Fußnote zur Einleitung:
Die Formatierung
wurde vorläufig für den Internet Explorer optimiert, müsste aber
auch in bezug auf die Fußnoten mit anderen Browsern gut
darstellbar sein.
[1]
Cf. e.g. „Bundestagswahl 2002, Das Programm der FDP“, WZonline, under
http://www.wienerzeitung.at/linkmap/politik/brd2002wahl/parteienfdp.htm.
As an excellent
Dictionary Deutsch/Englisch
cf.
http://www.leo.org
(both noted Aug. 15, 2004). – The sometimes used artificial word „gilb“
instead of „green” means a faded colour changing to a weak yellow (gelb) like “vergilbt”.
– Black symbolizes Christian parties, referring conventionally to the
black habit of clergymen. – Neoschwarz, neorot or neogrün are artificial
words referring to the neoliberal mind as well as pink and rosa refer to
faded red. These mostly mixed colours are also symbolized by the
patterns of some equestrian statuettes above.
Inhaltsübersicht
FAQs (18 häufig gestellte Fragen)
Separate Websites
(Zurück auch über die Inhaltsübersichten):
© 2005
rossaepfel-theorie.de
Inhaltsübersicht
Version 1.004 vom
3. April 2005
Vorbemerkung:
Die Fußnoten
können von eiligen Lesern zunächst übersprungen werden. Sie enthalten
hauptsächlich Recherche-Hinweise, aber auch längere Exkurse, die zur
besseren Lesbarkeit mit Fettdruck von Passagen und Titeln gegliedert sind. Bei
Bedarf kann man durch Überfliegen dieses Fettdrucks interessierende Passagen
finden.
1)
Was sagen
amerikanische Ökonomen zu
Steuersenkungen für
Bestverdiener und Meinungsmacher?
Was
bringt
dagegen die Rossäpfel-Theorie?
Anlass für die folgenden Fragen und Antworten ist die bereits erfolgte
rosagrünliche Umverteilung nach oben, mit der die Einkommensteuer eines
Einkommensmillionärs für jede zusätzliche Million um jährlich 110.000 Euro plus
Solidaritätszuschlag gesenkt wurde und auch die Minister und sonstige
Meinungsmacher sich mit vereinten Kräften jährliche Steuergeschenke in
fünfstelliger Höhe zuschanzen konnten auf Kosten von Rentnern, Studenten,
Kleinverdienern, Kindern, Arbeitslosen, Schulen, Universitäten usw. (sh.
unten).
Die Überschrift lautete zuerst „Steuersenkung für
Besserverdiener …“ Tatsächlich müssen aber die meisten
„Besser“-Verdiener ihre Steuerersparnisse verwenden zum
Ausgleich der staatlichen Kürzungen, z.B. bei der
Alters- und Gesundheitsvorsorge, mit denen die echten
Ersparnisse für die „Best“-Verdiener (Minister,
Meinungsmacher der neoliberalen "Elite"-Truppe,
Einkommensmillionäre) finanziert werden. Was über dem
Einkommen von Abgeordneten oder Ministern liegt, wird
meist nicht „verdient“, sondern lediglich abkassiert. Es
ergibt sich aus der Verteilung des Volkseinkommens durch
den „Leistungs“-blinden Markt. Das wird man bei
nützlichen Leistungen als notwendiges Übel einer
effizienten Marktwirtschaft in Kauf nehmen müssen, wenn
durch entsprechende Spitzensteuersätze etwa nach
skandinavischem Vorbild ein gewisser Ausgleich
geschaffen wird (z.B. bei geistigen Leistungen oder
Niedrigpreisanbietern wie den Gründern von Aldi und
Ikea). Bei schädlichen Leistungen (z.B.
Gesundheitsschädigung und Wählertäuschung, auch durch
neoliberale Meinungsmache und Klamauk als
Millionengeschäft) werden teilweise besondere
Verbrauchssteuern zum Ausgleich des
volkswirtschaftlichen Schadens erhoben. Im Hinblick auf
den bildungspolitischen Schaden, auch durch
Infiltration, Indoktrination und Konditionierung, ist es allerdings
schwierig, entsprechende Maßstäbe zu finden.
Die Fragen bleiben hochaktuell durch die anhaltende Reformdebatte in Deutschland
mit den neuen Richtungsvorgaben zum „zukunftweisenden“
CDU-Umverteilungs-Parteitag [7]
vom 30.11. bis 2.12.03 in Leipzig, die flotte „Agenda ZwanzigZehn“ und das damit
verbundene „Zeitfenster“[8]
für die einmalige Seelenverwandtschaft der SPD-„Modernisierer“ mit CDU und FDP.
Die verblüffende Ähnlichkeit zur Steuersenkungspolitik
der Republikaner in den USA zeigt sich in der folgenden Anzeige aus der New York Times vom 11.2.2003 gegen die
Dankeschön-Steuersenkungspläne[9]
von George W. Bush vor seiner Arbeitsmarktinitiative durch Schuldenexplosion,
mit der die Steuersenkungen als angebliche „Erfolgs“-Ursache präsentiert werden.
Die Anzeige ist unterzeichnet von mehr als 400 namhaften US-Ökonomen, darunter
10 Nobelpreisträgern:[10]
„Erklärung der
Ökonomen gegen die Steuersenkungen durch Bush
Obwohl das Wirtschaftswachstum
positiv ist, hat es nicht ausgereicht, um Arbeitsplätze zu schaffen und den
Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Tatsächlich gibt es zurzeit im
privaten Sektor um 2 Millionen weniger Jobs als zu Beginn der gegenwärtigen
Rezession. Überkapazitäten, Unternehmensskandale und Ungewissheit drückten und
drücken weiterhin auf das Wirtschaftswachstum.
Der Steuersenkungsplan von Präsident
Bush ist nicht die Antwort auf diese Probleme. Unabhängig davon, wie man die
Einzelheiten des Bush-Plans beurteilt, gibt es eine weitgehende Übereinstimmung,
dass er auf eine dauerhafte Änderung der Struktur im Steuersystem abzielt und
nicht auf die Schaffung von Jobs und Wachstum in der nahen Zukunft. Insbesondere
die dauerhafte Senkung der Steuern auf Dividenden ist unglaubwürdig als
kurzfristiger Impuls. Als Steuerreform geht die Senkung der Dividendensteuer in
die falsche Richtung, da sie eher Personen als Unternehmen betrifft. Sie ist zu
komplex und könnte Teil einer einkommensneutralen Steuerreform-Anstrengung sein,
ist es aber nicht.
Die Verabschiedung dieser
Steuerreform wird die langfristigen Aussichten für den Haushalt verschlechtern
und so das geplante Haushaltsdefizit der Nation erhöhen. Diese fiskalische
Verschlechterung wird die Fähigkeit der Regierung zur Finanzierung der sozialen
Sicherheit und medizinischen Unterstützung ebenso vermindern wie Investitionen
in Schulen, Gesundheit, Infrastruktur und Grundlagenforschung. Darüber hinaus
werden die vorgeschlagenen Steuersenkungen den Unterschied in den Einkommen nach
Steuer weiter erhöhen.
Ein Plan zur Konjunkturförderung
sollte vielmehr auf sofortige, aber zeitliche begrenzte Erhöhung der
Staatsausgaben und steuerliche Maßnahmen zur Erhöhung der Nachfrage setzen, und
er sollte auch vertrauen auf sofortige, aber zeitlich begrenzte
Investitionsanreize. Ein solcher Plan würde kurzfristig Wachstum und die
Schaffung von Arbeitsplätzen fördern, ohne die langfristigen Haushaltsprobleme
zu verschärfen.“
Gezeichnet u.a. von den
Nobelpreisträgern für Ökonomie George Akerlof, Kenneth J. Arrow, Lawrence R.
Klein, Daniel L. McFadden, Franco Modigliani, Paul A. Samuelson, Robert M.
Solow, Joseph Stiglitz, Douglass C. North und William F. Sharpe sowie von
vielen anderen namhaften Ökonomen.
Der
Mitunterzeichner der obigen Anzeige Joseph Stiglitz[11]
und sein Koautor Peter Orszag schreiben über solche Steuerwirkungen z.B. in
einem Aufsatz vom 6.11.2001:[12]
„Wenn die Steuern z.B. um 1 $ erhöht
werden, kann der Konsum um 90 Cent und das Sparen um 10 Cent abnehmen. Da aber
diese Steuererhöhung den Konsum nicht um einen Dollar vermindert, ist ihre
negative Wirkung auf die Wirtschaft kurzfristig gemildert. Einige Typen von
Ausgabenkürzungen würden die Nachfrage in der Wirtschaft auf der Basis eins zu
eins vermindern und wären daher schädlicher für die Wirtschaft als eine
Steuererhöhung …“
„Im Bereich der Steuer- und
Transferprogramme hängt die Wirkung auf die Wirtschaft vor allem von der
Konsumneigung ab, also davon, wie viel von einem zusätzlich eingenommenen Dollar
eher ausgegeben statt gespart wird von denen, die die Transferzahlungen erhalten
oder die Steuern zahlen. Je mehr die Steuererhöhungen oder Transferkürzungen auf
Personen mit geringerer Konsumneigung konzentriert werden (also auf jene, die
von jedem zusätzlich vereinnahmten Dollar weniger ausgeben und mehr sparen),
umso weniger Schaden wird der geschwächten Wirtschaft zugefügt. Da Familien mit
höheren Einkommen tendenziell eine geringere Konsumneigung haben als Familien
mit geringerem Einkommen, liegt die unschädlichste kurzfristige Maßnahme in
Steuererhöhungen, die auf Familien mit höheren Einkommen konzentriert sind. Die
Verminderung von Transferzahlungen an Familien mit geringerem Einkommen schadet
der Wirtschaft im allgemeinen mehr als Steuererhöhungen bei Familien mit
höherem Einkommen, weil die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass Familien mit
geringem Einkommen jegliches zusätzliche Einkommen ausgeben, als bei Familien
mit höherem Einkommen. Da die Empfänger von Transferzahlungen typischerweise
praktisch ihr gesamtes Einkommen ausgeben, ist bei Transferkürzungen eine
annähernd gleich große negative Wirkung zu erwarten wie bei einer Kürzung von
Regierungsausgaben für Güter und Dienstleistungen.“
Am stärksten
wirkt also eine Arbeitsmarktinitiative durch Konsumförderung, wenn man die
Schröpfung der schwächsten Haushaltseinkommen korrigiert.
