Datei zuletzt ergänzt am 10.3.2007.
Zurück zum Abschnitt 1:
Was sagen amerikanische Ökonomen zu
Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher?
Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?
EU-Lohn- und Sozialdumping
(Siehe hier auch die Exkurse:
Mindestlohn und
Hartz-IV.)
1) Einleitung
2)
Entsenderichtlinie
3) Dienstleistungsrichtlinie
4)
Erneute Angriffe auf Dumping-Kontrollen
1) Einleitung
Die Überschrift zu den beiden Untertiteln
"Entsenderichtlinie" und "Dienstleistungsrichtlinie" lautete zunächst "EU-Freizügigkeit". Sie
wurde geändert, weil die betreffenden Vorschriften des
EU-Rechts hier nur im Hinblick auf das
Lohndumping betrachtet werden sollen und können.
Exkurs zum Dumping-Begriff
Zum heftig umstrittenen Begriff des "Dumping" schreiben
Verfasser der einflussreichen Wikipedia mit Stand vom
26.2.06:
Dumping (von englisch to dump, abladen)
bezeichnet den Verkauf von Waren im Ausland unter
Herstellungskosten bzw. unter dem auf dem Heimatmarkt
des
Exporteurs geltenden Preis.
Mit solchen Definitions-Einschränkungen werden entscheidende
Aspekte oft bewusst ausgeblendet.
In dem Wikipedia-Artikel ist allerdings auch von
Steuer-, Staats- und Sozialdumping die Rede.
Zunächst geht es nicht
nur um der "Verkauf von Waren", sondern "von Gütern", zu
denen auch Dienstleistungen gehören.
Außerdem geht
es bei der gegenwärtigen politischen Diskussion vor allem auch um
Dumpingsteuern als Anreiz zur Verlagerung von
Unternehmensgewinnen und von Arbeitsplätzen, vor allem
dann, wenn der Dumper zugleich EU-Subventionen empfängt
oder gerade durch die Dumpingsteuersätze und sonstiges
Steuerdumping seine Steuereinnahmen
erhöht. Dies ist besonders bei kleineren Ländern der
Fall, in denen die Zusatzeinnahmen durch die
Gewinnverschiebung vom Ausland höher sind als die
Verluste bei den vorherigen inländischen
Steuereinnahmen. Solches EU-Steuerdumping -
finanziert aus den Steuerzahlungen der künftigen
Arbeitslosen in Westeuropa - wirkt bei der
gegenwärtigen neoliberalen Verteilungspolitik letztendlich nur als
ein Instrument der Umverteilung nach oben zugunsten der
Profiteure in Ost- und vor allem Westeuropa. Dies gilt
auch, wenn
der gesamte "Kuchen" damit vielleicht etwas größer wird (sh.
rossaepfel-theorie.de),
solange man die Kosten für die dadurch bedingte
zusätzliche Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt.
Selbst wenn man als "Dumping" nur das Angebot unter
Einstandspreisen oder Selbstkosten versteht, gehört das
subventionierte Steuerdumping noch dazu. Wenn jedoch bei
entstehenden Steueroasen "die Zusatzeinnahmen durch die
Gewinnverschiebung vom Ausland höher sind als die
Verluste bei den vorherigen inländischen
Steuereinnahmen" (sh. oben), dann wäre dieser
Parasitismus nicht ohne weiteres durch die
wettbewerbsrechtliche Dumping-Definition mit dem
Selbstkostenbegriff gedeckt.
Die Neoliberalen versuchen allenthalben, den Begriff des
Steuerdumpings in ihrem Sinne umzudefinieren. Danach
wäre von Steuerdumping erst zu sprechen, wenn ein Staat
die Ausländer niedriger besteuert als seine eigenen
Staatsangehörigen. Dies ist jedoch der Begriff des "unzulässigen
Steuerdumpings" nach EU-Recht. Tatsächlich verbietet das
EU-Recht nur diese Form des Steuerdumpings, weil die
EU-Meinungsmacher mit den Dumping-Profiteuren viel zu
lasch umgehen und aus eigennützigen Motiven auf eine
Einigung mit ihnen warten (sh.
rossaepfel-theorie.de).
Dagegen ist das EU-subventionierte
Dumping beim Agrarexport mit Exportpreisen weit unter
den EU-Preisen nach EU-Recht nicht unzulässig, also nach
der obigen fragwürdigen Definition kein "Dumping".
Es ist aber unzulässig nach den Grundsätzen der
Welthandelsorganisation (WTO). Deshalb wird die EU jetzt
zu einer Korrektur gezwungen, denn die Wikipedia
verweist in ihrem Artikel zum
Dumping mit
Recht auf das
WTO-Verbot, dass
ein Erzeugnisses unter seinem üblichen Preis
im Ausfuhrland exportiert werden darf, also
wenn der Preis dieses Erzeugnisses ...
niedriger ist als der vergleichbare Preis, der im
normalen Handelsverkehr für ein gleichartiges Erzeugnis
gefordert wird, das zum Verbrauch in dem exportierenden
Lande bestimmt ist...
Sh. "Allgemeines
Zoll- und Handelsabkommen", (= General
Agreement on Tariffs and Trade -
GATT)
Artikel VI - Antidumping- und
Ausgleichszölle.
Mit jenem Agrardumping werden den Entwicklungsländern
viel größere Schäden zugefügt, als man durch die
dürftige Entwicklungshilfe ausgleicht. Der Evangelische
Entwicklungsdienst - EED schreibt dazu mit viel
Rücksicht auf die existenzbedrohte deutsche Zuckerlobby
in seiner detaillierten Einführung: "Die
Reform der EU-Zuckermarktordnung", März
2004, S. 17:
Eigentlich wettbewerbsfähige Produzenten
in anderen Ländern können trotz ihrer Kostenvorteile mit
dem subventionierten Zucker nicht mehr mithalten und
geben auf.
Der EED unterstreicht dort auch den Druck
auf die Weltmarktpreise durch die reichen brasilianischen
Zuckerbarone (wahrscheinlich mit Hochtechnologie und
Sklavenentlohnung). Aber dieser Einfluss schmälert nicht den
Schaden durch das Export-Dumping mit
EU-Subventionen:
Für Produzenten in armen Ländern ist der
Effekt der gleiche, ob sie durch Dumping oder durch
superwettbewerbsfähige Konkurrenten verdrängt werden.
(Sh. dazu auch die
Podiumsdiskussion der
Friedrich-Ebert-Stiftung zur "Reform der
EU-Zuckermarktordnung - AKP-Staaten und Bundesrepublik
zwischen Interessen und Interessenpolitik ",
Berlin 13.4.200, und "Feine
Süße sorgt für Alptraum: Billigzucker hat Folgen",
Peiner Wirtschaftsspiegel, Ausgabe 5; 2004, S. 5-9)
Ähnliches Dumping mit
katastrophalen Folgen für die Ärmsten in der Dritten
Welt gibt es auch durch die USA und andere auf dem
Weltmarkt für Baumwolle usw. Dagegen ist der
Schutz heimischer Märkte hier und in den
Entwicklungsländern durch Importzölle nicht einfach mit
neoliberalem Gestus abzulehnen.
Auch die begriffsgeschichtliche Erklärung "von englisch
to dump, abladen" ist bei der Wikipedia viel zu kurz
gegriffen. Das New Shorter Oxford English Dictionary
schreibt zu dem betreffenden Begriff "to dump":
v.t. Throw down in a lump; deposit unceremoniously; tip
out (rubbish etc.); drop, esp. with a bump. Orig.
Put (goods) on the market in large quantities and at low
prices; spec. send (goods unsaleable at high price in
the home market) to a foreign market for sale at a lower
price.
Das heißt also insbesondere: "(Güter) auf den Markt
bringen in großen Mengen und zu niedrigen Preisen".
Diese Definition bezieht sich auch den massenhaften
Einsatz von Arbeitkräften zu Niedriglöhnen, mit denen
die zuvor geltenden Löhne gedrückt werden, womöglich
unter das hiesige Existenzminimum, während entsandte
Arbeitskräfte mit den Niedriglöhnen nach Rückkehr in
ihre Heimatländer bei niedrigen Wohnungskosten noch
einigermaßen leben können.
Die nachfolgenden Ausführungen zur Entsenderichtlinie
und zur Dienstleistungsrichtlinie sind hier nicht als
allgemeine Einführung zu diesen Richtlinien gedacht, zumal dieses Thema zu
weit ab liegt von den Hauptthemen dieser Webseite: „Steuersenkung für
Bestverdiener“ und „Arbeitsplatzvernichtung durch
Umverteilung nach oben“. Eine kurze Einführung zur
Europäischen Dienstleistungsrichtlinie findet man
z.B. bei Wikipedia.
Die Ausführungen hier dienen nur als
Begründung zur problematischen Abwägung der Vor- und
Nachteile von gesetzlichen Mindestlöhnen, wie sie hier in den Dateien
Lohndumping.htm und
Linksbuendnis.htm angesprochen werden. Dies spielt auch eine Rolle für die
primäre Verteilung des Volkseinkommens. Hier werden
jedoch lediglich einige Gesichtspunkte erläutert, die in
etlichen anderen Darstellungen für diesen Zusammenhang
bei weitem nicht ausreichend berücksichtigt sind. Insoweit wird den
Klagen von
Günter Verheugen über die Ignoranz der meisten
Meinungsmacher Rechnung getragen (sh. unten die
ausführlichen Auszüge aus seinem Interview mit dem
Deutschlandradio), auch wenn er hier in der
rossaepfel-theorie.de
ansonsten sehr kritisch betrachtet wird.
Die Freizügigkeit von Arbeitskräften,
Dienstleistungen und Kapitalverkehr sowie das freie
Niederlassungsrecht gehörten schon zu den Grundlagen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dem
EWG-Gründungsvertrag von 1957 („Vertrag von Rom“, sh. „Gründungsverträge“,
über „Europa
– Verträge und Recht“). Diese Grundsätze wurden
übernommen in
die Artikel 39 bis 60 des EU-Vertrages von 1997
(Vertrag
von Amsterdam, konsolidierte Fassung) und in die
aktuelle Version des EG-Vertrages gemäß
Amtsblatt C 325 vom 24.12.2002,
konsolidierte Fassung.
Sie sind auch beim Kapitalverkehr wegen des
Steuerdumpings mit erheblichen Problemen verbunden.
Nach dem EU-Beitritt der zehn neuen Mitgliedsländer zum
1.5.2004 werden verstärkt deutsche Arbeitplätze dorthin
verlagert. Ein Grund sind die niedrigen Löhne und
Sozialstandards. Sie müssen aber wegen der gewünschten
EU-Erweiterung als Verlagerungsmotiv in Kauf genommen
werden, zumal sie - im Gegensatz zu den Dumpingsteuern -
nicht eigens für Dumpingzwecke geschaffen oder
beibehalten wurden. Unerwähnt bleibt meist der Verlagerungsanreiz
durch diese Dumping-Steuern, die auch bei kapitalintensiver
Produktion oft den Ausschlag geben und aus den Steuern
der künftigen Arbeitslosen in Westeuropa subventioniert
werden.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen
EU-Mitglieder wurde im Prinzip auf 2 + 3 Jahre ab
1.5.2004 eingeschränkt. Diese Beschränkung kann „bei
ernsthaften Arbeitsmarktstörungen“ auf weitere 2 Jahre
ausgedehnt werden (sh. „Das Übergangsregime zur
Arbeitnehmerfreizügigkeit“,
wko.at). Sie gilt auch für bestimmte Arbeitnehmer, die
von Unternehmen aus den mittel- und osteuropäischen
Ländern als deren Beschäftigte in das angrenzende
Deutschland und Österreich "entsandt" werden. Zu dieser
Gruppe gehören sowohl in Deutschland als auch in
Österreich unter anderem Arbeitnehmer im Baugewerbe. Nur
für das Baugewerbe wurde in Deutschland bisher die
EU-Entsenderichtlinie zur Verhinderung von Dumping bei
Löhnen, Sozialstandards usw. für den Fall der freien
Entsendung umgesetzt (sh. unten).
Es handelt sich aber bei der vorübergehenden
Beschränkung der Freizügigkeit bei Entsendungen in Bezug
auf die mittel- und osteuropäischen EU-Länder nicht um eine
Beschränkung nach der Entsenderichtlinie, sondern
lediglich um die weitere Anwendung nationaler oder
staatsvertraglicher Zuzugsbeschränkungen bis maximal zum
1.5.2011. Diese Beschränkungen sind für diese Länder in jeweils
gesonderten Vertragsanhängen geregelt. Zum Beispiel gilt
für Polen der Anhang XII (Datei aa00039-re03.de03.doc)
der „Liste nach Artikel 24 der Beitrittsakte“ (zu
erreichen auf der EU-Webseite als „The Treaty of
Accession“ unter
http://europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/treaty_of_accession_2003/
durch Klick auf eines der beiden Kästchen „de“, wobei
man über das zweiten Kästchen durch Entpacken des
kompletten Vertrages in ein vorher angelegtes
Unterverzeichnis leicht mit der Suchfunktion nach
Passagen suchen kann). Gemäß diesen Beschränkungen
können Deutschland und Österreich, solange sie gemäß den
vorstehend festgelegten Übergangsbestimmungen nationale
Maßnahmen oder Maßnahmen aufgrund von bilateralen
Vereinbarungen über die Freizügigkeit polnischer
Arbeitnehmer anwenden, nach Unterrichtung der Kommission
von Artikel 49 Absatz 1 des EG-Vertrags abweichen, um im
Bereich der Erbringung von Dienstleistungen durch in
Polen niedergelassene Unternehmen die zeitweilige
grenzüberschreitende Beschäftigung von Arbeitnehmern
einzuschränken, deren Recht, in Deutschland oder
Österreich eine Arbeit aufzunehmen, nationalen Maßnahmen
unterliegt.
