,[91] aber es kommt anscheinend doch so, wie es bei der jetzigen Arbeitslosenquote mit diesem teuren Hartz-Aktionismus kommen musste:

 

Der Bundesrechnungshof hat der Bundesagentur für Arbeit ein vernichtendes Zeugnis für ihre Vermittlungstätigkeit ausgestellt. Nach einem internen Bericht an den Vorstand der Nürnberger Behörde waren von 605 überprüften Vermittlungsvorschlägen nur 4,6 Prozent erfolgreich. Nicht einmal jeder 20. Vorschlag habe zu einer Arbeitsaufnahme geführt, kritisieren die Rechnungsprüfer nach Informationen der Berliner Zeitung.[92]

 

Dabei sind zukünftige Schäden durch die 1-Euro-Löhne und z.B. Millionenverschwendung für überflüssiges neues Arbeitsamt-Design (lt. ARD-"Kontraste"-Bericht vom 27.5.05) noch gar nicht berücksichtigt. Auch die Kombi-Löhne wären sehr problematisch. Für beides braucht man jedenfalls nicht einen derartigen Personalaufwand nach dem Hartz-IV-Getöse der großen Umverteiler-Koalition. Außerdem muss eine regionale Zersplitterung der Umverteilungskritik unbedingt vermieden werden, auch wenn den Neoliberalen sehr daran gelegen ist. Die Umverteilung schafft nicht eine Trennung zwischen Ost und West, sondern zwischen Arm und Reich.

Zu Hartz IV hier noch ein Beispiel von Oskar Lafontaine aus seinem Interview vom 5.3.05 mit der Rhein-Zeitung, Koblenz, lt. keineluftmehr.de:

 

Ein Arbeitnehmer, der 53 Jahre alt ist und einen Durchschnittsverdienst hatte, hat 60.000 Euro in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt. Er bekommt noch ein Jahr Arbeitslosengeld und damit 10.000 Euro zurück. Dann verweist man ihn auf die Sozialhilfe. Das ist natürlich absolut unzumutbar. Keiner gesellschaftlichen Gruppe in Deutschland würde man das zumuten. Nur mit den Arbeitnehmern glaubt man, so etwas machen zu können. Da dies von allen Parteien zu verantworten ist, bilden sich jetzt natürlich neue Initiativen.

 

Dieses Beispiel hat Oskar Lafontaine schon öfter verwendet. Man findet es auch in seinem Buch "Politik für alle", Berlin 2005, S. 31.

Viele Bestverdiener, aber noch viel mehr Irregeführte halten Lafontaine jetzt im Laufe der Irreführungskampagnen vor, dass er sich als Finanzminister im Oktober 1998 anders zur Arbeitslosenversicherung geäußert habe. Aber die Betonung  liegt in dem Beispiel auf der jahrzehntelangen Beitragsdauer und der hohen Einzahlung.

Soweit die Sozialsysteme nicht über Beiträge, sondern über entsprechend höhere Steuern, insbesondere für Bestverdiener, finanziert werden, erhalten auch die Klein- und Normalverdiener mehr Mittel zur Eigenvorsorge. Die volle Differenz zwischen den obigen 60.000 und 10.000 Euro kann ihnen nicht zugute kommen, weil es auch bisher  - wie bei jedem Versicherungssystem - etliche Arbeitnehmer gab, die mehr  herausbekamen als sie  eingezahlt hatten. Aber bei einer Steuerfinanzierung lassen sich für eine Bedarfsprüfung im Vorruhestand jedenfalls andere Maßstäbe anlegen, obwohl Lafontaine dies auch früher nicht einmal gefordert hat. Im übrigen ist mit Lafontaine auf das steuerfinanzierte und durchaus soziale dänische Modell des Forderns und Förderns zu verweisen.

Es gibt allerdings auch Hartz-IV-Missbrauch, der zur Diffamierung der Hartz-IV-Opfer durch die neoliberalen Meinungsmacher herhalten kann. So schreibt DIE WELT in ihrem unverfänglich betitelten Artikel "Beck: Gesundheitsreform muss 15 Jahre tragen", welt.de, 8.6.06, über eine Kritik durch Kurt Beck:
 

In der Debatte um Korrekturen an den Hartz-IV-Regelungen fordert SPD-Chef Beck mehr Anstand von Sozialleistungsempfängern. "Man muß nicht alles rausholen, was geht", sagte Beck der WELT. Er habe sich nicht vorstellen können, daß Schüler in die Einliegerwohnung der eigenen Eltern einzögen, sich als Bedarfsgemeinschaft anmeldeten und nach dem Abitur Leistungen einstrichen. "Damit muß Schluß gemacht werden", sagte Beck. Es gebe Dinge, die mache man nicht. Verantwortlich machte Beck vor allem "falsche Beispiele" in der Politik, aber auch in "der Beletage der Wirtschaft". "Manager, deren Unternehmen bei besten Gewinnen keine Steuern mehr zahlen, sind als Männer des Jahres gepriesen worden", beklagte Beck.
 

Kommentierungen wie "mehr Anstand von Sozialleistungsempfängern" stammen allerdings meist von jenen, die in ihrer Berichterstattung und in ihren Umverteilungskampagnen gerade diesen Anstand vermissen lassen und die ihre Ehrentitel gerade an jene staatlich ermutigten  Steuerparasiten weit oberhalb von allen Hartz-IV-Dimensionen verleihen.

