Datei zuletzt ergänzt am 28. November 2008. 



 

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Was sagen amerikanische Ökonomen zu Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher? Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?






16) Wer kümmert sich um das Elend in der Dritten Welt?


In einer Dokumentation der UNICEF heißt es:
 

Bildung: 110 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Zwei Drittel von ihnen sind Mädchen. Schlechte Ausbildung ist eines der größten Hemmnisse für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes – ein Teufelskreis der Armut. Unicef schätzt, dass sechs Milliarden Dollar ausreichen würden, allen Kindern der Welt den Besuch einer Schule zu ermöglichen. Zum Vergleich: Die Investitionskosten für Euro-Disneyland lagen bei 5,5 Milliarden Dollar.
Überleben: Die Situation der Kinder spiegelt diese Ungleichheit der Lebenschancen. Rund ein Drittel aller Kinder in den Entwicklungsländern gelten als unterernährt.…[1037]

 

Lt.  FAO-Bericht sterben allein an den "Folgen von Hunger und Unterernährung", jährlich 6 Millionen Kinder, wobei offenbar die Todesfälle durch die sonstigen "Folgen der Armut"  noch nicht mitgerechnet sind (sh. "UN-Welthungerbericht: Millionen Kinder sterben", welt.de/dpa, 22.11.05, und hungerseite.com).

Auch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bestätigte Mitte 2008 auf seiner Webseite ähnliche, weiterhin dramatische Zahlen (besucht 6.7.2008):
 

Jeden Tag sterben rund 25.000 Menschen an den Folgen von Hunger, mehr als 13.000 davon sind Kinder… Ihre geistige und körperliche Entwicklung bleibt zurück, normalerweise harmlos verlaufende Krankheiten können tödlich sein.
 

Zum Skandal der weltweiten Armut durch Anhäufung von Reichtum sagte der  Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela:

 

Armut ist nichts Natürliches. Sie wird von Menschen gemacht und kann durch das Handeln von Menschen überwunden und beendet werden. Die Überwindung der Armut ist keine Geste der Barmherzigkeit. Sie ist ein Akt der Gerechtigkeit. Sie ist die Gewährung eines grundlegenden Menschenrechts: des Rechts auf Würde und ein menschenwürdiges Leben. Solange die Armut andauert, gibt es keine Freiheit.

 

(Aus seiner Rede anlässlich des Starts der Kampagne "Make Poverty History", Trafalgar Square, 3. Februar 2005, zitiert aus dem Text "Im Interesse der Allgemeinheit", oxfam.de, 2006.)


Trotz ständiger Erinnerung an die fast 3000 Toten vom 11. September 2001 im symbolträchtigen World Trade Center haben die pseudo-religiösen Ausschlachter daraus nichts gelernt. Am 11. September 2004 "verdichtete" (= "compressed" sh.u.) George W. Bush die Dramatik der Flugzeugeinschläge, den "Kampf des Guten gegen das Böse" und den laufenden Wahlkampf der Republikaner gegen die Demokraten in den einzigen (= "single" sh.u.) heroischen Satz:
 

Three years ago, the struggle of good against evil was compressed into a single morning.[1038]
 

Jedes Einzelschicksal zählt, auch bei den unschuldigen Opfern in den Entwicklungsländern. Es geht nicht nur um die unglaubliche Zahl von 30.000 Kindern als tägliche Opfer der neoliberalen globalen Umverteilung. Auch das Elend vieler Erwachsener in der Dritten Welt lässt sich kaum in Worte fassen. Weltweit hungern 840 Millionen Menschen, und jährlich sterben 36 Millionen Menschen direkt oder indirekt an Hunger. [1039] Dagegen könnte in den Industrieländern bald die Fettleibigkeit zur häufigsten Todesursache werden.[1040]

Das "Böse" (evil) ist zwar immer der Feind des Guten, aber für die Abwehr des Elends gibt es etwa 16 Milliarden Dollar US-Entwicklungshilfe[1041], und solche Gelder fließen oft noch an Kleptokraten-Regime für Rüstungskäufe, privaten Luxus und ausländische Nummernkonten. Dagegen hat George W Bush nach Ende des Kalten Krieges allein 368,2 Milliarden US-Dollar  für seinen Militärhaushalt von 2004 eingeplant,[1042] was aber bei weitem noch nicht reicht.[1043]Auch hiermit wird auf die übrigen Natostaaten ein erheblicher Druck zur Aufrüstung und Asozialisierung ausgeübt, nicht nur bei den übrigen Umverteilungsmaßnahmen durch Steuerdumping. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI meldete für das Jahr 2006 weltweite Rüstungsausgaben von umgerechnet 900 Milliarden Euro, davon fast 400 Milliarden durch die USA (sh. "Rüstungsausgaben steigen auf Rekordhöhe", netzeitung.de, 11.6.2007).

Trotz Abwiegelei stellt Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, immerhin fest:
 

Wenn man sich ansieht, dass es weltweit eben 68 Milliarden US Dollar für Entwicklungszusammenarbeit gibt, im Vergleich mittlerweile der Rüstungshaushalt weltweit wieder auf 940 Milliarden US Dollar gestiegen ist, dann ist es ein krasses Missverhältnis…
Der zweite Punkt ist: die internationale Gemeinschaft, die Industrieländer, schützen immer noch ihre Agrarmärkte mit 350 Milliarden US Dollar.[1044]

 

In bezug auf die "Agrarmärkte" sind die  jährlichen Agrarsubventionen gemeint, mit denen die Industrieländer nicht nur ihre Agrarmärkte "schützen", sondern zahllose Landwirte in den Entwicklungsländern ruinieren.