Da also zum Beispiel das Fleischereigewerbe nicht zum
Geltungsbereich der Beschränkungsliste für Entsendungen
nach Deutschland gehört, hätte man hier das
grenzüberschreitende Lohn- und Sozialdumping in
Deutschland durch vertragsgemäße Umsetzung der
Entsenderichtlinie verhindern können. Stattdessen wurde
die Entsenderichtlinie nur für das Baugewerbe umgesetzt,
für das vorläufig ohnehin die obigen
Zuzugsbeschränkungen gelten. Es gibt jedoch jetzt schon
übergangsweise vereinbarte jeweils befristete
Zuzugskontingente nach bilateralen
"Werkvertragsabkommen" auch für das Baugewerbe zugunsten
von "Werkvertragsarbeitnehmern", für die die Festsetzung
von Mindestlöhnen und sonstigen Standards bereits heute
erfolgt (sh. "Zur
Übertragbarkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf
die deutsche Fleischbranche", IAT-Report
2005-03, S. 3). Diese Standards sind aber in den
einzelnen Werkvertragsabkommen geregelt.
Dagegen sind außer dem „Baugewerbe, einschließlich
verwandte Wirtschaftszweige“ für Deutschland nur noch
„die Reinigung von Gebäuden, Inventar und
Verkehrsmitteln“ und die „Tätigkeiten von
Innendekorateuren“ in der vorläufigen Beschränkungsliste aufgeführt
(sh.
Anhang XII der „Liste
nach Artikel 24 der Beitrittsakte",
a.a.O.).
Die Befristung auf maximal 7 Jahre bedeutet, dass z.B.
im Reinigungsgewerbe spätestens nach 2011 schon das
grenzüberschreitende Lohn- und Sozialdumping möglich
wäre, wenn der Anwendungsbereich des Entsendegesetzes
nicht rechtzeitig über das Baugewerbe hinaus erweitert
würde.
Da die Arbeitsverhältnisse (besonders in Ostdeutschland)
vielfach nicht tariflich geregelt sind, ist nach Ablauf
der Frist durchaus mit noch weiterem Lohndruck durch den
Zuzug von Arbeitnehmern aus den angrenzenden Ländern zu
rechnen. Dies bedeutet tendenziell einen weiteren
Anstieg der Arbeitslosigkeit über die ohnehin sehr hohe
Quote hinaus.
Hinsichtlich der Tarifverträge gibt es in Ostdeutschland
oft eine "Orientierung am Branchentarifvertrag", die im
Durchschnitt dem Branchentarifvertrag entspricht (sh.
IAB-Betriebspanel
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin 2004, S.
120). Rechnet man dies als "tarifvertragliche Bindung"
hinzu, dann geht die Tariflosigkeit in Ostdeutschland
nicht so weit, wie es nach vielen Darstellungen
erscheint, denn damit waren im Jahre 2003 in
Ostdeutschland 42% der Betriebe und 22% der
Beschäftigten ohne tarifvertragliche Bindung; in
Westdeutschland waren es 31% der Betriebe und 14% der
Beschäftigten (ebd.). Aber der Branchentarif liegt in
Ostdeutschland oft ohnehin unter dem Minimum zur
Existenzsicherung (z.B.
in Sachsen die untersten tariflichen Brutto-Stundenlöhne
für Fleischereiverkäufer: 4,61 €, Floristen: 4,30
€, Friseure: 3,06 € usw; sh. "unterste Tarife" bei
boeckler.de).
Da man also von Niedriglöhnen in Deutschland kaum noch
sein Existenzminimum abdecken kann, behalten die
ausländischen Arbeitnehmer auch jetzt schon gern ihren
Wohnsitz in ihren Heimatländern und kommen lediglich zu
kurzfristigen Dienstleistungen einmal schnell in das
angrenzende Deutschland oder Österreich. Die Überlassung
solcher Arbeitskräfte im gewerblichen Bereich wird von
Ausländern oder Deutschen organisiert, die als
Dienstleistungsunternehmer mit Sitz im Ausland
fungieren. Sie organisieren für ihre Arbeitnehmer
Billigunterkünfte in Deutschland, lassen die
Zeitarbeiter bei Bedarf auch als scheinbar Selbständige
auftreten und können so schon jetzt die westdeutschen
Effektivlöhne mit Dumping-Angeboten drücken bzw.
deutsche Arbeitskräfte verdrängen. Da die ausländischen
Arbeitskräfte mit Stundenlöhnen von wenigen Euros in
Deutschland mehr verdienen als daheim, können sie von
den Organisatoren durch Abschöpfung von Differenzen zu
den weiterberechneten „Unternehmens“-Stundensätzen bestens
geschröpft werden. Die Kritik richtet sich jedoch gegen
die deutschen Politiker, die dies durch Untätigkeit bei
der Gesetzgebung und Abzocker-Liberalismus auf EU-Ebene
zulassen, denn der Konkurrenzdruck am Markt treibt die
Marktteilnehmer dazu, alle gesetzlich gebotenen Möglichkeiten
auszuschöpfen.
Im herstellenden und verarbeitenden Gewerbe lohnt sich
der Arbeitsplatzexport für die Unternehmen oft allein
schon wegen der mehr oder weniger legalen Möglichkeit
zur Gewinn- und Steuerverlagerung ins Ausland. Damit
wird Deutschland immer mehr vom lohnintensiven
Dienstleistungssektor abhängig.
Hier greift nun die heiß umstrittene
EU-Dienstleistungsrichtlinie, indem sie die
Okkupation umgewandelter deutscher Arbeitsplätze im
Dienstleistungsgewerbe regelt.
Die Möglichkeiten der Dienstleistungsrichtlinie sind
allerdings durch die Entsenderichtlinie beschränkt.
Soweit die Entsenderichtlinie in nationales Recht
umgesetzt wurde, kann nur die Tarnung der Zeitarbeiter
als Selbständige zum Lohn- und Sozialdumping verhelfen.
2)
Entsenderichtlinie
Für selbständige Unternehmer aus allen EU-Ländern
besteht Niederlassungsfreiheit in Deutschland und in
allen anderen EU-Ländern. Die Freizügigkeit gilt auch
für alle entsandten Arbeitnehmer - mit Ausnahme der
vorübergehenden Beschränkungen für Arbeitnehmer aus
mittel- und osteuropäischen Ländern (sh. oben).
Zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping gibt es
jedoch für "entsandte" Arbeitnehmer aus
allen EU-Ländern Regulierungen ihrer
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
durch die
Entsenderichtlinie („Richtlinie 96/71/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.
Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im
Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“). Lt.
Artikel 7 dieser Entsenderichtlinie sollte die
Regelungen bis zum
16. Dezember 1999 in nationales Recht umgesetzt werden.
Dies ist in Deutschland lediglich für das Baugewerbe und
Baunebengewerbe geschehen (sh. unten). Diese arg
zurechtgestutzte Umsetzung wurde jedoch von den
EU-Behörden als ausreichend akzeptiert. Der
EU-Abgeordnete Ulrich Stockmann (SPD) veröffentlichte
dazu als „Europa
News aktuell Nr. 10/2005“ auf seiner Webseite
folgenden Text:
In Deutschland wird momentan über eine Ausweitung des
bestehenden Entsendegesetzes debattiert. Ausgangspunkt
der aktuellen Brisanz des Themas, ist die Situation auf
den Schlachthöfen. Dort werden Stundenlöhne zwischen
zwei und fünf Euro gezahlt. Arbeitszeiten von zehn bis
vierzehn Stunden am Tag gelten als normal.
Gewerkschaftsangaben zufolge kommt rund ein Drittel der
67.000 Arbeitnehmer der Fleisch verarbeitenden
Unternehmen aus osteuropäischen Ländern.
Auf EU-Ebene existiert seit dem 16. Dezember 1996 eine
Entsenderichtlinie, die bis zum 16. Dezember 1999 von
den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden musste.
Ebenda verweist er auf eine „weitere Datei zum Thema“
unter
http://www.ulrich-stockmann.de/upload/10-2005_entsenderichtlinie.pdf,
worin es heißt:
Am 25.07.2003
legte die Kommission einen Bericht über den Stand der
Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedsstaaten vor.
Dem Bericht zufolge erfüllt das deutsche
Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Anforderungen der
europäischen Richtlinie.
Ein juristisches Vorgehen des Reinigungsgewerbes gegen
diese Minimal-Umsetzung der Richtlinie scheint
zwecklos. In Artikel 3 der Entsenderichtlinie heißt es:
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass …die …
Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten
Arbeitnehmern … Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
garantieren, die in dem Mitgliedsstaat, in dessen
Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
- durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge
oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie
die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,
festgelegt sind: …
a) Höchstarbeitszeiten …b) bezahlter
Mindestjahresurlaub, c) Mindestlohnsätze einschließlich
der Überstundensätze …
Die Mitgliedsstaaten können … nach Konsultation der
Sozialpartner beschließen, Absatz 1 Unterabsatz 1
Buchstabe c) [das heißt die Mindestlöhne] … nicht
anzuwenden, wenn die Dauer der Entsendung einem Monat
nicht übersteigt.“
Danach scheint es zunächst so, als müsste der deutsche
Gesetzgeber zumindest für das Reinigungsgewerbe die
allgemeinverbindlichen tarifvertraglichen "Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen garantieren", da sie dort bereits
"festgelegt sind" (sh. unten). Aber
diese Umsetzungsverpflichtung
für entsandte Arbeitnehmer gilt offenbar nur für die "im Anhang genannten
Tätigkeiten" des Baugewerbes. Man sieht also, dass die
Verwinkelung solcher Vorschriften auch zur berechtigten
Skepsis gegenüber der EU-Verfassung beitragen konnte,
deren wirtschaftsliberale Vorschriften dem gleichen
Geist entstammen. Man sieht aber auch, dass durch
Mindestlöhne in Form von "Rechts- oder
Verwaltungsvorschriften" die Beschränkung auf das
Baugewerbe durchbrochen werden könnte. Die Ausweitung
des Geltungsbereichs über das Baugewerbe hinaus kann
aber auch durch ein nationales Gesetz ohne Einführung
von Mindestlöhnen erfolgen, denn in Artikel 3 Abs. 10
heißt es:
Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der
Mitgliedstaaten ...
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in
Tarifverträgen oder Schiedssprüchen nach Absatz 8
festgelegt sind und andere als im Anhang genannte
Tätigkeiten betreffen, vorzuschreiben.
Das Problem bei den Tarifverträgen liegt jedoch allein
schon darin, dass sich die Tarifparteien in wichtigen
Bereichen nicht darauf einigen können (sh. unten).
Zur Dauer der Entsendung ist keine weitere
Obergrenze festgelegt, sondern es heißt in Artikel 2
Abs. 1 lediglich:
Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter
Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines
begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im
Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als
demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er
normalerweise arbeitet.
Was ein „Arbeitnehmer“ ist, soll sich nach der
Definition des Gastlandes richten (ebd. Art. 2 Abs. 2).
Besonders beliebt ist die Umwandlung von
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen in
sozialversicherungsfreie Scheinselbständigkeit. Zur
Unterscheidung gilt in Deutschland die Definition des
Bundesarbeitsgerichts (zur finden dort mit
„Dokumentensuche“ und Eingabe von „5 AZB 19/01):
Arbeitnehmer
ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im
Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit
verpflichtet ist.
Wenn also ein entsandter ausländischer Arbeitnehmer am
Bau zu Dumpinglöhnen, d.h. unter Tarif beschäftigt
werden soll, lässt man ihn versuchsweise als
Scheinselbständigen auftreten, so z.B. den Fliesenleger.
Aber recht hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd
Andres jedenfalls in seiner
Bundestagsrede vom 13.5.05
mit der Feststellung:
Zur Selbstständigkeit gehört nach europäischer
Rechtsprechung so etwas wie eine Mindestform von
Niederlassung. Es reicht nicht, wenn sich 32 polnische
Menschen – ich habe nichts gegen diese Menschen – in
einer Vorstadtwohnung anmelden und alle als Fliesenleger
arbeiten wollen. Der Zentralverband des Deutschen
Handwerks und deutsche Behörden dürfen diesen Menschen
nicht einfach ungeprüft die notwendigen Bescheinigungen
und Zulassungen erteilen. Das kann nicht sein. Dagegen
werden wir vorgehen, damit Sie das wissen.