Die Argumentation von
Orszag und Stiglitz mit dem Nachfrageentzug von 10% steht klar im Gegensatz zur
wissenschaftlich verbrämten Umverteilung nach oben in Deutschland und hat den
offenbar gewollten Vorteil, dass sie auch für einen normalen und mutwillig
falsch informierten Stimmbürger nachvollziehbar ist.[13]
Sie gilt erst
recht, wenn der Spitzensteuersatz für Bestverdiener und Einkommensmillionäre
gesenkt wird, denn deren Steuerersparnis geht sicher mit einer größeren Quote in
Finanzanlagen und Steuersparmodelle als bei den übrigen Einkommensbeziehern.
Die neoliberalen Politiker und Meinungsmacher in Deutschland behaupten dagegen,
dass durch die Steuersenkung für sie und die übrigen Bestverdiener bei
gleichzeitigen Sozialkürzungen, also durch die Umverteilung des Volkseinkommens
nach oben, die Binnennachfrage gestärkt würde.
Diesen alles entscheidenden Gedanken findet man bei
deutschen Mainstream-Ökonomen und Meinungsmachern so gut
wie überhaupt nicht. Er wird von ihnen bei allem
Redeschwall einfach aus Egoismus unterdrückt. Es gibt
ihn hier gleichwohl, sogar bei einigen wenigen Ökonomen,
und zwar in der brillanten Formulierung von
Heiner Flassbeck, der
ihn vor allem noch auf das wohlverstandene
unternehmerische Eigeninteresse gründet (sh. hier
Abschnitt 6). Auch Albrecht Müller, Autor des Buchs "Die
Reformlüge" (sh. auch Abschnitt 6) und Mitverfasser der unentbehrlichen
NachDenkSeiten, bezieht
sich in einem
taz-Interview vom
28.8.2004 bei seiner Kritik des Neoliberalismus ausdrücklich auf die "Pferdeäpfeltheorie"
(sh. hier "Rossäpfel-Theorie" und "Rossäpfeltheorie").
Unter „Neoliberalismus“ wird hier einfach nur die
Politik und „Theorie“ der Umverteilung nach oben
verstanden, also die „Rossäpfel-Theorie“ (sh.
http://www.rossaepfel-exkurse.de) und seit dem
Ausscheiden Lafontaines aus der rosagrünlichen Koalition
auch deren Politik (Genaueres siehe hier weiter unten).
Die
Argumentation von Orszag, Stiglitz, Flassbeck und Müller gilt entsprechend, wenn man in den Begriff der Steuern („taxes“)
die Sozialabgaben einschließt, wie Stiglitz das auch in seinem
Standardwerk zur Steuerwirkungslehre tut[14]
und wie das in OECD-Statistiken und anderen internationalen Vergleichen
geschieht.[15]
Dafür wird hier der umfassendere Begriff Abgaben verwendet. Auf
die Grundgedanken zu dem einen Dollar wird keiner der
Autoren das Urheberrecht beanspruchen, weil jeder Laie
darauf kommen kann, wenn er sich nicht durch die
ständige Propaganda der Expertenrunden verwirren lässt.
Der
norwegische Nobelpreisträger Trygve Magnus Haavelmo und
kurz vor ihm der deutsche Ökonom Erich Schneider haben
einen solchen Effekt im Hinblick auf die
konjunkturfördernde Wirkung von
Einkommensteuererhöhungen bei gleichzeitiger Erhöhung
der Staatsausgaben bzw. Staatsquote um den gleichen
Betrag bereits in den Jahren 1945 und 1943 beschrieben
(sh.
Haavelmo-Theorem).
Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass der Effekt
nach den Beschreibungen von Orszag und Stiglitz sowie
nach der Begründung von Haavelmo und Schneider nur bei
Steuererhöhungen für die oberen Einkommensgruppen
eintritt und dass Erhöhungen der Mehrwertsteuer sowie
der Steuern oder Sozialabgaben für die unteren Gruppen
die Konjunktur nur weiter drosseln würden, da von den
erhöhten Staatsausgaben und Einkommensteuern am Ende doch einiges bei den
Bestverdienern ankommt.
Eine ganz
ähnliche Argumentation von George Akerlof zur Umverteilung nach oben kann man nachlesen bei Spiegel-Online
vom 29.7.03.[16]
Akerlof, Stiglitz und A. Michael Spence erhielten im Jahre 2001 den Nobelpreis
für ihre Analyse der „Märkte mit unsymmetrischer Information“.[17]
Die Auswirkungen solcher Informationsdefizite und Desinformationsmechanismen
kann man z.B. am Meinungsmarkt in Deutschland und an der daraus resultierenden
Umverteilung studieren.[18]
Abgesehen von dieser Theorie werden im Prinzip die Informationen von den
Meinungsmachern und ihren Sachverständigen produziert und stufenweise nach dem
Prinzip der Zweckmäßigkeit und der „stillen Post“ den Bedürfnissen der Nachbeter
angepasst.[19]
Die starke
Korrelation zwischen privatem Konsum und Beschäftigungsentwicklung zeigt sich
auch in einer Untersuchung von Peter Bofinger zur Entwicklung dieser Größen von
1993 bis 1998 und von 1999 bis 2003 in ausgewählten OECD-Ländern. In dem
späteren Zeitraum war sie mit dem Korrelationskoeffizienten r = 0,680 deutlich
größer als die Korrelation zwischen Beschäftigungsentwicklung und
Gesamtinvestitionen mit r = 0,511.[20]
Allerdings war in den fünf Jahren davor der Einfluss des privaten Verbrauchs mit
dem Quotientwert r = 0,877 und vor allem der Investitionen mit r = 0,840 noch
wesentlich stärker. Diese Entwicklung wird u.a. an den fortschreitenden
Rationalisierungsinvestitionen liegen[21]
und an den Verlagerungen von personal- bzw. lohnintensiven Produktionen in
Niedriglohnländer. Sicher spielt auch die echte oder getürkte Verlagerung der
steuerpflichtigen Konzerngewinne auf Kosten der Allgemeinheit eine Rolle – noch
bevor sich der Steuerdumping-Effekt[22]
durch die EU-Erweiterung zugunsten der Konzerne und Bestverdiener verstärkt auswirkt.[23]
Die Ergebnisse widersprechen aber vor allem denjenigen, die auch heute noch
ständig von Einkommensteuersenkungen für die vorgeschobenen „Investoren“[24]
zu Lasten der Konsumenten mit hoher Konsumquote reden.
Mit dieser eigennützigen Hortung des
Volkseinkommens und -vermögens an der Spitze betreiben sie weitere
Konsumdrosselung. Den tatsächlichen Investoren könnte man durch
Steuerfinanzierung von Lohnzusatzkosten und Senkung der Mehrwertsteuer im
konsumnahen Bereich zur Begrenzung der Schwarzarbeit viel besser helfen.
Die neoliberale Meinungsproduktion für den inländischen
Konsum läuft auf Hochtouren, aber beim Meinungs-Export haben auf diesem Gebiet
die USA und ihre neoliberalen Nachahmer den größten Erfolg.
Selbst unter den
neuen US-Multimilliardären gibt es einige mit genug Charakter, um gegen die
Senkung ihrer persönlichen Steuern zu Lasten der „working poor“[25]
zu protestieren. In ihrem Fall geht es auch um die Dividendensteuer, von deren
Abschaffung sie selbst als Großaktionäre am meisten profitieren würden. Der
Investment-Guru Warren Buffett gibt ein Beispiel, wonach er allein durch die
vorläufige Abschaffung der Dividenden-Steuer seine persönlichen Steuern für
einige hundert Millionen Dollar im Jahr auf Kosten seiner Empfangsdamen und der
anderen Kleinverdiener einsparen könnte.[26]
Der Wert seiner Börsenbeteiligungen ist im Jahr 2003 von 30,5 auf 42,9 Mrd. $
gestiegen.[27]
Dazu dürften
Neoliberale nur platt anmerken, dass Buffett bei dieser
Einstellung ja von sich aus seine Milliarden nach unten
verteilen könnte, damit sie selbst von einer sozialen
Fiskalpolitik verschont bleiben. Mit einem derartigen
Pseudo-Ausgleich würde aber praktische keine sozial- und
konjunkturpolitische Verbesserung erreicht. Mehr könnte
Buffett für das Gemeinwohl erreichen, wenn er seine
Milliarden verstärkt zur politischen Förderung einer
sozialen Fiskalpolitik gegen die Neoliberalen einsetzte.
Anscheinend
haben die heftigen Proteste gegen die Umverteilungspläne der Bush-Regierung ein
wenig genützt. Die Besteuerung von Dividenden wurde jedenfalls nicht ganz
abgeschafft, aber der föderale Spitzensteuersatz (Einkommensteuer des Bundes)
und die entsprechenden Steuersätze für die übrigen Bestverdiener wurden noch
weiter abgesenkt von maximal 39,8% in 2002 auf 36,1% ab 2003.[28]
Die föderalen[29]
Basis-Steuersätze für Kleinverdiener (10% und 15%) wurden dagegen nicht
abgesenkt.
Die Dividenden
wurden nicht mehr mit dem genannten allgemeinen Steuersatz von maximal 39,8%
besteuert, sondern mit einer Vorzugssteuer. Dabei werden anstelle des maximalen
föderalen Steuersatzes von 39,8% in 2002 jetzt für die oberen Steuerklassen
(oberhalb von 10% und 15%) ab 2003 nur noch 16,1% erhoben.28
Für die beiden unteren Steuerklassen wurde der Basis-Satz von 10% auf 5%
gesenkt.[30]
Die vorher schon bestehenden Vorzugs-Steuersätze von 21,2% bzw. 10,6%28
für Wertzuwächse wurde ebenfalls auf die vorstehenden Sätze abgesenkt. Bei
diesen Halbierungen der Dividenden- und Wertzuwachssteuer für Kleinverdiener
konnten die Republikaner großzügig sein, weil in den untersten Steuerklassen
ohnehin nur wenige Dividenden und Wertzuwächse anfallen. Für die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit habe solche Steuersenkungen auf Pump außer den
üblichen Schwankungen und Strohfeuern durch Schuldenprogramme nichts gebracht.[31]
Die
Desinformation der Wähler zu den Segnungen der Steuersenkungen für
Bestverdiener und Milliardäre schreitet immer weiter fort (sh.
„Journalismus in den USA - Die Konten der Kommentatoren“, von Serge Halimi in
Le Monde Diplomatique vom 16.8.96)[32].