Die Formulierung von Beck klingt anders, obwohl auch er mitverantwortlich ist für die schamlose Umverteilung nach oben. Jedenfalls verfällt er nicht in den unsäglichen "Abzocke"-Jargon, den sein INSM-Genossen Wolfgang Clement trickreich gegen die Falschen gerichtet hat.

Aber immerhin thematisiert Beck auch diesen fehlenden "Anstand" bei gewissen Managern, die die weit geöffneten Schlupflöcher nutzen. Viel wichtiger wäre es gewesen, den "Anstand" der neoliberalen Meinungsmacher zu thematisieren, die für den Erhalt solcher Schlupflöcher und  zig-Milliarden-"Abzockung" Stimmung machen oder die Stimmungsmache der Lobbyisten willfährig verbreiten. Außerdem müsste Beck sich zunächst einmal dafür einsetzen, dass die pinkgrünlichen Steuergeschenke von vielen Milliarden jährlich für diese Meinungsmacher und für die "Beletage der Wirtschaft" beendet werden, denn allein mit Moral-Appellen ist bei der Ausnutzung legalisierten Missbrauchs wenig auszurichten, weder bei den kleinen noch bei den großen Nutznießern.

Das ursprüngliche Gezeter über ausufernde Leistungen für das Arbeitslosengeld (Hartz IV) war eher eine Show-Veranstaltung der Neoliberalen. Dazu schrieb die SÜDDEUTSCHE vom 27.10.05 in dem Artikel: "Hartz IV - Die gefühlte Kostenexplosion":
 

Alle klagen über explodierende Kosten bei Hartz IV. Nicht weniger als 26 Milliarden Euro soll die Arbeitsmarktreform in diesem Jahr kosten, fast doppelt soviel wie geplant. Jedoch: Vor der Reform, im Jahr 2004, gab der Staat für Arbeitslosen- und Sozialhilfe – heute zusammengefasst im Arbeitslosengeld II – 27,6 Milliarden Euro aus. Also nicht weniger, sondern sogar ein wenig mehr als heute.

Ein erstaunlicher Befund angesichts der aufgeregten Diskussion. "Wenn von Ausgabensteigerungen die Rede ist, bezieht sich das nur auf die erhofften Einsparungen", sagt Richard Hauser, Wirtschaftsprofessor von der Universität Frankfurt.
 

Allerdings sind durch die Missbrauchs-Legalisierung Haushaltslücken in 2006 entstanden, wie sie bei der Schaffung von Steuerschlupflöchern usw. in noch weit größerem Umfang produziert werden. Bei den Ärmsten will die CDU/CSU jedoch kürzen, um die Umverteilung nach oben abzusichern. Sh. dazu: "Politik nach Bedarf - Die Union will den Regelsatz für Arbeitslosengeld-II-Empfänger kürzen, weil die Ausgaben für Hartz IV zu hoch sind. Wodurch ist die Arbeitsmarktreform teurer geworden als erwartet?", tagesspiegel.de, 19.5.06.

Zur Ablenkung von ihrer Umverteilung nach oben stellen die schwarzen und gelben Meinungsmacher allerlei zweistellige Milliardenbeträge für die angebliche Hartz-IV-"Kostenexplosion" in den Raum. Arglistig wird unterschlagen, dass der größte Teil der Mehraufwendungen für Hartz-IV durch Minderaufwendungen für die Sozialhilfe und das Wohngeld bedingt ist. Auch hier musste Kurt Beck die Dimensionen zurechtrücken:
 

SPD-Chef Kurt Beck betonte am Montag in Berlin, die Mehrkosten für die Hartz-IV-Reform lägen in diesem Jahr bei »deutlich unter zwei Milliarden Euro«.
 

(Sh. "Lafontaine: Ausgaben für Erwerbslose sinken", jungewelt.de, 30.5.06). Vor Einführung von Hartz IV hat der Staat im Jahre 2004  38,6  Milliarden Euro für die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger aufgewendet. Im Jahr 2005 lagen die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld II und das Wohngeld bei insgesamt 37,3 Milliarden Euro (sh. "Annahmen zu Hartz IV waren 'zu positiv'", netzeitung.de, 31.5.06). Gemessen an dieser Größenordnung ist der Mehraufwand von knapp zwei Milliarden nicht überraschend. Aber selbst dieser Mehraufwand ist noch zum großen Teil durch handwerkliche Fehler bei der Gesetzesabfassung entstanden. Unabhängig davon ist aber das Gesetz insgesamt der Hauptfehler angesichts der groß angelegten Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben.

Das Übermaß der Langzeitarbeitslosigkeit geht auf das Konto der Umverteilung nach oben durch die pinkgrünlichen Neoliberalen unter Druck der Schwarzen und der übrigen neoliberalen Meinungsmacher. Durch die Schröpfung der Hartz-IV-Empfänger zur Finanzierung der Umverteilungs-Konsequenzen wird die Abwürgung der Konjunktur noch verschärft.