So beträgt der deutsche Zuckerpreis etwa das Dreifache des Weltmarktpreises. "Der EU-Zuckerpreis ist etwa dreimal so hoch wie der Weltmarktpreis" (sh. "Deutschland versüßt Brüssels Streichpläne", Lausitzer Rundschau Online, 19.7.05). Durch Subventionen aus Steuergeldern kann man die Überschussproduktion dennoch auf dem Weltmarkt auch an die Entwicklungsländer verkaufen. Da die herabgesetzten EU-Garantiepreise für Getreide in den osteuropäischen Beitrittsländern anscheinend immer noch zur Überproduktion reizen, sind auch die Getreideberge wieder angewachsen (sh. "Getreideberge gefährden EU-Agrarreform", Handelsblatt.com, 1.8.05).

Bei dem geplanten weitgehenden Verzicht auf die Mengensubventionen würden nicht nur viele Landwirte in Schwierigkeiten kommen, sondern auch viele agrarnahe Arbeitsplätze in Europa verloren gehen, besonders in der Zuckerindustrie. Aber mit den ersparten Subventionen könnte man den betroffenen Landwirten eine ordentliche Existenzsicherung bieten, und durch Senkung der Lohnzusatzkosten ließen sich viele neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn das nicht reicht könnte man auch einen Teil der bisher vorenthaltenen Entwicklungshilfen für diesen Zweck verwenden und so den Entwicklungsländern mehr helfen als durch Finanzierung von Mercedesflotten für Kleptokraten.

 

Parallel zu dieser zerstörerischen Marktregulierung, insbesondere im Agrarbereich, wirkt die marktliberale Deregulierung zugunsten von "Heuschrecken" und Geiern auf den internationalen Finanzmärkten - auch zu Lasten der Umverteilungsopfer in den Industrieländern. Dazu schreibt Heiner Geißler.
 

Was ist schiefgelaufen? Hundert Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und drei Milliarden Arme, die zusammen jährlich ein geringeres Einkommen haben, als die 400 reichsten Familien der Erde an Vermögen besitzen, sind geeint in der Angst vor der Zukunft, aber auch in der Wut, dem Abscheu und dem tiefen Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten, die, ähnlich den Verantwortlichen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus in die Industriegesellschaft, offenbar unfähig sind, die unausweichliche Globalisierung der Ökonomie human zu gestalten.

Die Menschen werden zu Opfern einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, die Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert. Die Staatsmänner der westlichen Welt lassen sich von den multinationalen Konzernen erpressen und gegeneinander ausspielen: Verantwortlich ist ein Meinungskartell von Ökonomen und Publizisten, die meinen, die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie DaimlerChrysler, und die sich beharrlich weigern, anzuerkennen, dass der Markt geordnet werden muss, auch global Regeln einzuhalten sind und Lohndumping die Qualität der Arbeit und der Produkte zerstört.

Die Menschen spüren die Folgen einer Wahnidee, die schon in den Zwanzigerjahren die Weltwirtschaftskrise verursachte, nämlich des Irrglaubens, die Gesetze und Selbstheilungskräfte der Märkte würden alle Probleme von selber lösen.


(Sh. Heiner Geißler: "Was bringt die Globalisierung?  Ihre negativen Auswirkungen sind unübersehbar: Demokratische Entscheidungen werden durch die Diktatur der Finanzmärkte ersetzt", Rheinischer Merkur, 31.5.2007.)

Wie zum Beweis für Geißlers "Meinungskartell von Ökonomen und Publizisten", aber sicher nicht in dieser Absicht, veröffentlicht das Blatt in der gleichen Ausgabe Nr. 22/2007 einen Artikel des allzeit medienpräsenten Thomas Straubhaar unter der Überschrift "Globalisierung sorgt für Wohlstand". Straubhaar ist Direktor der Hamburger Weltwirtschaftsinstituts und Botschafter der neoliberalen Meinungsfabrik, deren Irreführungsstrategie sich bereits zeigt in ihrem sozial klingenden Namen"Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Typischerweise garniert Straubhaar seine einseitige Auflistung der Globalisierungsvorteile mit einigen harmlosen Einschränkungen, dass eben noch nicht alles perfekt sei. Die eigentlichen Probleme der ruinösen Agrar-Exportsubventionen, der parasitären Diktatur von Finanzmärkten, der Blockade von steuerlichen Regulierungen zur Zügelung ihrer der Exzesse, all das spricht er nicht wirklich an. Statt dessen bietet er nur langweilige Weichspülerei zugunsten der Profiteure.

Den Hinweis auf die Diktatur der Finanzmärkte über den produktiven Bereich findet man auch in einem Interview von Heiner Geißler vom 22.5.2007 mit dem Handelsblatt:
 

Im Übrigen ist der entscheidende Wohlstand in Europa nicht durch ungezügelten Kapitalismus, sondern durch eine soziale Marktwirtschaft entstanden, die möglichst viele am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben lässt. Ökonomie und Humanismus sind vereinbar. Nur hat das Kapital den Menschen zu dienen, nicht sie zu beherrschen. Schuld an vielen Rationalisierungen ist doch heute nicht, dass Firmen auf ihren Gütermärkten scheitern, schuld ist der Druck der Kapitalmärkte. Kapitalertrag überdeckt alle anderen Interessen.
 

(Sh. "Interview - Heiner Geissler: 'Anarchie im Wirtschaftssystem'", handelsblatt.com, 23.5.2007.) Die Handelsblatt-Interviewer hielten ihm zur Klarstellung gleich ihren Lafontaine-Popanz vor, den die Medien durch ständige Diffamierungen als Tabu-Figur aufgebaut haben:
 

Sie argumentieren mittlerweile wie Oskar Lafontaine …
 

Geißler: Er liegt nicht in allem falsch. Wenn er zu denselben Erkenntnissen kommt wie ich, soll es mir recht sein.
 