In anderen Branchen, wie z.B. den Fleischereigewerbe, kann der entsandte Ausländer trotz
der Dumpinglöhne jetzt schon als normaler Arbeitnehmer
des entsendenden Unternehmens präsentiert werden, weil
es hierzu für Deutschland keine vorübergehenden
bilateralen Zuzugsbeschränkungen vereinbart wurden und die vorgesehenen Regelungen durch das deutsche
Entsendegesetz nur für das Baugewerbe übernommen wurden.
In dieser Hinsicht ist Gerald Weiß, CDU-MdB und
CDA-Vorsitzender, bei seiner Argumentation zu den
Zuständen auf dem Fleischereimarkt nicht zuzustimmen
(sh. das Interview von Gerald Weiß vom 12.4.05 im
Deutschlandfunk, abgedruckt bei
zeit.de), wenn er sagt:
Es gibt ganz vielfältige Ursachen dieses Lohn-Dumpings.
Entsprechend differenziert muss die Strategie sein,
dieses Lohn-Dumping anzugehen. Auf dem Fleischereimarkt,
den Sie erwähnen, ist es weniger ein Problem der
abhängig Beschäftigten, die zu unzureichenden
Arbeitsbedingungen hier beschäftigt werden,
eingeschleust werden, sondern das ist einfach der
illegale Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit, die
hier im Grunde umgangen wird. Hier werden
Scheinselbständige ins Land geschleust, die in Wahrheit
Arbeitnehmer sind, die zu völlig unzumutbaren
Arbeitsbedingungen hier deutschen Arbeitnehmern
konkurrieren und beschäftigt werden. Also das ist im
Grunde ein ganz anderes Problem und kann folglich mit
dem Lösungsansatz, den Sie erwähnt haben, dem
Entsendegesetz, natürlich allein nicht angegangen
werden,
denn die aus dem Ausland entsandten Arbeitnehmer in der
Fleischverarbeitung müssen sich gar nicht als
Scheinselbständige tarnen, weil die Partei von
Gerald Weiß, also die CDU, eine Ausweitung des
Entsendegesetzes auf alle Tarifbereiche bisher
verhindert hat und die SPD zunächst von dieser
Maximalforderung (Ausweitung auf "alle“) nicht
abweichen wollte (sh. zum Stand der Diskussion über die
Ausweitung die hier weiter unten zitierte
BT-Drs. 15/5810).
Dagegen spricht DER SPIEGEL mit Bezug auf das
Fleischereigewerbe nicht von Scheinselbständigen.
Vielmehr handelt es sich einfach nur um Dienstleistungen
ausländischer Unternehmen mit ihren eigenen
Arbeitnehmern:
Betriebe aus den neuen
Mitgliedstaaten dürfen deshalb deutschen Unternehmen
ihre Dienstleistungen anbieten - und zwar zu den
Arbeitsbedingungen ihrer Länder. Das Prüfrecht, ob es
sich tatsächlich um Dienstleistungen oder aber um
illegale Arbeitnehmerüberlassung handelt, haben nicht
mehr deutsche Stellen, sondern die Heimatländer.
(Sh. Arbeitsmarkt: „Der Osten kommt“, DER SPIEGEL,
7/2005, 14.2.2005.) Und in der darauffolgenden Ausgabe
schreibt er:
Denn es gilt
Dienstleistungsfreiheit, wenn auch mit Einschränkungen.
Über Werkverträge mit Subunternehmen aus Polen,
Tschechien oder Litauen können deutsche Firmen ganze
Bereiche an billige Fremdarbeiter vergeben - und sie
machen reichlich Gebrauch davon, vor allem in der
Fleischindustrie, weil dort der Preisdruck enorm ist.
Allein in der Branche sind in
den vergangenen Monaten 26 000 Jobs zugunsten von
Arbeitern aus Warschau und anderswo weggefallen. Gegen
die Dumpinglöhne von drei bis fünf Euro haben deutsche
Arbeitnehmer keine Chance.
(Sh. „Arbeitsmarkt: Wie Billiglöhner aus Polen deutsche
Arbeitkräfte verdrängen“, DER
SPIEGEL, 8/2005, 21.2.2005; als Teil eines
Spiegel-Dossiers von 10 Artikeln mit starker
Wirklichkeitsnähe. Ganz nebenbei verwendet DER SPIEGEL
hier wieder einmal, völlig arglos, das Wort
„Fremdarbeiter“, wegen dessen Verwendung er sich aufs
heftigste an der Diffamierungskampagne der
bestverdienenden Meinungsmacher gegen Lafontaine
beteiligt hat - im Kampf um die Bewahrung der
Steuergeschenke für bestverdienende Redakteure.) Für
Scheinselbständigkeit besteht also ohnehin kein Anlass,
weil das deutsche Entsendegesetz nur für das Bauhaupt-
und Baunebengewerbe gilt und weil seine
Erweiterung auf andere Tarifbereiche von der
CDU-Bundesratsmehrheit abgelehnt wurde (sh. unten).
Eine Scheinselbständigkeit ist dagegen zum Beispiel bei
Fliesenlegern auch dann „erforderlich“, wenn ein
Unternehmer mit Sitz in Mittel- und Osteuropa seine
Fliesenleger als Arbeitnehmer des Baunebengewerbes nach
Deutschland entsenden will. Bei Einsatz zu
Dumpinglöhnen wäre diese Scheinkonstruktion auch für
Entsendeunternehmer aus anderen EU-Ländern erforderlich,
weil auch für sie - als weiterer Dumping-Schutz - am Bau
die Entsenderichtlinie gilt.
Auch Günter Verheugen setzte bei seiner Antwort auf die
Frage nach den Schlachthöfen voraus, dass es sich hier nicht
um Scheinselbständige handelt,
sondern dass die ausländischen Beschäftigten dort
ohnehin jetzt schon als normale Arbeitnehmer ausländischer Firmen
auftreten:
Also wenn es jetzt ein Problem gibt bei Schlachthöfen,
ist es kein großes Problem, diese Lücke zu schließen,
einfach durch Rechtsverordnung kann das geschehen oder
durch Allgemeingültigkeitserklärung eines
Tarifvertrages.
(Sh. sein Interview mit dem
Deutschlandradio Kultur, 2.4.2005.)
Die fingierte
Selbständigkeit ist auch bei deutschen Arbeitnehmern
verbreitet – mit noch größeren Konsequenzen als bei den
ausländischen Zeitarbeitern, denn für Deutsche können
die Folgen fatal sein. Mit dieser
Selbständigkeits-Fiktion sollen die
jeweils mehr als 20% Sozialbeiträge „eingespart“ werden,
die sowohl die Unternehmer als auch ihre Arbeitnehmer zu
zahlen haben. Verbreitet ist diese Praxis z.B. in
Transportgewerbe, aber auch bei vielen anderen Formen
des sogenannten „Outsourcing“, das gerade auch deshalb
beliebt ist. Für die Ex-„Arbeitnehmer“ bedeutet dies,
dass sie selbst auch noch die Arbeitgeberanteile zur
Sozialversicherung übernehmen müssen bzw. sich und ihre
Familie privat versichern und bei dem Druck auf ihre
Preise vielleicht irgendwann ihre Beiträge nicht mehr
bezahlen können. Das "deregulierende" „Outsourcing“ wird dann für sie
ein
Vehikel zum "Outsourcing" aus dem kompletten Sozialsystem.
Bei Arbeitnehmer-Entsendungen für mehr als einen
Monat ist die Anwendung von Mindestlöhnen also auch nach
der Richtlinie zwingend erforderlich, wenn in dem
Gastland überhaupt Mindestlöhne „festgelegt“ sind. Gegen
eine solche Festlegung waren stets die Arbeitgeber. Auch
die Gewerkschaften beharrten auf ihren
Tariflöhnen, die sich aber nur teilweise durchsetzen
lassen.
Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist die Kontrolle
der Einhaltung von tariflichen Mindeststandards für entsandte
Arbeitnehmer durch die deutschen Behörden. Laut Richtlinie,
Artikel 4 Abs. 2, sollen
die ausländischen Behörden mit den Behörden im Gastland
zusammenarbeiten.
Diese Zusammenarbeit besteht insbesondere darin,
begründete Anfragen dieser Behörden zu beantworten, die
das länderübergreifende Zurverfügungstellen von
Arbeitnehmern, einschließlich offenkundiger Verstöße
oder Fälle von Verdacht auf unzulässige
länderübergreifende Tätigkeiten, betreffen.
Im Hinblick auf das bereits praktizierte Steuerdumping
und auf die hohe Arbeitslosigkeit in den Entsendeländern
wird man von solcher Zusammenarbeit nicht allzu viel
erwarten können, zumal die entsendenden Firmen in ihren
Ländern sicher auch etliche Tarnungen der wahren
Sachverhalte erfinden oder weiter praktizieren werden.
Typisch ist der Vorstoß aus
osteuropäischen Beitrittsländern Ende 2006 gegen die
geforderte Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten
für Entsendefirmen und gegen die Bereithaltung von Lohn- und
Sozialversicherungsunterlagen auf deutschen Baustellen
durch entsandte Arbeitnehmer (sh. unten). Für diesen
Angriff wurde die Hintertür offen gehalten, weil man bei
der Verabschiedung der Richtlinie offenbar keine
akzeptable Definition der Kontrollmöglichkeiten
durchsetzen konnte oder wollte. Auch in die
Dienstleistungsrichtlinie
wurden solche Trojaner eingebau. Sie wurden dann von der großen
neoliberalen Koalition im EU-Parlament geflissentlich
durchgewinkt - trotz energischer Warnungen durch die
dortige Linke (sh. unten).
Selbst die deutschen Behörden werden sich bei
abnehmender Personaldecke vor solch zähflüssiger
Informationsbeschaffung scheuen. Den meisten
Meinungsmachern in Deutschland, Brüssel und Straßburg
gehen die Probleme ohnehin nicht sehr nahe, denn ihre
üppigen Einkünfte sind bestens gesichert. Die Politiker und viele
Meinungsmacher sind außerdem unter dem Regime der
Unternehmensverbände von Zuckerbrot und Peitsche, denn
diese Verbände werden nicht von den geschädigten
Kleinunternehmern dominiert, sondern von den großen
Profiteuren.
In Artikel 7 der Entsenderichtlinie vom 16.12.96 heißt
es zu ihrer Umsetzung:
Die Mitgliedstaaten erlassen die Rechts- und
Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um
dieser Richtlinie spätestens ab dem 16. Dezember 1999
nachzukommen. Sie setzen die Kommission hiervon
unverzüglich in Kenntnis.
Wegen des dringlichen Regelungsbedarfs und der
jahrelangen Auseinandersetzungen bis zur Einigung über
die Entsenderichtlinie hatte der deutsche Gesetzgeber
jedoch bereits vor ihrer Verabschiedung ein
„Entsendegesetz“ erlassen: Siehe
BT-Drs. 13/2418 v. 22.9.95 und „Gesetz über
zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden
Dienstleistungen“, (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG)
vom 26. Februar 1996, (BGBl. I S. 227)“ mit (farblich
unterschiedenen!) Hinweisen auf Änderungsgesetze,
sidiblume.de. In Verbindung damit „hat
Deutschland mehrere Änderungen seiner Rechtsvorschriften
erlassen und vorgeschlagen, die nach Feststellung des
Gerichtshofes [EuGH] geeignet sind, verschiedene
Unstimmigkeiten zwischen dem deutschen Recht und der
Richtlinie zu beseitigen“ (lt.
EuGH-Pressemitteilung vom 5.7.05).
Die Bindung für die Entsendung von ausländischen
Arbeitnehmern an deutsche tarifvertragliche Löhne und
sonstige Arbeitsbedingungen ist also durch das
Entsendegesetz auf den Baubereich beschränkt (sh. oben).
Bei Verabschiedung des Entsendegesetzes im Jahre 1996
spielte u.a. der Zustrom von entsandten portugiesischen
Bauarbeitern eine Rolle seit der zweiten
EU-Süderweiterung
von 1986, aber auch britische Entsendefirmen konnten die
Löhne erheblich drücken wegen weitgehender
Steuerfinanzierung ihrer Sozialversicherung. Dazu
Handwerks-Generalsekretär Hans-Eberhard Schleyer im Juni
1996 (sh. "Wir
brauchen das Entsendegesetz", welt.de,
10.6.1996):
Auch das Baugewerbe müsse und werde sich an den
verschärften internationalen Wettbewerb anpassen. Doch
sei das Entsendegesetz "wegen der kurzfristig
entstandenen dramatischen Situation im Baugewerbe zu
rechtfertigen". Mittlerweile arbeiteten mehr als 200 000
EU-Ausländer auf deutschen Baustellen. Der
Konkurrenzdruck durch die Subunternehmen aus Ländern wie
Portugal oder England sei mörderisch wegen der
Niedriglöhne, die sie ihren Beschäftigten zahlten. Ein
deutscher Facharbeiter koste rund 42 DM die Stunde;
wobei die Lohnzusatzkosten mit fast der Hälfte zu Buche
schlügen, rechnete Schleyer vor: "Die Arbeit eines
Portugiesen kostet etwa zehn Mark - inklusive
Personalzusatzkosten." Und die eines Dänen oder
Engländers sei ebenfalls billiger, weil dort der Staat
die Sozialversicherung über Steuern finanziert und damit
die Lohnzusatzkosten wesentlich niedriger seien.