Beraten ließen sich der Kanzler der Bosse und sein Tross bei Hartz-IV nicht nur durch ihre selbst ausgewählten Wirtschaftsweisen (sh. rossaepfel-theorie.de) und durch Peter Hartz, sondern auch durch die "Freistellungs-"  und Armstellungsspezialisten von McKinsey und Roland Berger, die für solche konjunkturschädlichen Ratschläge ihrerseits Millionenhonorare kassieren. Als "Papst" dieser Zunft konnte sich durch seine häufigen Medien-Auftritte mit entsprechendem Personalisierungsgrad Roland Berger hervortun. Durch seine Präsentation als großen Sachverständigen in den Talkshows von Christiansen & Co. wird dieser kostenlose PR-Effekt noch verstärkt (sh. "Abzocke und Bluff – Was droht uns mit einer Beraterrepublik?", titel thesen temperamente, 11.6.06).

Die angehende Unternehmensberaterin Julia Friedrichs, 26, sollte z.B. von McKinsey "eingekauft" werden mit einem Jahres-Anfangsgehalt von 67.000 Euro plus Dienstwagen usw. Gegen irgendwelche Skrupel verkündete man ihr die simple Glaubens-"Passion" der "Berater"- "Elite" (sh. ebenda):
 

"McKinsey hat ganz klar das Prinzip, das hat mir ein Berater gleich am ersten Abend erklärt: Es gibt Gewinner und Verlierer in der Welt. Sei froh, dass Du zu den Gewinnern zählst, und habe nicht zu viel Mitleid mit den Verlierern."
 

Sie hat es jedoch vorgezogen, den Posten abzulehnen und über ihre Erfahrungen als Journalistin zu berichten. Angeregt wurde sie dazu von Thomas Leif, dem Vorsitzenden des Netzwerks Recherche. Leif hat sich mit dem Thema bereits in seinem Buch "Beraten und verkauft" befasst. In der Sendung wurde auch Neil Glass vorgestellt, der zu dem Thema das Buch "Die große Abzocke" geschrieben hat. Dazu heißt es ebd.:
 

Neil Glass: "Es gibt es ein moralisches Problem: Hier treffen nicht Raubtiere auf Raubtiere, sondern Raubtiere auf Schafe!"
 

Neil Glass trifft einen Kernpunkt. Überhaupt versetzt man sich mit einer solchen sozialdarwinistischen Winner-Loser-Ideologie auf die Stufe des Tieres zurück. Es erinnert an den Faschismus. Wer so denkt, kann zumindest die Tierschutzgesetze für sich in Anspruch nehmen.



 

Nachtrag vom 4.12.2007:


Zum 1. Juli 2007 hat die neoliberale Koalition eine Anpassung der Hartz-IV-Leistungen an die allgemeine Teuerungsrate vorgetäuscht durch Erhöhung des Regelsatzes von 345 auf 347 Euro monatlich (sh. paritaet.org). Inzwischen hat der Paritätische Wohlfahrtsverband hierzu eine Studie vorgelegt. Dazu meldete die Nachrichtenagentur AFP am 29.9.2007:
 

Seit der Berechnung des Regelsatzes von 347 Euro hätten die Bezieher rund 16 Euro an Kaufkraft eingebüßt, heißt es nach Angaben der "Welt am Sonntag" in einer Studie des Verbandes. Hartz-IV-Empfänger könnten also inzwischen 4,6 Prozent weniger Waren und Dienstleistungen kaufen als im Januar 2004, als der Satz offiziell berechnet wurde.
 

Die 347 Euro mögen gerechtfertigt sein für den monatlichen Lebensunterhalt der neoliberalen Volksbetrüger, nicht jedoch für jene, die durch deren Umverteilung nach oben ihren Arbeitsplatz verloren haben (sh. rossaepfel-theorie.de), womöglich nach jahrzehntelangem Arbeitsleben. Mit den 347 Euro haben die Empfänger der schwarz-rosa-grünlichen Steuergeschenke offenbar die äußerste Grenze dessen ausgetestet, was von den ebenfalls profitierenden Richtern gerade noch mitgetragen wird. Wenn aber dieses Minimum noch weiter real geschrumpft wird, sollten die Umverteilungs-Opfer erneut die Gerichte anrufen und auf die Straße gehen.
 

---------

 

Von der großen neoliberalen Koalition ist zu den Hartz-IV-Gesetzen auch in Zukunft nichts Wesentliches zu erwarten. Die laufenden üppigen Steuergeschenke für Best-"Verdiener" werden auch weiterhin von den Hartz-IV-Opfern mitfinanziert durch den Zwang zur weitgehenden Aufzehrung ihrer Ersparnisse, die sie im Laufe jahrzehntelanger Arbeit angesammelt haben. Vor Erreichen dieser Schwelle zum Offenbarungseid erhalten sie nicht den Regelsatz von 347 Euro plus Beihilfe zur Sozialmiete, auch nicht nach langem Arbeitsleben und plötzlicher Arbeitslosigkeit infolge der Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben (sh. rossaepfel-theorie.de).

Auch daran wird sich unter eine Koalition mit den "christlichen" Parteien nichts ändern. Ganz in diesem Sinne behauptete der bestbezahlte und peinlich "smarte" Claus Kleber, seit Anfang 2003 Leiter und Moderator des Heute-Journals beim CDU-nahen ZDF, in einem Interview vom 2.10.2007 (sh. dort Video von 21:45 Uhr) mit Kurt Beck (SPD):
 

Andererseits ist genau die Agenda 2010 das beste Programm für über 50jährige, das wir je hatten !
 