Die Instrumentalisierung der Religion geht bis hin zu Schulbuchaufklebern gegen
die Darwinsche Evolutionstheorie.[33]
Republikanische Umverteiler wollen den Staat ‚schrumpfen lassen …
auf eine Größe, dass wir
ihn in der Badewanne ertränken können.’[34]
Dafür setzen sie und gleichgesinnte Medien gewaltige Mittel ein. Im Gegensatz zu
früheren Zeiten wird das Volk nicht mehr durch Staatsterror ausgebeutet, sondern
durch das Propaganda-Kapital zur gewünschten „freien“ Wahlentscheidung gebracht.[35]
Nach solchem Propaganda-Krieg gegen das eigene Volk können selbst
die Demokraten in ihrem Wahlprogramm nicht mehr die Rückkehr zum Solidarstaat,
sondern nur noch einen Stopp von weiteren Umverteilungen nach oben propagieren.
Zu den Umverteilungs-Vorwänden im Raubtier-Kapitalismus sh. hier auch Abschnitt
5.2 „Irreführung? Mit Bush und Erhard für Steuersenkung?“.
Der
Investment-Milliardär George Soros,[36]
Autor von kritischen Büchern zum Welt-Finanzsystem, entlarvt den wahren Grund
der Steuersenkungen für Bestverdiener:
„Sie nutzen im Grunde die Rezession
für die Umverteilung des Einkommens an die Wohlhabenden… Was wir nach meiner
Meinung jetzt brauchen, ist eine expansive Geldpolitik und ein temporäres
Defizit, nicht ein permanentes.“[37]
Die Rezession war also eher ein willkommener Anlass für die
Bush-Regierung, ebenso wie für die deutschen Umverteiler. 54% der letzten
US-Steuersenkungen erfolgten zugunsten von 1% der dortigen Bevölkerung.[38]
Auch der Angriff auf das World Trade Center wurde zur Präsidentschaftswahl in
2004 für diese Politik schon ausgeschlachtet.[39]
Das Prinzip ist dort wie hier, möglichst schnell, irreführend und asozial nach
oben zu verteilen, um hinterher sagen zu können, dass der Staat kein Geld mehr
hat für Soziales und Konjunkturförderung.
Wenn Buffett und Soros hier als Positivbeispiele genannt
werden, dann bezieht sich das mangels genauerer Recherchen zunächst nur auf ihre seltene
und vielleicht die ganze Persönlichkeit kennzeichnende Charaktereigenschaft, für
jedermann vernehmbar gegen ihre eigenen vordergründigen finanziellen Interessen
aufzutreten,[40]
denn solche Äußerungen lassen auf andere Charaktereigenschaften schließen als
die Verteilung von Brosamen[41]
oder die moralische Aufrüstung zur Steuersenkung für Bestverdiener mit
„christlichen Werten“, „christlicher Leitkultur“ und Ablenkung durch
patriotische Parolen.[42]
Sie überzeugen mehr als die Propagierung von „moderner“ statt „sozialer
Gerechtigkeit“[43]
oder die pathetische Selbstbeschränkung auf Naturschutz, obwohl der Mensch doch
ein Teil der Natur ist.[44]
Auch Jim O’Neill, Chef-Volkswirt der „weltweit größten
Investmentbank“
[45] Goldman Sachs und damit zweifellos mehr als ein
Besserverdiener, hat kein Verständnis für die Umverteilung nach oben durch die
deutschen neoliberalen Meinungsmacher. Er fordert für Deutschland eine
„phantasievolle Fiskalpolitik“:
O’Neill:
„Weil die Reichen von ihrem Einkommen relativ weniger für Konsum ausgeben als
die Armen, muss die Fiskalpolitik bei den unteren Einkommensgruppen ansetzen.
Dieser Aspekt wird von vielen deutschen Ökonomen und Politikern vernachlässigt.“[46]
Er traute seinen Ohren nicht, als er die
Mainstream-Ökonomen aus der deutschen Provinz hörte:
„Ich war vor ein paar Wochen in
Berlin. Da ging es um ein effizienteres Steuersystem, das das Wachstum fördert.
Erst dachte ich, ich habe die Vorschläge nicht richtig verstanden. Doch bald
wurde mir das absurde Verständnis von Makroökonomie klar. Wir haben tatsächlich
ernsthaft diskutiert, ob man nicht die Unternehmensteuern senken und im
Gegensatz die Umsatzsteuer anheben sollte. Da haben die Unternehmerverbände gute
Lobby-Arbeit geleistet. Aber dass es überhaupt diskutiert wird, ist
wirtschaftspolitisch nicht zu Ende gedacht. Dann können sich die deutschen
Konsumenten noch weniger kaufen. Eine höhere Umsatzsteuer würde der
Volkswirtschaft endgültig den Garaus machen.“[47]
Der Ökonom O’Neill urteilt also milde, sieht aber als
Praktiker eines ganz klar: Bei der Steuersenkungs-„Disputation“[48]
handelt es sich nicht um Probleme der ökonomischen Theorie, sondern der
„Lobby-Arbeit“, Meinungsmache und Ideologie. Dagegen sind die obigen Aussagen
von Orszag, Stiglitz und O’Neill zur Umverteilungswirkung nach oben von höchster
statistischer Wahrscheinlichkeit und Plausibilität. O’Neill fordert also für
Deutschland vor allem die Stärkung der Konsumnachfrage und liegt insoweit auf
der Linie der Nachfragetheorie von John Maynard Keynes (1883 – 1946), also im
Gegensatz zu den neoliberalen Anhängern der Angebotstheorie.
(Sh. zu dem Richtungsstreit auch den hervorragenden
journalistischen Beitrag von Stephan Kaufmann: „Wissenschaft –
Geringe Nachfrage – Weltweit erlebt die Lehre des Ökonomen Keynes einen
Aufschwung. Nur in Deutschland werden seine Anhänger an den Rand gedrängt.“
[49])
Die Neoliberalen, d.h. die „modernen“ „Freiheitlichen“ im
Sinne ihrer persönlichen politischen „Mündigkeit“ und besonders ihrer
individuellen wirtschaftlichen Bereicherungs-„Freiheit“ aus dem Volkseinkommen,[50]
haben also hierzulande bei den Meinungsmachern immer noch die Oberhand. Sie berufen sich auf die „Monetaristen“, „Neoklassiker“ und
den liberalen Ökonomen Adam Smith (1723 – 1790) und führen ihren Feldzug für die
Umverteilung nach oben angeblich zugunsten der „Investoren“. Denn die
investieren nur in neue Arbeitsplätze, wenn sie gut verdienen. Die Nachfrage
nach den zusätzlichen Produkten werde dann schon von selbst kommen, nämlich
durch die Arbeitseinkommen aus den neuen Arbeitsplätzen. Die „Investoren“
investieren also wegen ihrer gesenkten Steuern schon einmal vorweg in
zusätzliches Angebot mit zusätzlichen Arbeitsplätzen voll Vertrauen darauf, dass
die Nachfrage dafür schon irgendwann wieder kommen wird. Es im Prinzip geht um die alte
Frage nach der Henne und dem Ei. Erst muss also die Henne da sein, die das Ei
legt und nicht das Ei, aus dem die Henne entsteht.
Aber der eine
Euro aus der Korrektur der Steuersenkung für
Bestverdiener zur Senkung der Sozialabzüge bringt
durch den draus folgenden zusätzlichen Konsum einen
Wachstumsimpuls (quasi extern, das heißt ohne
Henne-Ei-Leerlauf), zu dem die Investoren ohne diese
zusätzliche Konsumnachfrage und ohne die gleichzeitig
erfolgende Senkung ihrer Lohnzusatzkosten überhaupt
keine Veranlassung hätten. Gleichzeitig würde mit dieser
Korrektur ein Zeichen gesetzt gegen die künstliche
Aufblähung von Sach- und Finanzwerten durch die globale
spekulative Geldschwemme, da viele sogenannte
„Investoren“ mit ihren nicht konsumierbaren Einnahmen
und billigem Geld durch Spekulation in Wertpapieren,
Auslandsimmobilien und Warentermingeschäften kurzfristig
mehr Kasse machen als mit arbeitsplatzschaffenden
Investitionen (sh. „Eine
Welt voller Blasen“, DER SPIEGEL 13/2005,
und zum oft missverstandenen Schlagwort „Sparen =
Investitionen“ hier Abschnitt 2).
Mit Keynesianismus, Neoklassik bzw. Monetarismus hat das
eigentlich nicht mehr zu tun als neo-christliche Schlagworte mit dem
Christentum oder fundamentalistische Parolen mit dem Islam,[51]
aber mit dieser Position konnten sie die Keynesianer in den entscheidenden
Gremien (z.B. Sachverständigenrat) und an etlichen Universitäten nahezu mundtot
machen. O’Neill will vernünftigerweise weder als strikter Anhänger der
Nachfragetheorie, noch der Angebotstheorie, sondern als „Pragmatiker“ eingestuft
werden. Auf den Einwand der Interviewer: „Keynes ist tot“ sagte O’Neill:
„Adam Smith ist auch tot.
Und wenn die deutschen Ökonomen weiterhin so kategorisch denken, wird auch die
deutsche Wirtschaft demnächst tot sein" (sh. a.a.O.,
Fußnote 46).
In der deutschen angebotstheoretischen Provinz ist die
Theorie der Umverteilung nach oben noch lange nicht tot, sondern herrschende
Ideologie. Die
Meinungsmacher in Deutschland werden sich hüten, ihren theoretischen Rückstand
zu den USA diesmal so schnell aufzuholen wie zu Zeiten von Milton Friedman,
Ronald Reagan und Margaret Thatcher, als sie durch ihre Beflissenheit bei der
Überbrückung des Time-Lags die Umverteilung zu ihren Gunsten begründen konnten.
Wie das egoistische Gezerre um das angebliche Gemeinwohl
und die angeblich unumstößlichen „wissenschaftlichen
Erkenntnisse“ der Wissenschafts-Notzüchtiger tatsächlich
abläuft, erhellt aus folgendem Erfahrungsbericht des
ehemaligen Finanzministers Oskar Lafontaine (sh.
Vorabdruck aus seinem Buch „Politik für alle“ in:
DIE WELT, 13.3.2005):
„Meine Rechtfertigung, den Mund aufzumachen und mich
einzumischen, beziehe ich daraus, dass neben meinem
privaten sozialen Engagement alle meine Vorschläge zur
Steuer- und Sozialpolitik zu einer stärkeren Belastung
der Besserverdienenden, zu denen ich gehöre führen.
Diese Haltung verschafft einem in diesen Kreisen keine
Sympathie, sondern sie stößt auf Ablehnung und Spott.
