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rossaepfel-theorie.de
Exkurs: Manipulations-Proporz
zuletzt ergänzt am 20.12.2008
Die jetzigen
Rundfunkgebühren für das öffentlich rechtliche Fernsehen
sind kaum noch zu rechtfertigen, wenn der große Koalition für
die Umverteilung nach oben die beste Sendzeit
zugeschanzt wird, z.B. der Propaganda-Talkshow von
Sabine Christiansen
mit erdrückender neoliberaler Überbesetzung. Diese
Wählertäuschung aus Rundfunkgebühren ließ sich die ARD
"dem Vernehmen nach neun Millionen Euro" jährlich kosten
(DER SPIEGEL, 15/2007, S. 81, sh. auch
dwdl.de),
wovon ein großer Teil an Christiansen ging, teils als
Gage (sh. Walter van Rossum: "Fernsehen – Widerspruch
ist zwecklos",
faz.net, 14.6.04), teils als Gewinn aus ihrer
Produktionsgesellschaft. Für die
Christiansen-Nachfolgerin Anne Will sollen davon eine
Millionen Euro und der Produktionsgewinn eingespart
werden, aber "konzeptionell orientiere sich Will stark
an der Vorgängersendung, heißt es" (DER SPIEGEL,
a.a.O.).
Die gleichen Fernsehmacher dotieren den Vertrag von
Harald Schmidt mit 9,7 Millionen Euro im Jahr
(lt. sueddeutsche.de, 18./19.1.05), und der
Programmdirektor Günter Struve würde am liebsten den
Harald-Schmidt-Klamauk auf drei Sendungen pro Woche
ausweiten (lt. netzeitung.de, 12.4.05),
während er andererseits die wichtigen und
erfolgreichen ARD-Politmagazine wie Monitor, Panorama,
Kontraste mit ihrem
kritischen Journalismus von 45 auf 30 Minuten verkürzt
hat (lt. epd.de, 25.5.05); sh. auch Interview mit Thomas Leif,
jungle-world.com, 22.6.05
und den Artikel
"ARD-POLITMAGAZINE - Intendanten beschließen Kürzung",
spiegel.de,
14.6.2005). Eine
Kürzung der vorhergehenden Unterhaltungsserien wie der
Arztserie "In aller Freundschaft" um mehr als fünf
Minuten oder der kreuzbraven Infotainment-Spätnachrichten von
satten dreißig Minuten scheint tabu zu sein. Vergleiche
dazu
auch die Ausreden des ARD-Programmdirektors Günter Struve
am 11.1.06 in der WDR-Sendung: "Hart aber fair:
Werden die Gebühren verjodelt?
Fernsehen zwischen Qualität und Quote", wo es vor allem
um den "demokratischen" Vorrang von
anspruchsloser Unterhaltung und Ramsch, aber
vorsichtshalber nicht um die scheindemokratische
politische Indoktrination ging.
Warum Günter Struve mit den
ARD-Intendanten die Einschaltquoten ausgerechnet von
Christiansen durch den Sendeplatz sonntags um 21.45 Uhr
im Ersten Programm künstlich hochgetrieben hat, kam gar
nicht erst zur Sprache. Es ergibt sich offenbar aus
seiner stromlinienförmigen Anpassung an die neoliberale
Mehrheit in den ARD-Kontrollgremien, die man wohl - wie
beim ZDF - als "anthropologisches Abbild der deutschen
Clan-Strukturen" bezeichnen kann (sh. Michael Naumann:
"Die ZDF-Kungelei - Die Parteien basteln sich einen
Intendanten",
zeit.de, 11/2002,
sowie Matthias Kurp: "Markus Schächter neuer
ZDF-Intendant",
medienmaerkte.de, 11.3.02
und Uwe Kammann: "Grauer Oktober?",
epd.de, 25.9.02).
Es wurde auch nicht gefragt, warum Struve es zulässt,
dass Sabine Christiansen in ihrem neoliberalen Zirkus
INSM-Vertreter als "unabhängige Experten" präsentiert
(sh. "Die
Macht über die Köpfe...", mit Video und
PDF)
oder dass
komplette Indoktrinationsbeiträge der INSM gesendet
werden (sh. Volker Lilienthal: "Remedur radikal",
epd.de, 17.9.05).
Wenn Struve wegen der "Pressefreiheit" darauf
keinen Einfluss hat, dann muss man sich doch fragen,
warum überhaupt TV-Gebühren für solche neoliberalen
Manipulationssendungen verwendet werden und für
Fernsehmacher, die solche Sendungen ins Programm
bringen.