Dies dürfte auch in etwa die Auffassung sein von Klebers Chef und Intendanten Markus Schächter zur Agenda 2010 mit ihren Hartz-IV-Gesetzen. Über ihn schreibt die Wikipedia:
 

2002 lieferten sich mehrere Kandidaten ein von parteipolitischem Proporz geprägtes Rennen um den Intendantenposten, aus dem der ZDF-Fernsehrat den als CDU-nah geltenden Markus Schächter als Kompromisssieger passieren ließ.
 

Zum ZDF-Fernsehrat heißt es ebenda:
 

Der ZDF-Fernsehrat setzt sich aus 77 Mitgliedern, die die im Bundestag vertretenen politische Parteien (außer Linkspartei) und weitere gesellschaftliche Gruppen vertreten, zusammen...
 

Auch beim Aufhetzen der Jungen gegen die Alten profilierte sich das ZDF-Proporzprogramm mit seinem HEUTE-Moderator Claus Kleber und passend ausgewählten "Sachverständigen" in vorderster Front (sh. "Video: Altersarmut – überschätztes Phänomen?", zdf.de, 22.4.2008, und hier rossaepfel-exkurse.de). In dem Video fehlt leider das unmittelbar daran anschließende Interview von Kleber mit Henning Scherf zu dem Propaganda-Machwerk, worin dieser das Aufhetzen der unterschiedlichen Armutsgruppen von Jung und Alt gegeneinander als Ablenkungsmanöver der Umverteilungsprofiteure kritisiert (nach dem bewährten Motto "Teile und herrsche") und ein gemeinsames Vorgehen von Jung und Alt gegen die Plünderung der Ärmsten fordert. Scherf weist zu Recht darauf hin, dass der Sachverstand der überbezahlten Meinungsmacher offenbar nicht  reicht, um ca. 700.000 Sozialhilfe-Rentner als echtes Problem zu erkennen (sh. "Zahl der Rentner mit Grundsicherung um acht Prozent gestiegen", VdK.de, 15.20.2007). Die Sachverständigen und neoliberalen Meinungsmacher meinen dagegen wohl,  dass  erst eine viel größere Zahl als "Gefahr" für die Umverteilung nach oben in ihre eigenen Taschen  zu gelten hat. Kleber fragte denn auch dreist, wem der Schröpfungs-Kritiker Jürgen Rüttgers (CDU) das Geld für seine Rentenreform "wegnehmen" wolle, wohl wissend, dass er und Rüttgers zu den Hauptprofiteuren der jährlichen fünfstelligen Steuergeschenke für Bestverdiener gehören (sh. hier rossaepfel-theorie.de).

 

Mit derartiger neoliberaler Propaganda im ZDF für die Agenda 2010 und gegen die Mehrheit der TV-Gebührenzahler macht sich Claus Kleber auch beliebt bei seinen potenziellen Privat-Finanziers, die ihm pro Feierabend-Auftritt 20.000 Euro bezahlen. (Sh. dazu "Zapp plus: Nebenverdienste - Wie Fernsehmoderatoren ihre Prominenz vermarkten", www3.ndr.de, 17.6.2009.)

Der Hartz-IV-Aktionismus der CDU zur Verlängerung der Frist vor dem Absturz in Hartz-IV wurde ermöglicht durch die diversen Vorstöße des "Sozialschauspielers"
(lt. Hannelore Kraft (SPD), sh. Gesundheitsreform.htm) und NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). Er und Merkel wollen dies jedoch nicht durch Verzicht auf ihre laufenden Steuergeschenke finanzieren, sondern auf Kosten der jüngeren Arbeitslosen, die vielleicht gerade eine Familie gegründet haben. Rüttgers: "Die Jüngeren werden weniger Arbeitslosengeld kriegen" und zustimmend zur Vorhaltung in einem FAZ-Inverview: "Nur wer 40 Jahre Beiträge zahlte, bekäme nach dem CDU-Modell zwei Jahre lang Arbeitslosengeld I" (sh. "CDU-PARTEITAG - Weniger Arbeitslosengeld für Jüngere?", manager-magazin.de, 27.11.2006, und FAZ-Interview vom 14.10.2007, faz.net). Dazu heißt es dort weiter: "Auch Kanzlerin Angela Merkel deutet vor ihrer Grundsatzrede an, dass langjährige Beitragszahler für längere Zeit Arbeitslosengeld beziehen sollten - zu Lasten der Jüngeren."

Die Vorreiterrolle der CDU und von Angela Merkel bei der Umverteilung nach oben wird noch einmal deutlich durch eine Pressemeldung der Leipziger Volkszeitung vom 16.10.07 (sh. presseportal.de, 16.10.07, 4:00 Uhr) unter der Überschrift "LVZ: Merkel sichert Beck eine Milliarde Euro Gestaltungsspielraum beim ALG I zu". In dieser offenbar falschen, aber durch die Reaktionen trotzdem erhellenden Meldung heißt es unter anderem:

 

Leipzig (ots) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat

unmittelbar vor dem heutigen (Dienstag) Spitzengespräch zwischen Kurt

Beck, Vizekanzler Franz Müntefering und Fraktionschef Peter Struck

den SPD-Vorsitzenden wissen lassen, bei der Neugestaltung des

Arbeitslosengeldes I könne es einen "Gestaltungsspielraum" von knapp

einer Milliarde Euro geben. Das berichtet die "Leipziger

Volkszeitung" (Dienstag-Ausgabe) unter Berufung auf die enge Umgebung

von Beck.

