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Seite zuletzt ergänzt am 28.11.2008


 

 

 

Beck-Rücktritt

 

 

 

Wie sogar ein halb- oder viertel-linker Parteivorsitzende durch die tonangebenden Umverteilungs-Profiteure an der SPD-Spitze abserviert wird, zeigt das Ränkespiel gegen Kurt Beck. Auch die leiseste Unterstützung sozialdemokratischer Politik in der SPD brachte ihm - wie früher dem viel konsequenteren Oskar Lafontaine – die heftigsten Angriffe ein von Seiten der neoliberalen Medien und Politiker in der eigenen Partei. Nachdem seine Position für die Kanzlerkandidatur auf diese Weise demoliert war, wollte er als Parteivorsitzender den hochgejubelten Schröderianer Frank Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten vorschlagen. Dies sollte auf einer SPD-Präsidiumssitzung am Sonntag, den 7.9.2008, geschehen und bis dahin nicht an die Presse gelangen. Aber bereits am 6.9.2008, also einen Tag vor der Sitzung, titelte und schrieb SPIEGEL ONLINE:

 

Steinmeier wird Kanzlerkandidat der SPD

Es ist beschlossen: Frank-Walter Steinmeier wird nach SPIEGEL-Informationen Kanzlerkandidat der SPD. Der Außenminister informiert nun die Parteispitze über die Entscheidung - er hatte in der vergangenen Woche intensiv mit Parteichef Beck über die Frage beraten.

 

Berlin - Die Entscheidung ist nach SPIEGEL-Informationen in den vergangenen Tagen auf Drängen Steinmeiers gefällt worden. Sie soll auf der Klausurtagung der SPD-Führung am Sonntag am Schwielowsee in Brandenburg bekanntgegeben werden. Schon für diesen Samstagabend war vorgesehen, dass Steinmeier die Spitze der Partei über seinen Schritt informiert.

 

(Sh. spiegel.de, 6.9.2008.) Entscheidend ist hier die Passage "auf Drängen Steinmeiers", also nicht auf Vorschlag des Parteivorsitzenden Kurt Beck, sondern gegen ihn.

Anscheinend wünschte sich Steinmeier, der maßgebender Mitverfasser der Agenda 2010, einen Mitstreiter als Parteivorsitzenden, der dieses Machwerk voll vertreten hat und auch weiterhin offensiv durchpaukt. Dafür hatte sich schon früher Franz Müntefering eingesetzt. Mit beiden hatte Beck Stillschweigen über sein Votum für Steinmeier als Kanzlerkandidaten vereinbart. Beck hätte damit nach seinem freiwilligen Verzicht auf die eigene Kanzlerkandidatur seine Autorität als Parteivorsitzender gewahrt und die schwache sozialdemokratischen Restbestände in der SPD weiterhin etwas stützen können. Dies missfiel offenbar den Totengräbern der Sozialdemokratie in der SPD. Jedenfalls steckten sie der Presse noch am Tage vor der Präsidiumssitzung vom 7.9.2008 die Meldung, dass Steinmeier nun aus eigener Initiative an die Stelle von Kurt Beck als Kanzlerkandidat treten wolle. Damit war auch Becks Autorität als Parteivorsitzender demontiert. Von einem Restvertrauen zwischen ihm und seinen innerparteilichen Gegnern konnte keine Rede mehr sein. Er hielt es nicht einmal für nötig, gegenüber seinen Meuchlern und  der neoliberalen Medien-Meute öffentlich deren Mobbing-Erfolg zu preisen, sondern  verschwand einfach sang- klanglos - wie ehemals Oskar Lafontaine. Dazu schreibt SPIEGEL ONLINE:

 

Beck fühlt sich hintergangen. Am Donnerstagabend hatte er noch mit Müntefering und Steinmeier zusammengesessen und Stillschweigen über den Plan vereinbart, Steinmeier am Sonntag zum Kanzlerkandidaten zu küren. Dann musste er am Samstagabend auf SPIEGEL ONLINE lesen, dass Steinmeier ihn zu der Entscheidung gedrängt habe. Diese Interpretation will Beck nicht stehen lassen. Schon vor zwei Wochen habe er Steinmeier die Kandidatur angetragen, erklärt er den Klausurteilnehmern im "Event Center". Mit dem anderen Spin wolle man ihn offensichtlich dazu bringen, hinter Steinmeier und Müntefering künftig die dritte Rolle zu spielen. Das sei gegen seine Würde.