Auch hier kann das besagte "Anpassen" an den
"internationalen Wettbewerb" offensichtlich nur durch
Steuerfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträge
erfolgen, denn die Entsenderichtlinie erlaubt keinen
Schutz gegen das Lohn- und Preisdumping über viel
niedrigere oder gar nicht gezahlte ausländische
Sozialversicherungsbeiträge (sh. Wolfgang
Jungen:
Bauwirtschaft und
EU-Ostintegration in der deutsch-polnischen Grenzregion,
Universität Viadrina und DGB-Technologieberatung,
September 2003, S. 52; sh. auch z.B. die
EU-Verfahrensandrohung gegen Belgien: "Neun
Vertragsverletzungsverfahren im Bereich des freien
Dienstleistungsverkehrs...", Brüssel,
3.7.1998, ip/98/614). Durch die
Dienstleistungsrichtlinie werden sogar noch die
deutschen Kontrollmöglichkeiten ausländischer
Scheinselbständigkeit und sonstiger Scheinkonstruktionen
erheblich eingeschränkt oder praktisch unmöglich gemacht
(sh. unten).
Obwohl die Entsendungen im Jahre 1996 schon als
"mörderischer" "Konkurrenzdruck" empfunden wurden, waren
sie nur ein Tröpfeln im Vergleich zum bevorstehenden
Zustrom in allen Dienstleistungsbereichen aus den viel
größeren Niedriglohnländern unmittelbar vor der Haustür.
Die rotgrüne Bundesregierung wollte in einem
Gesetzentwurf vom 22.6.05 (BT-Drs.
15/5810) den Anwendungsbereich des Entsendegesetzes auf alle
Tarifbereiche ausdehnen. In ihrem Entwurf (ebd.) hieß
es:
Im Ausland
ansässige Arbeitgeber sind – mit Ausnahme des
Baubereichs – bislang nicht verpflichtet, ihren nach
Deutschland entsandten Arbeitnehmern die hier geltenden
tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen zu gewähren. Dies
benachteiligt hierher entsandte Arbeitnehmer und
gefährdet durch unfairen Wettbewerb insbesondere die
hier ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen sowie
die bei ihnen bestehenden Arbeitsplätze.
Diese Erweiterung auf alle Tarifbereiche wurde
jedoch von der CDU-Mehrheit im Bundesrat abgelehnt mit
der vorrangigen Begründung (ebd., Anlage 2):
Jede
Erweiterung des Anwendungsbereichs des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes stellt eine Notmaßnahme
dar, die einen weiten Teil des niedrigproduktiven
Arbeitsbereichs verschließt. Sie bedeutet de facto die
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns durch die
Hintertür, mit der Gefahr einer weiteren Steigerung der
ohnehin schon zu hohen Arbeitskosten in Deutschland und
daraus resultierend einer weiteren Verdrängung von
Arbeitsplätzen gerade des Niedriglohnsektors ins
Ausland. Dies würde die hohe Arbeitslosigkeit in
Deutschland verfestigen, statt sie zu bekämpfen...
Dagegen argumentierte die Bundesregierung unter anderem
(ebd., Anlage 3):
Die
Bundesregierung kann sich der Stellungnahme des
Bundesrates nicht anschließen.
Sie begrüßt,
dass auch der Bundesrat hinsichtlich bestimmter
hochsensibler Branchen eine befristete Änderung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in Erwägung zieht. Jedoch
hält die Bundesregierung die im Regierungsentwurf
gewählte Konzeption einer umfassenden
Branchenerweiterung für erforderlich. Jede Beschränkung
auf einen im Gesetz festgeschriebenen Branchenkatalog
würde demgegenüber immer nur eine Momentaufnahme
darstellen. Bei einer nur punktuellen Erweiterung des
Gesetzes auf einige wenige Branchen wäre der Gesetzgeber
permanent gefordert, den Branchenkatalog je nach
Entwicklung in den einzelnen Branchen nachzubessern und
zu aktualisieren...
An diesem Punkt
ist die Debatte zunächst einmal stehen geblieben, denn
kurz darauf war man schon mit der vorgezogenen
Bundestagswahl beschäftigt. Aber auch mit der
tarifvertraglichen Bindung wäre man ohnehin nicht viel
weiter gekommen, weil sich viele Arbeitgeber die
Mitgliedschaft in ihren Tarifverbänden gar nicht leisten
können oder wollen. Für diese Firmen gelten die
Tarifverträge nur, wenn sie für allgemeinverbindlich
erklärt wurden (sh. „Allgemeinverbindlicherklärung
– Entwicklung des Entsendegesetzes“, dgb.de - Stand
19.2.06).
Auch die Einführung (abgestufter) gesetzlicher
Mindestlöhne könnte eine Lohnspirale nach unten bis auf
das Niveau der Mindestlöhne nicht verhindern, wenn durch
den Zustrom ausländischer Billigarbeitskräfte und den
dadurch entstehenden Konkurrenzdruck auf beide
Tarifpartner den deutschen Arbeitnehmern die Entlassung
drohte. Darüber hinaus werden Mindestlöhne jetzt schon
auf vielfache Weise unterlaufen, z.B. durch kaum
kontrollierbare Mehrarbeit über die bezahlten
Arbeitszeiten hinaus. Hierfür müssten die Strafen so
verschärft werden, dass die Möglichkeit der Aufdeckung
wirklich abschreckend wirkt.
3)
Dienstleistungsrichtlinie
Gemäß Entsenderichtlinie sollen für entsandte
Arbeitnehmer bestimmte Vorschriften des Gastlandes
gelten. Dagegen sollen für sie nach der
Dienstleistungsrichtlinie ganz allgemein die
Vorschriften des Herkunftslandes gelten, auch für die
Löhne. Lediglich die
bereits geregelten Bereiche der Entsenderichtlinie
sollten vom Herkunftslandprinzip ausgenommen werden. Dementsprechend heißt es auf
S. 16 des Kommissionsvorschlages für die
Dienstleistungsrichtlinie:
Arbeitnehmerentsendung. Die Beschäftigungs- und
Arbeitsbedingungen im Falle der Entsendung von
Arbeitnehmern sind in Richtlinie 96/71/EG19
geregelt; die die Anwendung bestimmter Vorschriften des
Landes vorsieht, in das der Arbeitnehmer entsandt wird.
Um die Vereinbarkeit mit dieser Richtlinie
sicherzustellen, sieht Artikel 17 des
Richtlinienvorschlags eine Ausnahme vom
Herkunftslandprinzip für diese Regelungen vor.
Zitiert aus dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäschen
Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im
Binnenmarkt (von der Kommission vorgelegt) … Brüssel,
25.2.2004,
KOM(2004)2 endgültig/2." Das Herkunftslandprinzip
war dort in Artikel 16 geregelt (sh. ebd. S. 60).
Dieser Richtlinienvorschlag stammt noch von der
EU-Kommission Prodi unter Leitung des damaligen
Kommissionspräsidenten Romano Prodi, die zum 1.5.2004
abgelöst wurde durch die neue Kommission unter Leitung
von José Manuel Barroso. Zuständiger Kommissar für die
Richtlinie in der Prodi-Kommission war mit seinem
Bereich Binnenmarkt, Steuern und Zollunion der
Niederländer
Frits Bolkestein, zugleich führendes
Mitglied der niederländischen wirtschaftsliberalen
Partei
VVD, die eine
gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen FDP hat. Nach ihm wird der obige Richtlinienvorschlag
auch als „Bolkestein-Richtlinie“ bezeichnet. Allerdings
gab es auch starke Berührungspunkte mit dem Ressort
„Erweiterung“, das von dem Kommissar
Günter Verheugen
(SPD; bis 1982 FDP) geleitet wurde.
Am 14.2.06 gab es im EU-Parlament noch
einmal "eine ausführliche und kontroverse
Debatte über die
EU-Dienstleistungsrichtlinie". Die
Diskussionsbeiträge findet man im
Sitzungsbericht
ab Seite 46, den man finden kann unter
http://www.europarl.eu.int/registre/durch
"erweiterte Suche" mit dem Datum 14.2.06 und Anklicken
der Sprache "de". Einen kurzen Hinweis auf die Brisanz
gibt der Diskussionsbeitrag von Sahra Wagenknecht auf
Seite 64. Sie hat die Problematik jedoch ausführlicher
beschrieben in ihrem Artikel "Fauler
Kompromiss", jungewelt.de, 11.2.06.
Nach heftigen Großdemonstrationen gegen diesen
neoliberalen Entwurf und nach dem
vorläufigen Scheitern der
EU-Verfassung an diesem neoliberalen
Geist bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den
Niederlanden wurde ein zurechtfrisierter Richtlinienentwurf
am 16.2.06 vom Europäischen Parlament angenommen. Er ist
mit einer Gegenüberstellung zum ursprünglichen Entwurf
veröffentlich auf der Webseite des
Europaparlaments,
erreicht über die Einführung "Freier
Dienstleistungsverkehr" vom 20.2.06 am
25.2.06 (sh. unten die Erläuterungen zur weitgehenden
Beibehaltung des umgetauften Herkunftslandprinzips).
Zu den Protesten gegen die „Bolkestein-Richtlinie“ sagte
Verheugen in seinem Interview vom 2.4.2005 mit dem
Deutschlandradio Kultur:
Ich bin etwas bekümmert, lassen Sie es mich mal so
sagen, über einen erschreckenden Mangel an
Informiertheit in großen Teilen der deutschen
Öffentlichkeit …
Bis in die Spitzen von Parteien hinein und Fraktionen,
das ist richtig. Es ist aber auch richtig, dass der von
der früheren Kommission vorgelegte Entwurf an einigen
Stellen verbessert werden muss, weil der Entwurf
zumindest missverständlich formuliert ist. Das hat die
Kommission aber vor einigen Wochen ja bereits
angekündigt, dass sie dazu bereit ist.
Zu den hier weiter oben erwähnten Massenentlassungen in
deutschen Schlachthöfen und zur Übernahme kompletter
Abteilungen durch polnische Entsende-Unternehmen sollen
Verheugens Antworten hier ausführlich zitiert werden,
weil damit der Zusammenhang zwischen
Dienstleistungsrichtlinie und Entsenderichtlinie klarer
wird. Er sagte zu diesen Dumping-Methoden:
Es
hat aber nichts mit Europarecht zu tun, es hat damit
etwas zu tun, dass Deutschland, anders als andere
europäische Länder, die so genannte Entsenderichtlinie
nur teilweise umgesetzt hat. Die Entsenderichtlinie ist
schon viele Jahre alt, das passierte schon zur Zeit der
Regierung Kohl …
(Interviewer: 1996)
…
und die besagt, dass die Mitgliedsländer die Bedingungen
festlegen, unter denen Arbeitnehmer aus einem anderen
Mitgliedsland der Europäischen Union bei ihnen arbeiten
dürfen. Das bezieht sich insbesondere auf Löhne und
Sozialstandards. Das ist in Deutschland, für mich
erstaunlich, nur umgesetzt worden im Bereich des
gesamten Baugewerbes und des Reinigungsgewerbes. Also
wenn es jetzt ein Problem gibt bei Schlachthöfen, ist es
kein großes Problem, diese Lücke zu schließen, einfach
durch Rechtsverordnung kann das geschehen oder durch
Allgemeingültigkeitserklärung eines Tarifvertrages.
Deutschland hat jede rechtliche Handhabe, diese Störung,
von der Sie gesprochen haben, zu unterbinden, und man
sollte deshalb dieses Problem nicht vor der europäischen
Haustür abladen, sondern da, wo es hingehört: beim
deutschen Gesetzgeber…
Die meisten EU-Mitglieder - ich glaube 19 von 25 - haben
Mindestlöhne eingeführt. In Deutschland ist das aus
Gründen, die mit der Tarifautonomie zusammenhängen,
nicht geschehen, deshalb gibt es in Deutschland nur die
Möglichkeit, die Allgemeingültigerklärung von
Tarifverträgen hier vorzusehen. Es sei denn, man würde
diese Haltung ändern. Aber das ist nicht etwas, womit
ich mich befassen muss, die Deutschen müssen selber
entscheiden wie sie das Ziel der Richtlinie
sicherstellen, nämlich dass durch entsandte Arbeitnehmer
aus einem anderen EU-Land kein Lohn- oder Sozialdumping
entstehen soll. Das wäre genau das Ziel. Wir wären doch
verrückt in Europa, wenn wir es zulassen würden, dass
Arbeitslosigkeit in einem Land dadurch bekämpft wird,
dass man sie in einem anderen Land erzeugt. Das ist doch
geradezu widersinnig. Und genau aus diesem Grunde gibt
es diese Entsenderichtlinie, und die Deutschen müssen
sich mit der Frage befassen, ob es jetzt, nachdem es
mehr Freizügigkeit im Bereich von europäischen
Dienstleistungen gibt, ob sie sich das nicht noch einmal
ansehen müssen und vielleicht die Regelungen etwas enger
fassen müssen.