 

Einige Stunden später hat Merkel dies schon dementieren lassen (sh. "Streit ums Arbeitslosengeld: Merkel weist Berichte über Milliarden-Zusage zurück", zeit.de, 16.10.07. 11:20h.) und damit ihre frühere Hartz-IV-Rossäpfel-Vorreiterschaft bestätigt.

Am Tage zuvor hatte die Netzeitung gemeldet: "BA-Ausgaben brechen um fast ein Fünftel ein" (sh. netzeitung.de, 15.10.07), und der Tagesspiegel hatte gerade gemeldet: "schließlich rechnet die Bundesagentur (BA) nach neuesten Zahlen dieses Jahr mit einem Überschuss von 6,5 Milliarden Euro" (sh. "Teure Gerechtigkeit", 11.10.2007, tagesspiegel.de).

 

Die "Gerechtigkeit" darf also die Profiteuren der Umverteilung nach oben vor allem nichts kosten. Selbst bei voraussichtlichen  6,5 Milliarden Euro Überschuss der Arbeitslosenversicherung infolge der (schlecht genutzten) Weltkonjunktur pochen die Neokonservativen auf Kostenneutralität, um diese Milliarden an die Noch-Arbeitsplatzbesitzer und vor allem an Ihr Unternehmerlager auszuzahlen. Sie wollen einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitgeber nur zu Lasten der jüngeren Arbeitslosen finanzieren. Auf diese Weise soll abgesichert werden, dass die Arbeitslosigkeit durch Umverteilung nach oben allein zu Lasten der Arbeitslosen geht.

 

Die Forderung nach Verlängerung des Arbeitslosengeldes um einige Monate nach den Vorstellungen der SPD-"Linken" täuscht allerdings auch nur manipulativ hinweg über die Abschaffung der einkommensabhänigen Arbeitslosenhilfe. Außerdem wären die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern  zur Arbeitslosenversicherung überhaupt nicht erforderlich, wenn man die Sozialsysteme nach den skandinavischen Erfolgsmodellen weitgehend über Steuern finanzierte. Damit könnten die arbeitsplatzvernichtenden Spitzenbelastung (= Differenzbelastung der Einkommensspitzen = Grenzbelastung) von mehr als 60 Prozent auf die Löhne der Durchschnittsverdiener erheblich gesenkt werden, und die neoliberalen Großprofiteure würde wieder angemessene Spitzensteuersätze bezahlen (sh. hier rossaepfel-theorie.de).

  
 

Der eigentliche Auslöser ist aber der weitergeleitete Druck von der SPD auf die CDU durch die Erfolge des Linksbündnisses.

Dazu schreibt die Netzeitung am 2.10.2007 unter der Überschrift: "Arbeitslosengeld I: CDU entdeckt die «Gerechtigkeitslücke»":
 

Der SPD-Chef entdeckt seine links-soziale Ader, sehr zum Ärger des Schröder-Gefährten und Arbeitsminister Müntefering. Der DGB enttarnt indes das CDU-Modell zum ALG I als «Täuschungsmanöver».

In den Regierungsparteien mehren sich die Stimmen für eine verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Ältere. Die Forderungen unterscheiden sich in Details: SPD-Chef Kurt Beck will die Dauer der Zahlung vom Lebensalter abhängig machen. Beck erhielt dafür Beifall vom linken Flügel der Partei, handelte sich aber scharfen Widerspruch von Vertrauten des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) ein, unter dessen Ägide die Arbeitsmarktreform Hartz IV beschlossen worden war - darunter vor allem Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering. Die Union knüpft die Verlängerung dagegen an die Dauer der Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung…
 

An dem Absturz-Regelsatz von 347 Euro anstelle der früheren einkommensabhängigen Leistungen soll also ohnehin nichts geändert werden. Auch die persönlichen Ersparnisse müssen zunächst weitgehend aufgebraucht sein. Kurt Beck ist ebenfalls mit den 347 Euro monatlich zufrieden, solange es nicht ihn selbst betrifft. Jede weitere Abkehr von der Umverteilung nach oben ist für ihn ein Schritt "rückwärts":


In einem Interview mit der Rheinischen Post sagte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck in Bezug auf die Agenda 2010: "Von einem Dammbruch kann nicht die Rede sein. Ich will und werde nicht rückwärts gehen." Forderungen vom linken SPD-Flügel, bei der Hartz-IV-Reform auch die Regelsätze und Schonvermögen zu erhöhen, lehnte Beck ab.