Das "Meinungskartell von Ökonomen und Publizisten" ist also stets präsent. Aber auch die neoliberalen Politiker gehören dazu, die die finanzpolitische Umverteilung nach oben zu verantworten haben. Geißler unterscheidet sich von Lafontaine unter anderem dadurch, dass er dies nicht genug anprangert und daher auch eher ATTAC als DIE LINKE favorisiert. Immerhin sind aber Geißler und Blüm früher als Parlamentsmitglieder energisch gegen die Senkung des Spitzensteuersatzes aufgetreten (sh. hier rossaepfel-theorie.de).


Die bescheidene, aber großherzige Hilfe kleiner Gruppen wie der Armenpriester[1045]
oder auch einzelner Farmer in Südamerika und anderswo hilft zwar beim Glauben an Menschen, erreicht aber trotz ihres oft übermenschlichem Einsatzes nur wenige. Mit minimalem staatlich gelenkten Einsatz der Industrieländer könnte man dagegen alle erreichen. Man könnte das unverschuldete Elend der Einzelnen sofort beenden, wenn die Wählermehrheit in den Industrieländern ihre verschuldete Gleichgültigkeit aufgäbe. Durch die Erhebung der international nicht unüblichen Börsenumsatzsteuer oder Tobin-Steuer[1046] von 1% hätte man allein in Deutschland im Jahre 1998 nicht nur ausufernde die internationale Spekulationswut und -gefahr etwas eingedämmt, sondern noch ein zusätzliches Aufkommen von etwa 12 Mrd. Euro erzielt,[1047] ganz zu schweigen von den Schlupflöchern durch die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen bei Wertzuwächsen im Privatvermögen und durch den freundlichen Umgang der EU mit den parasitären Steueroasen (sh. unten).  Statt dessen trommelt man in Kampagnen zur Steuersenkung für Bestverdiener nach dem Motto des Axel-Springer-Verlages: "Seid nett zueinander".[1048]

Mit den etwa 12 Mrd. Euro aus der Tobin-Steuer könnte man nicht nur die Versprechungen einlösen, sondern sogar die zugesagte Entwicklungshilfe weitgehend ersetzen. Dazu heißt es auf einer Webseite zur Tagesschau vom 22.8.2002:
 

Bereits 1970 haben sich die Industrieländer in einer Resolution der Vereinten Nationen verpflichtet, jährlich 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes (BSP) für Entwicklungshilfe aufzubringen. Bis 1975 wollten sie das geschafft haben. In Rio 1992 wiederholten sie das Versprechen. Bislang haben jedoch nur Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden die 0,7-Prozent-Schwelle überschritten. Deutschland wandte im vergangenen Jahr 0,27 Prozent auf. Das sind 80 Dollar pro Bundesbürger. Die USA waren im Jahr 2000 mit 9,6 Milliarden Dollar hinter Japan (13,1 Mrd. Dollar) zwar das zweitgrößte Geberland, das entspricht aber nur einem Anteil von 0,1 Prozent des BSP.[1049]
 

Im Vergleich zur Bekämpfung der Terrorismusursachen spielt die militärische Aufrüstung in den USA nach Ende des Kalten Krieges eine herausragende Rolle. Dazu schreibt Willi Leibfritz:[1050]
 

In den USA sind die Verteidigungsausgaben von 295 Mrd. US-Dollar oder drei Prozent des BIP im Jahr 2000 auf rund 410 Mrd. US-Dollar oder 3,8 Prozent des BIP im Jahr 2003 gestiegen. In den nächsten zwei Jahren dürften sie weiter auf rund 4,5 Prozent des BIP steigen. Die Militärausgaben sind damit (um Preissteigerungen bereinigt) wieder ähnlich hoch wie in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, also der Zeit des Kalten Krieges. Die Friedensdividende für die Beendigung des Kalten Krieges wäre damit durch den "Krieg gegen den Terrorismus" wieder aufgezehrt. Dies gilt allerdings nur für die Betrachtung der Absolutbeträge. Bezogen auf das BIP betrugen die Militärausgaben zur Zeit des Kalten Krieges knappe sechs Prozente. Bei dieser Betrachtung wäre nach dem Anstieg von drei auf 4,5 Prozent die Friedensdividende noch nicht vollständig, aber immerhin zur Hälfte aufgezehrt.
 

Für die militärische Bekämpfung der Symptome soll also offenbar der 45fache dessen ausgegeben werden, was man zur Beseitigung der Ursachen ausgibt – von der biblischen Hartherzigkeit der wunderlichen Heiligen gegenüber dem Elend in der Dritten Welt ganz zu schweigen. Am fehlenden Geld kann es nicht liegen, denn gleichzeitig betreibt man im Inland eine Steuersenkung für Bestverdiener von durchschnittlich 160 Milliarden Dollar im Jahr, verteilt auf 10 Jahre.

Dazu eine amerikanische Finanzredakteurin:
 

Mit geradezu beschwörerischem Blick und nur mühsam beherrscht brachte sie hervor: "Mir ist egal, was das für die amerikanische Wirtschaft bedeutet, und mir ist auch egal, ob die Reichen das Meiste davon bekommen. Selbst wenn es nur 10 $ die Woche sind: Ich will meine Steuersenkung!"[1051]
 

Diese Aussage ist kennzeichnend für die gesamte neoliberale Mentalität. Es ist schwer zu verstehen, wie man sich über seinen Überfluss freuen kann, wenn andere im Elend leben. Aber wer sich sowieso nur über persönlichen Profit oder Vorteile für die eigene Sippe "freut", sollte sich zumindest fragen, inwieweit er sich noch als Mensch im evangelikalen oder sonstigen humanitären Sinne gelten lassen kann, [1052] wenn ihm als Bestverdiener die sozialen Mindeststandards oder die angeblichen "moralischen Werte" der Republikaner praktisch nichts wert sind. Das Volk wird vielleicht irgendwann einmal diesen "menschlichen" Standard der Meinungsmacher durchschauen. Aber der "aufrechte Gang" [1053] verträgt sich schon jetzt nicht mit reinem Profitdenken. Diese neoliberale Umkehrung der menschlichen Entwicklungsgeschichte führt zu einem Primaten, der am Ende wieder moralisch auf allen Vieren läuft.