 

(Sh. "STEINMEIER UND MÜNTEFERING - Die Schröderianer erobern die Partei zurück", spiegel.de, 7.9.2008.)
Es ist nicht nur gegen seine Würde, sondern es macht für ihn ebensowenig Sinn wie ehemals für Oskar Lafontaine, dass er weiterhin die asoziale Politik zur Vernichtung der Sozialdemokratie und zu ihrer Marginalisierung bei den Wahlen unterstützt. Die Profiteure und Mitveranstalter des Coups gaben sich natürlich ebenso unschuldig wie betroffen oder wollten Kurt Beck sogar wieder als einen Vorsitzenden erscheinen lassen, der verantwortungslos den Bettel hinschmeißt. Der Politologe Karl-Rudolf Korte sagte am 10.9.08 bei Deutsche Welle Radio auf Rückfrage des Interviewers:

 

Wenn man als Parteivorsitzender nicht mehr die Macht hat, einen Kanzlerkandidaten zu benennen, dann kann man auch abdanken.

 

Den wahren Sachverhalt kann man natürlich auf den Webseiten der Bundes-SPD nicht nachlesen. Dagegen bestätigt Kurt Beck den Hergang auf der Webseite der SPD Rheinland-Pfalz mit seinen eigenen Worten:

 

In der vergangenen Nacht ist der Plan von mir und Frank- Walter Steinmeier, mit dessen Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD durchzustarten und gemeinsam für einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2009 zu sorgen, durchkreuzt worden.

Nachdem ich vor gut zwei Wochen Frank- Walter Steinmeier gebeten habe, die Spitzenkandidatur zu übernehmen, haben wir in einer Reihe von Gesprächen sorgfältig und vertrauensvoll die Vorbereitungen getroffen. Teil dieses Konzeptes der Geschlossenheit war auch die Einbeziehung des ehemaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering. Durch die Sonder- Tagung der EU- Außenminister in Brüssel am 1. September 2008 verschob sich die geplante Bekanntgabe der Entscheidung auf den heutigen Tag.

Aufgrund gezielter Falschinformationen haben die Medien einen völlig anderen Ablauf meiner Entscheidung dargestellt. Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen. Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Möglichkeit mehr, das Amt des Parteivorsitzenden mit der notwendigen Autorität auszuüben.

 

(Sh. den gesamten Text "Erklärung von Kurt Beck: Bundespolitik", spd-rlp.de, Seite besucht am 9.9.2008.)


Ergänzend meldete die Nachrichtenagentur Reuters am 9.9.2008 zum Rätsel des Vertrauensbruchs:

 

Der zurückgetretene SPD-Chef Kurt Beck wirft Teilen seiner Partei gezielte Vertrauensbrüche vor, die ihn aus dem Amt getrieben haben.

 

Durch Fehlinformationen an die Medien sei sein zentrales Recht als Parteivorsitzender eingeschränkt worden, den Kanzlerkandidaten vorzuschlagen, sagte er am Dienstag in Mainz. Außenminister Frank-Walter Steinmeier betonte, am Rücktritt des Parteichefs keinen Anteil gehabt zu haben. Der designierte Kanzlerkandidat räumte aber ein, gegen Beck gerichtete Indiskretionen könnten aus der SPD gestreut worden sein…

 

Beck nannte keine Urheber für die Vertrauensbrüche, schloss die erste Reihe der Partei aber aus. Die Entscheidung, dass Steinmeier Kanzlerkandidat werden solle, habe er vor Monaten getroffen. Mit dem Außenminister und seinem Nachfolger als Parteichef, Franz Müntefering, habe er am vergangenen Donnerstag eine gemeinsame Linie verabredet. Auch für Müntefering sei eine Rolle im Wahlkampf vorgesehen gewesen. Am Samstag hätten die drei die Spitzen von Partei und Fraktion informiert sowie führende Persönlichkeiten wie Alt-Kanzler Gerhard Schröder.

 

Am Samstagabend seien dann Dinge berichtet worden, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun gehabt hätten, sagte Beck. "Spiegel" und "Berliner Zeitung" hatten gemeldet, Steinmeier greife nach der Kandidatur, um nicht als Kandidat von Becks Gnaden dazustehen…

 

(Sh. "Beck fühlt sich von Teilen der SPD hintergangen", de.reuters.com, 9.9.2008.)