(Zitiert aus "Vor SPD-Parteitag in Hamburg: Beck: Ich will und werde nicht rückwärts gehen", sueddeutsche.de, 25.10.2007.)  Insofern ist mit etlichen Kommentatoren tatsächlich zu fragen, ob Beck sich endlich auf die Werte der Sozialdemokratie besonnen hat oder doch nur auf dem unmittelbar bevorstehenden SPD-Parteitag gegen sein schwaches Image und bei den Wahlen Anfang 2007 gegen die niederschmetternden SPD-Umfragewerte punkten wollte. - Die Grünen profilieren sich mit ihrem arrivierten Establishment ohnehin weiter als zweite Partei der "Besserverdiener" (sh. "Grüne kritisieren Strategieschwenk von Beck", handelsblatt.com, 8.10.2007, und hier rossaepfel-theorie.de.)


Dagegen ist die SPD-Parteibasis ist von der Agenda 2010 unmittelbar bedroht und unterstützt den Beck-Vorschlag. Die bestbezahlten Regierungsmitglieder wie Franz Müntefering, Peer Steinbrück, Ulla Schmidt, Frank-Walter Steinmeier und auch Sigmar Gabriel sind jedoch erwartungsgemäß mehr auf CDU-Linie und wollen mit deren Irreführungs-Parole lieber in "neue Jobs investieren" statt in "Arbeitslosigkeit". Im 45köpfigen SPD-Vorstand stimmten nur die Staatssekretärin von Ulla Schmidt und Jens Bullerjahn, stellvertretender Ministerpräsident der großen Koalition von Sachsen-Anhalt, gegen die Abmilderung des Hartz-IV-Absturzes (sh. "SPD-Streit: Die ‚Stones’ mischen sich ein’", stern.de, 9.10.2007, "Arbeitslosengeld I – SPD-Chef Beck erklärt Streit für beendet", welt.de, 22.10.2007).

Die neoliberalen SPD-Vorreiter übernehmen die angeblich zwingende Investitionsalternative in "Arbeitslosigkeit" oder "neue Jobs" jedoch nicht nur, weil ihnen mit ihrer Ellenbogen-Freiheit kein Hartz IV droht, sondern auch, weil das CDU-Establishment aus dem gleichen Grund die "Kostenneutralität" fordert. Damit soll ihre weitere steuerliche Umverteilung nach oben in die eigenen Taschen abgesichert werden. Außerdem befürchten die Hauptprofiteure dieser Umverteilung in der SPD eine Annäherung ihrer Parteibasis an DIE LINKE, mit der sofort eine neue Regierung gebildet werden könnte, wenn die Grünen mitmachen. Diese Annäherung ergibt sich allein schon durch die Abmilderung von Hartz-IV. In einer solchen Regierung müsste das rotkarierte Establishment allerdings um seine Posten fürchten. Der erste Durchbruch der SPD-"Linken" gegen ihr Partei-Establishment und die Dumping-Folgen von Hartz-IV erfolgte schon mit der SPD-Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen in Bereichen, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad zu schwach ist. Auch hier müssen die überbezahlten Neoliberalen in der SPD sich zur Konfrontation mit der CDU bequemen.


Recht hat Müntefering mit seiner Feststellung, dass "die Schaffung von Arbeitsplätzen" (ebd.) Priorität habe. Aber solange er an den Steuersenkungen für Best-"Verdiener" und der Agenda 2010 festhält, betreibt er weiterhin Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben. Bevor diese Selbstbedienungs-Politik nicht beendet wird,  ist der ganze Aktionismus der neoliberalen Koalition in der Tat nur das angeprangerte "Täuschungsmanöver", aber nicht nur der CDU, sondern auch der SPD.


Auch das grüne Establishment konnte sich nicht länger mit den 347 Euro monatlich begnügen, denn die Basis forderte auf ihrem Parteitag vom 23. bis 25.11.07 eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf ein Existenzminimum von 420 Euro. Diese Erhöhung der Grundsicherung kostet lt. Grünen-Sprecherin Anja Hajduk jährlich etwa fünf Milliarden Euro, also nur einen sehr kleinen Bruchteil dessen, was unter der rötlich-grünen Regierung und ihrer Nachfolgerin nach oben umverteilt wurde.

Die grüne Basis begnügt sich jedoch nicht mit den fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Hartz-IV-Opfer. Vielmehr wollen sie insgesamt zusätzliche 60 Milliarden Euro für verschiedene Projekte finanzieren. Dazu sagte ihre Haushaltsexpertin Anja Hajduk der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom 26.11.07:
 

«Mehrausgaben von 60 Milliarden Euro sind nicht von heute auf morgen zu machen, sondern schrittweise.» Die Finanzexpertin betonte: «Wir wollen diese Ausgaben nicht ausspielen gegen eine solide Haushaltspolitik.» Hajduk erklärte, die von den Grünen vorgeschlagene Anhebung der «Hartz IV»-Regelsätze von 347 auf 420 Euro würden dem Bund etwa fünf Milliarden Euro im Jahr kosten. Diese Mittel ließen sich gegenfinanzieren durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent und eine aufkommensneutrale Unternehmenssteuerreform sowie den Abbau von Subventionen.
 