Für Deutschland wären die zugesagten Entwicklungsgelder 0,7% vom Bruttosozialprodukt (BSP)[1054]
= 0,7 * 2.100 Mrd. Euro =14,7 Mrd. Euro.[1055] Mit dem geschätzten Betrag von ca. 12 Mrd. Euro aus der Tobin-Steuer = ca. 12/2100 = 0,57% des BSP und den bereits gezahlten knapp 0,3% würde der erforderliche Betrag zur Kompensation der Ausbeutung von Drittweltländern sogar überschritten.

Es ist also nicht so, "dass bei dem Übermasse des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug" wäre, "…dem Übermasse der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern", [1056] sondern der Reichtum ist inzwischen so groß, dass man mit der Einführung der Börsenumsatzsteuer sogar noch eine Verbesserung des eigenen Wohlstandes durch Drosselung der ungezügelten Spekulation erreichen könnte.

Brosamen und Export von Landminenwerfern zur Verkrüppelung von Kindern und Erwachsenen[1057] helfen nicht weiter. Die eigennützige Unterstützung des Rüstungswettlaufs bei den Ärmsten,[1058] von Stellvertreterkriegen,[1059] "modernen" Kriegsunternehmern,[1060] teilweise mit zwangsrekrutierten Kindersoldaten[1061] ohne andere "Berufs"-Perspektiven, und der Einsatz von konzerneigenen Privatarmeen zum Abstecken von Rohstoff-Claims[1062] richtet mehr Schaden an, als die karge Entwicklungshilfe ersetzen kann. Die ehemals kolonisierten und zur Zähmung häufig zwangs-"christianisierten" "armen Heidenkinder" werden von den gottlosen "Christen" weiterhin ausgeplündert. Auch die Aufforderung von Kerstin Müller, grüne Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, zum Kauf in Dritte-Welt-Läden ist kein Ersatz für die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen. Das räumt sie allerdings selbst ein.[1063] Interessanter ist da schon folgende Meldung vom 19.1.2004 am Rande des Weltsozialforums in Bombay zur internationalen Steuerhinterziehung und zur Politik der Bundesregierung:
 

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete, das Attac-Mitglied Detlev von Larcher, forderte internationale Mindeststeuern für Unternehmen und übte scharfe Kritik an der SPD und der Bundesregierung.
Von Larcher, der zum Forum nach Bombay gereist ist, sagte: "Ich würde mir hier mehr SPD-Abgeordnete wünschen, damit sie sehen, was die neoliberale Politik anrichtet, die sie im Bundestag auf  Vorschlag  unseres  hervorragenden  Bundeskanzlers beschließen."
Von Larcher forderte neben den Mindeststeuern für Unternehmen die Austrocknung von Steueroasen, um dem "ruinösen Steuerwettbewerb" ein Ende zu bereiten. "Auch das Bankgeheimnis muss fallen." Banken und Steuerbehörden müssten über Grenzen hinweg Daten austauschen können. [1064]
 

Die Komplizenschaft zwischen den Neoliberalen und Kleptokraten in aller Welt wird auch deutlich daran, dass ihre hochgejubelten "christlichen", "liberalen" und "sozialdemokratischen" EU-Politiker selbst solche "Oasen" und Geldverstecke als Steuerparasiten willkommen heißen, z.B. den Subventions-"Tiger" Irland, aber auch Luxemburg und Österreich mit seinen Hehlern in Liechtenstein, in der Schweiz bis hin zu protzigen Emiraten im Persischen Golf (sh. hier Steuer-Parasitismus.htm). Auch Großbritannien gehört zu den Schmarotzer-Förderern mit seinen kriminellen Schützlingen auf den Cayman Inseln und im Ärmelkanal.  Auf diese parasitären Kleinstaaten und Steuerhehler könnte die EU gut verzichten, aber diese Staaten brauchen die EU zur Schröpfung. Von solchen "Oasen" werden insbesondere die Kleptokraten in der Dritten Welt eingeladen, ihre Beute aus dem Volkseinkommen ihrer ausgeplünderten Bevölkerung ins Ausland zu schleusen. Dazu heißt es in einem Radio-Bericht bei dw-world.de:

 

Über die Höhe der klassischen Entwicklungshilfe, also Geld, das die reichen Länder an die Armen zahlen, wird auch in Doha gestritten werden. Und doch ist das nur einer von vielen Punkten auf der Tagesordnung, sagt Jens Martens. Er leitet das Europabüro des Global Policy Forum, einer Nicht-Regierungsorganisation, die das Geschehen innerhalb der Vereinten Nationen analysiert. "Die offizielle Entwicklungshilfe macht insgesamt rund 100 Milliarden Euro pro Jahr aus", sagt Martens. "Dem gegenüber steht aber ein Vielfaches, man schätzt zwischen 500 und 900 Milliarden Dollar, das durch Kapitalflucht jedes Jahr aus den Ländern des Südens auf Bankkonten in Steueroasen, nach Liechtenstein, der Schweiz oder den Cayman Islands fließen."

 

Mit anderen Worten: Selbst wenn man die Milliardenhilfen berücksichtigt, verlieren die Entwicklungsländer unter dem Strich Geld. Martens zufolgen schaffen nicht nur korrupte Eliten ihr Geld aus dem Land. Auch international tätige Konzerne nutzen Kapitalflucht, um Steuern zu sparen. Martens nennt Beispiele: Mal werden Gabelstapler für einen Dollar ins Ausland verkauft, mal Taschentücher für 1000 Dollar pro Packung. "Mit solchen Tricks – und es gibt Tausende Beispiele – sparen Unternehmen Steuern. Sie machen dort Gewinne, wo die Steuern niedrig sind, und Verluste, wo die Steuern hoch sind.