Das erfuhr ich immer wieder, wenn ich in politischen
Gremien für die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes von
53 Prozent kämpfte. Besonders allergisch auf den
Spitzensteuersatz reagierten Medienvertreter, deren
Einkommen das der Politiker in einer Reihe von Fällen
bei weitem übertrifft. Mittlerweise wurde der
Spitzensteuersatz deutlich gesenkt, und diejenigen unter
den Journalisten, die gut verdienen, gehören vielfach zu
den eifrigsten Befürwortern der neoliberalen Reformen …“
Nachdem Lafontaine nun wieder an die verratenen
Grundsätze der Sozialdemokratie gegen den
Neoliberalismus erinnert, schießt man aus allen Rohren
gegen ihn, so auch teilweise DER SPIEGEL (sh. Abschnitt
18.2) und im Folgenden auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:
„Lafontaines Problem: Seine
wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen werden in Deutschland von kaum einem
anerkannten Ökonomen geteilt. Schlimmer noch: sie werden vielfach belächelt. …
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch eine Angebotspolitik, also eine
Förderung der Arbeit gebenden Unternehmen, hielt er stets für einen Irrweg, die
Thesen weltweit anerkannter Ökonomen für ’Geschwätz’. Stattdessen wollte er die
Nachfrage stärken und insbesondere die ’kleinen Einkommen’ entlasten, um so über
verstärkten Konsum für Wirtschaftswachstum zu sorgen.“[52]
Mit den „weltweit anerkannten Ökonomen“ kann es nicht weit
her sein, wenn man die obigen Äußerungen von O’Neill, Buffett, Soros, Orzag und
Stiglitz sowie den 400 US-Ökonomen betrachtet, aber bei den neoliberalen
Wirtschaftsjournalisten sieht es noch trüber aus, mögen sie noch so viel
„lächeln“. Dazu haben sie bei ihren Bezügen meist auch einen triftigen Grund.
Richtig ist aber, dass die Grundüberzeugungen von Lafontaine in Deutschland „von
kaum einem anerkannten Ökonomen geteilt“ werden. Armes Deutschland!
Tatsächlich könnten die Investoren mit einer teilweisen
Steuerfinanzierung der Arbeitgeberanteile aus den umverteilten
56 Milliarden Euro jährlich[53]
wesentlich mehr Arbeitsplätze schaffen (sh. Exkurs hier in Abschnitt 2) als mit
einer Steuersenkung für Bestverdiener und, wie man sieht, hat diese
Umverteilung seit ihrer stufenweisen Umsetzung im Laufe der letzten Jahre für
den deutschen Arbeitsmarkt überhaupt nichts gebracht. Vielmehr war die
Arbeitslosigkeit im Jahre 2003 mit 9,3% höher als nach Beginn der ersten
Steuersenkungen mit 8,4% im Jahr 1999 und 7,8% im Jahre 2000.
[54]
Die
Bestverdiener sind von ihrem Stimmenanteil nicht
stark genug, um den Wahlausgang zu bestimmen. Aber die Meinungsmacher
(Politiker, Journalisten, Talkshow-Vorbeter, Verbandsfunktionäre, ihre weisen
Sachverständigen usw.) sind auch Bestverdiener. Von denen gibt es zwar noch
weniger. Sie haben jedoch maßgebenden Einfluss auf das Bewusstsein und
Abstimmungsverhalten der Wählermehrheit. Deshalb geht es bei „Steuersenkung für
Bestverdiener“ hier vor allem um „Steuersenkung für Meinungsmacher“. Dass die
übrigen Bestverdiener und Einkommensmillionäre auch davon profitieren, ist
anscheinend nur ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Steuersenkungs-Kampagnen,
soweit die Meinungsmacher von ihren Oberen nicht eigens für diesen Job
ausgewählt oder gefördert und evt. indirekt mit Aufstieg und Zusatzeinkommen
belohnt werden.[55]
Es spielt natürlich eine Rolle, dass auch die übrigen
Bestverdiener ihre persönlichen Vorteile meist besser erkennen und wahrnehmen
- nach dem bekannten Werbespruch „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Oft
übernimmt man auch Argumente und Überzeugungen, weil sie von den „richtigen
Leuten“ vorgebracht oder weitergegeben werden und weil man die Stichhaltigkeit
ebenso wenig einschätzen kann wie die meisten Meinungsmacher selbst.[56]
Dagegen gibt es bei den weniger Verdienenden sicher ein höherer Anteil von
Nichtwählern oder noch stärker manipulierten Wählern.
Die Milliardäre Soros und Buffet sowie die mehr als 400
US-Ökonomen folgen jedenfalls nicht dem ehernen
Glaubensbekenntnis der meisten
deutschen Meinungsmacher zur Rossäpfeltheorie. Danach sind die Spatzen am
besten versorgt, wenn die Rösser gut zu fressen haben, denn dann fällt hinten
auch etwas für sie ab, wenn also die Bundesminister und etliche Chefjournalisten
um jährlich mehr als 14.000 Euro entlastet werden,[57]
während man der Verkäuferin ihre paar Euro Steuerersparnis gleich auf andere
Weise wieder wegnimmt, denn irgendwie werde am Ende für sie auch schon etwas
herauskommen. Außerdem werde durch diese Ankurbelung der „Kuchen“ größer, und
das komme allen zugute. Kurz gesagt: Steuersenkungen für Bestverdiener
schaffen Arbeitsplätze! Das gilt sogar dann, wenn man als Alibi die Steuern auch
bei Kleinverdienern und ein paar Euro senken muss, weil man bei denen ja auf
andere Weise wesentlich mehr abkassieren kann!
Solche Alibis sind aber nicht nur vorgetäuscht, denn die
Verkünder dieses Evangeliums glauben meist selbst daran, zumal es ihnen nützt,
[58] und es nützt ihnen um so mehr, je fester sie daran
glauben und je überzeugender sie durch diesen eingepaukten Glauben auf die
Düpierten[59]
einwirken. Wie soll man mit einer solchen modelltheoretischen und statistischen
Wissenschaft ohne vollständig fixierbare reale Modellvoraussetzungen auch
„beweisen“, dass die Sonne nicht um die Erde kreist?
Die Umverteilung nach oben haben nicht die Milliardäre
Buffett und Soros oder die 400 US-Ökonomen und ihre Gleichgesinnten in den USA,
Deutschland und anderswo zu verantworten, sondern die neoliberalen
Meinungsmacher und ihr eigennütziges oder düpiertes Gefolge.
Die „Reformdividende“ der Meinungsmacher und
Einkommensmillionäre (sh. hier u.a. die Tabellen in den Abschnitten 5.4 und 6)
im Umfang von jährlich mehr als 50
Milliarden Euro (sh.
oben) wird bezahlt durch Rentenklau nach vorheriger
Zweckentfremdung der Rentenbeiträge,[60]
durch die niedrigste Geburtenrate der EU im Jahre 2003[61],
durch Pisaschock[62]
in Verbindung mit allgemeiner Laxheit oder oft mit mangelnden Deutschkenntnissen
aufgrund dilettantischer Zuwanderungspolitik,[63]
durch Notstand bei Kindergärten, Ganztagsbetreuung,[64]
drastische Erhöhung der Kinderarmut von mehr als 1 Millionen im Jahr 2004 auf
voraussichtlich 1,5 bis 2 Millionen im Jahr 2005 (mit Hartz IV),[65]
durch wirtschaftliches Elend in Altenheimen, Fehlen von Zukunftsinvestitionen in
Forschung, Bildung, Kultur, Infrastruktur, Polizei, durch konsumdrosselnde
Umverteilung nach oben zu Lasten der Eigenheimzulage, der lahmenden
Bauwirtschaft und der ohnehin geringen
Arbeitslosenunterstützung für verzweifelt arbeitssuchende Arbeitslose.
Dies könnte dazu führen,
dass der abgestrafte EX-Minister dank christlicher Härte zu
Weihnachten 2003 und rötlicher Bereitwilligkeit[66]
nach Wegfall seiner Versorgung für arbeitsfähige Politiker, Ablauf seines
Anspruchs auf Arbeitslosengeld I, Einführung von Hartz IV und einem finanziellen
Striptease zu 30% unter Tarif[67]
die Straße fegen muss (sh.
Foto[68]),
damit ihm seine Mini-Sozialhilfe nicht um 30% gekürzt oder auf
Sachleistungen umgestellt wird! Denn er wird ja auch nach dem
zweiten Bezugsjahr von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für sich und seine
Ehefrau mindestens die jeweils 90% und für seine minderjährigen Kinder die
jeweils 60% bis 80% von diesen knapp 350 Euro monatlich plus
Sozialwohnungs-Pauschale brauchen,[69]
nachdem er vorher mehr als 10.000 Euro + Kostenpauschale usw. monatlich auf dem
Konto hatte.[70]
Durch solche Maßnahmen geben ihm die Meinungs- und
Gesetzesmacher doch die Lottochance, irgendwann wieder an ihrer sogenannten
"Spaßgesellschaft" teilzunehmen.
Zwar kann er sich auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes
berufen, aber dieses Prinzip verbietet nach Meinung der
Neoliberalen nicht die Umverteilung nach oben, solange man nicht bei
US-amerikanischen oder gar Drittwelt-Verhältnissen angekommen ist.[71]
Auch kann er sich nicht wie der gern zitierte Klavierspieler darauf berufen,
dass er beim Straßefegen seine Fingerfertigkeit verliert[72]
oder krank wird, denn er ist doch an der frischen Luft.
Außerdem sagt seine
SPD-Ministerkollegin Renate Schmidt (ebenfalls 10.000 Euro netto +
Kostenpauschale bei monatlich mehr als 1.000 € rosagrünlichem Steuerrabatt)
zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich: „Armut hängt nicht vom Geld ab“.
„Sie fordert von den ’klugen Müttern’ Eintopf mit Saisongemüse statt Fast Food
und plädiert für ’Haushaltskurse’ damit Eltern und auch Kinder ’mit ihrem Geld
wirtschaften lernen’“ (sh. Wolfgang Lieb in:
NachDenkSeiten, 28.2.2005).
Vielleicht findet er ja in
fortgeschrittenem Alter trotz der von ihm mitverursachten Arbeitslosigkeit
doch noch einen Mini-Job in der Fremde, verlässt Haus und Hof, Frau und Kind,
Freunde und Bekannte oder seine kranken Eltern, um in einem alten Bundesland mit
etwas geringerer Arbeitslosigkeit neu anzufangen. Für einen neoliberalen
Minister wäre das gewiss sehr erkenntnisfördernd. Aber durch die Arbeit zum
Dumpinglohn 30% unter Branchenniveau oder gar zu 1,50 Euro pro Stunde als
Zuschlag zur Sozialhilfe wird er irgendwann – trotz aller
gegenteiligen Beteuerungen - einen anderen Niedrig-Lohn-Jobber zum
Arbeitslosen machen. Vielleicht wird er auch zu denjenigen gehören, die
engagiertes Personal in der Wohlfahrtspflege verdrängen.[73]
Auf jeden Fall wird er die Löhne noch weiter nach unten treiben, so dass er am
Ende mit der niedrigen Sozialhilfe nach Hartz IV doch noch besser fährt als
ein „working poor“ (sh.