Zugegeben hat Struve jedenfalls, dass er Christiansen zu
diesem Sendeplatz verholfen hat mit seiner Stichstimme
bei vier gegen fünf Proporz-Intendanten (sh. seine
Antwort im
Tagesspiel-Interview vom 17.6.07). Struve darin über
Struve:
Was stimmt: Günter Struve hat mit seiner Stichstimme den
Sendeplatz am Sonntagabend durchgesetzt. Das war sehr
wichtig, denn um diese Zeit tummelte sich auf Sat 1 ein
Erich Böhme. Und das konnte und wollte ich – auch aus
professionellen Gründen – so nicht sein lassen.
Als ob die
betuliche Sendung von Böhme eine Ausrede für dieses
Desaster sein könnte! Man mag kaum glauben, dass Struve
ein ehemaliger Redenschreiber von Willi Brandt war,
ebensowenig, wie der Kanzler der Bosse als Brandt-Enkel
vorzustellen ist. Klar ist auch, dass Struve mit seiner
"Stichstimme" einen nicht wieder gutzumachenden Beitrag
geleistet hat zur Wählertäuschung und ihren
Nachwirkungen weit über das Ende dieser neoliberalen
Wahlhilfe hinaus. Mit ihrem
Talk-Zirkus vom 4.1.1998 bis 24.6.07 hat
Christiansen die Umverteilung nach oben während der
gesamten PinkGrünlichen Amtszeit der Schröder-Koalition
und darüber hinaus unterstützt.
Wie beim ZDF-Fernsehrat sind auch die Mitglieder
der ARD-Rundfunkgeräte "nur
ihrem Gewissen und dem Gesetz unterworfen und daher an
Weisungen nicht gebunden" (sh. Hubert Gersdorf:
Rundfunkrecht, jura.uni-rostock.de, Sommersemester
1999). Damit gelten für sie ähnlich "ideale"
Voraussetzungen wie für die Bundestagsabgeordneten (sh.
auch Hartmut Lühr: "Die
Niveau-Drücker", hoerspieler.com, 2005).
Ihre Aufgaben sind
"Wahl des Intendanten / Direktoriums;
Wahl des Verwaltungsrats; Beratung des
Intendanten / Direktoriums in allen Programmfragen;
Repressive Programmkontrolle auf Einhaltung der
gesetzlichen Bestimmungen und Richtlinien" (H. Gersdorf,
ebd.),
wobei die besagten
"Richtlinien" von diesem "Bestverdiener"- und
Proporz-Gremium in rechtlichen Grenzen selbst erlassen
werden (sh.
BVerfGE 73, 118).
Zunächst hatten sich
die ARD-Intendanten Fritz Pleitgen (WDR) und Jobst Plog
(NDR) darauf verständigt, dass Sabine Christiansen zum
Ablauf ihres Vertrages im Jahre 2007 geht und dass ihren
wahlwirksamen Sendeplatz möglichst Günter Jauch erhalten
sollte (Jauch: "mit Abstand der schönste Platz, den man im
deutschen Fernsehen haben kann"; sh. "Ende einer
Primadonna", DER SPIEGEL, 26/2006, vom 26.6.06, S. 146 –
148). Die Rechtslastigkeit der Christiansen-Moderation
war wohl zu augenfällig geworden, und ihre Quote war im
Laufe des Jahres 2006 von 18,5% auf 12,9% abgesackt. Die
Verhandlungen mit Günther Jauch hatten die Intendanten
ihrem Programmdirektor Günter Struve übertragen
(ebd.), der für Einschalt-Quoten keine ungewöhnlichen
Millionen-"Honorare" und keine Qualitätsopfer scheut (sh.
oben).