 

(Sh. "Finanzkrise darf Entwicklungshilfe nicht ausbremsen", dw-world.de, 27.11.2008.)



Die vielen kleinen und größeren privaten Spenden werden von den Betroffenen in der Dritten Welt sicher als Zeichen des guten Willens und als starke moralische Unterstützung dankbar angenommen. Immerhin hat allein "Brot für die Welt" im Jahr 2003 beachtliche 55,5 Millionen Euro eingesammelt.[1065]
Das kann aber die vielen vorenthaltenen Milliarden aus den Steuersenkungen für Bestverdiener nicht ersetzen. Erfolgreiche Benefizveranstaltungen der "Spaßgesellschaft" mit Champagner, Kaviar und Selbstdarstellung könnten eher als Beleidigung aufgefasst werden. Die SchickiMicki-Charity ist nur erträglich, wenn ihre Darsteller sich auch deutlich gegen die neoliberalen Parteien abgrenzen, also gegen die eigentlichen Gründe für die Umverteilung nach oben. In diesem Sinn heiligen die Zwecke der Veranstalter nicht die Mittel. Durch ein Ende der Umverteilung nach oben könnten Hunger und Not auch ohne Champagner und Kaviar schnell beseitigt werden.

Ein besonders krasses Beispiel für die absurde Kombination von treuherziger tätiger Sorge für die Armen und skrupelloser Politik für die Reichen ist das Foto von Mutter Teresa mit dem Republikaner Ronald Reagan (mit schmucker Ehefrau), der die Umverteilung nach oben auf die Spitze getrieben hat - auch zu Lasten der Dritten Welt. Siehe dazu Wikipedia: Mutter Teresa, mit dem Foto: "Mutter Teresa erhält von Ronald Reagan 1985 die Freiheitsmedaille", ausgerechnet von Reagan, zynischer geht es kaum! (Zur Umverteilung nach oben durch Reagan sh. hier rossaepfel-theorie.de.

Besonders wichtig wäre eine politische und finanzielle Hilfe, die sich möglichst direkt gegen die Korruption der Regierenden in den Entwicklungsländern richtet. Die tragen meist die Hauptschuld am Elend. Aber oft wird auch die Mitschuld der Rohstoff- und Agrarlobby in den Industrieländern sowie ihrer Regierungen verkannt.[1066] Das geht bis hin zum maßgebenden Einfluss auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen und auf die Fortführung des Kuba-Embargos durch reiche Exil-Kubaner wie den Bacardi-Clan in Florida. Diese "Freiheitskämpfer" wollen ihre kubanischen Latifundien aus ihrer parasitären Batista-Zeit zurückhaben und beanspruchen obendrein einen Ausgleich fiktiver Einkommensverluste in ruinöser Höhe für die embargo-geschwächte kubanische Volkswirtschaft,[1067] statt selbst die Nachfahren ihrer ehemaligen Zwangsarbeiter ("Sklaven") oder ausgebeuteten Tagelöhner zu entschädigen. Man sieht, wie die Verhältnisse durch kostspielige Propaganda zahlungskräftiger Meinungsmacher überall auf den Kopf gestellt werden. In einer Demokratie kann man es ja naiverweise niemandem verübeln, wenn er seine "Meinung" vertritt und dazu beiträgt, dass sich überall die teuer bezahlten Ideologien als neues Bewusstsein festsetzen.

Der Kalte Krieg kam für solche Ideologen wie gerufen:
 

Der Kalte Krieg lieferte westlichen Regierungen die perfekte Entschuldigung, um die Dritte Welt im Namen der Freiheit auszubeuten; ihre Wahlen zu manipulieren, ihre Politiker zu bestechen, ihre Tyrannen zu ernennen und – mit jedem Mittel der Überzeugung und Einmischung – das Auftauchen junger Demokratien im Namen der Demokratie zu behindern.[1068]
 

Ließe man den Zuckerbaronen aus der Sklavenhalterzeit freie Hand, dann würden sie Havanna vielleicht nicht gleich in die frühere Spielhölle der US-Mafia verwandeln, aber sie würden sofort alle Medien, willfährige Politiker, Journalisten und Sachverständige aufkaufen, diese ganz groß als Kapazitäten und moralische Schwergewichte herausbringen und mit einer riesigen Propagandamaschine, mit Wahlkampfspenden, Zeitungskampagnen usw. den bedrängten autokratischen und zunehmend repressiven[1069] Castro-Staat  "demokratisch" nach ihren Wünschen umformen (natürlich mit dem entsprechenden Steuersystem).[1070] Gleiches wurde und wird auch anderswo versucht, nicht nur in Venezuela (sh. unten) und in den USA, sondern weltweit und auch in Westeuropa. Insofern steht Cuba hier nicht nur als Beispiel für eine imperialistische und neoliberale "Entwicklungspolitik", sondern für den Neoliberalismus überhaupt.

Die bescheidenen sozialen Errungenschaften des Castro-Regimes würden auf den relativen US-Standard heruntergeschraubt. In den USA waren 68% der Kleinverdiener nicht durchgehend krankenversichert,[1071] während in Kuba die medizinische Grundversorgung frei ist. Im sozialen Bereich erinnert das reichste Land der Welt[1072] zuweilen an ein Dritte-Welt-Land. Auf anderen Gebieten könnte aber der Standard des embargo-gebeutelten Kuba mit einer Kapitalismus-Invasion durch die USA in absoluten Zahlen angehoben werden. Allerdings würde die Armut damit wahrscheinlich trotzdem zunehmen, weil sie von den Neureichen und den Benachteiligten natürlich stets als etwas Relatives im Verhältnis zueinander empfunden wird. Etliche Kubaner würden mittlerweile wohl dieses "geringere Übel" dennoch in Kauf nehmen und mögen auch nicht länger auf einen deutlichen Aufschwung durch den Tourismus warten. Die US-Mainstream-Medien und ihre Lieblings-Politiker könnten sich endlich über ein "freies Kuba" freuen und auch dort den Raubtierkapitalismus mit der Umverteilung nach oben propagieren.