Fußnote 25).
Irgendwann entdeckt ihn DIE WELT schlafend
auf der Parkbank: Siehe ihr
Foto[74]
mit dem Text: „Die Armutsschwelle liegt in Deutschland bei 938 Euro im
Monat“.[75]
Aber damit müsste er als Alleinstehender doch eigentlich noch bescheiden leben
können, wenn er z.B. nur 350 bis 400 Euro Wohnungskosten hat? Tatsächlich
beträgt das Sozialgeld für einen Alleinstehenden in Westdeutschland aber nur
345 Euro plus Kosten für eine Wohnung auf Sozialniveau.[76]
Diese einfache Zahl kann man sich einprägen. Damit
erhält dieser utopische Ex-Minister zum Leben weniger als die Hälfte dessen, was
die rosagrünlichen Noch-Minister durch ihre Umverteilung monatlich an Steuern
sparen. Ob er nach komplizierten
Definitionen als „arm“ gilt[77]
oder ob er trotz Ministerbezügen auf der Parkbank schläft ist dabei
gleichgültig und eignet sich vor allem für Ablenkungs-Debatten. Interessant ist
vielmehr, dass durch die Umverteilung die Schere zwischen Arm und Reich laut
Armuts- und Reichtumsbericht immer weiter auseinandergeht, wie viele Kinder in
die Sozialhilfe fallen und dass sich immer mehr Arbeitnehmer zugunsten der
Bestverdiener und „idle rich“ als „working poor“[78]
über Wasser halten müssen. Jedenfalls sollte er sich an der Verfassungsklage der
Contra e.V. mit ihrem engagierten Vorsitzenden
Dieter Nolte beteiligen, um gegen Aushöhlung des Sozialstaates durch die
Bestverdiener anzugehen.
Bei den 400-Euro-Jobs wurden
schon die „schlimmsten Befürchtungen bestätigt“ durch Wegfall von 227.000
regulären Einzelhandels-Arbeitsplätzen in einem Jahr und Entstehung von 176.000
Minijobs im gleichen Zeitraum.[79]
Auch dieses Problem ließe sich nach den skandinavischen Erfolgsmodellen lösen.
Ein System „Fordern
und Fördern“ nach dänischem Vorbild kann nur funktionieren, wenn man zuvor die
Arbeitslosenquote durch Korrektur der Umverteilung mindestens auf das Niveau in
Dänemark senkt und die
Sozialstandards auf das dänische Niveau anhebt durch Einführung von
Spitzensteuersätzen ebenfalls nach dänischem Vorbild (sh. hier etwas
weiter unten und in den folgenden Abschnitten).
Die Demonstrationen gegen
die Umverteilung nach oben mit dem letzten Anstoß durch Hartz IV konnten nicht
unbegrenzt andauern, aber die Wahlen in Sachsen und Brandenburg haben schon
gezeigt, was die nächsten Bundestagswahlen bringen können (sh. hier Abschnitt
18.6). Dies könnte sogar noch positiv ausgehen, wenn sich mit der Linkspartei
eine echte Alternative bietet (sh. hier Abschnitt 18.9) und sich die Ex-Sozialen
mit den Sozialen zunächst einmal zusammentun, um die Asozialen zurückzudrängen..
Auch das versprochene Geld
für die Entwicklungshilfe von knapp 15 Milliarden Euro wird nach oben verteilt
durch jene jährliche Reformdividende von 50 Milliarden Euro für Bestverdiener,
durch eher zu gering geschätzte 65 Milliarden Euro Steuerhinterziehung
(sh. folgendes Zitat)[80]
und durch einige zig
Milliarden unnötige Mehrkosten im Gesundheitswesen, bei Strom und Gas sowie in
anderen Lobby-anfälligen Bereichen. Von diesen 15 Milliarden Euro werden ohnehin nur knapp 6 Milliarden
aufgebracht,[81]
und das geschieht häufig auch noch eher zum Vorteil der Exporteure als der
Empfänger.[82]
Für die Entwicklungshilfe könnte stattdessen die immer wieder geforderte
Börsen-Umsatzsteuer von jährlich etwa 12 Milliarden Euro gegen ausufernde
Spekulation herangezogen werden.[83]
Der Verbleib der Reform-Beute wird vernebelt durch Sonntagsreden, perfides
Schüren von Generationskonflikten, Aufhetzen der „braven Bürgersleut“ gegen
Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und durch sonstige Ablenkungsmanöver. Wann
folgt auf die Bildzeitungs-Kampagne gegen „Florida-Rolf“ einmal eine Kampagne
zur Klarstellung der folgenden Relation 1:540?
„Nach Angaben des
Caritas-Verbandes … gehen dem Gemeinwesen durch Sozialhilfemissbrauch jährlich
120 Millionen Euro verloren; durch Steuerhinterziehung jedoch 65 Milliarden
Euro. Gleichzeitig werden schätzungsweise 2,2 Milliarden Sozialleistungen nicht
in Anspruch genommen von Menschen, die sich ihrer Armut schämen und sich deshalb
scheuen, an der ‚komfortablen Normalität’ des Sozialstaates zu partizipieren.
Missbrauchsbekämpfung ist hierzulande selektiv: Die Kleinen hängen und die
Großen laufen lassen.“[84]
oder mit einem Zitat von Karlheinz Deschner:
„Auch verschämte Armut ist
die Folge unverschämten Reichtums.“[85]
Das Prinzip „Fordern und Fördern“ ist reine Propaganda,
wenn das „Fordern“ lange vor dem „Fördern“ kommt[86]
oder der Umfang des Förderns weit hinter dem Fordern zurückbleibt und man nicht
zuvor die Voraussetzungen für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit schafft. Das
„Fordern und Fördern“ wird in Dänemark erfolgreich praktiziert mit einem
Arbeitslosengeld von 90% des letzten Bezugslohns und einer Bezugsdauer von 4
Jahren,
[87] allerdings mit wesentlich größeren Erfolgschancen,
da die Arbeitslosenquote dort nur etwa halb so hoch ist wie in Deutschland. Dies könnte auch in Deutschland erreicht werden durch die
Rücknahme der Steuersenkung für Bestverdiener bzw. der gesamten rotgrünen
Steuerreform und Einführung von Einkommensteuersätzen wie z.B. in Dänemark[88]
zur Absenkung der Lohnzusatzkosten[89]
und der Arbeitnehmeranteile, also auch zum Ausgleich der höheren Lohnsteuern,
und notfalls zur Zahlung von abgestuften Kombilöhnen im gesamten
Niedrigstlohnbereich.[90]
Auf diese Weise wird der „Kuchen“ tatsächlich größer – auch für die
Bestverdiener.
Was man durch Zusammenstreichen der Bezüge von arbeitslosen
Ex-Ministern (sh.o.) und - auf Druck der CDU - von schuldlos abgestürzten
Bestverdienern oder Durchschnittsverdienern auf Sozialhilfeniveau einspart,
wird stattdessen verwendet zur Schaffung gut bezahlter zusätzlicher
Arbeitsplätze in den Behörden, um die Arbeitslosigkeit intensiver zu verwalten.
Die ersten Prüfungsergebnisse des Bundesrechnungshofes werden zwar noch auf
Reibungsverluste bei der Umstellung zurückgeführt,[91]
aber es kommt anscheinend doch so, wie es bei der jetzigen Arbeitslosenquote mit
diesem teuren Hartz-Aktionismus kommen musste:
„Der Bundesrechnungshof
hat der Bundesagentur für Arbeit ein vernichtendes Zeugnis für ihre
Vermittlungstätigkeit ausgestellt. Nach einem internen Bericht an den Vorstand
der Nürnberger Behörde waren von 605 überprüften Vermittlungsvorschlägen nur 4,6
Prozent erfolgreich. Nicht einmal jeder 20. Vorschlag habe zu einer
Arbeitsaufnahme geführt, kritisieren die Rechnungsprüfer nach Informationen der
Berliner Zeitung.“[92]
Dabei sind zukünftige Schäden durch die 1-Euro-Löhne noch
gar nicht berücksichtigt. Auch die Kombi-Löhne wären sehr problematisch.[93]
Für beides brauchte man jedenfalls nicht einen derartigen Personalaufwand nach
dem Hartz-IV-Gesetz der großen Umverteiler-Koalition. Außerdem muss eine
Regionalisierung der Umverteilungskritik unbedingt vermieden werden, auch wenn
den Neoliberalen sehr daran gelegen ist. Die Umverteilung schafft nicht eine
Trennung zwischen Ost und West, sondern zwischen Arm und Reich.
Als Vertrauen schaffende Maßnahme zum Hartz-Spektakel hat
man zumindest die sprachliche Aufrüstung auf ein gewisses „modernes“ „Standing“
gebracht:
"Ein Arbeitsloser kommt
ins Job-Center, trifft am Front Desk auf den Case-Manager,
der auf Grundlage eines Tiefenprofilings mit Unterstützung des Back
Office ein Vermittlungsangebot an die PSA macht."[94]
Es ist ein erster Lichtblick, dass auch einmal ein neuer
deutscher Wirtschaftsweiser öffentlichkeitswirksam in wichtigen Punkten von der
neoliberalen Linie abweicht. Dazu heißt es in der Berliner Zeitung:
„Heftige Kritik an der Hartz-IV-Reform übte derweil der
Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Das Gesetz sei zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
ungeeignet. Es komme ihm vor wie eine ’Bypass-Operation für einen Asthmakranken.