Bei dem brav und konform wirkenden Einkommensmillionär Jauch konnten sie wohl
sicher sein, dass sie mit ihren eigenen neoliberalen
Kontroll-, Proporz- und Ernennungsgremien keinen Ärger
bekommen. Denn sicher betrachten auch diese Konformitäts-Wächter Günther Jauch als einen
der Ihren und erwarteten von dem quotenstarken
Unterhaltungsprofi ohnehin keine großen politischen
Sprünge, schon gar nicht ins linke "Abseits". Außerdem hat sich
Jauch diverse
Verdienste erworben, unter anderem mit seinem
volkstümlichen Quotenkracher "Wer wird
Millionär?" als millionenschwerem Reklame-Vehikel
von RTL. Profiliert hat er sich auch beim Denkmalschutz, dem größten
verbliebenen Steuerschlupfloch für Einkommensmillionäre,
bei dessen Abschaffung aber möglicherweise viel alte
Bausubstanz verfallen würde. Allerdings hat es dennoch
Ärger gegeben, weil
die neoliberalen Proporz-Gremien bei erneuten
Mauscheleien um die Postenvergabe nicht übergangen werden
wollen. Dazu
schreibt DER SPIEGEL 27/2006 vom 3.7.06:
Widerstand formiert sich nun vor allem
gegen einen der Kontrolle der Gremien entzogenen
Geheimvertrag à la Harald Schmidt. Dessen Wechsel ins
Erste wurde vertraglich über die ARD-Tochter Degeto
abgewickelt, offenbar um über das vermutete
Millionenhonorar absolute Vertraulichkeit zu wahren.
Wenn also die bestbezahlten Meinungsmacher von ARD und
ZDF in ihren Sendungen die Umverteilung nach oben
rechtfertigen lassen, dann soll der TV-Gebührenzahler
jedenfalls keine Vorstellung erhalten, in welchem Maße
sie persönlich davon profitieren. Bei Jauch ist die
Rechnung nicht aufgegangen, weil ihm seine leicht
verdienten Millionen mit dem RTL-Rummel wichtiger waren.
Außerdem wollte er bei der geplanten stärkeren
Einflussnahme der ARD-Chefredakteure auf die
Talk-Sendung auch nicht "zum Spielball der
politischen Farbenlehre innerhalb der ARD" werden (sh.
"Medien: Günther Jauch sagt ARD ab",
zeit.de, 11.1.07).
Vielmehr wollte er für seine Produktionsfirma wohl
das Recht behalten, den Neoliberalismus der
Chefredakteure noch zu übertreffen und als Quotenknacker den Pinguin Sandy
aus seiner stern-TV-Sendung auch in dem Polit-Zirkus
auftreten zu lassen
(sh. auch das kurzweilige SPIEGEL-Interview mit Günther
Jauch: "Gremien voller Gremlins", DER SPIEGEL 3/2007, S.
64 f.).
Ein weiterer Schritt zur Informationsblockade ist den neoliberalen
Ministerpräsidenten gelungen mit ihrem Entwurf zu einem "12. Rundfunksänderungs-Staatsvertrag"
(sh.
"Zwölfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag", rlp.de, Stand
22.10.2008). Es ging ursprünglich um ein Verfahren der EU-Kommission gegen
Deutschland wegen wettbewerbsverzerrender Beihilfen für
öffentlich-rechtliche Sender zu Lasten der privaten Verleger und auf
deren Initiative. Diese
sahen sich in ihren werbefinanzierten Internet-Angeboten
beeinträchtigt durch die gebührenfinanzierten Internetauftritte der
öffentlich-rechtlichen Sender. Eine solche kommerzielle Beeinträchtigung
der privaten Internetangebote wäre
insbesondere gegeben durch den immer weiter wuchernden
Unterhaltungs-Schwachsinn der Öffentlich-Rechtlichen zu Lasten ihres
gebührenfinanzierten Informations- und Kulturauftrages.
Den neoliberalen
Ministerpräsidenten von CDU und SPD ging es dagegen wohl eher um die
Beschneidung kritischer Online-Informations-Archive, wie sie auch schon
die ARD-Politmagazine beschnitten haben und die Schlüsselpositionen in den
öffentlich-rechtlichen Medien mit ihren Propagandisten besetzen. Kritische Informationen wollen sie
nun wohl möglichst schnell wieder aus dem Netz entfernen lassen, und zwar
schon nach sieben Tagen. Das lässt sich aber keineswegs mit EU-Auflagen
begründen. (Sh.
"Entscheidung über ARD und ZDF im Internet - 'Kein Erfolg für die
Gebührenzahler'", tagesschau.de,
24.10.2008,
sowie "Ministerpräsidenten einigen sich auf Rundfunkstaatsvertrag", DLF,
24.10.2008, und den Beitrag einen Tag vor dem Coup:
"Anfang und Ende der Grundversorgung", Deutschlandfunk,
22.10.2008.)