Auf ähnliche Weise erfolgte zum Beispiel schon die Befreiung vom "Kommunismus" und von demokratischer Verfügung über Land und Rohstoffe in Chile durch Pinochet mit Hilfe der CIA, im Kongo durch den Mord an Lumumba mit Hilfe der belgischen Kolonialisten und ebenfalls der CIA,[1073] im Iran durch den Sturz von Mossadegh und die Rückkehr zum Geheimdienstregime der Marionette Reza Pahlevi auf Drängen der Öllobby, auch mit CIA-Hilfe,[1074] in Mittelamerika durch die CIA-geschulten Todesschwadronen[1075] und Contras[1076] zur Zeit von Ronald Reagan und des Honduras-Botschafters John Negroponte,[1077] der im April 2004 von George W. Bush zum Botschafter im Irak ernannt wurde.[1078]

Auf diese Weise sollte also keine "Entwicklungshilfe" betrieben werden. Sie sollte vorwiegend auf kleine Projekte bezogen werden und durch projektspezifische Schulung von einheimischen Kräften mit entsprechenden Anreizen erfolgen, z.B. durch viele Anschubmaßnahmen der deutschen GTZ, sonst hilft sie vor allem den Exporteuren in den Industrieländern, den Diktatoren und Kleptokraten in der Dritten Welt[1079] mit Mercedes-Flotten statt angemessener Kleinwagen oder den gut bezahlten und gewiss auch unentbehrlichen  internationalen Kontrolleuren, die die Geldverteilung vor Ort überwachen sollen. Auf keinen Fall darf das Geld direkt an die Kleptokraten-Regime fließen, weil es sonst von diesen vor allem privat verprasst oder für Rüstungsgüter ausgegeben wird oder auf Nummernkonten in der Schweiz und anderswo landet.

Mit der Subventionierung von Großprojekten im Ausland erreicht man für die Hungernden jedenfalls weniger als durch Streichen der Subventionen von Agrarexporten in den Industrieländern, denn diese Subventionen führen zur Verzerrung der Märkte in der Dritten Welt und gefährden so die wirtschaftliche Existenz der dortigen kleinen Agrarproduzenten.[1080] Dies kann man auch im Nafta-Mitglied Mexiko studieren, wo massenhaft kleine Agrarbetriebe durch hoch subventionierte Agrarprodukte aus den USA ruiniert werden. Solche Subventionen sind also in kurzen Schritten komplett zu streichen. Die eingesparten Gelder kann man verwenden, um die Verluste der kleinen Landwirte in den Exportländern auf andere Weise auszugleichen.

Dazu ein Auszug aus dem Interview von Friedbert Meurer, Deutschlandfunk, mit Hermann Scheer (SPD) im Hinblick auf die fatale Dominanz der WTO gegenüber der UNCTAD und ihren humanitären Grundsätzen:[1081]
 

Meurer: Die Welthandelsorganisation WTO ist einer Krise gerade noch einmal entronnen, das war in Genf am Ende der Beratungen zuletzt in den Fluren des Häufigeren zu hören. Proteste hagelt es aber von den Globalisierungskritikern, der Norden zieht den Süden erneut über den Tisch, heißt es zum Beispiel bei Attac. Die WTO entlarve sich als ein Instrument zur Durchsetzung der Interessen mächtiger Industrieländer und transnationaler Konzerne. Befürworter des Kompromisses halten dagegen und fragen, wäre die Welt denn etwa besser ohne die WTO …
Scheer: Wir haben ja eine Welthandelsorganisation, nur über die wird nicht geredet. Wir haben die UNCTAD und die UNCTAD gibt es schon länger als die WTO und hier ging es zum Beispiel und sollte es gehen, leider nicht mit richtigem Nachdruck verfolgt, nicht mit dem Nachdruck wie bei der WTO, faire Rohstoffpreise für die Länder der Dritten Welt herauszubekommen …
 

Die verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber dem Elend ist kein Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuchs. An ihre Stelle sollte aber als erstes einmal ein schlechtes Gewissen treten. Der französische Philosoph André Glucksmann befasst sich damit in seinem Buch: Das Gute und das Böse.[1082] Zu diesem Buch gibt es eine ausführliche Rezension des Philosophen Roger-Pol Droit in Le Monde vom 29.8.97. Glucksmann gilt manchen als stromlinienförmiger Mainstream-Philosoph.[1083] Das kann hier nicht beurteilt werden. Jedenfalls ist er in diesem Fall ein wichtiger Stichwortgeber. Roger-Pol Droit nimmt den Gedanken in seiner Rezension eindrucksvoll und in starker Verdichtung auf:
 