Dem Patienten wird viel zugemutet, doch er profitiert davon nicht’, sagte
Bofinger. Das Problem sei nicht mangelnder Druck auf die Arbeitslosen, sondern
der Mangel an Jobs.“[95]
In einem mutigen Interview von Peter Bofinger mit der taz
konnte schließlich auch noch von prominenter Seite eine kurze Bestätigung der
Kernthese gefunden werden, die hier vertreten wird:
[96]
„Die
Sozialabgaben sind zu hoch. Weniger Sozialbeiträge, mehr Steuern - dann wären
wir im europäischen Maßstab wieder richtig positioniert …
Bei
Steuersenkungen profitieren eher die Gutverdienenden. Wenn man geringe und hohe
Einkommen um den gleichen Prozentsatz entlastet, hat der Wohlhabende absolut
gesehen mehr Geld in der Tasche. Bei den Sozialabgaben hingegen profitieren
kleine und mittlere Einkommen - Wohlhabende zahlen ja nicht in die kollektive
Versicherung ein. Der Schub für die Wirtschaft wäre größer, weil Kleinverdiener
zusätzliches Geld fast vollständig wieder ausgeben …
Die
Sozialabgaben sind auch deshalb gestiegen, weil sie für viele Aufgaben benutzt
werden, die man aus Steuergeldern bezahlen sollte: die ostdeutschen Renten nach
der Wiedervereinigung oder die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen...“
Dennoch zitiert BILD (am 28.2.2005) Hans-Werner Sinn
weiterhin (sh. hier Abschnitt 5.4) mit der richtigen
Diagnose und der falschen Überschrift:
„Steuern runter!
Es ist
absurd, wenn der Staat von dem Geld, das ein Kunde für
die Überstunde eines Malergesellen zahlt, 64 Prozent
über Steuern und Sozialabgaben wegkassiert. Das ist Gift
für die Motivation und ein Turbo für die Schwarzarbeit.“
Statt weniger Sozialabgaben durch Rückkehr zu ihren
alten Spitzensteuersätzen zu fordern, warten die
Meinungsmacher mit einem Schwall von Ablenkungen auf,
fordern für den Exportweltmeister Deutschland in ihren
Instituten oder in den Talkshows die weitere Export- und
Konjunkturförderung durch realen Lohnstopp und
Lohnsenkungen im untersten Bereich - bei gleichzeitiger
Absenkung der Sozialhilfe zu Lasten der Konsumnachfrage,
die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
usw. Das klingt oft so überzeugt und ehrlich,
dass man es nur mit profitabler Selbsttäuschung erklären kann. Die deutsche
Konjunktur kann nicht allein dadurch an Fahrt gewinnen, dass die Deutschen noch
billiger fürs Ausland produzieren.
Warum kommen nicht die Experten auf die einfachen
Konsequenzen, die von den 400 US-Ökonomen sowie Orszag und Stiglitz so
allgemeinverständlich dargestellt wurden? Warum wollen sie nicht die
Umverteilung zu ihren Gunsten korrigieren? Liegt es an einer Denksperre,
Denkschulen-Fixierung, an Ideologie, Gewohnheit, Konformismus, Gruppenzwang,
Eigeninteresse? Oder weiß man hier alles besser?
Es geht um eines der letzten Tabus, auch in den USA, wo zum
Beispiel die Schaffung einer allgemeinen Krankenversicherung und sonstiger
sozialstaatlicher Selbstverständlichkeiten durch Korrektur von Bushs und Reagans
Steuersenkungen für Bestverdiener nicht einmal von den Demokraten offen
angesprochen werden kann, denn die hochbezahlten TV-Wirtschafts-Kommentatoren,
neoliberalen Politiker, Lobbyisten und sonstigen Meinungsmacher als
Medizinmänner der Nation haben durch ständige Verbannung dieser Möglichkeit und
durch die Zauberformel „Steuererhöhungen“ mit ihrem mächtigen Medienapparat und
gewaltigem Kapitaleinsatz bei der Tabuisierung ganze Arbeit geleistet.[97]
In Deutschland darf sich das Unwort „Steuererhöhung“
bestenfalls auf die Umsatzsteuer beziehen, weil dadurch die Bestverdiener kaum
betroffen sind. Aber eine Erhöhung der Umsatzsteuer „würde der Volkswirtschaft
endgültig den Garaus machen“.[98]
Vielleicht tummeln sich auch deswegen so viele Juristen in der Wirtschafts- und
Finanzpolitik, weil es dort gar nicht vorrangig um die Lösung ökonomischer
Probleme, sondern um die Wünsche zahlungskräftiger Interessenten mit Hilfe von
Gutachtern geht.[99]
Aber auch die meisten prominenten Wirtschaftsexperten in Deutschland verhalten
sich wie Juristen in eigener Sache.
Diese Tabuisierung und der Eigennutz der
Bestverdiener
gingen in den USA so weit, dass Bushs historisches Umverteilungspaket
einschließlich Abschaffung der Erbschaftsteuer im US-Senat mit der Unterstützung
von 12 der 50 demokratischen Senatoren durchgesetzt wurde![100]
Ohne diese Überläufer wäre das Stimmenverhältnis 50 zu 50 gewesen. Die
Nichtwähler in den USA hätten es also nicht leicht, das geringere Übel zwischen
den Parteien zu wählen. Aber die rötlichgrüne Schröder-Regierung hatte ihre
drastische Senkung des Spitzensteuersatzes von 53% auf zunächst 45% ja sogar
unabhängig von CDU und FDP geplant![101]
Laut Heiner Geissler fühlten sich die Schwarzen auf diese Weise noch
weiter nach rechts gedrängt.[102]
Damit dürfte die Schröder-SPD den Weltmeistertitel bei der Umverteilung nach
oben in der Kategorie der „Sozialdemokraten“ errungen haben.
Peter Bofinger wird sich mit der entscheidenden Forderung
in dem taz-Interview vom 17.3.2004 nach Entlastung der Kleinverdiener[103]
durch seine „Gesundheitsprämie“ im Sachverständigenrat nicht durchsetzen.
Die öffentliche Unterstützung für seine Position ist noch zu schwach. Das
Jahresgutachten 2004/05 schließt mit seiner Unterschrift die
Mehrwertsteuererhöhung, also die konjunkturschädlichste aller Lösungen zur
Finanzierung dieses Pauschalbetrages nicht aus, sondern gibt ihr vielmehr einen
Freibrief.[104]
Sie ist ein beträchtliches Reservepotential für die weitere Umverteilung nach
oben.
Auch die Gilbgrünen und der am weitesten vergilbte
SPD-Flügel sehen das so. Wirtschaftsminister Clement
möchte lt. seinem Interview mit dem Berliner
Hauptstadtbrief vom 25.3.2005 zwar zur Beibehaltung der Steuersenkung für
Bestverdiener gern mit höherer Mehrwertsteuer bei den Ärmsten abkassieren,
aber nicht sofort,
also nicht vor der Wahl, während sich die grünliche
„Haushaltsexpertin“ Anja Hajduk lt. Interview mit dem
Hamburger Abendblatt
vom
27.3.2005 wohl
auch gleich bei garantierter Senkung der
„Lohnnebenkosten“ eine Mehrwertsteuererhöhung von 16%
auf 18% vorstellen könnte, um die Steuersenkung für
sich, die Meinungsmacher und die übrigen Bestverdiener
beizubehalten.
Peter
Bofinger hat als „Neuer“ im Sachverständigenrat (seit dem 1.3.2004) gegen vier Recht(s)denkende
und deren Anhang mit „Korpsgeist“
[105] sowie gegen
das gesamte Korps der neoliberalen Meinungsmacher einen schweren
Stand. Selbst von den besserverdienenden Gewerkschaftsbossen, die ihn als
Sachverständigen vorgeschlagen haben sollen, kann er in diesem Punkt keine
nennenswerte Unterstützung erwarten (sh. aber Abschnitt 18.7). Auch die geplanten Zuschüssen dürften im
Laufe der Jahre wegen der angeblichen „Sparzwänge“ eher abgeschmolzen als erhöht
werden, so dass am Ende amerikanische Verhältnisse drohen. In einem Artikel zur
Arbeitsweise der Gutachter heißt es:
„Unter Gerhard Schröder
wurde turnusmäßig fast der gesamte Sachverständigenrat ausgetauscht. Aber man
kann nicht sagen, dass der Rat linker geworden wäre, auch wenn zwei Mitglieder
das SPD-Parteibuch besitzen.“105
Wen
kann das bei diesem Kanzler wundern, der ja überraschenderweise auch das
SPD-Parteibuch besitzt! Die gewünschte Wirkung bleibt nicht aus:
„Trotzdem ist es dem Rat
auf erstaunliche Weise gelungen, das Denken in der Bundesrepublik zu
beeinflussen. Fast erscheint es so, als diffundiere das, was in der
Professoren-WG im zwölften Stock gedacht wird, nach und nach in die
Gesellschaft.“105
Die
Frage ist also, wie man den Geist aus der Flasche bändigt oder ob der sich wie
in Grimms Märchen freiwillig ins Glas zurückzieht,[106]
vielleicht weil sich der wirtschaftstheoretische Wind in den USA gedreht hat[107]
und die Auswirkungen sogar in der deutschen Provinz gespürt werden. Die ständige
Verfeinerung von wissenschaftlichen Details wird dazu aber nicht reichen:
„’Wir verkünden nicht mehr
so viel mit dem Brustton der Überzeugung’, sagt Wolfgang Wiegard. Dafür ist das
Gutachten angereichert mit komplizierten statistischen und ökonometrischen
Abhandlungen.“ 105
Dies
dürfte sinnvoll sein, wenn die Grundannahmen stimmen, wie etwa die obigen
Ausführungen von Orszag und Stiglitz über den einen Dollar.
Heiner Geißler, Ex-CDU-Generalsekretär und - neben dem
Ex-Minister Norbert Blüm sowie dem Ex-Gesundheitsexperten Horst Seehofer - wohl
einer der letzten christlichen Vertreter der „Christlichen Union“, sagte vor
einiger Zeit:
„ …solidarische Lösungen
bieten sich an in Form der Bürgerversicherung wie in der Schweiz, die man nicht
desavouieren darf durch falsche Begriffe wie sozialistische Einheitsversicherung
oder wie in Schweden, indem man die sozialen Sicherungssysteme eben über die
Steuer finanziert. Der jetzt eingeschlagene Weg, der ja in Richtung
Privatisierung geht, das ist der amerikanische Weg und er führt in die Irre, ja
sogar ins Elend... Ja, es ist ganz sicher so,
dass bei uns in Deutschland eine fundierte wirtschaftswissenschaftliche
Diskussion über die Ökonomie der Zukunft noch gar nicht begonnen hat. Die läuft
gerade in Amerika zurzeit also auf voller Höhe, nicht mit großer Intensität.
Denn die jetzige Ökonomie, also das jetzige ökonomische System, das man auch als
Spätkapitalismus bezeichnen kann, hat ja nun mit Sicherheit keine Zukunft. Man
kann nicht auf die Dauer Millionen von Menschen ausgrenzen, ohne dafür nicht
irgendwann einen politischen Preis zu bezahlen. Und wir bräuchten heute den
Entwurf einer internationalen sozialen Marktwirtschaft, besser einer
sozial-ökologischen Marktwirtschaft mit bestimmten Regeln für die globale
Wirtschaft, in der es ja zurzeit keine Ordnung gibt, keine Regeln, kein Gesetz.