(Sh. pr-inside.com, 26.11.2007.) Inwieweit die Grünen ihre restlichen 55 Milliarden sinnvoll ausgeben wollen, muss hier nicht untersucht werden. Mit ihrer Unterstützung der Umverteilung nach oben in der Schröder-Regierung haben sie jedenfalls viel Vertrauen verspielt. Mit dieser Regierung haben sie den Spitzensteuersatz unnötigerweise von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Dennoch wird das grüne Establishment durch die Parteitagsbeschlüsse vom 23. bis 25.11.2007 jetzt in Richtung auf eine Koalition gegen die Neoliberalen gedrängt. Deren hochgejubelter Vorreiter und grün maskierter INSM-"Kurator" Oswald Metzger müsste nun endlich zur FDP oder CDU wechseln. Für die Grünen war er auf dem Parteitag jedenfalls nicht mehr zu halten, nachdem er in einem stern-Interview gegen die Anpassung der Grundsicherung polemisiert hatte durch die üblichen neoliberalen Verallgemeinerungen einiger Hartz-IV-Auswüchse (sh. "Grüne: Buhmann Metzger", zeit.de, 24.11.2007). Eine solche Beleidigung  ihrer eigenen "Agenda-2010"-Opfer können sich die Grünen offenbar nicht länger leisten.

Die Finanzierung der bescheidenen fünf Milliarden und von vielen weiteren Milliarden zur Absenkung der Sozialabgabenquote und damit zur Stärkung der abgedrosselten Konsumnachfrage wäre tatsächlich kein Problem: Allein mit der moderaten Steuerquote von Großbritannien hätte man in Deutschland schon jährliche Mehreinnahmen von 160 Milliarden Euro (sh. rossaepfel-theorie.de). Auch mit der gesamten Abgabenquote von Großbritannien, also einschließlich von Sozialabgaben, würden der deutschen Staatskasse statt dessen noch 130 Milliarden Euro mehr zufließen. Diese nach oben verschenkten Milliarden sind gerechnet per 2005/2006. Nach den weiteren Umverteilungen durch Neorot und Schwarz dürfte es noch mehr sein.


In vorderster Front unter den Meinungsmachern bei der Begriffsverwirrung zur Umverteilung in die eigenen Taschen steht auch die FDP mit ihrer Galionsfigur Guido Westerwelle. Ihre ständigen Forderung nach "Steuersenkungen" für derartige "Leistungsträger" begründet sie inzwischen sogar mit geheucheltem sozialen Gewissen gegenüber Einkommensschwachen. In einer Talkshow bei Anne Will hatte diese unter anderem Guido Westerwelle und eine alleinerziehende junge Mutter zweier Kinder eingeladen, die mit drei Jobs und 50 Arbeitsstunden pro Woche 1500 Euro netto im Monat verdient (sh. den tendenziösen Titel: "Hungern muss hier keiner – Ein Land redet sich arm", ndr.de, 25.5.2008). Damit liegt die junge Frau knapp 100 Euro über dem Hartz-IV-Satz einschließlich Wohnungskosten für eine solche Familie. Auf die Frage nach diesen 100 Euro sagte sie, dass sie zwar viel zu wenig Zeit für ihre kleinen Kinder habe, aber andererseits nicht "nackend" vor den Ämtern stehen wolle. Sie wolle auch nicht mit der verschleierten Diffamierung für Sozialhilfeempfänger herumlaufen, wie sie in der Sendung insbesondere von Westerwelle und der Journalistin Rita Knobel-Ulrich betrieben wurde durch einseitige Auswahl von unbestrittenen Negativbeispielen.

Westerwelle bekundete zunächst "Respekt" (vor so viel Diffamierungs-Erfolg). Dann missbrauchte er die Not sofort für seine stereotype Forderung nach "Steuersenkungen", und zwar zugunsten der Frau, da doch die Lücke zwischen ihrem Brutto- und Nettolohn viel zu groß sei. Man müsse vor allem die Kinderfreibeträge erhöhen. Der ebenfalls geladene Hubertus Heil (SPD) wandte daraufhin ein, dass die Frau von Kinderfreibeträgen ohnehin nicht profitiere. Diese nützen nämlich nur den "Besserverdienern", da sie nur bei hohen Steuersätzen mehr bringen als das Kindergeld. Am ehesten sei der Frau nicht mit "Steuersenkungen", sondern mit einer Steuerfinanzierung von Sozialabgaben geholfen. Dafür wollte sich Westerwelle aber nicht stark machen. Das brächte zwar viel für Arbeitnehmer, Arbeitgebern, Konsumnachfrage und Arbeitsplätze, aber kaum für ihn und die übrigen bestbezahlten neoliberalen Meinungsmachern. Statt dessen sprang Westerwelle "geschmeidig" ab auf die Mehrwertsteuer als rettendes Thema. Mit diesem Schlenker konnte er triumphierend ablenken und auf den Skandal verweisen, dass diese Steuer doch gerade von der großen Koalition um drei Prozentpunkte erhöht worden sei. Er sagte jedoch nicht, dass damit seine eigenen Steuergeschenke gerade von den Einkommensschwächsten finanziert werden.

 


 

12.10.2009 eingefügt:

Das FDP-"Bürgergeld" und die neoliberalen Meinungsmacher:

359 Euro monatlich plus Sozialmiete sind ihnen zu viel zum Leben

 

 

Zunächst wollten die bestbezahlten neoliberalen Meinungsmacher einfach nur den Regelsatz für den Lebensunterhalt um dreißig Prozent absenken, weil man dafür keine 359 Euro im Monat benötige (sh. hier rossaepfel-theorie.de - mit den früheren 345 oder 351 Euro). Um so erstaunlicher ist es, dass sie damit auch die Senkung ihres Spitzensteuersatzes von 42 Prozent finanzieren wollen, obwohl der für Verheiratete doch erst bei einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro einsetzt. Angeblich sollten die Opfer ihrer Arbeitsplatzvernichtung durch Konsumdrosselung damit auch besser motiviert werden, um sich nach den vernichteten Arbeitsplätzen umzusehen oder um als Bewerber für Dumpinglöhne die Lohndrückerei zu verschärfen.