Nebenbei wollen sie anscheinend mit ihrem BKA-Gesetz den störenden
investigativen Journalismus zu Grabe tragen, indem sie die PCs von
Journalisten heimlich nach Informanten durchsuchen und das
Zeugnisverweigerungsrecht über die Informanten aufheben. Kaum ein
Informant aus dem wichtigen behördlichen Mittelbau wird danach seinen
Job riskieren. Ihre eigenen Politiker-PCs wollen sie dagegen von der
Online-Durchsuchung ausnehmen, so dass ihre Mauscheleien und
Manipulationen möglichst nicht aufgedeckt werden
(sh. "PROTEST GEGEN BKA-GESETZ –
'Anschlag auf die Pressefreiheit'", spiegel.de,
15.12.2008,
mit Protesten von Chefredakteuren bis hin zu BILD-Chef Dieckmann, die ebenfalls
an der Manipulation zur Umverteilung nach oben beteiligt sind.) Ohne den Widerstand der Opposition und der schwachen
SPD-Linken wäre es wahrscheinlich noch schlimmer gekommen.
Auch Kurt Beck (SPD), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und
Vorsitzender der Länder-Rundfunkkommission, musste in einem
Interview
mit der Süddeutschen Zeitung
20.10.2008 zugeben, dass die EU keine
Sieben-Tage-Frist fordert:
SZ: Stimmt es, dass in Brüssel die Sieben-Tage-Frist für
die Mediatheken von ARD und ZDF in Frage gestellt wurden?
Beck: Die EU-Kommission möchte, dass generell alles unter den
Drei-Stufen-Test gestellt wird, weil man in diesem Fall auf jede
Zwischenfrist verzichten könnte. Das ist unter den Ländern noch nicht zu
Ende verhandelt.
Es ist also kaum zu verstehen, warum Beck eine derartige Informations-Behinderung
durch die Neoliberalen
trotzdem mitträgt und die Archivierung der Manipulation dann eher dem privaten
Medienkapital überlässt. Aber Beck verweist auf die Möglichkeit für ARD
und ZDF, dass sie an die Sieben-Tages-Frist nicht gebunden sind, wenn
die neoliberalen Mehrheiten von Fall zu Fall entsprechenden
"Telemedienkonzepten" zustimmen. Dies ist möglich gemäß § 11d des geplanten
Rundfunkstaatsvertrages nach einem "Drei-Stufen-Modell"
zur Befreiung von dieser Frist (sh. "Drei-Stufen-Test" unter
"Landtag von Baden Württemberg",
Drucksache 14/3560 vom
11.11.2008).
Trotz der bisherigen Manipulations-Erfahrungen mit den Medien lässt sich
daher der vorstehende Verdacht erst abmildern, wenn tatsächlich
die entsprechenden öffentlich zugänglichen Polit-Archive auf Dauer
in vollem Umfang erhalten bleiben. Dies wird aber nur mit genug öffentlichem Druck auf die Proporz-Gremien
gegen ihre Sieben-Tage-Regelung zu erreichen sein.
Andernfalls kann der politisch Interessierte froh sein, wenn nach
den sieben Tagen die dringend benötigten, gebührenbezahlten
Informationen noch auf irgendwelchen privaten Webseiten zu finden sind, ohne dass
er selbst die umfangreichen Speicheraufgaben der Öffentlich-Rechtlichen
übernehmen muss. Leser und Autoren werden so bei Dokumentationen mit
solchen wichtigen Quellenangaben einer unzumutbaren Einschränkung ihrer Informationsfreiheit unterworfen,
gerade bei jenen Beiträgen, mit denen die Desinformation durch
die neoliberalen Meinungsmacher entlarvt und aufgearbeitet wird.
Der ARD-Vorsitzende, Fritz Raff, argumentierte und hoffte noch in einem
Tagesschau-Interview vom 12.6.2008:
Deutschland wird europaweit die engsten Vorschriften im
öffentlich-rechtlichen Online-Bereich haben. Ich glaube nicht, dass die
Politik wirklich möchte, dass politische Berichterstattung, sei es
aktuell oder als Feature oder Dokumentation, nach sieben Tagen aus dem
Netz genommen werden muss. Das wäre ja eigentlich gegen die
Wissensgesellschaft gerichtet.
(Sh.
"Interview zum Rundfunkstaatsvertrag - 'Die Netzwelt lässt sich nicht
mit Paragraphen aufhalten'", tagesschau.de,
12.6.2008.)
Aber er hat die Skrupellosigkeit der Ministerpräsidenten von CDU/CSU und
sogar der SPD wohl unterschätzt.
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