Ein Wirtschaftssystem, von dem die Mafia und die internationale Kriminalität
genauso profitiert wie die Terroristen. “102
Die derzeitigen Parteien in Deutschland und den USA
beschränken sich aufs Umverteilen nach oben. Auch in den USA fehlt eine
Linkspartei. Es fragt sich, warum Soros, Buffett und ihre Bush-kritischen
Gesinnungsfreunde nicht dafür einmal ein paar hundert Millionen spenden,
ohne die in den USA bekanntlich gegen die Meinungs-Oligopole nichts auszurichten
ist.[108]
Aber man kann von diesen Milliardären trotzt einiger Charakterbeweise wohl nicht
erwarten, dass sie sich gegen ihre beherrschende Moral der Bestverdienenden noch
ein derart konträres Gewissen bewahren, wie etwa der Industrielle und
Marx-Koautor Friedrich Engels das konnte
[109]
und als einer der letzten bekannten Sozialdemokraten auch Oskar Lafontaine, der
im Gegensatz zu etlichen anderen Polit-Bestsellerautoren unentbehrliche Beiträge
liefert.
Die Grünen waren der SPD-Mehrheit bei dieser Umverteilung
stets mit wohl gesetzten Worten ein paar Schritte voraus, seitdem nach ihrer
Selbstfindung als eine Art vergilbter Öko-FDP[110]
die amtliche Ökologie und Renate Künast nur noch in diesem gelben Doppel- oder
Multipack mit Eumeln[111]
zu haben sind. Dazu heißt es bei wsws.org:
„Der Vorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer,
behauptete in grotesker Verkennung der Wirklichkeit, die SPD habe im Saarland
Stimmen verloren, weil sich führende saarländische SPD-Politiker vom Reformkurs
der Bundesregierung distanziert hätten. Die Grünen, die sich vorbehaltlos mit
diesem Kurs identifiziert hatten, hätten dagegen Stimmen hinzugewonnen. Kein Wunder, hat doch eine Studie der Universität Mainz
gezeigt, dass inzwischen die Grünen, und nicht die FDP, die eigentliche ’Partei
der Besserverdienenden’ sind. Die Studie untersuchte, wie viele Wähler über ein
monatliches Haushaltsnettoeinkommen von 3000 Euro und mehr verfügen. Bei den
Grünen waren es 32 Prozent, wesentlich mehr als bei der Union (26 Prozent) und
der FDP (20 Prozent). Die SPD rangierte mit knapp 17 Prozent hinter der PDS.“[112]
Die CDU bietet ein noch „moderneres“ Konzept mit dem
schönen bzw. geschönten Namen: „Ein
modernes Einkommensteuerrecht für Deutschland, Zehn Leitsätze für eine radikale
Vereinfachung und eine grundlegende Reform des deutschen
Einkommensteuersystems“.[113]
Mit dem Bierdeckel-Trick[114]
will sie den Spitzensteuersatz nach dem „Merz-Konzept“ noch weiter
absenken: von 42% auf 36%.
[113]
Auf diesem Wege folgt sie der FDP als "Partei der Besserverdienenden"[115]
und Missionarin für eine neue „Werte“-Debatte,[116]
die ihn mit ihrem angestrebten Spitzensteuersatz von 35% schon lange
vorgezeichnet hat.[117]
Nach der kalten Abfertigung von
Norbert Blüm[118]
will seine „christliche“ Partei außerdem bei den Krankenversicherungsbeiträgen
für Kleinverdiener wesentlich kräftiger zulangen und die Beitragszahler
oberhalb des Sozialhilfeniveaus mit Kopfprämien im Gesundheitswesen zur Kasse
bitten. Siehe dazu den ZDF-Bericht „Kopfprämie macht ein Drittel zu
Bedürftigen“.[119]
Die „christlichen“ Kahlschläger diesseits und jenseits des
Atlantiks könnten gelegentlich einmal wieder in die Bibel schauen, denn dort
steht geschrieben:
„An ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen“ (Matth. 7, 16) und
„Hütet euch vor den falschen
Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende
Wölfe“ (Matth. 7,15).[120]
Es genügt den Bierdeckel-Gauklern
(sh. dazu "Finanzgerichtstag" in Abschnitt 9) also bei weitem nicht,
dass sich nach der Steuersenkung für Bestverdiener durch RosaGilb der
Bevölkerungsanteil mit Einkommen unterhalb der EU-Armutsgrenze von 12,1% auf
13,5% und der Anteil der Reichsten 10% am Volksvermögen in etwa 5 Jahren von 45%
auf 47% erhöht hat und dass sich die Zahl der sozialhilfebedürftigen Kinder von
inzwischen 1,1 Millionen mit drastisch verminderten Bildungschancen
demnächst durch Hartz IV noch einmal verdoppeln könnte.65[121]
”Nicht nur die Zahl der Armen wächst,
immer größer wird auch der Abstand zu den Wohlhabenden der Republik. In den
vergangenen Jahren sind die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden, zeigt
eine neue Analyse des Statistischen Bundesamtes. Danach stieg das
durchschnittliche Nettogeldvermögen des reichsten Viertels gegenüber dem ärmsten
vom Achtfachen auf das Zwanzigfache.”
und dazu die Frage von Andrea Noll (Attac) nach dem Verbleib des
Volkseinkommens und der Konsumimpulse:
„Die Kassen leer? Wer hat die Hand in
der Kasse, ist wohl eher die Frage.“[121]
Auch der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (seit 2002), Wolfgang
Wiegard (SPD), schlug im Einklang mit weiteren Mitgliedern des Rates eine
Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 35%[122]
bei gleichzeitiger Kürzung der Sozialhilfe um 30%[123]
vor. Damit liegt er schon unter den 36% nach dem Merz-Konzept der CDU,[113]
deren Parteichefin Angela Merkel kurz vor der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen sagte:
"Alles was
wir tun, muss sich der Wirtschaft unterordnen: Entsteht
dadurch Arbeit oder verschwindet dadurch Arbeit."
.
Mit ihrer Umverteilung nach oben durch die 35% wird sie
der „deutschen Wirtschaft endgültig den Garaus machen“,[98]
da diese Geldhortung an der Spitze nur durch mangelnde
Nachfrage des Staates und der kleinen Konsumenten
bezahlt werden kann.
Den gewünschten Spitzensteuersatz des ehemaligen Verfassungsrichters und
Steuerrechts-Professors Paul Kirchhof von 25% fände Wiegard „natürlich noch viel
schöner“.[122]
Das ginge dann zwar wieder zu Lasten der Kleinverdiener und der Konjunktur, aber
dem Einkommensmillionär brächte es für jede weitere Million noch einmal eine
Ersparnis aus der Differenz von jetzt 42% zu dann 25%, also von 170.000 Euro -
zusätzlich zu den 110.000 Euro, die ihm Rosa-Gilb schon zugeschanzt haben (alles
plus Solidaritätszuschlag – sh. hier Tabelle 2 in Abschnitt 5.4 und Tabelle 3 in
Abschnitt 6). Auch der Professor für Finanzwissenschaft Wolfgang Wiegard würde
in der Größenordnung von Politikern reichlich profitieren. Ihm ganz besonders
missfällt die Opposition Peter Bofingers:
„Dieser habe sich im
letzten Jahresgutachten des Gremiums zur Steuerpolitik geäußert, ’wovon er
erwiesenermaßen überhaupt nichts versteht’".[124]
Die obige Warnung vor Schaffung einer
Kompetenz-Monopolisierung nach Art der Hohen Priester[125]
– selbst gegen Ökonomen anderer Fachgebiete - mit „komplizierten statistischen und ökonometrischen
Abhandlungen“[126]
scheint hier im nachhinein bekräftigt, denn damit wird es immer schwerer,
die obigen einfachen Überlegungen von Orszag und Stiglitz zu dem einen
Dollar und die simplen Überlegungen der 400 US-Ökonomen nachzuvollziehen. Statt
dessen werden die neoliberalen axiomatischen Grundlagen als Glaubenssätze
vorausgesetzt und mit einem verblüffenden Theoriegebäude überfrachtet. Da hilft
es selbst dem begeisterten Modelltheoretiker und Mathematik-Fan wenig, sich in
einer esoterischen Priestersprache zu verlieren, durch deren Einführung alle
Ungläubigen ausgeschlossen werden sollen. Diese ehrgebietende Ausschließlichkeit
wiederum verschafft den Nutznießern der Voodoo-Ökonomie[127]
zusätzliche Autoritäts-Vorteile.
Aber auch
„der Wirtschaftsweise Wolfgang
Franz, der auf Empfehlung der Arbeitgeber im Rat sitzt, schloss sich Wiegards
Kritik an: ‚Bofinger ist nicht teamfähig’, sagte Franz dem Handelsblatt.“[128]
Franz ist auch Direktor des ZEW Zentrum für Europäische
Wirtschaftsforschung, das gerade eine Erhöhung des ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes von 7% für Lebensmittel usw. auf 16% gefordert hat.[129]
Wenn das kein Umverteilungs-Zusammenhang ist, nachdem die Absenkung des
Spitzensteuersatzes von 53% auf 42% gerade abgeschossen wurde! Sogar durch diese
Maßnahme, die der „Volkswirtschaft endgültig den Garaus“ machen könnte, soll
nach den Prognosen dieses Wirtschaftsinstituts „das Bruttoinlandsprodukt um
0,23% steigen, sofern die zusätzlichen Einnahmen zur Senkung der Sozialbeiträge
verwendet würden“. Man sieht dort also durchaus die Möglichkeit der
Konjunkturförderung durch Senkung der Sozialbeiträge, will aber mit scheinbar
wissenschaftlicher Klarsicht nicht zugeben, dass man dafür auf eigene
überflüssige Steuergeschenke für Bestverdiener verzichten muss. Man will
offenbar nicht wahrhaben, dass man seine Umverteilungsbeute aus dem
Volkseinkommen nicht zu Lasten der Ärmsten und der Konjunktur sichern kann,
indem man die Umsatzsteuer auf Lebensmittel usw. mehr als verdoppelt und damit
den schwachen Konsum noch weiter drosselt.