(Interviewer: Die Entsenderichtlinie wird
zum Bestandteil der Dienstleistungsrichtlinie?)
Ja. In dem so heftig kritisierten Entwurf der
Dienstleistungsrichtlinie steht - ich glaube schon in
Artikel 4 - wörtlich drin: Die europäische
Entsenderichtlinie bleibt voll inhaltlich in Kraft.
Deshalb hätte diese ganze Diskussion über Lohn- und
Sozial-Dumping vermieden werden können, wenn diejenigen,
die diese Diskussion geführt haben, den Text des
Entwurfs gelesen hätten.
Die Erweiterung der Entsenderichtlinie über das
Baugewerbe hinaus wurde jedoch von der
CDU-Bundesratsmehrheit abgelehnt (sh. oben).
Im
Gegensatz zur obigen Annahme von Verheugen wurde die
Entsenderichtlinie in
Deutschland offenbar nur für das Baugewerbe, aber noch nicht für das Gebäudereinigerhandwerk
umgesetzt. Dieses Gewerbe ist lediglich zur
Zeit noch geschützt durch die oben erwähnten
Zuzugsbeschränkungen. Die Einbeziehung hätte auch
für die Zukunft unmittelbar praktische Folgen gehabt:
Außerhalb des
bereits jetzt vom AEntG erfassten Baubereichs erfüllt
bislang nur das Gebäudereinigerhandwerk die
Voraussetzungen einer bundesweiten
Lohntarifvertragsstruktur sowie einer bereits
ausgesprochenen Allgemeinverbindlicherklärung.
(Sh. den rotgrünen Gesetzentwurf lt.
BT-Drs. 15/5445 v. 10.5.2005, S. 4, IV.
Gesetzesfolgen, und dazu die o.a. BT-Drs.
BT-Drs. 15/5810, sowie „Stellungnahme
des … Gebäudereinigerhandwerks zum Vorschlag der
EU-Kommission über Dienstleistungen im Binnenmarkt …“ v.
15.2.2005). Es handelt sich daher um einen interessanten
Fall für die Erfüllung der beiden Voraussetzungen, die
für die Wirksamkeit des Entsendegesetzes ohnehin gegeben
sein müssen, solange keine gesetzlichen Mindestlöhne
gelten.
Dagegen würden in der Fleischindustrie offenbar nur Mindestlöhne
helfen, weil die Unternehmer nicht für
tarifvertragliche Regelungen zu haben sind (sh. "Zur
Übertragbarkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf
die deutsche Fleischbranche", IAT-Report
2005-03, S. 8). Ganz im Gegenteil arbeiten etliche von
ihnen mit kriminellen Schleppern aus Deutschland
zusammen oder halten diese gar selbst zu ihren kriminellen
Praktiken an (sh. den hervorragend recherchierten Film "Die
Fleischmafia", von Adrian Peter und Kim
Otto aus dem Jahre 2005). Bei solchen Ausbeutungs- und
Gammelfleisch-Profiteuren kann es auch kein Verständnis
dafür geben, dass diese deutschen Unternehmen selbst
unter gewissem Druck der Produktionsverlagerung
ins unmittelbar benachbarte Polen oder Tschechien
stehen, so dass ihre erheblichen Investitionen in
teilweise hoch automatisierte Betriebe durch den
ausländischen Konkurrenzdruck entwertet würden.
Auch am Beispiel der Fleischindustrie zeigt sich wieder der grundlegende Unterschied
zwischen der Beurteilung der Lohnfestsetzung im
Dienstleistungsbereichs einerseits und in der
Sachgüterproduktion andererseits, wobei jedoch die
verlagerungsfähigen Dienstleistungen oft wie Sachgüter
zu beurteilen sind (Softwareproduktion; mehr und mehr
auch Verwaltungsarbeiten sowie Projektierungen, soweit
die Barriere der deutschen Sprache eine Verlagerung
zulässt). Bei der Verlagerung von Dienstleistungen aus
Deutschland nach Irland - wegen des EU-subventionierten
Steuerdumpings zugunsten der Unternehmer - zahlen diese
auch gern Hochlöhne für deutsche Telefonisten, die ihren
Arbeitsplatz dorthin verlagern.
Die jetzige Regierung könnte zwar gesetzliche
Mindestlöhne einführen, aber auch das wird von starken
Teilen der CDU abgelehnt. Dazu schrieb DIE WELT am
13.2.06: „Geplanter
gesetzlicher Mindestlohn spaltet die Union“ und
weiter:
Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef
Edmund Stoiber bei einem Bund-Länder-Treffen am
vergangenen Donnerstag für Mindestlöhne aussprechen,
lehnten CSU-Generalsekretär Markus Söder und Sachsens
Ministerpräsident Georg Milbradt das Vorhaben ab. Auch
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ist gegen
Mindestlöhne.
"Wenn es in 15 europäischen Ländern einen Mindestlohn
gibt, dann ist schlecht zu erklären, warum bei uns
nicht", sagte Merkel nach Informationen des "Focus". Das
Thema dürfe man nicht der SPD überlassen. Ähnlich habe
sich Stoiber geäußert. Milbradt warnte hingegen, daß ein
Mindestlohn "Hunderttausende Arbeitsplätze" kosten
würde. Söder argumentierte, daß ein solches Projekt "die
Wählerschaft im Mittelstand" verschrecken würde.
Man sieht also einerseits die typische Klientelpolitik
für den „Mittelstand“, womit aber keineswegs die
Normalverdiener oder etwas gehobenen Besserverdiener
gemeint sind und auch nicht die Kleinunternehmer, die
unter den Dumpingpreisen ausländischer Entsender
besonders leiden.
Andererseits wirken sich aber auch die
Mindestlohnforderungen des Linksbündnisses auf die
Bereitschaft der etablierten Parteien zu Mindestlöhnen
aus. Durch die Forderungen des Linksbündnisses kam
zunächst wieder einmal die SPD in Zugzwang, und
übernahm notgedrungen diese Forderung, auch auf Druck
der Gewerkschaften, nachdem der Kanzler der Bosse jetzt
selber Ölboss geworden ist, sein Einfluss in der Partei
gegen die Arbeitnehmerinteressen also entfällt und diese
daher auch wieder eine minimale Chance haben. Nach
solchem Aufflackern sozialdemokratischer Restbestände konnten sich die
Wahlstrategen der CDU in der Nachfolge von Helmut Kohl
dieser Forderung ebenfalls nicht einfach entziehen.
Auf der anderen Seite können Mindestlöhne in Verbindung
mit Steuerdumping bei der Massenproduktion von
Sachgütern tatsächlich zur Verlagerung von
Arbeitsplätzen führen, wie man an den Beispielen AEG,
Continental und sogar bei der Autoproduktion sieht. Zwar
liegen die Löhne in diesen Bereichen deutlich über den
voraussichtlichen Mindestlöhnen. Die derzeitigen
Löhne – auch bei kapitalintensiver Sachgüterproduktion -
können deshalb schon jetzt als Begründung für den
Arbeitsplatzexport dienen, um den eigentlichen Anreiz zu
verschleiern, nämlich die Gewinnverschiebung wegen der
EU-subventionierten Dumping-Steuer in den
Niedriglohnländern. Aber auf längere Sicht
würden selbst die niedrigen Mindestlöhne noch als
Argument für den Arbeitsplatz-Export herhalten.
In Verbindung mit der Dienstleistungsrichtlinie wirken
sich Mindestlöhne für Dienstleistungen jedoch kaum
entscheidend auf die Sachgüterpreise des
Exportweltmeisters Deutschland aus. Wie üblich, wird
eine halbwegs plausible Überlegung gleich als Dogma zur
Klientelpolitik zurechtgebogen.
Zur geänderten Fassung der
Dienstleistungsrichtlinie heißt es in den
Aktuellen Meldungen des Europaparlaments vom 16.2.06:
Dienstleistungskompromiss findet im Parlament eine
Mehrheit
Nach einem zweistündigen Abstimmungsmarathon hat das
EU-Parlament heute die radikal abgeänderte Richtlinie
über die Dienstleistungsfreiheit angenommen. Die
Kompromissvorschläge, die die beiden größten
politischen Fraktionen formuliert hatten, fanden im
Plenum Unterstützung. Der geänderte Text wurde mit 394
Ja-Stimmen, 215 Nein-Stimmen und 33 Enthaltungen
verabschiedet...
und dann weiter beschwichtigend an die Adresse der
Entwurfsgegner im verlinkten
Presse-Info vom 20.2.06,
Hervorhebung vom Verfasser:
Nach zweijährigen Beratungen hat das Europäische
Parlament heute in Erster Lesung über die
EU-Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt...
Das Parlament stellte klar, dass das nationale Arbeits-
und Sozialrecht auch weiterhin gilt...
Am heftigsten umstritten war das
sog. Herkunftslandprinzip.
Die Änderungen des Europäischen Parlaments zum
Herkunftslandprinzip betreffen vier Punkte...
Erstens... Der Begriff "Herkunftslandprinzip" wird in
der gesamten Richtlinie ersetzt durch den Begriff
"Freier Dienstleistungsverkehr", um auch sprachlich den
vorgenommenen Änderungen am ehem. Herkunftslandprinzip
Rechnung zu tragen.
Als zweiter Punkt folgen gewisse
Schutzrechte der Mitgliedstaaten aus "Gründen der
öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des
Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit". Im
dritten Punkt werden diese Schutzrechte wieder
eingeschränkt und im vierten Punkt wird ein Bericht der
Kommission nach fünf Jahren mit weiteren
"Harmonisierungsvorschlägen" gefordert. Dann heißt
es in dem Info weiter (Hervorhebung vom Verfasser):
Umstritten war zwischen den
Fraktionen lange Zeit die Frage, ob die Mitgliedstaaten
den freien Dienstleistungsverkehr auch aus Gründen
der Sozialpolitik und des Verbraucherschutzes
einschränken können. Befürchtet wurde, dass damit die
Dienstleistungsfreiheit unterlaufen und künstliche
Barrieren errichtet werden könnten. Die beiden großen
Fraktionen, EVP und SPE, einigten sich schließlich
darauf, keinen Verweis auf Sozialpolitik und
Verbraucherschutz aufzunehmen...
Das Umtaufen des "Herkunftslandprinzips" in
"Freizügigkeit für Dienstleistungen" erfolgt z.B. in der
Überschrift zur "Abänderung 152 Kapitel III Abschnitt 1"
und zu Artikel 16
des verabschiedeten
Parlamentsentwurfs vom 16.2.06.
Eine Regulierung der Dienstleistungsfreiheit "aus
Gründen der Sozialpolitik" ist also lt. Presse-Info vom 20.2.06
nicht zulässig.
In
dem verwirrenden PR-Info wird andererseits gegenüber den
düpierten Entwurfsgegnern beteuert: "Das Parlament
stellte klar, dass das nationale Arbeits- und
Sozialrecht auch weiterhin gilt..."
(sh. oben). Aber was bedeutet dies für das Lohn- und
Sozialdumping?
Einer Antwort auf diese Frage kommt man näher, wenn man
in dem Entwurf mit Strg/f sucht nach [sozialpolit],
[sozialrecht], [lohn] und [löhn].
Zu den "Gründen der Sozialpolitik und des
Verbraucherschutzes" (sh. vorstehendes
Info-Zitat) hat das Parlament in den
Kommissionsentwurf (ebd.)
als weitere Möglichkeit zur Beschränkung der
grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit noch
"Sozialpolitik und Ziele der öffentlichen Gesundheit"
eingefügt in den Kommissionstext:
...zwingende Gründe des
Allgemeininteresses ..., wie etwa den
Schutz der städtischen Umwelt,
die Sozialpolitik und Ziele der öffentlichen
Gesundheit...
Die Einbettung von Sozialpolitik zwischen "Umwelt"
und "Gesundheit" zeigt schon, dass es hier nicht um
Lohn- und Sozialdumping im Sinne der Entsenderichtlinie
geht.
Was bedeutet dann aber die betonte
Weitergeltung des "nationalen Arbeits- und
Sozialrecht"? Dazu
heißt es in
"Abänderung 9, Erwägung 6d (neu)",
ebenda,
Hervorhebung vom Verfasser:
(6d) Angesichts
des Umstands, dass der Vertrag spezifische
Rechtsgrundlagen für Fragen des Arbeits- und
Sozialrechts vorsieht, und um sicherzustellen, dass die
vorliegende Richtlinie diese Fragen nicht berührt, ist
es erforderlich, den Bereich des Arbeits- und
Sozialrechts aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie
auszunehmen.