Das Verbrechen der Gleichgültigkeit

… In einem halben Jahrhundert hat Nord-West-Europa nicht nur seinen Komfort mit Plüsch unterm Ledersofa gesichert. Es hat auch ein prachtvolles System der Gleichgültigkeit und eine Gefühllosigkeit ohne gleichen gegenüber dem Elend in der Welt etabliert. Die einen können sich zerfleischen, die anderen verhungern, unser Wohlbefinden geht uns über alles, die Ruhe unserer Verdauung muss gesichert sein …
Um gleichgültig zu werden, musste Europa versuchen, die Existenz des Bösen zu verneinen. Es hat sich gezwungen, sich selbst zu vergessen, und den Gedächtnisschwund sorgfältig gehütet …
André Glucksmann … besteht grundsätzlich auf der Notwendigkeit, dass wir die Existenz des Bösen in uns erkennen, um es zu bekämpfen …
Die Barbaren, das sind nicht die anderen, die von gegenüber, die von woanders, die von früher. Das Einverständnis mit der Gleichgültigkeit entsteht oder entsteht nicht in jedem einzelnen, hier und jetzt …
Man kann André Glucksmann einiges [an Flüchtigkeit] vorhalten, aber man kann ihm nicht … seine Bemühung im Kampf gegen das "Verbrechen der Gleichgültigkeit" bestreiten.
Diesen Ausdruck hat Hermann Broch im Jahre 1945 geprägt, um die Haltung der Deutschen unter dem Naziregime zu charakterisieren. Es lohnt sich, dass man dabei innehält. Wer gleichgültig bleibt, kann doch eigentlich als jemand erscheinen, der nichts Schlechtes tut. Im übrigen tut er ja nichts, hat nichts getan und jeder könnte außerdem bezeugen, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun würde. Was kann man ihm also vorwerfen? Mit welch üblem Prozess versucht man ihn zu belangen? Die Opfer hatten ihre Henker, Folterer haben sie verstümmelt, ausgehungert, vergewaltigt, ermordet. All das ist wirklich schade. Es ist sogar schrecklich. Aber er, was konnte er dafür? Er war nur schlecht informiert, sozusagen überhaupt nicht, nein, er wusste nichts, die Henker wurden außerdem verfolgt, ja, verurteilt, na ja die meisten, jedenfalls die Verantwortlichen, ja, sie sind verfolgt worden. Niemand hat sich über ihn beschwert, es gibt auch keinen Grund, er hat ja nichts getan, niemand kann ihm irgendeine Verantwortung nachweisen …
Es sind immer dieselben Redensarten ... Man muss im Gegenteil folgendes klarstellen: Wer nichts tut, der tötet. Weil er "tun lässt" und vergisst zu widersprechen, weil er in sich selbst das zurückweist, was ihn zum Handeln bringen könnte und müsste, weil er das Menschliche vereist. Das ist es, was tötet. Die Gleichgültigkeit ist offensichtlich das perfekte Verbrechen: Kein Beweis, keine Verfolgung…
Zusatzfrage: Ändert das die Situation, wenn man es einmal weiß?[1084]

 

Die Tat, ob Mord, Parasitismus oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Elend, beginnt jedenfalls schon mit dem bequemen Selbstbetrug. Manche rechtfertigen sich innerlich damit, dass man als Egoist ruhig Egoist bleiben dürfe gegenüber anderen Egoisten. Aber das entbindet nicht von der Nothilfe. Außerdem sind unter den fremden Opfern nicht nur Egoisten, und sei auch nur ein einziger unter ihnen, der erhebliche persönliche Nachteile zugunsten von notleidenden Fremden oder im Kampf gegen die egoistischen Verursacher der Not in Kauf nehmen würde. Auch kann man durch gute oder schlechte Beispiele die Einstellung von vielen, ihr menschliches Niveau, durchaus verbessern oder verschlechtern.

Dagegen kann man mit der kritischen Rede des Verhaltensforschers Konrad Lorenz vom "Sogenannten Bösen" zumindest jede Gleichgültigkeit außerhalb der eigenen Brut oder Sippe im Sinne der Horde oder Stammesgesellschaft rechtfertigen (Gen-Erhalt), soweit man den Menschen als Übergangsstadium vom Tier betrachtet. Obwohl es Säugetiere schon vor 55 Millionen Jahre gab und sich der Homo Erectus erst seit 2 Millionen Jahren zum Homo Sapiens (hoffentlich zum Besseren) entwickelt,[1085] fragt es sich doch, wer sich gern damit rechtfertigen und seine Behandlung als Mensch wie auch die "Menschenwürde"[1086] in Zweifel ziehen möchte.[1087] Dem Tier wird man in der heutigen Zeit nicht mehr den Prozess machen.[1088] Einen Mangel an freiem Willen haben die Sklavenschinder kaum für sich in Anspruch genommen. Aber einem Menschen könnte man den Prozess heute auch nicht machen, wenn man ihn als Raubtier im Sinne des Raubtierkapitalismus betrachtete:
 

Noch im 18. Jahrhundert wurde in England ein Schwein gehenkt, das ein Kind getötet hatte. Bei der Vollstreckung mussten alle Schweine der Umgebung aus Gründen der Abschreckung anwesend sein.[1089]
 

Man könnte auch mit etwas Esprit sagen: "Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen,  was er will." Dieser viel zitierte Aphorismus von Arthur Schopenhauer bleibt jedoch noch eher im unbestimmten metaphysischen Bereich der Theorie vom freien Willen.[1090] Interessanter scheint die Theorie vom "Bösen" als "Bedingung der Möglichkeit" für das "Gute" bei Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) mit dessen "Malitätsbonisierung"[1091] und eigens "gefundener" Dualzahl "111" (dezimal 7) für die Dreifaltigkeit. Ohne Schatten kann man sich in der Tat kaum das Licht vorstellen, ohne Nichts (dual = 0) kein Sein (dual = 1), ohne Yin kein Yang[1092] usw. Aber das sogenannte "Böse" ist doch wohl eher zu banal,[1093] als dass man metaphysische Kategorien daran verschwenden sollte. Hannah Arendt[1094] schreibt über die Behandlung des Holokaust-Organisators Adolf Eichmann durch das israelische Gericht sinngemäß:
 

Wie kann es einen Angeklagten als urteils- und schuldfähige Person behandeln, wenn dem die Grundlage aller Schuldfähigkeit, nämlich Unrechtsbewusstsein, in so eklatantem Maße fehlt?[1095]
 

Den biedermännischen Karrieristen Adolf Eichmann beschreibt Hannah Arendt wie folgt:
 

Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein könnte, hatte er überhaupt keine Motive; und auch diese Beflissenheit war an sich keineswegs kriminell, er hätte bestimmt niemals seinen Vorgesetzten umgebracht, um an dessen Stelle zu rücken. Er hat sich nur, um in der Alltagssprache zu bleiben, niemals vorgestellt, was er eigentlich anstellte …[1096]
 

Genau dies scheint die Wurzel für die "Banalität des Bösen". Entweder hat er es sich nicht vorgestellt, weil er es sich aus Bequemlichkeit oder sonstigen "niedrigen Beweggründen"[1097] nicht vorstellen wollte, oder wir kommen wieder zum "sogenannten Bösen" der Verhaltensforschung von Konrad Lorenz.