Die neoliberale Front gegen Bofinger weitete sich
erwartungsgemäß schnell aus:
„’Wenn es den
Ratsmitgliedern nicht gelingt, sich intern wieder zusammenzuraufen, muss
letztlich einer der Beteiligten zurücktreten’, sagte der langjährige
SVR-Generalsekretär Michael Hüther, heute Präsident des arbeitgebernahen
Instituts der deutschen Wirtschaft. Das ehemalige Ratsmitglied Rüdiger Pohl
legte dem wegen seiner Alleingänge attackierten Peter Bofinger nahe, aus dem Rat
auszutreten: ’Wenn man sich in voller inhaltlicher Konfrontation sieht, dann
muss man zurücktreten’, sagte Pohl der Nachrichtenagentur Reuters.“[130]
Hüther meinte natürlich auch nicht den Rücktritt von Wiegard, sondern von
Bofinger, um die Eintracht und Schlagkraft der Bestverdiener wieder
herzustellen.
Im März 2005 hat
sich Michael Hüther erneut profiliert mit der Forderung
nach Senkung der Lohnnebenkosten und Erhöhung der
Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte. In den Vorschlag
anlässlich der neuen Arbeitslosenzahl von 5,2 Millionen
verpackte man gleich die Forderung nach einer weiteren
Steuersenkung für Bestverdiener durch Abschaffung des
Solidaritätszuschlages. Ohne Verpflichtung auf die
Arbeitgeberinteressen unterstützten ihn dabei der
Direktor des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, der schon
bei der Entlassung des Mainstream-kritischen
DIW-Konjunkturexperten Gustav Horn eine Rolle gespielt
hat (sh. hier Abschnitt 5.4), und der Direktor des
HWWA-Instituts, Thomas Straubhaar (sh. „Mit
höherer Mehrwertsteuer zu mehr Wachstum“,
netzeitung.de, 11.3.2005).
Die Abschaffung des
Solidaritätszuschlages von 5,5% bringt schon bei einem
zu versteuernden Einkommen von 100.000 Euro immerhin
eine jährliche Steuerersparnis von etwa 1500 Euro (sh.
Abschn. 5.4, Tabelle 2). Der zugleich vorgeschlagene
Beitragsnachlass von 1% auf die Arbeitslosenversicherung
bringt dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit einem Jahresbrutto von 30.000 Euro aber gerade mal je 0,005 *
30.000 = 150 Euro. Das wird jedoch beim Arbeitnehmer
allein schon durch die erhöhte Mehrwertsteuer sofort mehr als
aufgezehrt. Den Kleinverdienern, Normalrentnern usw.
nützt die Abschaffung des Solidaritätszuschlages
überhaupt nichts, weil er bei ihnen gar nicht anfällt
(Freibetrag in 2005 ist Jahressteuerschuld von je 972
bzw. 1944 Euro).
Die Umverteilung nach oben und Konsumdrosselung läuft
also immer nach dem gleichen Muster mit den gleichen
Knallbonbons ab. Da nützt es auch kaum etwas, wenn
mittelfristig die durchaus vorrangigen
Mehrwertsteuerermäßigungen für den konsumnahen Bereich
usw. zur Eindämmung der Schwarzarbeit vorgeschlagen
werden (sh. hier u.a. Abschnitt 7).
Aber man unterschätzt Bofinger wahrscheinlich, wenn man
annimmt, dass er sich diesem Gruppenzwang völlig unterwirft und die letzte
Position der Düpierten im Sachverständigenrat aufgibt. Es reichen allerdings
nicht die Kaufkraftsteigerungen durch Lohnanpassung an den
Produktivitätsfortschritt, wenn das Volkseinkommen immer mehr nach oben verteilt
wird, wo die Kaufkraft kaum noch wirkt.
Wenn bei Karstadt-Quelle nun nach harten Einschnitten noch
5.500[131]
und bei Opel Deutschland 8.000 Arbeitsplätze[132]
verloren gehen, werden dafür vielleicht einige neue bei den Herstellern von
Luxuskarossen, aber auch bei den Billiganbietern und in EU-Ländern mit
geringeren Lohn- und Lohnzusatzkosten oder zweifelhaft finanzierten
Dumpingsteuern entstehen (sh. hier Abschnitt 12).
Der engagierte Liedermacher Konstantin Wecker zeigt sich
als Freund einer deutlichen Sprache, wenn er schreibt:
„Jeden Sonntag Abend geben sich
Millionäre bei Frau Christiansen ein Stelldichein und faseln davon, dass mit
mehr Profit für die Konzerne neue Arbeitsplätze geschaffen werden.“[133]
In der Tat: „There’s No Business Like Show Business“, aber
es müssen nicht alles Millionäre sein. Trotz scheinbarer Unversöhnlichkeit der
Standpunkte sind sich fast alle geladenen Bestverdiener in einem Punkt einig:
Die konjunkturschädliche Steuersenkung für sie darf weder angetastet noch
überhaupt zur Sprache gebracht werden. Durch ständiges Aneinanderreihen von
Ablenkungsparolen vor einem Millionenpublikum werden sie zu grundlegenden
Wahrheiten umfabriziert.
Vernünftiger Unternehmensgewinn muss sein, aber
kein Diktat des Shareholder-Value, Steuersenkungen für Bestverdiener und
Konzerne vermindern nicht nur die schwache Konsumnachfrage, sondern auch
die Mittel zur Senkung der Lohnnebenkosten und tragen dadurch zur Vernichtung
von Arbeitsplätzen bei. Die Gründe
für die Akzeptanz solcher Umverteilungsideologien lassen
sich kaum verstehen mit ökonomischen Theorien, sondern
eher mit Kategorien der Soziologie, Psychologie, ja
besonders auch der Biologie bzw. Verhaltensforschung
(sh. hier Abschnitt 16), am einfachsten aber mit dem
gesunden Menschenverstand, wenn er denn nicht schon
durch die ständige Indoktrination geschädigt ist.
Inzwischen zeichnet sich beim Vorreiter USA bereits der
steuer- und sozialpolitische Super-GAU ab durch Marktfundamentalisten und Steuerfundis, die den Staat „in
der Badewanne ertränken“ wollen, mit den mächtigen Einpeitschern Grover
Norquist von der Kahlschlagsvereinigung „Amerikaner für Steuerreform“
und Stephen Moore von der Spenden-Pressure-Group „Club for Growth“:
„Der beste Weg, all die
Vorschriften und Gesetze und Kontrollen loszuwerden, ist für Leute wie Norquist,
die Steuersätze so weit nach unten zu bringen, dass dem Staat kein anderer Weg
bleibt, als sich zurückzuziehen. Raus aus der Erziehung, aus der Wohlfahrt, aus
dem Gesundheitssystem. ’Ich würde den Staat in 25 Jahren gern um die Hälfte
schrumpfen lassen’, sagt er - ’auf eine Größe, dass wir ihn in der Badewanne
ertränken können.’
Und was wäre für ihn ein fairer Steuersatz? ’Acht Prozent. Meinetwegen auch
zehn.’ So, wie er das sagt, klingt das fast großzügig …
Irgendwann fing Norquist
an, republikanische Politiker eine Selbstverpflichtung unterschreiben zu lassen,
dass sie niemals für Steuererhöhungen stimmen werden. Er nannte das den ’Eid’.
Präsident George W. Bush hat unterschrieben und auch Vizepräsident Dick Cheney,
8 Gouverneure, 42 Senatoren, 217 Abgeordnete. Der Eid wird im Beisein zweier ’Zeugen’ abgegeben,
und wer ihn einmal abgelegt hat, ist ’fürs Leben gebunden’. Es ist inzwischen
eine ziemlich ernste Sache.
In seinem Portemonnaie hat
Norquist einen Zettel mit den Namen der republikanischen Senatoren und
Kongressabgeordneten, die sich geweigert haben, den ’Eid’ abzulegen … Insgesamt
sind es 21 Namen. Ab und zu nimmt Norquist den Zettel heraus und streicht einen
durch. Niemand zweifelt mehr daran, dass es gelingen könnte, die Zahl der Namen
in absehbarer Zeit auf null zu bringen...
Moore sorgt für die nötige
Disziplin - durch Einschüchterung. Es gibt niemanden, vor dem liberale
Republikaner mehr Angst haben müssen.
Moore verfügt über das wertvollste Gut, das es in Washington neben einem
direkten Draht zum Präsidenten gibt: Er hat Geld zu vergeben. Hinter seinem Club
for Growth stehen etwa 15 000 Mitglieder, die meisten sind Banker und
Geschäftsleute. ’Tatsächlich sind wir heute außerhalb der Partei der größte
Einzelspender der Republikaner’, sagt Moore mit unüberhörbarem Stolz.
Der Club for Growth setzt sein Geld vorzugsweise gegen eigene Parteimitglieder
ein, und zwar gegen solche, die Moore ’Rinos’ nennt - ’Republicans in Name Only’, Republikaner nur dem Namen nach. Bei der zweiten großen Steuerrunde
schaltete er Anzeigen, in denen er die Senatoren Snowe und Voinovich mit dem
französischen Präsidenten Jacques Chirac verglich, dem Erzverräter...“[134]
Hier sind es also nicht die Fundamentalisten vom 11.
September, sondern die Fundis der US-Rechten, die mit Unterstützung von George
W. Bush diesmal nicht einen Ort, sondern das ganze Land verheeren wollen. Durch
eine derartige Spendenbündelung lassen sich die negativen Wirkungen des
„Kapitalismus“ auch ohne große „Kapitalisten“ erzielen, wenn man vom
Medienkapital einmal absieht. Auf diese Drittweltverhältnisse warten hier schon
hoffnungsvolle Meinungsmacher mit den passenden ökonomischen „Theorien“ gegen
die „Arbeitslosigkeit“ durch Steuersenkung für Bestverdiener.
Bei
solchem ideologischen und „intellektuellen“ Müll grenzt der neoliberale
Missbrauch der Apotheose von Beethoven und Schiller als Europahymne an ein
Sakrileg. Das Werk schwebt zwar über den Urinierern, aber viel besser passt ein
„Gedicht“ der
Trash-Literatur[135]
ohne besonderen literarischen Anspruch, mit dem Charles Bukowski bereits zur
Regierungszeit des „frommen“ Ronald Reagan[136]
den Raubtier-Kapitalismus „begrüßt“ hat. Mit dem „Star Spangled Banner“ in der
Version von Jimmy Hendrix (hier zum „Genießen“)[137]
würde es sich gut zur Globalhymne eignen. Es beginnt (in möglichst wörtlicher
Übersetzung) wie folgt:
Verwesung
Vor kurzem
hatte ich diesen
Gedanken
dass dies Land
zurückgefallen
ist
um vier oder fünf
Jahrzehnte
und dass aller
sozialer
Fortschritt,
das gute Gefühl
von
Mensch
zu Mensch,
hinweggespült
und verdrängt wurde durch
dieselben
alten
Scheinheiligkeiten.[138]