Mit "der Vertrag" ist hier der EG-Vertrag gemeint, und
der sieht keine derartige Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit vor. Also bedeutet die
gepriesene "Weitergeltung von Arbeits- und Sozialrecht"
im Grunde, dass es durch grenzüberschreitende
Dienstleistungen unterlaufen werden kann - nach
dem umgetauften "Herkunftslandprinzip". Insofern
handelt es sich um reine Begriffskosmetik. Als
Instrument gegen Lohn- und Sozialdumping bleibt also
erwartungsgemäß nur die einbezogene Entsenderichtlinie.
Die kann zwar durch Mindestlöhne ein wenig gegen
Lohndumping helfen, aber nicht gegen das Sozialdumping
durch "Einsparung" von bis zu über 40 Prozent
Sozialversicherungsbeiträgen, dem allein schon durch die
mangelnden Kontrollmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet
ist.
Die Einbeziehung der Entsendelinie sollte man nicht als
Besonderheit, sondern als Selbstverständlichkeit
erwarten.
Aber offenbar hatte die neoliberale Kommission
die Einbeziehung ihrer eigenen Entsenderichtlinie in den
Entwurf ihrer Dienstleistungsrichtlinie unterschlagen,
denn in den Parlamentsentwurf wird sie erst
einbezogen durch die "Abänderung 50 Erwägung 41a (neu)",
die das Parlament eigens dafür geschaffen hat. Hier
sieht man auch, dass die Dumping-Konditionen in der
Richtlinie als "Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen"
bezeichnet werden, womit sie von dem herausgenommenen
"Bereich des Arbeits- und Sozialrechts" gemäß Abänderung
9 unterschieden werden. Die ausdrückliche Herausnahme
dieses Bereichs aus dem Herstellungslandprinzip ist ein
weiterer Beleg dafür, dass er vorher davon betroffen war
und anscheinend auch die Dumpingabwehr durch die
Entsenderichtlinie in Frage stellen sollte.
Trotz aller Plausibilität aus neoliberaler Sicht, kann
man sich andererseits eine Absicht bei der Unterschlagung
der Einbeziehung kaum vorstellen, da die
Entsenderichtlinie vielfach schon in nationales Recht
umgesetzt wurde. Aber es ist den neoliberalen
EU-Lobbyisten zuzutrauen, dass sie gegen die
Entsenderichtlinie unbemerkt neues Recht setzen wollten,
so dass erst vor dem EuGH später klar werden sollte,
dass das alte Recht erledigt wurde. Dann hätten sie
darauf hoffen können, dass mit den zehn neuen
Mitgliedern die Mehrheitsverhältnisse für eine Korrektur
nicht mehr reichten.
Nähere Erläuterungen zu den genannten Änderungen sind zu
finden in dem Info des EU-Parlaments: "Debatte
und Abstimmung zur Dienstleistungsrichtlinie - jüngste
Entwicklung", vom 14.2.06. Darin heißt
es:
Die beiden größten Fraktionen des EP, die Europäische
Volksparte (EVP) und die Fraktion der
Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), haben zu
einigen strittigen Punkten, etwa dem
Herkunftslandprinzip, gemeinsame Anträge eingereicht.
Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für das
Mitentscheidungsverfahren
und Vertreterin dieser schwarzrötlichen Koalition ist
Evelyne Gebhardt (SPD). In dem Info findet sich ein
interner Link zu ihrem gemeinsamen Änderungsantrag und
den übrigen 403
Änderungsanträgen zum
Kommissionsentwurf.
Tatsächlich findet man dort die "Rechtfertigung"
("Justification") für die ausdrückliche Einbeziehung der
Entsenderichtlinie - im Anschluss an "Amendment 50 -
Recital 41a (new). Diese Einfügung wird dort aber nur als "Klarstellung" bezeichnet ("this new recital
clarifies...").
Mit der gepriesenen "Weitergeltung von nationalem
Arbeits- und Sozialrecht" soll lediglich die
Vereinbarung von EU-Regelungen zur Sozialpolitik
weiterhin ermöglicht werden. Diese Begründung
("Justification") findet man gleich im Anschluss an
"Amendment 9 - Recital 6d (new)". Es geht also gar
nicht um "nationales" Arbeits- und Sozialrecht, sondern
um die Vereinbarung von EU-Recht.
Von einer Streichung des Herkunftslandprinzips kann also
keine Rede sein.
Die neoliberale Presse stellt das jedoch anders dar und
hat ihre Desinformation noch verstärkt. So heißt es in
der FAZ vom 14.2.06 zu den erfolgten Änderungen:
Das Europäische Parlament
widerstand dem Druck der Straße lange. Große Teile der
konservativen EVP wehrten sich mit den Liberalen und den
Abgeordneten der neuen EU-Staaten gegen die Forderung
der im Parlament für die Richtlinie zuständigen
Berichterstatterin, Gebhardt (SPD), das
Herkunftslandprinzip zu streichen. Eine Woche vor der
Abstimmung jedoch scheint den Konservativen der Glaube
zu fehlen, daß sie damit die Mehrheit erringen können.
Sie einigten sich mit der anderen großen Fraktion des
Parlaments, den Sozialisten, doch noch darauf, auf das
Prinzip zu verzichten. Die Richtlinie soll nun nur noch
verbieten, Vorschriften zu erlassen, die unnötig sind
oder ausländische Anbieter diskriminieren.
DIE WELT vom 16.2.06 schreibt unter der Überschrift "EU-Dienstleistungsrichtlinie
beschlossen":
Das strittige Herkunftslandprinzip soll weitgehend
gestrichen werden...
Die Abgeordneten kippten das besonders umstrittene
Herkunftslandprinzip...
Ebenfalls am 16.2.06 schrieb die Welt unter der
Überschrift "Mächtiger
Bremser":
Auf Druck von Schulz hat das Parlament nun das
Herkunftslandprinzip weitgehend verbannt. Zwar kann
jeder zugelassene Dienstleister überall in Europa aktiv
werden, die Ausführung muß aber nach den Regeln vor Ort
geschehen.
Und am 17.2.06 hieß es ebenda unter der Überschrift "EU-Parlament
entschärft Dienstleistungsrichtlinie":
Das als Wegbereiter für Sozialdumping kritisierte
Herkunftslandprinzip, nach dem Dienstleister bei
Tätigkeiten im EU-Ausland nur den Regeln ihres
jeweiligen Heimatlandes unterworfen werden sollten,
wurde gestrichen.
Diese Desinformation wurde von den meisten Medien
weiterverbreitet oder nachgeplappert. Auf dieser Linie
war am 25.2.06 auch noch der Wikipedia-Artikel zur
Europäischen
Dienstleistungsrichtlinie mit der Aussage:
Am 16.02.2006 wurde die Dienstleistungsrichtlinie nur
ohne das umstrittene Herkunftslandprinzip vom
Europaparlament verabschiedet.
In der Tat ließ sich der als "mächtiger Bremser"
kritisierte Schulz tüchtig feiern für seinen
Scheinerfolg beim Herkunftslandprinzip mit den vielen
eingefügten neuen und alten Wortgirlanden. Sollte es ein
echter Erfolg gewesen sein, dann wäre die Begründung
("Justification") seiner Fraktion für den eingefügten
Hinweis auf die Entsenderichtlinie eine Lüge.
Es bleibt also bei dem
"erschreckenden Mangel an Informiertheit in großen
Teilen der deutschen Öffentlichkeit …Bis in die Spitzen
von Parteien hinein und Fraktionen," den
Günter Verheugen in seinem obigen Interview mit dem
Deutschlandradio Kultur beklagt hat. Aber diesmal wirkt
diese Ignoranz oder mutwillige Desinformation zu seinen
Gunsten und wurde durch die Informationspolitik seiner
großen Koalition im EU-Parlament noch verstärkt. In
Wirklichkeit ging es bei dem ganzen PR-Rummel für die
schwarzrötliche Koalition im EU-Parlament nur um
Kosmetik, was auch der Europaabgeordnete Martin Schulz
(SPD) indirekt bestätigte (sh. unten).
Dagegen erläuterte Sahra Wagenknecht schon am 11.2.06
in dem oben zitierten Artikel klarsichtig und unbedingt
lesenswert, welch "Fauler
Kompromiss" da fünf Tage später bevorstand. Die obigen Ergebnisse der
Entwurfsanalyse zum Lohndumping werden damit im
nachhinein weitgehend bestätigt durch eine direktere,
umfassendere und aufschlussreiche
Textanalyse, die sich offenbar auf Sahra Wagenknechts
Teilnahme an der Diskussionen stützen kann. Einen
Link zu ihren weiteren Beiträgen
und ihrer kurzen EU-Parlamentsrede vom 14.2.06 gegen die
Dienstleistungsrichtlinie findet man auf ihrer Webseite. Darin sagt
sie auch das Ende der Kontrollmöglichkeit von
zuströmenden Scheinselbständigen voraus. Gerade die
Scheinselbständigkeit lässt sich ja fatalerweise auch
nicht durch die erweiterte Anwendung der
Entsenderichtlinie kontrollieren.
Zu dem EU-Abgeordneten Martin Schulz (SPD) und zur
SPD-Propagandistin Evelyne Gebhardt schreibt sie:
Martin Schulz erläuterte vor einigen Wochen erstaunlich
ehrlich die sozialdemokratische Verhandlungsstrategie:
»Letztlich geht es in den Gesprächen der kommenden
Wochen weniger um inhaltliche als um sprachliche
Korrekturen. ... Mit den Grundzügen der Richtlinie
können die Sozialdemokraten leben – zumindest in der
Fassung, die der Binnenmarktausschuß im Herbst
beschlossen hat.«
Der Begriff des Herkunftslandes als solcher freilich
tauchte bereits in der vom Binnenmarktausschuß
verabschiedeten Version der Richtlinie nicht mehr auf.
Die Überschrift von Artikel 16, die ursprünglich
»Herkunftslandprinzip« lautete, wurde in »Freizügigkeit
für Dienstleistungen« umgeändert. Wenn Evelyne Gebhardt
jetzt als Erfolg verkündet, sie habe »den umstrittenen
Artikel 16 (Herkunftslandprinzip) durch ›freedom to
provide services‹ ersetzt«, ist ihr offenbar entfallen,
daß eben diese Veränderung bereits im November von der
konservativen Fraktion durchgesetzt wurde.
Grund für die Lobreden von Martin Schulz und
anderen auf die
Schaumschlägerei seiner schwarzrötliche Koalition im
EU-Parlament ist offenbar eine Stimmungsmache für die
schwarzrötliche Koalition in Berlin. Die Schwarzen
finden so in den neoliberalen Medien Unterstützung für ihren Merkel-Faktor und die
Rotkarierten wollen sich für die nächsten Wahlen zu Unrecht als Anwälte der
kleinen Leute profilieren. Ohne Erfüllung dieser Aufgabe
haben sie keinen Anspruch auf ihre überhöhten Bezüge,
sondern bestenfalls auf ihr Hartz-IV-Programm. Für die
bestverdienenden Lobbyisten in den Medien und bei der EU
müssen sie sich nicht profilieren, denn die setzen schon
selbst mit allen Mitteln ihre Interessen durch.
Zu der Wählertäuschung und deren Opfern schrieben Sahra
Wagenknecht und Oskar Lafontaine in einem gemeinsamen
Aufruf vom 9.2.06:
Der von den Sozialdemokraten gefeierte Durchbruch ist
deshalb vor allen Dingen ein Durchbruch, was die eigenen
Reihen betrifft. Der öffentlich vorgegaukelte Spagat
zwischen Matthias Platzeck, der zur Demonstration
aufruft, und Martin Schulz, der auf Konsens mit den
Konservativen setzt, ist pünktlich zur Abstimmung
beendet worden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Beschäftigten und die
ebenfalls von der Richtlinie in ihrer Existenz bedrohten
Klein- und Mittelunternehmen sich nicht von den
präsentierten Lügen und Fehlinformationen blenden
lassen. Weiterhin muss Widerstand geleistet werden gegen
die Große Koalition der Sozialabbauer und Verfechter
eines neoliberalen Europa! Die Richtlinie ist nicht
substanziell verändert oder eingeschränkt worden. Sie
ist auch mit den angeblichen Kompromissen das, was sie
immer war - ein Freibrief für Sozialabbau, Lohndumping
und ungehemmte Profite der Großkonzerne. Mächtige
Demonstrationen gegen die Dienstleistungsrichtlinie sind
deshalb jetzt dringender nötig denn je!
Das Gehabe von Martin Schulz beschreibt auch Korbinian
Frenzel, Straßburg, in seinem Artikel "Schutzmacht
Europa",
jungle-world.com, 22.2.06.