 

Wer Beck auf diese Weise durch Falschinformationen diskreditieren wollte, können wohl nur die Redakteure von "Spiegel" und der "Berliner Zeitung" verraten, wenn sie die Meldungen nicht verfälscht oder frei erfunden haben. Eine freie Erfindung kommt kaum in Betracht, denn unter den oben zitierten  "Spitzen von Partei und Fraktion" gibt es genügend Leute, die vom Verrat an der Sozialdemokratie weiterhin profitieren wollen. Es ist aber möglich, dass die Information über die Kandidatur von Steinmeier grob verfälscht wurde (sh. oben: "auf Drängen Steinmeiers").  Zu den Ereignissen zwischen dem 5. und 7. September 2008 heißt es in einer Chronologie des Kölner Stadtanzeigers lediglich:

 

Samstag, 6. September: Am Abend melden "Berliner Zeitung" und "Spiegel", dass Steinmeier Kanzlerkandidat werden soll. Dies wird später aus der engeren Parteiführung inoffiziell bestätigt.

 

(Sh. "Chronologie...", ksta.de, 8.9.2008.) Es wird also nicht das "Drängen Steinmeiers" "bestätigt". Diese entscheidende ´Behauptung hätten dann so nicht in die Welt gesetzt werden dürfen, auch nicht mit der kurzen Einschränkung "nach SPIEGEL-Informationen", denn der normale Leser erwartet vom SPIEGEL keine Diffamierungs-"Informationen".

Andererseits gibt es unter den Pseudo-Sozialdemokraten etliche, die Beck wegen seines minimalen Linksschwenks abstrafen wollen. Um nur ein  Beispiel für den übermächtigen rechten SPD-Flügel zu nennen, sei hier eine Äußerung von Johannes Kahrs zitiert, dem Sprecher des neoliberalen Seeheimer Kreises. Dazu heißt es im SPIEGEL vom 27.3.2008:

 

Kahrs wirft dem Parteivorsitzenden vor, die Sozialdemokraten mit der Öffnung zur Linken in Hessen in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise gestürzt zu haben.

 "Dafür muss er büßen. Damit hat sich die Kanzlerfrage schon erledigt", wird Kahrs vom "Flensburger Tageblatt" zitiert.

 

(Sh. "Beck soll für Linksschwenk büßen", spiegel.de, 27.3.2008 und den weiteren Zusammenhang dieses Zitats hier unter Gesundheitsreform.) Vor allem würde kaum jemand in der SPD einen solchen hinterhältigen medialen Vorstoß gegen Beck wagen, wenn er sich nicht des stillschweigenden Einverständnisses der obersten Postenvergeber und Zuschanzer von Listenplätzen in der SPD sicher wäre und mit der Zustimmung der neoliberalen Medien rechnen könnte. Auch hier gibt es viele Parallelen zu dem früheren Wegmobben von Lafontaine als Parteivorsitzenden. Es ist aber daran zu erinnern, dass seit 2002 mit Matthias Platzeck und Franz Müntefering noch zwei weitere SPD-Parteivorsitzende zurückgetreten sind. Hier ging es allerdings nicht um solches Mobbing, weil sie ohnehin schon auf neoliberalem Kurs waren. Mit diesem Kurs liegen die Seeheimer ebenso im Trend wie die Netzwerker. Bei SPIEGEL ONLINE vom 20.11.2008 heißt es dazu unter der Überschrift "LINKEN-WAHLKAMPF IM SAARLAND - SPD-Anhänger flirten mit Lafontaine":
 

So bezeichnet der Linkspartei-Chef an diesem Abend die Netzwerker der SPD als "beliebigen Karriereverein, bei dem es nicht um Inhalte geht."


Springers WELT triumphiert "Endlich ist der weinerliche Kurt Beck gegangen", welt.de, 9.9.2008, und schreibt:

 

Er darf nicht über die Presse jammern und über Intrigen "aus der zweiten Reihe" klagen, sondern hat sich die Früchtchen hinter den Kulissen vorzunehmen...

Dafür hat er den Sturz der ältesten und einstmals größten deutschen Partei zu einem Zwergenverband in FDP-Format zu verantworten. Seine Entmachtung ist ein Akt sozialdemokratischer Selbstverteidigung.


Im Gegensatz zu Lafontaine erscheint Beck tatsächlich nicht robust genug gegen die Hetze der Meinungsmacher vom Axel-Springer-Verlag und anderen neoliberalen Medien in Verbindung mit ihren opportunistischen Gefolgsleuten in der SPD. Den "Sturz der ältesten und einstmals größten deutschen Partei" hat aber nicht Beck zu verantworten, sondern der Niedergang wurde längst vorher eingeleitet durch die Umverteilung nach oben in die eigenen Taschen der Springer-Favoriten Gerhard Schröder, Frank Walter Steinmeier und anderer Mitprofiteure der Agenda 2010, nicht zuletzt in den Medien (sh. hier rossaepfel-theorie.de).


 





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