 

Inzwischen kommt die Selbstbedienung auf Kosten der Ärmsten und der Gemeinschaftsaufgaben in einer neuen Verkleidung daher. Auf der FDP-Webseite findet man dafür den Titel: "Das liberale Bürgergeld – aktivierend, transparent und gerecht". Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu:

 

Mit der Sozialpolitik der FDP ist es wie mit dem Witz vom gebratenen Hähnchen. Zwei haben Hunger, der eine hat das Hähnchen, der andere nicht. Der Erste isst es dennoch alleine mit der Begründung, im Durchschnitt hätte ja jeder ein halbes Hähnchen bekommen. Statistisch gesehen seien also beide satt geworden.
 

Das Bürgergeld der FDP funktioniert ähnlich. Hartz IV abschaffen ist zwar eigentlich eine Kernforderung der Linken. Doch auch die FDP will einen Systemwechsel, wenn auch einen, der Sozialverbänden und Linken noch weniger schmeckt als Hartz IV.
 

Mit dem Bürgergeld sollen sämtliche Ausgaben für die Grundsicherung wie Hartz IV, Wohngeld und Sozialhilfe auf einen Haufen geworfen werden. Jeder Bedürftige bekommt davon einen gleich hohen Anteil - nach den Berechnungen der FDP 662 Euro pro Kopf und Monat. Das war's. Keine Sonderzuwendungen mehr, kein Mehrbedarf im Einzelfall.

 

(Sh. "Hartz IV, das Bürgergeld und die FDP – Sozialverbände laufen Sturm gegen FDP-Bürgergeld", sueddeutsche.de, 7.10.2009.)  Sogar die Financial Times Online erkennt im Bürgergeld eine "Mogelpackung" (sh. "FDP-Vorstoß - Augenwischerei Bürgergeld", ftd.de, 6.10.2009).

Dagegen findet die Mannschaft von Claus Kleber für ihr ZDF-heute durchaus Experten, die dieser neuen Tarnversion etwas abgewinnen können. Dort heißt es:

 

Will die FDP die Linkspartei links überholen? "Ganz bestimmt nicht", sagt Prof. Barbara Riedmüller vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, die an einer Expertenrunde der FDP zum Bürgergeld teilgenommen hat. "Das Modell stammt aus Amerika und passt durchaus ins liberale Denken." Denn das Bürgergeld sei ein einfaches Konzept für jeden, der unter dem Existenzminimum liege.

 

(Sh. "Bürgergeld – sozialer als Hartz IV?", zdf.de, 6.10.2009.) Man sieht also auch hier - wie bei der Aushöhlung der sozialen Krankenversicherung nach FDP-Konzept - die USA als Vorbild.

 

Auch die Söldner des großen privaten Medienkapitals freuen sich über diese neue Geldquelle. Der FOCUS betont in seiner Überschrift den löblichen Widerstand der FDP gegen das asoziale Hartz IV: "FDP dringt auf Ende von Hartz IV" und Springers WELT titelt am 7.9.2010 kurz nach der Bundestagswahl mit der Verheißung: "Hartz-IV-Debatte - Bürgergeld soll vor der Sozialhilfe retten". Über der Titelzeile bestätigen Guido Westerwelle und Angela Merkel auf Fotos mit strahlendem "Lächeln" die zuversichtliche Hoffnung der Springer-Erben und ihrer Schreiber auf die Umverteilung nach oben in ihre eigenen Taschen, damit sich "Leistung" wieder lohnt.

 

Diese Leute rechnen stets vor, dass ein Hartz-IV-Empfänger mit seinem monatlichen Regelsatz von 359 Euro plus Sozialmiete plus sonstige Sozialleistungen auf monatlich über 800 Euro netto kommt und dass es auch gelegentlich noch eine Notfallhilfe bei Sonderbedarf gibt. Mit dem Bürgergeld von 662 Euro soll nun all dies abgegolten sein. Dafür sollen etwaige Hinzuverdienste zum geringeren Teil gekürzt werden. Im Hinblick auf den totalen Striptease als Armutsbeweis gibt es keinen Unterschied zu Hartz-IV.

 

Obwohl die Springer-Schreiber all dies wissen, erwecken Sie doch den Eindruck, dass das Bürgergeld "vor der Sozialhilfe retten" kann. Weiter schreiben sie:

 

Die FDP will jedem Bedürftigen eine immer gleiche Grundsicherung – im Wahlprogramm ist von 662 Euro die Rede – auszahlen.

 

Die Rettung soll also darin liegen, dass man die angenommenen 800 Euro zunächst einmal um etwa 140 Euro kürzt, so dass von den 359 Euro zum Leben bestenfalls noch 220 Euro übrig bleiben.


 

 

 




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Was sagen amerikanische Ökonomen zu Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher? Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?
 


 

 
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