Darin erwähnt er auch den Umfang der Demonstrationen:
Zumindest für die deutschen Zuhörer muss es ein déjà-vu
gewesen sein, als Martin Schulz am Dienstag vergangener
Woche eine sieben Minuten lange Siegesrede vor dem
Europäischen Parlament in Strasbourg hielt. »Bolkestein
existiert seit heute nicht mehr«, proklamierte der
Fraktionschef der Sozialdemokraten mit Inbrunst und
einem Testosteronspiegel, der an die berühmte
Fernsehrunde nach der Bundestagswahl mit dem damaligen
Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnerte....
Nach einem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbunds
hatten sich am Dienstag voriger Woche rund 40.000
Demonstranten nach Strasbourg aufgemacht, um gegen die
Bolkestein-Richtlinie zu protestieren.
Allerdings ist Frenzel selbst Opfer der gezielten
Verwirrung, wenn er meint, dass der schwarzrötliche
Entwurf "die Richtlinie in zentralen Punkten
entschärft". Weiter schreibt er:
In der überarbeiteten Version taucht das umstrittene
Herkunftslandprinzip nicht mehr explizit auf. Hätten die
Gewerkschaften und Verbände ihre Busse ins Elsass nicht
schon lange vorher gebucht, wären vielleicht am Dienstag
vergangener Woche sehr viel weniger gekommen. Warum
jetzt noch demonstrieren? »Um den Druck
aufrechtzuerhalten«, legte sich ein Verdi-Mitglied aus
Stuttgart ein Argument zurecht.
Man hat den Eindruck, dass die Gewerkschaften ebenfalls
auf das Verwirr-Monstrum mit der Wortkosmetik
hereingefallen sind und dass Günter Verheugen auch hier
recht behält mit seiner obigen Klage über den
"erschreckenden Mangel an Informiertheit in großen
Teilen der deutschen Öffentlichkeit …Bis in die Spitzen
von Parteien hinein und Fraktionen". Aber
diesmal dürfte aus Verheugens Klage eher ein
Triumphgesang werden, weil die weiteren Verwirrungen des
Textes nur noch für deren neoliberale Urheber
durchschaubar sind und nur für sie die künftigen
Auslegungen des Europäischen Gerichtshofes im Sinne
ihres Neoliberalismus einigermaßen voraussehen lassen.
Zu all dem bleiben noch die
Probleme bei der grenzüberschreitenden Kontrolle des
Dumpingschutzes bestehen (sh. auch "Europäisches
Parlament ignoriert Interessen der ArbeitnehmerInnen",
wien.arbeiterkammer.at, 16.2.06). Die
Kontrollmängel wurden im Hinblick
auf die Entsenderichtlinie schon weiter oben kurz erläutert:
Sie
sind aber durch die Dienstleistungsrichtlinie noch
wesentlich verschärft worden.
Man muss dabei über den 1.5.2011 als spätesten Termin
hinaus denken, wenn der Zustrom von Arbeitskräften aus
den EU-Niedriglohnländern nicht mehr reguliert ist (sh.
oben) und deutsche Arbeitplätze massenhaft verdrängt
werden durch „Entsendung“ mit Lohndumping und
unkontrollierbarem Sozialdumping.
Allein schon die Mängel bei der Kontrolle gemäß
Artikel 34 ff. des Richtlinienentwurfs sollten seine
Annahme ausschließen:
In Artikel 34 ist die ausschließliche Kontrolle durch
den Mitgliedstaat der Hauptniederlassung vorgesehen.
Diese Aufgabe könnte er im Zielland zwar kaum leisten,
aber das käme dem entsendenden Mitgliedstaat mit hoher
Arbeitslosenquote wohl nicht ungelegen. Die erstrittene
„Abänderung
200“ enthebt ihn zwar dieser Aufgabe im Zielland und
sieht stattdessen die
Kontrolle durch die Behörden des Ziellandes auf ihrem
Gebiet vor. Dem Mitgliedstaat der
Hauptniederlassung bleibt also lediglich die Verpflichtung zur
Kontrolle auf seinem Gebiet. Das klingt zunächst
plausibel.
Die Probleme liegen jedoch in der praktischen
Durchführung der Kontrollen und in den
Sanktionsmöglichkeiten. So gilt z.B. nach wie
vor die Kritik auf der Webseite des ORF Steiermark mit
Datum vom 30.5.06 unter der Überschrift "Keine
Sanktionen - AK kritisiert
Dienstleistungsrichtlinie":
"Es fehlen wirksame
Kontrollmöglichkeiten"
Kritik an der neuen
Richtlinie kam vom steirischen Arbeiterkammerpräsidenten
Walter Rotschädl: "Uns fehlen nach wie vor
wirksame und durchsetzbare Kontroll- und
Sanktionsmöglichkeiten wenn zum Beispiel das
Arbeitsrecht verletzt wird. Wir könnten wohl in
Österreich eine Strafe verhängen, aber wir könnten sie
nicht exekutieren, weil es kein Abkommen mit den
EU-Ländern gibt", so Rotschädl.
Auch von der Zusammenarbeit bei den Kontrollen ist
nicht viel zu erwarten. Man erkennt das schon an den
jüngsten Angriffen auf die bisherigen deutschen
Kontrollmöglichkeiten zur Entsenderichtlinie
(sh. hier
Abschnitt 4).
Wenn deutsche Dienstleister z.B. in Polen ihre
Hauptniederlassung anmelden und von dort polnische und/oder deutsche
Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, sind
Bescheinigungen über die tatsächliche Entrichtung von
Sozialabgaben durch die polnischen Behörden
auszustellen. Die deutschen Behörden können und dürfen
nur das Vorhandensein und die Echtheit der
Bescheinigungen prüfen. Den Zustrom von vertrags- und
gesetzeswidrig beschäftigten Arbeitnehmern aus Polen
nach Deutschland und die Lohndrückerei durch illegale
„Einsparung“ von mehr als 40% Sozialabgaben nach
deutschem Standard sollen also die polnischen Behörden
verhindern durch gewissenhafte Ausstellung solcher
Bescheinigungen. Die Überwachung der Weiterzahlung von
Sozialbeiträgen für einmal ausgestellte
Versicherungsbescheinigungen ist den deutschen Behörden
aber nicht möglich.
Die groben Mängel bei der Regelung der
Kontrollmöglichkeiten sind nicht nur auf Schlamperei
oder auf die verbreitete Gleichgültigkeit der
bestbezahlten Eurokraten gegenüber den Problemen der
Dumping-Opfer zurückzuführen. Vielmehr haben sie System.
Gerade die Sabotage der Kontrollmöglichkeiten ist der
wichtigste Ansatz gegen den Schutzzweck der Richtlinien.
Bisher
sind die Entsendemöglichkeiten auch für das Baugewerbe
noch stark eingeschränkt (sh.
Anhang XII der „Liste nach Artikel 24 der
Beitrittsakte", a.a.O.). Ins Baugewerbe
strömen zur Zeit nur Selbständige, viele
Scheinselbständige und Kontingentarbeitnehmer nach den
„Werkvertragsabkommen“ (sh. oben). Dennoch hat der
vorläufig stark beschränkte Zustrom schon jetzt
beachtliche Dumpingwirkungen. Dazu schreibt
Wolfgang Jungen in seiner oben zitierten Untersuchung:
Bauwirtschaft und EU-Ostintegration in der
deutsch-polnischen Grenzregion, Viadrina,
September 2003, S. 52:
Sowohl für
deutsche Arbeitnehmer im Baugewerbe, als auch für
deutsche Bauunternehmer, bedeutet die EU-Ostintegration
eine Verschärfung der Wettbewerbslage...
Zuwachs pro Jahr: 20000 Bau-Erwerbstätige
Die jährliche
Zuwanderung aus Osteuropa nach Deutschland wird auf bis
zu 60.000 Erwerbstätige geschätzt. Es wird damit
gerechnet, dass rd. ein Drittel davon im Baugewerbe
beschäftigt sein wird. Insgesamt, ist in den nächsten 15
Jahren mit 110.000 bis 200.000 zusätzlichen
Bau-Arbeitskräften aus Osteuropa zu rechnen. Gerade im
Bereich der Geringqualifizierten, wird sich das
Arbeitsangebot ausweiten. Hier ist mit einem
Verdrängungswettbewerb zu rechnen, der dann dämpfend auf
die Löhne wirkt.
Entsendegesetz bietet wenig Schutz
Das deutsche
Entsendegesetz bietet davor nur wenig Schutz, da
Sozialversicherungsbeiträge nicht darunter erfasst sind
und v.a. weil ausländische Selbstständige nicht unter
den Wirkungsbereich des Gesetzes fallen. Hinzukommt,
dass Alleinunternehmern von Einschränkungen der
Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen der
Übergangsregelungen nicht betroffen sind und ggf.
allenfalls von Einschränkungen der
Dienstleistungsfreiheit betroffen wären, die aber im
Bausektor wohl eher nicht zu erwarten sind.
Der
Druck wirkt sich also zwangsläufig auch auf den
Bauunternehmer aus. Er wird dazu gedrängt, dass er
entsandte Arbeitnehmer beschäftigt, für die man durch
Entsendefirmen im Ausland sehr häufig nicht einmal die
dortigen Dumping-Arbeitsverträge erfüllt und die
Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt (sh. das
Beispiel Polen, ebd., S. 26 f.):
Ergebnisse der staatlichen Kontrollinstanzen (PIP):
Die
staatliche Arbeitsinspektion (PIP) führte im Jahr 2002
ca. 1500 Kontrollen in Privatunternehmen durch. Zum Teil
finden die Kontrollen auf Hinweise der Gewerkschaften
statt. Bei mehr als 90 % der Betriebe liegen Gesetzes-
und Vertragsverletzungen vor. Alle Gesetzes und
Vertragsverletzungen haben sich in den Jahren 2000 und
2001 prozentual weiter ausgedehnt. Die Ergebnisse sind :
*
Vordringlich ist die nicht fristgerechte Auszahlung
von Löhnen (68% gegenüber 62% im Vj.),
wobei
geringer qualifizierte besonders betroffen sind.
* Bei 48,5%
der Betriebe werden keine Urlaubsvergütungen gezahlt
* 40,3% der
Betriebe zahlen keine Überstundenvergütungen
*
Arbeitszeiten werden häufig nicht dokumentiert (keine
gesetzlichen Vorgaben)
*
Arbeitsbekleidungsäquivalente werden bei 37,3% der
Betriebe nicht gezahlt
* Häufig
werden die Lohnbestandteile für die
Sozialversicherungsanteile oder auch
Gewerkschaftsbeiträge nicht vom Arbeitgeber abgeführt.
Man bringt
also schon im eigenen Land das Sozialdumping sowie die
„Gesetzes- und Vertragsverletzungen“ kaum ernsthaft unter
Kontrolle. Wie viel weniger Interesse wird man bei der
eigenen hohen Arbeitslosigkeit haben, die illegalen
Entsendungen und den Zustrom nach Deutschland durch
Kontrollen einzuschränken (sh. oben)! Unter diesen
Umständen ist ein Sozialdumping in den westlichen
EU-Staaten kaum zu vermeiden. Der
Kommissionsvorschlag vom 4.4.06
bringt keine Verbesserung, sondern fällt noch hinter den
"faulen "Kompromissvorschlag des Parlaments zurück.
Die einzige sinnvolle Regelung wäre die, dass auch für
entsandte Arbeitnehmer die Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland nach
deutschen Sätzen erhoben würden und dass sie dann
gegebenenfalls mit angemessenen
Verwaltungskostenabschlägen an den entsendenden Staat
weitergeleitet werden. Aber diese Regelung würde die
Lobby der finanzstarken Arbeitgeberverbände über ihre
zwischengeschalteten Lobbyisten in der Politik
blockieren gegen die Interessen ihrer finanzschwachen
Mitglieder (z.B. gegen kleine Bauunternehmen).
Bei größeren Unternehmen muss man nämlich nicht den
Bankrott durch Billigkonkurrenz fürchten, sondern man
kann selbst durch massenhaften Einsatz von entsandten
Arbeitnehmer die Kosten drücken und dadurch zunächst
eine weitere Gewinnexplosion auslösen. Durch den
Bankrott der finanzschwachen Verbandsmitglieder, kann
man dann auch anschließend noch eine Weile die Preise
halten nach Art der Supermärkte gegen die
Tante-Emma-Läden. Aber schließlich verschärft sich auch
die Konkurrenz unter den Großen, so dass sie dann
versuchen werden, immer mehr Verwaltungs- und
Planungsarbeiten zu noch niedrigeren Löhnen nach Asien
zu verlagern.
Wenn die Politiker, sonstigen Meinungsmacher und
Eurokraten nur ihren Lobbyisten dienen, mag es ihnen
vielleicht noch besser gehen als ohnehin schon, aber sie
zeigen auch, dass sie völlig fehl am Platze sind.
Ein Höhepunkt des Lobbyismus sind die irreführenden und
mehr oder weniger einhelligen deutschen Pressemeldungen
vom 30.5.06, mit denen ein erfolgter Kompromiss durch
Beseitigung des Herkunftslandprinzips suggeriert wird.