Um beide Bankrotterklärungen der menschlichen Persönlichkeit zu vermeiden, findet man für die skrupellose Umverteilung nach oben stets die passende Ideologie, sei es die Herrschaft von "Gottes Gnaden" oder die neoliberale Voudou-Ökonomie[1098] mit ihrer "Religion des Marktes" (sh. unten). Dass die Grenzen manchmal fließend sein können, zeigt eindrucksvoll der "Bericht für eine Akademie" von Franz Kafka, worin der absurde Held aus seinem äffischen Vorleben berichtet.[1099]

Anders empfindet das Immanuel Kant:
 

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.[1100]
 

Sobald diese Gedanken in das weltliche Gesetz und insbesondere auch in die Kernpunkte des Steuerrechts übertragen sind, ist das äffische Vorleben der Gemeinschaft beendet. Dann muss sich nur noch der Einzelne auf das neue Niveau einstellen, aber dem fällt das sicher leichter, wenn er die (teilweise erzwungene) Gesetzestreue der übrigen zu menschenwürdigen Gesetzen sieht.

Mit den Folgen der Globalisierung befassen sich vor allem die Globalisierungskritiker wie Attac, die gerade keine "Globalisierungsgegner" sind ("Nennen sie uns bloß nicht Globalisierungsgegner"),[1101]
denn sonst würden sie sich ähnlich verhalten wie die beschränkten Globalisierer oder Globalisierer mit beschränkter Haftung, die nur zu ihrem eigenen Vorteil globalisieren wollen.
 

Der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz verlangte am Montag [dem 19.1.04 auf dem Weltsozialforum in Bombay], Firmen müssten für alle ihre Handlungen voll zur Verantwortung gezogen werden können. Entsprechende Regelungen seien machbar, betonte der frühere Berater der US-Regierung und Weltbank-Vizepräsident beim Treffen der mehr als 100.000 Globalisierungskritiker in der indischen Finanzmetropole.[1102]
 

Ehe man also auf die zynische Ausrede von der "natürlicher Auslese" verfällt, sollte man doch einmal einen anhaltenden Blick über den Tellerrand werfen, dorthin, wo das Elend am größten ist, denn die Auslese ist nicht "natürlich", sondern produziert, beginnend mit der früheren Alphabetisierungsblockade[1103] durch die Kolonialisten über andauernde Ausbeutung dieser Länder bis zu heutigen Subventionen von Agrarexporten dorthin, Unterstützung für die dortigen Kleptokraten, die hiesigen Absahner usw.

Zum Globalisierungs-Begriff und zu dem Manifest von WASG und Linkspartei für das Linksbündnis schreibt die Berliner Tageszeitung:

 

In dem Manifest, das vor allem von Lafontaine stammt, aber von führenden Vertretern beider Parteien unterzeichnet ist, ist vom "Raubtierkapitalismus" und einer "barbarischen Weltwirtschaftsordnung" die Rede. Die Verwendung des Begriffs "Kapitalismus" statt "Globalisierung" umreiße schon das ganze Programm, sagte Lafontaine bei der Vorstellung.

 

(Sh. "Linke manifestiert sich", taz.de, 3.6.2006, und Manifest, mit Sicherungskopie hier). In der Tat wurde die unmittelbare Gewaltherrschaft von Menschen über Menschen abgelöst durch die Herrschaft über die Demokratien mit Hilfe des globalen Kapitals. Mit diesem "Raubtierkapital" wird zwar überall das Volkseinkommen abschöpft, aber es wird gerade von vielen seiner größten Besitzer durch globale Steuerflucht der gesellschaftlichen Verpflichtung entzogen. Diese parasitäre Kapitalmacht führt auch dazu, dass sich die kapitalhörigen neoliberalen Regierungen und Profiteure nicht auf eine internationale Kontrolle und Besteuerung der überbordenden Spekulations- und Fluchtkapitalbewegungen einigen können.

Auch für die Dritte Welt gilt Heraklits Diktum: "Der Vater aller Dinge ist der Kampf". Gegen die Kleptokraten hilft kein gutes Zureden. Friedliche Demonstranten wurden einfach niedergemetzelt. Furchtlose,  entschiedene und manchmal auch etwas blauäugige Revolutionäre wie Che Guevara[1105] wurden und werden von den Finanziers der Todesschwadronen weiterhin als bloße Gewaltmenschen diskreditiert. Den Profiteuren ist es lieber, wenn sich die Gegner der Unterdrückung – wie Oscar Romero – einfach ermorden lassen.[1106] Der Erfolg solcher Revolutionen ist immer wieder gescheitert an jenen Finanziers im Verbund mit der Macht des großen Bruders. Die Medien sind weitgehend in der Hand des Kapitals, wie man am aktuellen Beispiel Venezuela studieren kann.[1107] Dort hat ein großer Teil des Volkes allerdings seine demokratische Aufgabe gegen die gescheiterten Putschisten von rechts erkannt, und die Regierung hat als späte und etwas hilflose Gegenmaßnahme lange Selbstdarstellungen von Chavez im Fernsehen verordnet. Man kann nur hoffen, dass hier im Laufe der Zeit auch das Internet etwas weiter hilft.








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Was sagen amerikanische Ökonomen zu Steuersenkungen für Bestverdiener und Meinungsmacher? Was bringt dagegen die Rossäpfeltheorie?

 

 

 
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