Das Handelsblatt präzisiert jedoch in seinem Artikel "Hintergrund:
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie",
handelsblatt.com, 29.5.06:
Das von der Kommission ursprünglich vorgeschlagene
„Herkunftslandprinzip“ hätte bedeutet, dass bei
Dienstleistungen die Regeln des Heimatlandes gelten, aus
dem der Anbieter kommt. Vor allem in den „alten“
EU-Staaten herrschte deswegen Angst vor
Billig-Konkurrenz aus den „neuen“ EU-Ländern Mittel- und
Osteuropas.
Das Herkunftslandprinzip wurde Mitte Februar vom
Europaparlament gekippt. Das Parlament beschloss mit den
Stimmen der großen Fraktionen, das Prinzip weitgehend
aufzugeben. Das Arbeits- und Tarifrecht des Gastlands
besteht nach dem Kompromiss uneingeschränkt fort.
Verboten werden jedoch Vorschriften, die ausländische
Anbieter diskriminieren.
Der neue Vorschlag der Kommission vom April orientierte
sich weitgehend an diesem Beschluss.
Auch die meisten anderen Medien folgen mehr oder weniger
der Sprachregelung, wonach das Herkunftslandprinzip
"Mitte Februar vom Europaparlament gekippt" wurde. In
Wirklichkeit wurde es nur umbenannt, und es hat sich an
dem oben geschilderten trojanischen Richtlinienentwurf
nichts Wesentliches geändert. Von dieser Tatsache lenkt
Springers WELT geschickt ab, wenn sie die Richtlinie
ihrer neoliberalen Mitkämpfer begrüßt mit dem Titel
"Dienstleistungen: EU-Staaten hoffen auf hunderttausende
neue Jobs",
welt.de, 30.5.06.
In dem Artikel lässt sie den Wirtschaftsstaatssekretär
Joachim Würmeling (CSU) lobpreisen: "Das ist eine
fein austarierte Balance zwischen Marktöffnung und
Sozial- und Umweltschutz".
Den EU-Binnenmarktkommissar
Charlie McCreevy,
Vertreter des bisher größten Steuerdumping-Profiteurs
Irland, zitiert sie mit dem Jubel: "Das ist ein großer
Tag für Europa".
Auch die SÜDDEUTSCHE
(dpa/AP) titelte: "Ein großer Tag für Europa",
sueddeutsche.de, 30.5.06.
In Verteilungsfragen folgen ihre bestverdienenden
Chefredakteure oft dem Mainstream. Wie der äußerlich
weichgespülte Richtlinienentwurf vom EU-Parlament nun
erneut zur EU-Kommission und dann zum EU-Ministerrat
gelangte, beschreibt der Artikel wie folgt:
Die verantwortlichen Minister votierten am Montagabend
in Brüssel nach über achtstündigen Verhandlungen ohne
Gegenstimmen für den Kompromiss der österreichischen
EU-Ratspräsidentschaft...
Die EU-Kommission hatte im April einen neuen Entwurf für
die Dienstleistungsrichtlinie vorgelegt. Darin
verzichtet sie auf das "Herkunftslandprinzip", das zuvor
bereits vom Europaparlament aus dem ursprünglichen
Entwurf gestrichen worden war.
Tatsächlich war der
"Bolkestein-Hammer" gemäß Richtlinienentwurf der
EU-Kommission zumindest sprachlich etwas verkleinert
worden durch den Gegenentwurf des EU-Parlamentes. Der
"Kompromiss" zwischen EU-Kommission und EU-Ministerrat
vom 30.5.06 dürfte vor allem darin bestehen, dass sie
einige kosmetische Korrekturen angebracht haben, um
schließlich auch einen Kompromiss mit dem EU-Parlament
zu erreichen. Etliche Korrekturen durch das Parlament
wurden wieder verwässert und in Richtung auf die
Dumpinglinie der Kommission getrimmt.
Das hinderte die Mehrheit im EU-Parlament jedoch nicht,
die Richtlinie ihrer profitierenden Lobbyisten am
15.11.06 zu verabschieden (sh. "Freibrief
für Dumping", jungewelt.de, 16.11.06).
Dabei hatte sie mit 80 Prozent der EU-"Volksvertreter"
fast die gleiche Mehrheit, auf die die deutschen
Neoliberalen dank Wählertäuschung, Kapital und Egoismus
ebenfalls zählen können, sowohl im Deutschen Bundestag
als auch in den Medien. Gegen diese Politik der
vollendeten Tatsachen helfen jetzt nur noch gesetzliche
Mindestlöhne (ebd.), wie sie in etlichen EU-Nachbarländern üblich sind
bei einer dortigen Arbeitslosenquote, die teilweise nur
halb so hoch ist wie in Deutschland (sh. die Länder
unter
Wikipedia/Mindestlohn). Aber auch solche
Mindestlöhne können das Dumping bei mangelhaften
Kontrollen nicht verhindern. Einfallstor ist z.B. die
Vermeidung der ca. 40%
Sozialbeiträgen, wenn die Sabotage
gelingt gegen die Bereithaltung von Kontrolldokumenten
in den Betrieben, gegen die Benennung von
Zustellungsbevollmächtigten und die Vollstreckung von
Sanktionen (sh. oben).
Was die Richtlinie - abseits von der neoliberalen
Meinungsmache und vom schwarzrötlichen Koalitionsgejubel
- tatsächlich weiterhin bezweckt, zeigt die "Anhörung
der Bundestagsfraktion DIE LINKE" vom
21.3.06.
Die betroffenen Klein- und Normalverdiener werden sich
von den bestbezahlten Eurokraten und sonstigen
Neoliberalen auf Dauer nicht einlullen lassen. Da man
ihnen die Gründe für ihre Ausplünderung nicht vermittelt
und die Linke diffamiert, wenden sie sich eher zu den
Rechtsradikalen. Diese fatale Entwicklung ist also von
den neoliberalen Profiteuren selbst verursacht. Daher
ist ihre Empörung darüber reine Heuchelei. Auch
die linke EU-Abgeordnete Sahra Wagenknecht sieht diese
Entwicklung, bei der Abwehr von Existenzbedrohung leicht
in Rechtsradikalismus umschlagen kann:
"Gerade in den westeuropäischen
Ländern wird dies nationalistische Ressentiments zur
Folge haben", meint die EU-Abgeordnete. So sorge die
Bereitschaft osteuropäischer Arbeitnehmer für
hierzulande niedrige Löhne zu arbeiten in der Baubranche
immer wieder für Unmut.
(Sh. "Als Linke muss
man die sozialen Interessen der Menschen vertreten",
stuttgarter-wochenblatt.de,
16.11.06).
4)
Erneute Angriffe auf Dumping-Kontrollen
Diese Aushöhlung des Dumping-Schutzes durch die
Dienstleistungsrichtlinie reicht den Dumping-Profiteuren
jedoch nicht. Die Industrievertreter wenden sich
weiterhin gegen staatliche Mindestlöhne, ohne die die
Entsenderichtlinie ins Leere läuft. Auch die
arbeitsmarktpolitische Abfederung von Mindestlöhnen
durch eine negative Einkommensteuer nach US-Vorbild
gefällt ihnen nicht, weil sie damit um ihre
Steuergeschenke fürchten. Andererseits versuchen die
Brüsseler Lobbyisten der angrenzenden EU-Neumitglieder
eine Sabotage der Entsenderichtlinie durch Blockade
ihrer Kontrollmechanismen, soweit diese durch die
Entsende- und Dienstleistungs-Richtlinie erhalten
geblieben sind.
Wichtigste Kontroll-Voraussetzungen sind die Pflicht zur
Bereithaltung von Lohnunterlagen und
Sozialversicherungsnachweisen bei Kontrollen auf
Baustellen sowie die Benennung eines
"Zustellungsbevollmächtigten" in Deutschland, damit
Verwaltungsakte gegen das Dumping überhaupt praktikabel
durchgesetzt werden können. Die Dumping-freundlichen
überbezahlten EU-Kommissare wollen deshalb eine
"Mitteilung" erlassen, wonach diese Pflichten entfallen.
Bei der Dienstleistungsrichtlinie hatten sie mit
ihrem Angriff auf die Entsenderichtlinie von 1996 in der
Hinsicht keinen Erfolg. Gegen die Kontrollmöglichkeiten wendet sich
insbesondere Vladimir Spidla, EU-Kommissar für
Arbeit und Soziales und früherer tschechischer
Premierminister. Er forderte von den Mitgliedstaaten:
auf "ungerechtfertigte Kontrollen" zu verzichten. Die
Entsenderichtlinie dürfe nicht dazu dienen, neue Hürden
für Dienstleister aufzubauen.
(Sh. "Europaabgeordnete
lehnen Aufweichung der Entsenderichtlinie ab",
manager-magazin.de, 26.10.06.)
Gegen diese Kommissions-"Mitteilung" zwecks
Beeinflussung des Europäischen Gerichtshofs wandten sich
viele EU-Parlamentarier zum gleichen Zweck mit einem
"Bericht". Dazu schreibt das manager-magazin.de (ebd.):
Die Mitteilung hatten viele Abgeordnete auch deshalb als
"Affront" bewertet, weil Rat und Parlament die
Streichung der beiden umstrittenen Regelungen, die sich
auch in der Dienstleistungsrichtlinie finden, dort
ausdrücklich ausgeschlossen haben.
Mit der Annahme des Berichts der Grünen-Abgeordneten
Elisabeth Schroedter ist nach Auffassung der
SPD-Parlamentarierin Karin Jöns "dem schleichenden
Einzug von Sozialdumping" ein Riegel vorgeschoben
worden. Dass effektive Kontrollen "bitter nötig" seien,
beweise die Tatsache, dass bei jährlich rund 35.000
Kontrollen auf deutschen Baustellen etwa 20.000
Geldstrafen aufgrund von Verstößen gegen das
Entsendegesetz verhängt würden. Der sozialpolitische
Sprecher der CDU/CSU-Gruppe, Thomas Mann, sagte: "Wir
werden es nicht zulassen, dass die Kommission am
Parlament vorbei die Dienstleistungsrichtlinie aus den
Angeln hebt".
Sogar die Bundesvereinigung Deutscher
Arbeitgeberverbände (BDA) unterstützte den
Anti-Dumping-Aufruf (sh. "Machtkampf
um EU-Entsenderichtlinie", ftd.de,
26.10.06), weil die meisten Unternehmen des Baugewerbes
und Baunebengewerbes sowie zukünftig wohl auch die
Gebäudereiniger diesmal von der Lohndrückerei weniger
profitieren als sie an Aufträgen durch den Zustrom
ausländischer Dumping-Dienstleister einbüßen würden.
Rechtlich handelt es sich bei dem
"Bericht" zu der "Mitteilung" um eine Art
Gegendarstellung als Interpretationshilfe vor dem EuGH,
der von den Neoliberalen gern zur Aktivierung ihrer
geheimen Fallstricke zu Umverteilung nach oben in den Richtlinien angerufen wird.
Dazu schreibt die Financial Times Deutschland (a.a.O):
"Mit unserem Bericht machen wir eine Art
Gegendarstellung zu den Kommissionsleitlinien, und das
ist ein Novum", sagt der CDU-Rechtsexperte Klaus-Heiner
Lehne im Europaparlament. "Wir wehren uns damit gegen
das undemokratische Vorgehen der Kommission und zeigen,
was der europäische Gesetzgeber wirklich wollte."
Unterstützung erhält Spidla dagegen auch von der
polnischen EU-Abgeordneten Małgorzata Handzlik. Sie
betrifft es nicht, wenn das Dumping letztlich auch zu
Lasten der polnischen und tschechischen Arbeitnehmer
geht. Auch ihr geht es gerade um die Aushebelung der
staatlichen Instrumente gegen das Lohn- und
Sozialdumping. Dazu schreibt der
Tagesspiegel vom 27.10.06:
Dagegen sprach sich die polnische EU-Abgeordnete
Malgorzata Handzlik, die der konservativen EVP-Fraktion
im Europaparlament angehört, gegen bürokratische Hürden
in den Gastländern aus. Es erschwere den freien
Wettbewerb, wenn von den entsandten Arbeitnehmern
übermäßig viele Dokumente verlangt würden, sagte sie.
Letztendlich werden die
Lobbyisten in Ost und West gerade dafür bezahlt, dass
sie Einzelinteressen gegen das Gemeinwohl durchsetzen.
Dies beweisen auch ständig die westlichen
Umverteilungs-Profiteure durch immer weiteres Aufklappen
der Einkommensschere und durch Verdummungs-Kampagnen zur
Finanzierung ihrer Steuersenkungen auf Kosten der
einkommensschwachen Konsumenten, also mit ihrer
Arbeitsplatzvernichtung durch Umverteilung nach oben
(sh.
rossaepfel-theorie.de).
Zurück zum Abschnitt 1:
Was sagen amerikanische Ökonomen zu
Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher?
Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?
|